Samstag, 7. April 2018

Grenzen


Foto: AW

Manchmal müssen wir den Ort wechseln um die Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Dann kann es sein, dass das, was wir in der Gewohnheit des Alltags verdrängen, wie ein Ball, den wir lange unter Wasser gedrückt haben, plötzlich hochploppt. Wir erschrecken wie blind wir doch waren, wie beharrlich im Augen verschließen nur um diesen Ball nicht sehen und alles was sich in ihm verbirgt, nicht fühlen zu müssen. Aber jetzt schwimmt er da oben auf der glatten Oberfläche des Wassers an diesem fremden Ort an dem die Gewohnheiten fehlen und all das was zu tun ist, dieser Ort an dem so vieles neu ist und unbekannt und fremd und wir haben wohl den Blick erweitert über das Vertraute hinaus, das uns sonst so schön von uns selbst ablenkt, und wir sehen den Ball groß und deutlich und wenn es dumm läuft, gruselt es uns vor ihm.
Am Liebsten würden wir ihn wieder nach unten drücken, aber wir zögern und lassen es, weil etwas in uns sagt: Schau hin, jetzt und sei ehrlich beim Schauen dessen, was da vor dir liegt.

Das kann sehr weh tun. Das kann uns erschüttern. Das kann uns das Herz zerreissen und uns in eine tiefe Traurigkeit stürzen. All diese Gefühle machen uns klar: Es ist genug, genug versucht so zu tun, als könnten wir weiter machen mit dem was ungut ist, genug der faulen Kompromisse und genug der Verleugnung unserer selbst. Da schwimmt sie vor uns die Lüge in der wir leben, die Selbstlüge und die Illusion, mit der wir so lange beschönigt haben was nicht schön ist. Verändere es! hämmert es im Kopf und am Liebsten würden wir es überhören, weil es so schwer ist das Vertraute loszulassen. Denn dann fehlt so vieles. Dann müssen wir so vieles anders machen und so viel Kraft haben wir doch gar nicht um über unseren Schatten zu springen und am Liebsten würden wir diesem verdammten Ball die Luft herauslassen, damit er uns nicht mehr so fordernd anstarrt. Aber wir lassen es, wir sind es müde zu verdrängen, müde zu leiden. Schlafen wäre jetzt gut und dann aufwachen und alles ist gut. Aber schlafen geht nicht, weil wir hellwach sind, erwacht sind aus unserem Dornröschenschlaf, und nein, da ist kein Prinz, der uns in die Arme schließt und alles wird gut, da ist nichts ausser wir selbst und die Wahrheit, die wir verleugnet haben.

Kein schönes Erwachen ist das. Nichts ist einfach was schwer wiegt.
Verdammt warum kann es denn nicht einmal einfach sein?, grummelt die Wut auf das Schwere und wir mögen sie nicht die Wut, weil wir spüren dahinter steckt die Ohnmacht, die noch schwerer wiegt als alle Wut der Welt und dann kommt die Traurigkeit darüber wie hilflos uns das Leben machen kann. Ach, wenn wir doch nur endlich frei wären ohne etwas dafür tun zu müssen. Glücklich wollen wir sein und eins mit dem was ist und nicht entzweit von uns selbst und dem was wir so gerne hätten und nicht bekommen können, egal wie oft wir es schon versucht haben.
Was verdammt haben wir falsch gemacht?

Und was, wenn wir nichts falsch gemacht haben?
Was, wenn wir einfach gemacht haben, was wir konnten und es nicht besser machen konnten und das Beste getan haben, was wir konnten?
Und dann vielleicht einsehen müssen, dass wir nicht alleine sind beim Machen in diesem Leben?
Einsehen, dass wir eingebunden sind in eine Vielfalt von inneren und äußeren Bedingungen und Umständen, die unser Leben wie ein Rahmen einengen, über den hinaus wir nun einmal nicht kommen können, so sehr wir uns auch abmühen?

Die Einsicht der Begrenzung unserer Möglichkeiten ist schwer.
Aber die Einsicht, dass uns nicht alles gelingen kann ist auch weise. Einsehen, dass wir Grenzen haben, innen und außen. Weil wir nicht alleine sind auf der Welt und immer eingebunden in einen Kontext, Beziehungen und Lebensumstände, die sich eben nicht gestalten lassen nach unseren Wünschen. Es gibt diesen Fluss im Leben, der uns mit sich nimmt ohne das wir dagegen schwimmen können. Es gibt ihn diesen Faktor der Nichteinflussnahme, es gibt sie, diese Ohnmacht, der wir uns beugen müssen.
Und was dann?
Dann tun wir das. Wir beugen uns ihr, denn wenn wir es nicht tun, tut sie es für uns.
Und das ist im Zweifel dann so schmerzhaft wie ein platzender Ball, dessen Fetzen uns ins Gesicht fliegen.
 



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