Malerei: Vilhelm Hammershøi
„Nur wenn ich mit Menschen zusammen bin, fühle ich mich glücklich. Wenn ich alleine bin, fühle ich mich einsam und unglücklich. Ich habe das Gefühl, ich löse mich auf. Wenn ich alleine bin fühle ich mich falsch, ich schäme mich sogar dafür, dass ich alleine bin. Und dann sitze ich in meinem Zimmer und bin gelähmt vor Angst."
So schildert mein Klient sein Alleinsein. Alleinsein verbindet er mit einsam sein. Ich kenne das Alleinsein gut. Ich bin viel allein, mein Leben lang schon. Ich lebe allein, auch wenn ich eine Beziehung habe, weil ich viel Zeit und Raum für mich brauche und all die Dinge, die ich liebe und die ich nur im Alleinsein tun kann. Ich kenne auch das Gefühl von einsam sein. Deshalb kann ich nachfühlen, was mein Klient empfindet.
Alleinsein und einsam sein sind existentielle Erfahrungen Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen.
Irgendwann sind die meisten Menschen allein, für eine Weile, manche sind es schon lange und manche werden es bleiben, freiwillig oder unfreiwillig. Wir suchen uns das nicht immer selbst aus. Alleinsein geschieht, einsam sein geschieht.
In unserem Alleinsein ist niemand da.
Niemand, mit dem wir uns austauschen können, niemand, der uns in den Arm nimmt, niemand, der uns eine Suppe kocht, wenn wir krank sind. Wir sind auf uns selbst reduziert. Allein im Zimmer ohne Anknüpfungspunkte, allein mit unseren Gedanken und uns selbst.
Und wir sind allein mit den Überzeugungen über das Alleinsein, die man uns beigebracht hat. Das sind viele und jeder hat seine eigenen. An dieser Stelle könnt ihr, wenn Ihr mögt, darüber nachdenken, welche die Euren sind.
Mir hat man beigebracht, wer allein ist, ist nicht liebenswert, zu kompliziert, zu anstrengend. Keiner will etwas von ihm wissen. Das habe ich lange geglaubt. Ich glaube es manchmal noch heute, wenn die Einsamkeit sich ins leere Zimmer schleicht, obwohl mir das Leben zeigte und zeigt: Das ist nicht wahr. Die Kinderseele glaubt es nicht immer und ich muss sie dann besänftigen, wenn die alte Scham und die Traurigkeit sie erfasst.
Warum haben so viele Menschen Angst wenn sie alleine sind?
So wie mein Klient, der mit seiner Angst vor dem Alleinsein zu mir kommt. Es ist eine alte Angst. Sie ist so alt wie die Menschheit. Früher konnte der Mensch allein nicht lange überleben. War er ohne seine Sippe, war er nicht überlebensfähig. Wobei, ich bin mir sicher, auch damals schon gab es Ausnahmen. Es ist auch eine Angst, wie wir irgendwann erlebt haben, als Kind, in Momenten, wo wir verlassen wurden, als wir Menschen brauchten. In Momenten wo wir nicht gesehen, nicht gefühlt, nicht angenommen, nicht gehalten, nicht geliebt wurden. In Momenten, wo wir traumatisiert wurden. Diese alte Angst ist mächtig, so mächtig, dass es ein Leben lang dauern kann, um angemessen mit ihr umzugehen.
Allein zu sein ist, wenn wir es nicht bewerten, einfach ein Zustand. Und es ist eine Erfahrung. Alleinsein ist für mich eine Form von Freiheit. Die Freiheit tun und lassen zu können, was ich will. Keiner, der etwas von mir will, nichts, was ich tun muss um anerkannt, gesehen, geliebt zu werden. Nichts und niemand, der meine Kreise stört. Ruhe und Stille. Und das Beste: Ich kann fühlen was ich will. Dieses Fühlen ist es, was viele Menschen im Alleinsein nicht aushalten. Sie halten sich selbst nicht aus. „Nur wenn ich mit Menschen zusammen bin, fühle ich mich glücklich“, sagt mein Klient.
„Das ist eine Illusion“, sage ich. Das ist dein Verstand, der dir das sagt. Das ist etwas, was man in dein Hirn gepflanzt hat, irgendwann vor langer Zeit. Etwas, was du gelernt und verinnerlicht hast, als Wahrheit.
Aber ist das wirklich wahr? Fühlst du dich wirklich glücklich, nur wenn du mit Menschen zusammen bist?
Und welcher Teil von dir fühlt sich dann glücklich?
Der, der gesehen werden muss um zu sein?“
Ich weiß, das klingt provokativ. Aber ist es nicht so? Fühlen wir uns nicht dann einsam, wenn wir das Gefühl haben, nicht gesehen zu werden? Denn im Nicht gesehen sein fühlen wir uns nicht verbunden – mit anderen. Aber ist es nichts so, dass wir das nur fühlen, weil wir nicht mit uns selbst verbunden sind?
Und ist es nicht so, dass wir, wenn uns niemand sieht, wir uns selbst nicht sehen? Wirklich sehen, als der, der wir sind? Ein wundervolles, einzigartiges fühlendes Wesen, das aus sich selbst heraus einfach ist? Auch und gerade wenn es allein ist mit sich selbst?
Und dann kommt die Angst vor diesem Selbst, das wir nicht kennen, weil es sich Tag für Tag, von Kindheit an anstrengen muss um dazu zugehören, sich verbiegt, eine Rolle spielt, etwas vorgibt zu sein um all das zu bekommen, was es sich selbst nicht geben kann, weil man ihm niemals beigebracht hat, es sich selbst zu geben, sich selbst zu vertrauen, sich selbst zu wertschätzen und zu lieben. Nur der hat das Gefühl orientierungs-und haltlos in der Welt zu sein, der nicht weiß, was er sucht, noch, wo er es finden kann und meint, es zu finden – im Außen, im Anderen.
Ja, das Ich braucht das Du, aber es braucht auch sich selbst.
Und zwar sein wahres Selbst, nicht das Falsche, mit dem es unterwegs ist und das es in unendlich viele Fallen tappen lässt, eben weil es kein richtiges Leben im Falschen gibt.
Wer zu sich selbst gefunden hat, hat keine Angst mehr vorm Alleinsein. Er fürchtet sich nicht vor der Einsamkeit. Er weiß, beides gehört zu seinem Menschsein und er weiß, dass sie ihm nichts Böses wollen. Vielmehr sind sie der Raum in dem er etwas Wundervolles findet: Die Entspannung in das hinein, was er selbst in seiner Essenz ist.
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