Donnerstag, 26. September 2024

Aus der Praxis: Sichere Bindung

 



Wir Menschen brauchen sichere Bindung. Sichere Bindung ist existenziell für eine gesunde psychische und soziale Entwicklung. Wir brauchen sie um zu überleben.

Aber was bedeutet sichere Bindung?

Um es kurz zusammenzufassen: Eine sichere Bindung entsteht dann, wenn wir als Kind von unseren Bezugspersonen Liebe, Nähe, Fürsorge, Annahme, Vertrauen und Sicherheit erhalten, wenn wir erfahren und lernen, dass die eigenen Bedürfnisse gesehen und konstant wichtig genommen werden. Dann erfahren, erleben und verinnerlichen wir Bindung als konsistente und verlässliche Quelle von Sicherheit, Verlässlichkeit, Geborgenheit und Schutz. Wir lernen zu vertrauen: In andere Menschen, in Welt und in uns selbst.

Leider ist bei vielen von uns eine gesunde Bindungserfahrung in der Kindheit nicht gelungen, was schlicht und einfach daran liegt, dass auch unsere Bindungspersonen sichere Bindung nicht erfahren haben und somit nicht an uns weitergeben konnten. Sie haben das an uns weitergegeben, was sie selbst als Bindungserfahrung erlebt und verinnerlicht haben, es sei denn, sie haben an sich gearbeitet und ihre inneren Baustellen aufgeräumt.

Je ungesunder, instabiler und destruktiver unsere frühen Bindungserfahrungen waren, desto bindungsgestörter sind wir im späteren Leben. Darum ist es wichtig, besonders, wenn wir immer wieder in unheilsame Beziehungen geraten (dazu gehören co-abhängige oder emotional abhängige Beziehungen) uns unsere frühen Kindheitserfahrungen in Bezug auf Bindung sehr genau anzuschauen.

Eine einfache Frage ist: Wie sicher bist du heute als Erwachsener gebunden?

Das kann jeder, der mag, für sich selbst beantworten.

Die ehrliche Antwort wird bei vielen lauten: „Geht so“ oder „wenig sicher“ oder „gar nicht“. Und je mehr "geht so" und je mehr "wenig sicher", desto sicherer ist es, dass uns gesunde Beziehungen nicht gelingen und unser Beziehungsleben misslingt. Klingt logisch. Aber manchmal ist es genau das, was wir brauchen, um etwas zu begreifen und um aufzuwachen: Logik. Nicht umsonst hat uns der Herr Herz und Hirn gegeben. Hilfreich ist es in den meisten Fällen beides zu benutzen.

Solange wir uns unsere Bindungserfahrungen und die Muster, die wie daraus entwickeln und automatisch abspulen, nicht erforschen, wird sich nichts ändern. Wir werden weiter versuchen in unseren Beziehungen den anderen zu ändern, dem anderen den schwarzen Peter zuschieben, dem anderen die Verantwortung oder die Schuld geben, warum es nicht klappt, den anderen retten oder gar heilen wollen und vor lauter Bezogenheit auf den anderen, nicht bei uns selbst ankommen und die Beziehung, die wir zu uns selbst haben, nicht klar erkennen. Selbstkenntnis ist Arbeit. Das ist verdammt anstrengende Arbeit und sie kann dauern. Genau darum wird sie von vielen Menschen vermieden, auch wenn sie durchaus auf die Idee kommen, wenn ich immer wieder im Beziehungssumpf lande, könnte das irgendwie auch an mir liegen.

Jedes extreme Bezogenheit auf den anderen, vor allem auf einen anderen, der uns nicht gut tut, hat den sekundären Benefit, dass wir uns nicht auf uns selbst beziehen müssen. Jedes emotionale- oder co-abhängige Verhalten trägt dieses - hin zum anderen, um weg von mir selbst zu sein – in sich. Das geschieht meist unbewusst.

Achtung! Es geht nicht darum uns die Schuld zu geben, dass es mit der Beziehung nicht klappt, sondern es geht darum, die Verantwortung zu übernehmen und zu erkennen, dass es an uns selbst liegt, waru wir uns von bestimmten Menschen angezogen fühlen, wie wir Bindung inszenieren und warum wir das genau so tun, wie wir es tun, wieder und wieder - und, wie wir das ändern können.

Es gibt einen Weg: Wir dürfen lernen eine gesunde Beziehung mit uns selbst herzustellen. Damit sind wir wieder am Anfang: Die frühe misslungene Bindungserfahrung muss verstanden, bedauert, betrauert und integriert werden. 

Letzteres bedeutet: Es war wie es war. Was war ist ein Teil meines Ganzen. Ich akzeptiere es. Ich werde das, was nicht war, von niemanden jemals bekommen, denn die, die es mir hätten geben können, konnten es nicht und es macht keinen Sinn mir ein Leben lang Stellvertreter für sie zu suchen, die das wieder gut machen sollen. Jeder Stellvertreter – und genau das macht ihn oder sie aus - wird genau das in sich tragen, was meine Bindungspersonen in sich trugen – all die Eigenschaften und Charakterzüge, die mir schon damals nicht gut taten oder Schaden zufügten, die mich magisch anziehen, weil sie sich so nach Heimat anfühlen, auch wenn diese Heimat eine unselige war – hier kenne ich mich aus, das ist mir vertraut, mir, der kein Urvertrauen in Bindung erfahren durfte.  

Worum geht es jetzt?

Es geht jetzt darum zu mir selbst eine hinreichend gesunde Bindung aufzubauen, Vertrauen in mir selbst zu finden, es in mir, mit mir selbst besser zu machen, mich selbst zu ermächtigen und mir das zu geben, was ich mir so sehnsüchtig wünsche: Liebe, Nähe, Fürsorge, Annahme, Vertrauen und Sicherheit – in mir selbst, durch mich selbst. 

Und es geht darum mir Unterstützung zu holen, um es zu verwirklichen, denn alleine schaffen das nur sehr wenige.Wir brauchen auf diesem Weg einen Menschen, der ihn mit uns geht. Am besten einen, der diesen Weg selbst gegangen ist. Wenn du in den Sumpf geraten bist und nicht mehr rausfindest, brauchst du einen, der dich da rausholt und das kann nur einer sein, der den Sumpf kennt und herausgefunden hat.

„Aber es ist Schweres, was uns aufgetragen wurde, fast alles Ernste ist schwer, und alles ist ernst“, schreibt Reiner Maria Rilke in seinen Briefen an einen jungen Dichter. Ja, es ist schwer und es ist ernst, aber es ist möglich das Schwere zu wandeln mit allem Ernst, der ihm gebührt.  

 

Angelika Wende

 

 

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