Zeichnung: A. Wende |
"Es gibt kaum ein Unterfangen, das mit
so ungeheuren Hoffnungen und Erwartungen begonnen wird und das mit einer
solchen Regelmäßigkeit fehlschlägt wie die Liebe", schreibt Erich Fromm.
Die Erfahrung vieler von uns sagt: Ja, so ist
es.
Wir alle wollen geliebt werden, wir suchen
den Einen, die Eine, die uns das gibt, diese eine Liebe. Und die soll bleiben
wenn wir sie endlich gefunden haben, für immer und ewig. Sie bleibt oft nicht.
Irgendwann ist es vorbei. Die Liebe geht, warum auch immer. Es gibt tausend
Gründe. Was aber wenn die Liebe bleibt und wir trotzdem gehen, weil die
Beziehung einen tiefen Riss bekommen hat, der nicht mehr zuheilen will?
Anna weint. Sie weint jedes Mal, wenn sie zu
mir kommt. Sie ist blass. Unter ihren Augen liegen tiefe Schatten. Sie schläft
schlecht, sie ist ständig krank. Sie lebt ihr Leben als Schatten ihrer selbst.
Sie spürt nicht mehr viel für andere, auch sich selbst spürt sie nicht mehr.
Nur Schmerz, sagt sie, einen dumpfen Dauerschmerz. Manchmal wenn ich in die
Stadt gehe um Einkäufe zu machen, muss ich plötzlich ganz schnell wieder nach
hause gehen, weil ich anfange zu weinen. Es kommt einfach so, ich kann das gar
nicht steuern. Es fließt aus mir heraus. Ich habe Schwierigkeiten mit dem
Leben. Das ganz normale Leben, ich weiß nicht, aber irgendwie funktioniert das
nicht mehr.
Seit etwa einem Jahr kommt Anna schon zu mir
in die Praxis. Es gibt auch gute Phasen. Phasen in denen sie sich besser fühlt.
Stärker und hoffnungsvoller. Leider halten sie nicht an. Immer wieder ist Anna
am Boden zerstört. Ich habe ihr vorgeschlagen in eine Psychosomatische Klinik
zu gehen. Anna will das nicht. Sie sagt, sie will so lange darüber reden bis es
gut ist. Ich sage, das ist okay. Ich höre ihr zu. Immer wieder dem immer
Gleichen. Ich spüre ihren Schmerz, weil ich ihn kenne. Ich weiß, dass er Zeit
braucht um zu erträglicher zu werden. Wie viel Zeit, weiß ich nicht. Wir nehmen
uns Zeit.
Ich liebe ihn, sagt sie immer wieder. Ich
liebe ihn wie ich noch keinen Mann geliebt habe. Als er in mein Leben trat, war
es als wäre ich endlich angekommen. Alles war so selbstverständlich. Es war ein
tiefes Einverständnis, ein tiefes Verstehen. Unsere Seelen haben sich berührt,
wir haben einander gespürt. Ich dachte dieses Mal ist es für immer. Ich habe
ihm vertraut. Blind, ihn und seine Liebe nie angezweifelt. Er hat mir das
Gefühl gegeben so wie ich bin, bin ich okay, egal was ich tat, er hat mich
genommen wie ich bin. Und wenn es Streit gab, hat er alles verziehen und ich
habe ihm alles verziehen. Anna liebt den Mann noch immer. Aber sie versteht ihn
nicht mehr. Sie versteht nicht, dass er sie betrogen hat.
Es ist ein Jahr vergangen seit es geschah. Anna
sitzt noch immer vor mir in einer Fassungslosigkeit für die es keinen Namen
gibt. Das macht es so schwer, sie kann es nicht fassen. Sie kann nur spüren,
was es mit ihr macht. Der Betrug hat ihr den Boden unter den Füßen weggezogen.
Noch immer ist sie trittunsicher. Sie vertraut dem Mann nicht mehr, sich
vertraut selbst nicht mehr, fragt sich immer wieder, wie sie sich so in ihm
getäuscht haben kann. Sie sagt, sie vertraut dem Leben nicht mehr, das ihr den
Mann geschickt hat und dann genommen. Es ist als sei etwas eingestürzt und über
ihr zusammengebrochen. Sie liegt noch immer unter dem Schutthaufen.
Der Mann kämpft um Anna. Es tut ihm leid. Er
will sie nicht verlieren. Sie ist geblieben bis jetzt. Aber sie sehen sich
nicht mehr so oft. Sie berühren sich nicht mehr oft. Wenn er sie berührt, legt
sich das Gesicht der anderen Frau über das seine. Das erträgt Anna nicht. Sie
spürt Ekel. Sie reden viel und wenn sie reden, reden sie über das, was war und
nie mehr so sein wird. Sie hoffen, dass es irgendwann vorbeigeht, Annas Schmerz
und seine Schuldgefühle. Weil sie sich lieben, weil es so viel mehr gibt
zwischen ihnen als den Betrug. Aber der ist groß, zu groß um das andere wieder
lebendig werden zu lassen. Anna schafft es nicht wieder Vertrauen zu fassen. Sie will, sagt sie immer wieder, sie will es seit einem Jahr. Ihr Wollen nützt
ihr nichts.
Annas Geschichte ist tragisch. Sie liebt und
kann nicht bleiben. Sie muss den Mann verlassen, sie weiß es, aber sie findet nicht die Kraft es zu tun. Sie vertraut nicht mehr in sich selbst.
Ihr Selbstvertrauen ist tief erschüttert. Das Wesentliche was erschüttert ist,
ist ihr Bindungsgefühl.
Als Kind hat Anna keine sichere Bindung erleben
dürfen. Sie war ungewollt, das hat man sie spüren lassen. Immer wieder hat sie
anstatt Angenommensein und Liebe, Zurückweisung und Demütigung erfahren. Das
sitzt tief. Das hat der Betrug wieder nach Oben geholt. Anna ist
retraumatisiert.
Betrogen worden sein ist für die meisten von
uns eine tiefe seelische Erschütterung. Für Anna aber ist es ein existentielles
Drama.
Sie war sicher, den Partner gefunden zu
haben, für den sie wichtig und bedeutsam ist. So hat es sich angefühlt. Sie ist
davon ausgegangen, dass er für sie da ist, dass sie ihm genauso viel bedeutet
wie er ihr. Sie hat vertraut. Ab dem Moment, in dem sie erfahren hat, dass der
Partner fremdgegangen ist, gelang es ihr nicht mehr dieses Bindungsgefühl zu
bewahren. Das Vertrauen, was das Bindungsgefühl ausmacht, wurde durch sein Fremdgehen
erschüttert. Annas Seele ist seither in einer eine Art Daueralarmzustand. Durch
den Betrug wurde die Urwunde aufgerissen und ihr wurde eine neue Wunde
zugefügt. Das ist zu viel für die Psyche. Annas Seele hat einen schweren
Schaden erlitten. Und so fühlt sie sich: beschädigt.
Dieses Gefühl macht sie hilflos. Sie kann
keinen Zusammenhang herstellen zwischen dem Betrug und ihrer Beziehung. Alles
was sie und den Mann verbunden hat erscheint ihr seitdem in einem anderen
Licht. Alles was sie erlebt haben, alles was sie verbunden hat, gilt nicht
mehr. Es ist entwertet. Ihre Liebe erscheint ihr wie eine Illusion, die sie
sich gemacht hat. Sie vertraut ihrer Wahrnehmung nicht mehr. Sie erlebt sich
selbst als entwertet. Sie empfindet Scham. Es fühlt sich an wie die Vernichtung meiner ganzen Person, sagt
sie.
Um mit dem Schmerz umzugehen, hat sie
ihn immer wieder in Wut und Hass umgewandelt. Geholfen hat es nichts. Anna kann
den Mann nicht hassen. Sie will ihn weiter lieben und kann ihn nicht mehr
lieben, weil die Verletzung, die er ihr zugefügt hat aus seiner Nichtliebe
entstanden ist. So empfindet sie es. Der Mann sagt, es sei keine Liebe im Spiel
gewesen. Es sei reiner Sex gewesen, ohne Bedeutung.
Ohne Bedeutung war ich für ihn als er es
getan hat, sagt Anna. Und dann kommt die Wut. In der Wut fühlt sich Anna
stärker. Weniger ohnmächtig. Aber die Wut ist reine Abwehr um die Ohnmacht und den
Schmerz nicht spüren zu müssen. Die Wut erlöst sie nicht. Sie wünscht sich Erlösung von
dem, der ihr das angetan hat. Auch darum hält sie an dem Mann fest.
Aber der Mann kann emotional nicht
nachvollziehen, was er in Anna ausgelöst hat. Das wertet ihn in Annas Augen ab,
so hat sie ihn nicht gesehen. Ihr Bild von ihm wird weiter erschüttert und
zugleich das Vertrauen in sich selbst, weil
sie sich fragt, wie sie sich so in ihm getäuscht haben kann. Er ist ihr fremd
geworden. Sein „Es war bedeutungslos, es tut mir leid“, hilft ihr nichts. Damit
übernimmt er emotional nicht die Verantwortung für sein Handeln.
Anna wünscht sich sein Eingeständniss, dass er in diesem Moment in der Zeit
nur an sich selbst und seine Bedürfnisse gedacht hat und nicht an Anna und
ihre gemeinsame Beziehung. In diesem Moment war sie für ihn ohne Bedeutung,
wertlos. Es war ihm egal ob er sie damit verletzt. Sie war weniger wichtig als sein Wollen. Mit dem Betrug hat er die Bindung
verletzt und aufgelöst. Er hat nicht nur Anna, er hat der Beziehung emotionalen
Schaden zugefügt. Er sieht das nicht so.
Indem er sein Handeln klein redet, es als
bedeutungslos bezeichnet, macht es das, was für Anna so groß und schmerzhaft
ist, klein und unwichtig. Er macht Anna klein und unwichtig. Seine emotionale Nichtübernahme der
Verantwortung macht Anna vertrauen und verzeihen unmöglich. Sie bleibt in der
Zurückweisung ihrer Liebe stecken.
Ob der Mann seine Haltung ändern wird? Wir wissen es
nicht. Darauf hat Anna keinen Einfluss. Es bleibt ihr nur etwas in sich selbst
zu ändern - ihre Haltung und ihr Gefühl ihrer Wunde gegenüber, der alten
und der neuen.
Ein konstruktiver Umgang damit ist eine große
Herausforderung. Sie muss den Schmerz zunächst voll und ganz annehmen und
lernen ihn im wahrsten Sinne des Wortes nicht persönlich zu nehmen. Es war sein
Betrug, seine Lüge, seine Entscheidung. Es
ist seins. Und da gehört es hin.
Das zu verinnerlichen, zu fühlen und zu
akzeptieren ist schwer. Denn Anna ist ja gefühlt in ihrer ganzen Person
vernichtet. Ihr inneres Kind hat gefühlt wieder erfahren, dass es nichts wert ist. Es
ist wieder zurückgewiesen worden. Es hat wieder erfahren müssen, dass seine Liebe nichts wert war. Es hat wieder erfahren, dass Liebe nicht heilt und
Bindung nicht verlässlich ist. Es hat wieder die alte Verlassenheit gespürt:
Ein Gefühl der Vernichtung der ganzen Existenz.
Was heilen muss ist das Vertrauen Annas in
sich selbst und den unzerstörbaren Kern in ihr. Wenn das gelingt, wird sich die Wunde schließen. Die alte und die neue.
Wir
arbeiten daran.
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