Foto: A. Wende |
Es ist nichts Persönliches, wenn dich jemand verletzt.
Nimm es nicht persönlich, wenn dich jemand schlecht behandelt. Es hat nichts mit dir zu tun, wenn man dich belügt oder sogar betrügt. Es hat nur mit dem anderen zu tun.
Hab Mitgefühl mit dem anderen, zeige Compassion.
Das gelingt dir, wenn du dir bewusst machst, dass sein verletzendes Verhalten nichts mit dir zu tun hat.
Ist das wirklich wahr?
Muss ich mit dem Mitgefühl haben, der mir weh tut? Mitgefühl heißt: Sich in den anderen einfühlen, verbunden mit dem Impuls, sein Leiden zu lindernund dem Wunsch ihm zu helfen.
Ich soll also empathisch hineinspüren warum der andere mir Leid zufügt und dann wünschen ihm zu helfen, z.B. indem ich ihm vergebe?
Bin ich erleuchtet und so erhaben über meine eigenen Gefühle, dass ich wie Jesus sagt: „Wenn dich einer auf die linke Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin“ (Matthäus 5, 39), vielleicht sogar immer wieder, weil der andere sieht, dass ich es mit mir machen lasse?
Aber mal genau hingesehen: Fordert Jesus hier tatsächlich Unterwürfigkeit oder Mitgefühl um der Friedfertigkeit willen?
Nein. Er ist bei sich selbst und bietet dem anderen die Stirn.
Wenn ein Mensch bei sich selbst ist, ist ihm bewusst, dass es auch das Üble im Menschen gibt. „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Jesus bewahrt Achtung vor sich selbst, als er zum Gerichtsdiener sagt: „Habe ich etwas Unrechtes gesagt, so beweise es mir, habe ich aber recht geredet, warum schlägst du mich?“ (Johannes 18, 23).
Wenn ihm also Böses angetan wird, dann weiß ein bewusster Mensch, dass der, der das tut, nicht weiß, was er tut. Dann wird er sich nicht rächen, sondern er wird alles tun, damit der, der ihn verletzt, eine Ahnung davon bekommt, wer er ist.
Wenn ein Mensch uns verletzt bedeutet es nicht, dass wir sein übles Verhalten verdient haben.
Vielleicht haben wir viel für ihn getan, waren immer mitfühlend und verstehend und er verletzt uns dennoch immer wieder. Das haben wir nicht verdient. Das tut weh, das tut sogar verdammt weh.
Das tut so weh, dass wir leiden wie ein geprügelter Hund.
Und dann sollen wir nicht beißen?
Sondern, weil wir ja mitfühlende gute Menschen sind und eben kein Hund, der seinen Instinkten folgt, Compassion empfinden.
Ich bin für Compassion. Ohne Mitgefühl könnte ich meine Arbeit gar nicht machen. Hätte ich es nicht, hätte ich gar nicht den Wunsch anderen Menschen zu helfen.
Aber wo ist die Grenze meines Mitgefühls?
Entschuldigt Mitgefühl alles? Nein.
Das wäre auch nicht menschlich. Es wäre auch sehr ungesund, denn so machen wir uns zum willigen Opfer derer, die uns verletzen. Opfer fühlen sich ohnmächtig, klein und hilflos.
Mitgefühl hat Grenzen. Es kann sich erschöpfen, wenn wir zum hundertsten Mal mitfühlend verzeihen. Für mich ist die Grenze dort wo das Selbstmitgefühl beginnt.
Da wo ich mir selbst schade, wenn ich alles verzeihe und meine Verletzung, den Schmerz den sie mir bringt und die Wut, die ich fühle, ist Schluss mit Mitgefühl für den anderen, weil ich es mir selbst geben muss.
Gefühle wollen ernst genommen und gefühlt werden und unsere Grenzen sollten eingehalten werden. Zu unserem Schutz, zum Schutz unserer Würde und unserer Seele. Und das bedeutet, auch unser Mitgefühl hat Grenzen. Wir sind keine schlechten Menschen, wenn wir nicht weiter die andere Wange hinhalten, sondern STOPP sagen und dem andere klar machen, was er tut. So wie Jesus es getan hat. Tun wir das im Falle einer Verletzung nicht, schließt sich die Wunde, die uns zugefügt wurde nicht. Sie gärt weiter und schadet uns selbst und anderen, die vielleicht dann das abbekommen, was nicht an die Adresse ging, wo es hingehört.
Ich kenne Menschen, die von den eigenen Eltern so tief verletzt wurden, dass weil sie keine andere Lösungsmöglichkeit für ihren Schmerz gefunden haben, schon als Kind begonnen haben andere zu verletzen. Kinder, die Mitschüler verprügelt haben, aufsässig waren, frech und wie man sagt: Schwer erziehbar.
Die Wut auf die Eltern wurde verlagert. Bis ins Erwachsenenalter. Sagt man diesen Menschen, sie dürfen ihre Eltern anklagen für die Gewalt und den Missbrauch, den sie ihnen angetan haben, sie dürfen wütend auf sie sein, sie dürfen es ihnen sagen, nehmen sie diese in Schutz.
„Sie haben es doch nicht böse gemeint. Ich war ja auch kein gutes Kind. Ich verstehe sie schon.“ Oder: Sie sind ja jetzt alt, soll ich ihnen jetzt noch sagen, wie gemein und grausam sie waren?“
Ihr Mitgefühl für die Eltern ist größer als ihr Mitgefühl für das misshandelte Kind, das sie waren und das weiter in ihnen lebt und noch immer leidet, an den alten Wunden.
Mitgefühl für den Täter lässt uns mitunter ein Leben lang in der Opferrolle bleiben. Wir stehen nicht auf und nicht ein für uns selbst. Wir sagen nicht entschieden NEIN zu den Tätern.
Das verhindert unsere Selbstliebe und die braucht, um überhaupt sein zu können, unser Mitgefühl für uns selbst.
Es ist nicht hilfreich anderen alles Üble zu verzeihen nur weil wir uns davor fürchten wir seien schlechte Menschen, wenn wir mit dem Übeltäter nicht mitfühlen. Was ja bedeuten würde: Wir haben den Drang ihm helfen zu wollen, indem wir z.B. verzeihen, was in Wahrheit unverzeihlich für uns selbst und unsere Seele ist.
Verstehen reicht. Und verstehen heißt: Wir können nachvollziehen, dass sie nicht wissen was sie uns antun, denn sonst würden sie es uns ja nicht antun, aber wir müssen es weder entschuldigen, noch mitfühlend agieren.
Wir verstehen und sprechen aus, was es mit uns macht, was man mit uns macht und ziehen die Grenze zwischen uns und dem oder denen, die uns verletzt haben. Wir gehen auf Distanz, entweder für eine Weile oder für immer – so wie es für uns gut ist, so wie unser Selbstmitgefühl das braucht.
Ein weiser Mann sagte einmal zur Schlange: Du sollst niemals jemanden beißen, das ist böse.
Die Schlange folgte seinem Rat, aber sie merkte bald, dass sie von den Menschen dann ständig gequält wurde.
So ging sie wieder zu dem weisen Mann und beschwerte sich über ihr Dilemma: Wie kann ich friedlich sein und leben, ohne jemanden zu verletzen, wenn meine Sanftmut dann so ausgenutzt wird?
Der weise Mann antwortete: Ich habe dir gesagt, du sollst nicht beißen, aber ich habe dir nicht gesagt, du sollst nicht zischen.
Stephen Arroyo
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