Samstag, 17. August 2019

Betrug, eine Erschütterung der ganzen Person




Zeichnung: A. Wende

"Es gibt kaum ein Unterfangen, das mit so ungeheuren Hoffnungen und Erwartungen begonnen wird und das mit einer solchen Regelmäßigkeit fehlschlägt wie die Liebe", schreibt Erich Fromm.
Die Erfahrung vieler von uns sagt: Ja, so ist es.
Wir alle wollen geliebt werden, wir suchen den Einen, die Eine, die uns das gibt, diese eine Liebe. Und die soll bleiben wenn wir sie endlich gefunden haben, für immer und ewig. Sie bleibt oft nicht. Irgendwann ist es vorbei. Die Liebe geht, warum auch immer. Es gibt tausend Gründe. Was aber wenn die Liebe bleibt und wir trotzdem gehen, weil die Beziehung einen tiefen Riss bekommen hat, der nicht mehr zuheilen will? 

Anna weint. Sie weint jedes Mal, wenn sie zu mir kommt. Sie ist blass. Unter ihren Augen liegen tiefe Schatten. Sie schläft schlecht, sie ist ständig krank. Sie lebt ihr Leben als Schatten ihrer selbst. Sie spürt nicht mehr viel für andere, auch sich selbst spürt sie nicht mehr. Nur Schmerz, sagt sie, einen dumpfen Dauerschmerz. Manchmal wenn ich in die Stadt gehe um Einkäufe zu machen, muss ich plötzlich ganz schnell wieder nach hause gehen, weil ich anfange zu weinen. Es kommt einfach so, ich kann das gar nicht steuern. Es fließt aus mir heraus. Ich habe Schwierigkeiten mit dem Leben. Das ganz normale Leben, ich weiß nicht, aber irgendwie funktioniert das nicht mehr.
Seit etwa einem Jahr kommt Anna schon zu mir in die Praxis. Es gibt auch gute Phasen. Phasen in denen sie sich besser fühlt. Stärker und hoffnungsvoller. Leider halten sie nicht an. Immer wieder ist Anna am Boden zerstört. Ich habe ihr vorgeschlagen in eine Psychosomatische Klinik zu gehen. Anna will das nicht. Sie sagt, sie will so lange darüber reden bis es gut ist. Ich sage, das ist okay. Ich höre ihr zu. Immer wieder dem immer Gleichen. Ich spüre ihren Schmerz, weil ich ihn kenne. Ich weiß, dass er Zeit braucht um zu erträglicher zu werden. Wie viel Zeit, weiß ich nicht. Wir nehmen uns Zeit.
Ich liebe ihn, sagt sie immer wieder. Ich liebe ihn wie ich noch keinen Mann geliebt habe. Als er in mein Leben trat, war es als wäre ich endlich angekommen. Alles war so selbstverständlich. Es war ein tiefes Einverständnis, ein tiefes Verstehen. Unsere Seelen haben sich berührt, wir haben einander gespürt. Ich dachte dieses Mal ist es für immer. Ich habe ihm vertraut. Blind, ihn und seine Liebe nie angezweifelt. Er hat mir das Gefühl gegeben so wie ich bin, bin ich okay, egal was ich tat, er hat mich genommen wie ich bin. Und wenn es Streit gab, hat er alles verziehen und ich habe ihm alles verziehen. Anna liebt den Mann noch immer. Aber sie versteht ihn nicht mehr. Sie versteht nicht, dass er sie betrogen hat.

Es ist ein Jahr vergangen seit es geschah. Anna sitzt noch immer vor mir in einer Fassungslosigkeit für die es keinen Namen gibt. Das macht es so schwer, sie kann es nicht fassen. Sie kann nur spüren, was es mit ihr macht. Der Betrug hat ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Noch immer ist sie trittunsicher. Sie vertraut dem Mann nicht mehr, sich vertraut selbst nicht mehr, fragt sich immer wieder, wie sie sich so in ihm getäuscht haben kann. Sie sagt, sie vertraut dem Leben nicht mehr, das ihr den Mann geschickt hat und dann genommen. Es ist als sei etwas eingestürzt und über ihr zusammengebrochen. Sie liegt noch immer unter dem Schutthaufen. 

Der Mann kämpft um Anna. Es tut ihm leid. Er will sie nicht verlieren. Sie ist geblieben bis jetzt. Aber sie sehen sich nicht mehr so oft. Sie berühren sich nicht mehr oft. Wenn er sie berührt, legt sich das Gesicht der anderen Frau über das seine. Das erträgt Anna nicht. Sie spürt Ekel.Sie reden viel und wenn sie reden, reden sie über das was war und nie mehr so sein wird. Sie hoffen, dass es irgendwann vorbeigeht, Annas Schmerz und seine Schuldgefühle. Weil sie sich lieben, weil es so viel mehr gibt zwischen ihnen als den Betrug. Aber der ist groß, zu groß um das andere wieder lebendig werden zu lassen. Anna schafft es nicht wieder Vertrauen zu fassen. Sie will, sagt sie immer wieder, sie will es seit einem Jahr. Ihr Wollen nützt ihr nichts.
Annas Geschichte ist tragisch. Sie liebt und kann nicht bleiben. Sie muss den Mann verlassen, sie weiß es, aber sie findet noch immer nicht die Kraft es zu tun. Sie vertraut nicht mehr in sich selbst. Ihr Selbstvertrauen ist tief erschüttert. Das Wesentliche was erschüttert ist, ist ihr Bindungsgefühl. 

Als Kind hat Anna keine sichere Bindung erleben dürfen. Sie war ungewollt, das hat man sie spüren lassen. Immer wieder hat sie anstatt Angenommensein und Liebe, Zurückweisung und Demütigung erfahren. Das sitzt tief. Das hat der Betrug wieder nach Oben geholt. Anna ist retraumatisiert.
Betrogen worden sein ist für die meisten von uns eine tiefe seelische Erschütterung. Für Anna aber ist es ein existentielles Drama verbunden mit der Angst sich aufzulösen ohne die Liebe des anderen. 

Sie war sicher, den Partner gefunden zu haben, für den sie wichtig und bedeutsam ist. So hat es sich angefühlt. Sie ist davon ausgegangen, dass er für sie da ist, dass sie ihm genauso viel bedeutet wie er ihr. Sie hat vertraut. Ab dem Moment, in dem sie erfahren hat, dass der Partner fremdgegangen ist, gelang es ihr nicht mehr dieses Bindungsgefühl zu bewahren. Das, was das Bindungsgefühl ausmacht, wurde durch sein Fremdgehen erschüttert. Annas Seele ist seither in einer eine Art Daueralarmzustand. Durch den Betrug wurde die Urwunde aufgerissen und zudem wurde ihr eine neue Wunde zugefügt. Das ist zu viel für die Psyche.  Annas Seele hat einen schweren Schaden erlitten. Und so fühlt sie sich: beschädigt. 

Dieses Gefühl macht sie hilflos. Sie kann keinen Zusammenhang herstellen zwischen dem Betrug und ihrer Beziehung. Alles was sie und den Mann verbunden hat erscheint ihr seitdem in einem anderen Licht. Alles was sie erlebt haben, alles was sie verbunden hat, gilt nicht mehr. Es ist entwertet. Ihre Liebe erscheint ihr wie eine Illusion, die sie sich gemacht hat. Sie vertraut ihrer Wahrnehmung nicht mehr. Sie erlebt sich als entwertet. Es fühlt sich an wie die Vernichtung meiner ganzen Person, sagt sie.
Um  mit dem Schmerz umzugehen, hat sie ihn immer wieder in Wut und Hass umgewandelt. Geholfen hat es nichts. Anna kann den Mann nicht hassen. Sie will ihn weiter lieben und kann ihn nicht mehr lieben, weil die Verletzung die er ihr zugefügt hat aus seiner Nichtliebe entstanden ist. So empfindet sie es. 

Der Mann sagt, es sei keine Liebe im Spiel gewesen. Es sei reiner Sex gewesen, ohne Bedeutung für ihn.
Ohne Bedeutung war ich für ihn als er es getan hat, sagt Anna. Und dann kommt die Wut. In der Wut fühlt sich Anna stärker. Weniger ohnmächtig. Aber die Wut ist Abwehr um die Ohnmacht und den Schmerz nicht spüren zu müssen. Die Wut erlöst sie nicht. Sie will Erlösung von dem, der ihr das angetan hat. Auch darum hält sie an dem Mann fest. Das macht es ihr so schwer sich von ihm zu lösen. 

Aber der Mann kann emotional nicht wirklich nachvollziehen, was er in Anna ausgelöst hat. Das wertet ihn in Annas Augen ab, so hat sie ihn nicht gesehen. Ihr Bild von ihm wird weiter erschüttert und damit auch das Vertrauen in ihn und zugleich das Vertrauen in sich selbst, weil sie sich fragt, wie sie sich so in ihm getäuscht haben kann. Er ist ihr fremd geworden. Sein „Es war bedeutungslos, es tut mir leid“, hilft ihr nichts. Damit übernimmt er emotional nicht die Verantwortung für sein Handeln. 
Es bedarf um aus der Vertrauenskrise herauszukommen, seines Eingeständnisses, dass er in diesen Momenten in der Zeit nur noch an sich selbst und seine Bedürfnisse gedacht hat und nicht an Anna und ihre gemeinsame Beziehung. In diesem Moment war sie für ihn ohne Bedeutung, wertlos. Sie war weniger Wert als sein Wollen. Damit hat er die Bindung verletzt und aufgelöst. Er hat nicht nur Anna, er hat der Beziehung emotionalen Schaden zugefügt. 

Indem er sein Handeln klein redet, es als bedeutungslos bezeichnet, macht es das, was für Anna so groß und schmerzhaft ist, klein und unwichtig. Er macht Anna klein und unwichtig. Seine emotionale Nichtübernahme der Verantwortung macht Anna vertrauen und verzeihen unmöglich. Sie bleibt in der Zurückweisung ihrer Liebe stecken.

Ob der Mann sich ändern wird? Wir wissen es nicht. Darauf hat Anna keinen Einfluss. Es bleibt ihr nur etwas in sich selbst zu ändern -  ihre Haltung und ihr Gefühl ihrer Wunde gegenüber, der alten und der neuen. 

Ein konstruktiver Umgang damit ist eine große Herausforderung. Sie muss den Schmerz zunächst voll und ganz annehmen und lernen ihn im wahrsten Sinne des Wortes nicht persönlich zu nehmen. Es war sein Betrug, seine Lüge, seine Entscheidung. Er wollte ihr nicht mit Absicht wehtun. Er hat nur an sich gedacht. Anna gab es für ihn in diesem Moment nicht. Es ist seins. Und da gehört es hin.
Das zu verinnerlichen, zu fühlen und zu akzeptieren ist schwer. Denn Anna ist ja gefühlt in ihrer ganzen Person vernichtet. Ihr inneres Kind hat wieder erfahren, dass es nichts wert ist. Es ist wieder zurückgewiesen worden. Es hat wieder erfahren, dass seine ganze Liebe nichts wert war. Es hat wieder erfahren, dass Liebe nicht heilt und Bindung nicht verlässlich ist. Es hat wieder die alte Verlassenheit gespürt: Ein Gefühl der Vernichtung der ganzen Existenz.

Was heilen muss ist das Vertrauen Annas in sich selbst und den unzerstörbaren Kern in ihr, der alles überlebt hat bis heute. Wenn das gelingt, wird sich die Wunde schließen. Die alte und die neue. 
Wir arbeiten daran.






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