Dienstag, 25. Januar 2022

All Eins Sein

 


Gestern am späten Abend bekam ich eine E-Mail von einem Klienten. Er schrieb: Ich fühle die Einsamkeit in mir hochsteigen und möchte gerne etwas tun. Gibt es eine Routine für einen Helden, der nun ganz allein dasitzt und seine Welt weiterbewegen will?

Die Einsamkeit von der mein Klient schreibt, kennen viele von uns. Corona ist eine Pandemie der Einsamkeit. Wir waren schon zuvor Vereinzelte, nur haben wir es so nicht gespürt, nicht in dieser Intensität, weil es da so vieles gab mit dem wir uns ablenken konnten. Das ist jetzt anders. Wer allein ist, wer allein lebt, ist sich dieses Zustands jetzt bewusster. Er kommt nicht daran vorbei, sich damit auseinanderzusetzen. Aber auch wenn wir nicht allein leben, können wir uns einsam fühlen.

Es lohnt sich unser Konzept von Alleinsein und Einsamsein in Frage zu stellen. Denn manchmal fühlen wir uns allein, ohne uns dieses Zustandes in seiner ganzen Tiefe bewusst zu sein und setzen Alleinsein mit Einsamsein gleich. 

 

Das Alleinsein hat mit Einsamkeit nichts zu tun. Es hat mit Ruhe zu tun, mit Stille, mit Bei-sich-selbst-sein. Und gehen wir einen Schritt weiter, über das Bei-sich-selbst-sein hinaus, dann wird das Alleinsein zu einem All-EINS-SEIN. Wir fühlen uns verbunden mit allem Sein, je mehr wir mit uns selbst verbunden sind. In dieser Verbundenheit fühlen wir uns niemals einsam. Aber das ist eine Kunst, die nur wenige von uns beherrschen. Das Alleinsein wird dann zur Einsamkeit, wenn es zu lange andauert, wenn wir kaum oder nicht in Kontakt sind. Weder im Herzen, noch im realen Leben mit anderen Menschen, die uns etwas bedeuten und wir ihnen. Im Alleinsein sind wir auf das rudimentäre Ich-bin Gefühl reduziert.  In der Einsamkeit aber fühlen wir uns getrennt von allem, nicht nur von einem bestimmtem Menschen. Es fühlt sich an, als gäbe es nur uns und niemand der sich für uns interessiert, niemand, der uns sieht, niemand, dem wir etwas bedeuten, der uns zur Seite steht und der mit uns geht. Wir sacken zusammen. Alles fühlt sich leer an. Wir fühlen eine tiefe Sehnsucht nach Verbundenheit und spüren nur Verlassenheit.

 

Das Alleinsein, je länger es andauert, kann zum Einsamsein, zur Vereinsamung führen, wenn es nicht endet, und dann kann es so unerträglich werden, dass wir vieles tun würden, um das nicht erleben zu müssen. So wie mein Klient schreibt: Ich möchte etwas tun.

Bevor wir etwas tun, könnten wir uns fragen: Bin ich wirklich einsam oder fühle ich mich allein?

Alleinsein ist nicht schmerzhaft. Alleinsein ist eine Zeit, die nur uns gehört, die wir brauchen um zu regenerieren, in der wir die Dinge erschaffen, die uns wichtig und wertvoll sind, in der wir kreativ sind und zur Ruhe kommen, die Stille und unsere eigene Gesellschaft genießen. Wir sind allein und fühlen uns dennoch mit allem verbunden und aufgehoben.

Aber je getrennter, je unverstandener, je ungesehener, je verletzter wir uns fühlen, desto einsamer können wir uns fühlen, ohne uns der Ursache dieses Zustandes in der Tiefe bewusst zu sein. 

 

Spüren Sie, wenn Sie mögen, in sich hinein, was wirklich ist, habe ich meinem Klienten geantwortet. Und dann fragen Sie sich, was jetzt zu tun ist. Muss der Held wirklich die Welt bewegen oder will sich etwas in ihm bewegen und wohin könnte diese Bewegung gehen? Muss der Held ins Außen gehen? Oder ist die Bewegung jetzt vielleicht eine Bewegung nach Innen?

Das sind Fragen, die wir uns stellen können, wenn wir das Gefühl von Einsamkeit haben. Aber meist ist es so, dass der begleitende Schmerz dieses Einsamkeitsgefühls es uns schwer macht oder gar unmöglich, etwas Gutes in diesem Jetzt-Zustand zu sehen. Wir wollen ihn weg haben, wir bewerten ihn als schlecht oder sogar als bedrohlich und - wir bewerten uns selbst. Wir glauben, wir sind schuld an unserer Einsamkeit, wir suchen nach Gründen, warum es uns trifft und glauben sie bei uns selbst zu finden. Wir schämen uns und denken: Wer einsam ist, macht etwas falsch oder ist falsch. 

Aber ist das wirklich wahr?

Es ist nicht wahr.

In dieser Zeit gibt es so viele einsame Menschen wie nie zuvor. Weil diese Zeit sie geradezu produziert mit all den unheilsamen Maßnahmen, die uns Menschen auf eine nie dagewesene Weise trennen. Diese neue Einsamkeit kommt von Außen, sie ist geboren aus Umständen, die wir nicht kontrollieren und nicht ändern können. Wir müssen, um sie auszuhalten, den Widerstand aufgeben und aufhören zu wünschen, dass es anders sein soll als es jetzt ist, sonst verzweifeln wir. Wir brauchen Geduld mit den Umständen und mit uns selbst. 

Leicht gesagt, ich weiß. Aber viele von uns haben jetzt keine andere Wahl. 

 

Unser Alleinsein zwingt uns in die Bewegung hin zur Isolation. Und darin liegt eine schwere, schmerzhafte Einsamkeit, denn das sich isoliert fühlen ist angstbesetzt. Angst, die darauf gründet, dass wir glauben, wir sind aussortiert, wir gehören nicht mehr dazu, es wird nie mehr anders. Aber wenn eines sicher ist: Es wird wieder anders. Denn: Alles, alles geht vorüber.

 

Einsamkeit ver rückt uns in das Ich-Bin. Und damit zwingt sie uns, uns uns selbst zuzuwenden - weg vom Außen ins Innerste. Entweder wir machen diese Bewegung mit Mitgefühl und Offenheit uns selbst gegenüber, hin zu dem, was wir jetzt in uns selbst alles finden dürfen oder wir werden ver rückt.

Im einsamen Alleinsein ist unser Mut gefragt, der Mut uns selbst zu begegnen und uns selbst auszuhalten, der Mut unser Sosein zu erfahren und zu erleben. Wir entdecken, wenn wir uns selbst mit Neugier begegnen, eine innere Fülle, die uns das Gefühl der Leere und der Angst nimmt. Wir entdecken, dass wir mehr sind, als wir dachten, dass wir stärker sind, als wir uns fühlten, uns besser halten können, als wir glaubten, kreativer sind, als wir ahnten und uns selbst ein besserer Freund, als wir dachten.

 

Wenn wir Glück haben, zeigt sich dann das Gefühl von All-Eins-Sein. Und das Gefühl der Einsamkeit löst sich auf. Wir spüren innere Verbundenheit und innere Fülle. Dann geben wir etwas von dieser inneren Fülle über uns selbst hinaus in die Welt. Wege dazu gibt es viele.

 

Möge es so sein. Für alle, die sich jetzt einsam fühlen.

 

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