Samstag, 30. Juni 2018

Was brauchen wir wirklich?





Meine Freundin meinte kürzlich, sie kenne keinen Menschen, der besser allein sein kann als ich. Sie könne das gar nicht. Alleinsein sei für sie nicht auszuhalten, sie wisse dann gar nicht, was sie mit sich anfangen soll. Meine Freundin braucht Menschen um sich herum und Action und sie sorgt dafür,  dass sie die bekommt, sie hat immer ein volles Haus und wenn es leer ist geht sie aus. Ich gehe nicht so gern aus, ich brauche das nicht. Ich bin gern zuhause. Das könnte ich tagelang so betreiben und ich weiß, wenn ich es zulange betreibe, dann treibt mich irgendwann nichts mehr raus, außer die Tatsache, dass ich meiner Arbeit nachgehe, der Kühlschrank leer ist und ich für meine täglichen Einheiten körperliche Bewegung sorgen muss. Gut, dass ich raus muss, sonst würde ich am Ende aus dem Alleinsein eine Eremitei machen und das ist nicht gesund, auch wenn mich die Vorstellung nicht unbedingt schreckt. Aber brauchst du denn keine Menschen?, fragte mich meine Freundin, nachdem ich ihr das sagte. Nun, antwortete ich, ich habe was das Brauchen angeht, so meine Bedenken. Ich will keine Menschen brauchen, ich will mit Menschen sein ohne sie brauchen zu müssen, denn das Brauchen, das habe ich gelernt, führt am Ende zu verbrauchten Menschen, die große Mühe haben ohne das Gebraucht - zu - werden und das Brauchen des anderen wieder zu sich selbst zu finden, um herauszufinden, was sie wirklich brauchen.

Was brauchen wir wirklich? 

Nicht viele wissen das so genau, das weiß ich aus der Erfahrung aus meiner Arbeit mit Menschen. Wir hängen am Unbrauchbaren fest weil es uns zur Gewohnheit geworden ist, das oder jenes, den oder die zu brauchen, weil wir denken, dass wir es oder jemand brauchen. Wir füllen Lücken in unserem Leben, um das, was wir wirklich brauchen, erst gar nicht spüren zu müssen, denn es tut manchmal weh, wenn diese Lücken sich auftun, wenn sie uns in ihre schwarzen Löcher ziehen und wir finden erst einmal gar nichts dort, weil das Wesentliche unseres Brauchens nicht von Unten in Leuchtschrift zu uns heraufglimmt um Licht in das emotionale Dunkel zu bringen, das vor lauter vermeintlichem Brauchen und gebraucht werden Wollen, ums verrecken nicht weichen will.

Ich will nicht gebraucht werden. Ich mag Menschen, die mich mit all dem was mich fasziniert und ausmacht, mit all dem, wofür ich lebe, verstehen. Ich mag mit Menschen sein, die auf dem gleichen Weg sind und mit denen ich teilen kann was ich liebe. 

Eben nicht das gegenseitige Brauchen, sondern Inspiration und zwar gegenseitige. Ich brauche Liebe wie wir alle, aber Lieben und Brauchen sind zwei völlig verschiedene Dinge. Es dauert lang bis wir Menschen das begreifen, es hat lang gedauert bis ich das begriffen habe. Immer wieder habe ich das eine mit dem anderen verwechselt. Ich habe es verwechselt weil ich es nicht aushalten wollte, dieses Gefühl, das sich anfühlt wie sich auflösen, wenn da keiner ist, der mich braucht und den ich brauche, dieses Gefühl: Du schaffst das alleine nicht, du brauchst jemanden, der dir hilft das Leben zu schaffen. Aber so ist es nicht, was ich nicht schaffe, kann kein anderer für mich er - schaffen. Er kann mir Mut zusprechen, er kann mich halten wenn ich am Kippen bin, er kann mich unterstützen es zu schaffen, aber schaffen muss ich es ganz alleine. Und ja, das alleine Schaffen fühlt sich bisweilen sehr einsam an. Heute weiß ich, was Einsamkeit wirklich ist. „Einsamkeit entsteht nicht dadurch, dass man keine Menschen um sich hat, sondern vielmehr dadurch, dass man ihnen die Dinge, die einem wichtig erscheinen, nicht mitteilen kann.“ Diese Worte sind von C.G.Jung und für mich sind sie wahr.
Menschen zu finden denen wir uns mit dem, was uns wichtig ist mitteilen können und die das auch wirklich hören, ist nicht einfach, denn viele dieser Menschen finden wir eben nicht dort wo Action ist und ein volles Haus und auch nicht dort, wo man uns braucht oder wo wir gebraucht werden wollen. Es gibt Zeiten im Leben da gibt es diese Menschen nicht. Dann finde ich sie in den Worten der Bücher, in den Tönen der Musik, in den Bildern einer Ausstellung. Es sind Menschen, die all das geschaffen haben, und mit diesen Menschen verbindet mich was ich wirklich brauche: Gleichklang. Wenn wir in unserem Jetzt diesen Gleichklang mit Anderen nicht finden, dann hat das einen Sinn, dann sind wir wieder bei der Frage was wir wirklich brauchen um dieses Leben zu gestalten, um Liebe zu fühlen für dieses Leben, eine Liebe, die nicht braucht und nicht gebraucht werden will. Leicht ist das nicht, denn auch Selbstliebe enthebt uns der Sehnsucht nach Gleichklang nicht.

Also, was brauche ich jetzt um damit zu leben, dass es das, was ich brauche noch nicht gibt? Was brauchst du?

Wir brauchen innere Stärke. Was ist das, innere Stärke? 
Manche von uns bekommen sie in die Wiege gelegt, manche von uns suchen ein Leben lang danach, bei manchen von uns wächst sie im Laufe des Lebens aufgrund von Erfahrungen aus denen wir gestärkt hervorgehen. Innere Stärke beginnt auch bei der oft unterschätzen Tatsache, wie wir mit uns selbst sprechen und wie wir mit uns selbst umgehen. An diesen Umgangsformen mit uns selbst können wir etwas verändern. Wenn wir uns immer wieder selbst sagen, was wir nicht können, was wir nicht haben, was wir nicht sein werden, was wir nicht finden können, was wir brauchen und nicht haben, wird der Klang dieser Gedanken zu einer sich ewig wiederholenden Melodie. Diese Melodie füttert unsere Gefühle. Schlecht zu uns und über uns selbst sprechen wirkt wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Darum ist es so wichtig unsere gedanklichen Melodien zu erkennen und sie zu hinterfragen, denn oft sind die ganz schön auf dem Holzweg.

Warum nicht umdenken, um das in unser Leben zu holen, wonach wir uns sehnen und was wir wirklich brauchen? Sicher, einfach ist das nicht, aber ist es wirklich einfacher die immer gleiche unschöne Melodie abzuspielen?
„Ach ich schaffe das nicht, ach ich bin eben wie ich bin, das ist doch alles Mumpitz, was die schreibt“, oder: „Das habe ich doch alles schon versucht und es hat nichts gebracht,“ las ich neulich in einem Kommentar zu einem meiner Texte. Mal ehrlich, wenn ich so denke bringt das wirklich nichts.

Gut und schön, jedem das Seine und mir meine Erfahrung. Wenn ich weiß, was ich wirklich brauche bekomme ich das dann auch? Ja, wenn ich es unabhängig von Anderen mache, wenn ich eine tiefe Motivation habe und eine klare Vision, denn das hat Kraft. Wenn ich weiß, was ich wirklich brauche werde ich zunächst alles Unbrauchbare, das ich zu brauchen glaubte, nicht mehr in meiner Gedankenmelodie festhalten. Ich werde mich verabschieden von den schiefen Tönen, ich werde mich verabschieden von dem, was ich zu brauchen glaube. Ich werde neue Töne komponieren. Ich werde vielleicht sogar erkennen - in Wirklichkeit ist alles was ich brauche schon längst da. Und was nicht da ist, brauche ich nicht. Dazu gehört zugegebenermaßen eine Menge Demut und ein hohes Maß an Vertrauen in das Leben, das uns eben nicht immer gibt was wir uns wünschen, sondern das, was wir brauchen um zu wachsen.





6 Kommentare:

  1. Sehr gut geschrieben und zusammengefasst! Danke, das zu lesen, macht mir meinen Weg bewusster. Ich werde nicht immer verstanden, wenn ich beispielsweise alleine in ein anderes Land fahre, um aufzutanken und die Landschaft zu genießen. Ich mache das auch mit anderen, aber alleine hat es eine andere Qualität, eine andere Tiefe. Vielleicht fällt es dem einen leichter als dem anderen sich auf die eigenen Tiefen einzulassen, weil man so gestrickt ist, weil man das Bedürfnis hat, weil es einen mehr von Innen her drängt, ich weiß es nicht. Manchmal erkläre ich es mir so. Was ich wahrnehme, dass es mich immer öfter zufrieden macht, so zu sein wie ich bin.

    "von Unten in Leuchtschrift zu uns heraufglimmt" : Super ausgedrückt! Es leuchtet tatsächlich oft stark, lässt uns aber die Wahl. Hinschauen oder wieder wegschauen. Bedingungsloses Annehmen, ob uns die Farbe nun gefällt oder nicht verbindet automatisch mit unserer inneren Stärke, so paradox das klingen mag. Ist immer wieder schwer, aber immer wieder lohnend. Das ist meine Erfahrung.
    Liebe Grüße und danke nochmal, dass du dir die Mühe machst, so ausführlich und treffend zu formulieren!!

    ELisabeth

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    1. Danke für deine Wertschätzung!
      Ich mache das ohne Mühe, weil ich es liebe :-)

      Angelika

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  2. Die Schrift ist leider kaum mehr lesbar, so winzig ist die geworden!

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  3. Was für ein Text! Zum Weinen, zum Hoffen, zum Nachdenken, zum Verzweifeln, zum Mut finden, ... Der Text berührt mich zutiefst, beschreibt er doch auf den Punkt das, was mich schon sehr lange umtreibt, was mir bewusst ist, nur komme ich immer wieder an den Rand des schwarzen Lochs, wenn das Gefühl kommt, nicht gebraucht (und damit nicht geliebt) zu werden und somit überflüssig und unwichtig zu sein.

    Was ich also brauche ist: Nicht zu brauchen und nicht gebraucht zu werden, andere und von anderen, aber dabei nicht zu verzweifeln, mir selber, irgendwann, das geben zu können, was ich brauche, zumindest in Teilen.

    Was braucht "es" um dahin zu kommen?, den Satz aus Kindheitstagen "Du bist so gut wie andere es dir sagen", der sich so tief in mir festgesetzt hat, damals "überlebenswichtig" war, abzuschütteln oder ihm wenigstens etwas von seinem Einfluss zu nehmen?

    Ihr Blog ist da ein Mosaikstein, ein größerer. Danke!

    DiPi

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