Sonntag, 5. August 2012

DAS BÖSE IST IMMER UND ÜBERALL




wer immer das gute anstrebt, wer nur die hellen seiten sehen will, beschwört die mächte des bösen erst herauf. 

ich lese diesen satz beim morgenkaffee in einem aufsatz im philosophemagazin.
wie wahr, denke ich beim darüber nachdenken.

ich denke weiter nach über das böse da draussen. 

es ist da, jeden einzelnen tag, wenn ich rausgehe ist es da, in vielerlei gestalt und ausartungen. wenn ich es sehen will, fühlen will, ist es da.

das böse ist immer und überall. ich weiß das, ich habe das erst gestern wieder erlebt.
und es hat mich böse gemacht, dem bösen zu begegenen, sehr böse hat es mich gemacht. eigentlich war es gar nicht so böse und dann wieder doch. eigentlich. weil eigentlich immer nicht wirklich bedeutet, entschied meine wahrnehmung - es ist böse.

wir gehen am rhein spazieren, richtung winterhafen. viele leute gehen da spazieren am samstagnachmittag. es ist schwül, drückt mich von oben nach unten. ich laufe den von verdorrten rasengrün umsäumten weg entlang. der hund läuft frei herum. in mainz ist anleinpflicht, wir wissen das, aber der hund soll auch ein bisschen freiheit spüren, also ignorieren wir die anleinpflicht. es ist ein kleiner hund, er tut keinem was, er wuselt herum, freut sich an der freiheit laufen zu dürfen, seiner kleinen schnauze lang. freiheit wollen alle, auch ein hund will sie und wir geben sie ihm. geben sie ihm, indem wir gegen ein gesetz wider die freiheit des hundes verstoßen. wir nehmen uns freiheit, wo sie verboten ist.

ist das böse? ja, das ist wohl böse. wir sind ignorant gegenüber den deutschen gesetzen, deren willkür ich schon am eigenen leibe erfahren habe.

gesetze sind dazu da eingehalten zu werden. wer das nicht tut ist böse. so einfach ist das.

aber es kommt nöch böser. der hund kackt auf den grünen rasen. ich merke das nicht, soll es aber gleich merken. ich gucke nicht ständig was er macht, weil ich aufs wasser gucke. dafür gucken andere, ganz genau, was andere wie ich machen. so wie andere immer gucken was andere machen, weil sie nichts anderes zu gucken haben.

innerhalb weniger sekunden bin ich umringt von menschen, eins, zwei, drei, vier menschen nehme ich wahr. ist das ihr köter? schreit mich eine frau an. ihr gesicht erkenne ich nicht, ich bin zu erschrocken, aber ich höre die stimme, dann die stimme eines mannes, ja gucken sie doch, der läuft der doch nach, klar ist das ihr hund, schreit ein anderer mann. ich bin eingekreist von mäulern, die mich am liebsten anspucken möchten, oder gefühlt schlimmeres. ich höre das am klang der stimmen, die weiter kreischen und anklagen. ich fühle mich bedrängt, attackiert, ich will weg, weg hier, denke ich und dann denke ich nichts mehr. ich höre mich sprechen: sie können mich mal am arsch lecken.

einem moment lang ist es still. asoziale kuh, kreischt die frau. das ist ja das letzte, schreit der mann, der hund kackt auf den rasen, das mistvieh. miststück, setzt die frau nach und meint mich und nicht den hund. ich drehe mich um, sehe wie mein begleiter ein ganzes stück hinter mir, mit einem tempotaschentuch, wie er es immer tut, den hundekot aufnimmt und ihn in eine mülltone wirft. die kreischer folgen meinem blick. der mann verschwindet augenblicklich. die frau läuft zeternd an der seite des anderen mannes weiter. mein begleiter kommt auf mich zu.

ich bin entsetzt. ich bin wütend, ich bin fuchsteufelswild, ich bin böse. böse auf das böse in meiner welt, die sich über den minikackhaufen eines kleinen hundes ereifert, böse auf die menschen, die sich nicht über die abgase ihrer autos aufregen, die jeden tag ihre dreckige luft noch dreckiger machen, böse auf die menschen, die via glotze und im richtigen leben wort und tatenlos dabei zusehen, wie tag für tag unendlich großes unrecht und leid in ihrer welt geschehen und ihr maul halten, ob dieses unrechts.

wir leinen den hund an, sagt mein begleiter. es ist eh verboten. die sollte man an die leine nehmen, brülle ich und noch mehr böse worte brülle ich und ich höre gar nicht mehr auf böse worte zu brüllen. und ich weiß, dass ich jetzt böse bin, sehr böse sogar, ich weiß, dass ich all das böse aus mir herausschreie, das in mir ist, das böse, das ich erlebt habe und nicht verkraftet habe, all das böse, das in mir nach rache schreit. und ich weiß, dass das keine lösung ist, gar keine und dass ich zerstörerisch bin jetzt, in diesem moment. ich weiß das alles. aber es hilft mir nichts und es macht in diesem moment  nur einen einzigen sinn: ich lasse es endlich raus, das böse in mir selbst, das jetzt so groß ist, dass meine vernunft nichts dagegen ausrichten kann.

heute, wo ich wieder ruhig bin, schaue ich es an das böse in mir. und ich weiß: das böse ist das fremde in uns selbst. wenn wir uns mit dem bösen auseinandersetzen, müssen wir uns mit dem beschäftigen, was wir in uns selbst hassen. das tue ich ab morgen, mich mit dem fremden und dem bösen in mir auseinanderstzen - ich gehe zurück: in klausur.