Mittwoch, 28. März 2018

Eigentlich


Foto: A. Wende
 
Manchmal ist es schwer durch die Tage zu kommen, wenn alles in einem Einheitsbrei dahinschwimmt und nichts geschieht, was uns Leben fühlen lässt. Und manchmal ist da viel zu viel Leben. Dinge, die uns überfluten, die zu erledigen sind, Dinge, die man von uns erwartet. Wir sind nicht allein auf der Welt und das wäre auch nicht schön, aber es macht Sinn darüber nachzudenken mit wem wir auf der Welt, in unserer kleinen Welt, sind und von wem Erwartungen an uns heran getragen werden.

Was sind das für Menschen, die uns begleiten, die um uns herum sind mit ihren Erwartungen und Wünschen? Sind es Menschen, die für uns da sind, wenn wir sie brauchen und auch wenn wir sie nicht brauchen, weil sie einfach gern mit uns zusammen sind? Sind es Menschen, die uns Wertschätzung und liebevolle Zuneigung schenken, auch wenn wir mal nicht so gut drauf sind? Sind es Menschen, mit denen wir lachen können und Freude teilen, die uns respektvoll behandeln und uns nicht missachten, belügen oder sogar hintergehen? Oder sind wir umgeben von Menschen, die immer etwas von uns wollen, die ein schiefes Gesicht machen wenn wir einmal nicht wollen, im Sinne von - für sie da sein wollen. Da mal Bilanz zu ziehen lohnt sich.

Unsere Mitmenschen und unsere Beziehungen wählen wir selbst. Und manchmal wählen wir Menschen und führen Beziehungen, die nicht gut oder irgendwann nicht mehr gut für uns sind und geben ihnen dennoch einen festen Platz in unserem Leben. Manche Menschen teilen ihr Leben sogar über Jahrzehnte mit einem Menschen, der gar nicht gut für sie ist und haften ihm an. Würden sie mit klarem Blick sehen und zulassen was sie sehen, nämlich, dass dieser Mensch einfach nicht passt oder nicht mehr passt, würde ein Konstrukt aus Selbstbetrug wie ein Kartenhaus zusammenfallen.

In der Praxis erlebe ich oft, dass Menschen in Beziehungen verharren in denen sie "eigentlich", das ist dann das bevorzugte Wort, nicht glücklich sind. Aber sie bleiben, als gäbe es keine andere Wahl, keine anderen Wege und keine andere Möglichkeit als sich mit diesem "eigentlich" zu arrangieren. Die Gründe für derartige Arrangements sind meist die gleichen. Ich höre dann Worte wie Sicherheit, wobei meistens die finanzielle Sicherheit gemeint ist, denn wie will ich mich sicher fühlen in einer Beziehung die auf einem emotionalen "eigentlich" basiert? Ich höre "Vertrautheit" oder "wir sind ein gutes Team", oder "Gewohnheit" oder, und - das ist die ehrlichste aller Antworten: "Ich habe Angst vor dem Alleinsein. Ich weiß ja auch nicht, ob ich jemals noch jemanden finde."

Alleinsein ist nicht schön. Wir alle wollen unser Leben und das was uns wertvoll und wichtig ist teilen, aber ist es schön die kostbare Lebenszeit mit einem Gegenüber zu teilen, das man eigentlich gar nicht mehr an seiner Seite haben will? Ist es schön die tiefsten Bedürfnisse nicht leben zu können, weil der, mit dem man lebt, sie nicht erfüllen kann oder will? Ist es schön Geld zu haben mit dem man lauter Dinge kauft, die man gar nicht braucht, um zu kompensieren wie leer es sich Innen anfühlt? Ist es schön jeden einzelnen Tag an der Sehnsucht nach einem besseren, liebevolleren, aufregenderen Leben zu leiden und den Frust zu spüren, der täglich wächst und das Antlitz kein bisschen schöner macht? Ist es schön sich vorzumachen es sei Liebe, wo es in Wahrheit nur Angst ist oder Gewohnheit oder die Unfähigkeit loszulassen, weil - was man hat, hat man?

Anscheinend ist das zwar nicht schöner, aber um so viel einfacher und um so viel bequemer als die  Flügel auszubreiten und den Abflug aus dem Sicherheitsnest zu wagen in Richtung Freiheit, denn genau die wartet hinter den Käfigstäben der Scheinsicherheit und des "eigentlich".
Und ja, diese Freiheit hat ihren Preis. Sie hat vielleicht sogar einen hohen Preis, nämlich erst einmal das Alleinsein und das sich Einschränken müssen. Man muss vieles selbst erledigen, man muss sich um vieles selbst kümmern, man muss für sich selbst sorgen - vor allem das. Und genau das ist es was so viele unglückliche Menschen in unglücklichen Beziehungen ausharren lässt - sie können sich nicht vorstellen für sich selbst sorgen zu müssen. Sie sind wie verwöhnte Kinder, die das nicht gelernt haben und sich hartnäckig davor drücken es lernen zu wollen.

Im Grunde ihres Herzens wissen sie das und das macht Angst. Ich verstehe das gut. Aber wie ist das "eigentlich" wenn ich ein Leben lang ein Kind bleibe, das versorgt sein will? Es ist ein ungückliches Leben, ein unreifes, ein ungereiftes Leben, das alle Potenziale, alle Gaben, alle Sehnsüchte und alle Träüme einsperrt.






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