Donnerstag, 7. Juni 2012

Aus der Praxis - Vom Vater verlassene Töchter



Malerei: Angelika Wende


Sie haben derart tiefe Zweifel an ihrem eigenen Wert, sie fühlen sich so wenig liebenswert, sie sind innerlich so unsicher, sie haben das Gefühl nichts Gutes verdient zu haben und sie sind nur beschränkt fähig mit einem anderen Menschen eine erfüllende dauerhafte Beziehung einzugehen: Ich nenne sie, die vom Vater verlassenen Töchter. 
Es sind Töchter, die in ihrer Kindheit vergeblich die Aufmerksamkeit und die Achtung des Vaters gesucht haben, Töchter, die als Kind vergeblich um die Liebe des ersten Mannes in ihrem Leben gerungen haben.

Die Erfahrung dieser Frauen ist: Egal was ich tue, die ersehnte Liebe bleibt mir versagt. 
In ihre Seele brennt sich das Gefühl einer tiefen Verlassenheit ein. Und dort bleibt es, meist ein Leben lang. Diese Frauen bleiben in der Rolle der Tochter, die gefallen und geliebt werden will, stecken. Unbewusst spulen sie in jeder Beziehung exakt das Programm ab, das sie als Kind gelernt und verinnerlicht haben. Der Schlüssel des Programmes: Emotionale Unerreichbarkeit, Desinteresse, Zurückweisung, Abwertung. Der Mann auf den diese Frauen emotional reagieren, muss diesen Schlüssel besitzen, das heißt: Er muss dem Vater gleichen. Er muss gleichgültig, verletzend, emotional unerreichbar, überlegen und lieblos sein um in ihr "Schloss" zu passen. So suchen und finden die ungeliebten, vom Vater verlassenen Töchter immer wieder instinktiv diesen Typ Mann. In Wahrheit aber suchen sie den Vater, sie holen ihn sich herbei und leiden aufs Neue.

Der Zweck der "Übung" ist, in jedem neuen Versuch die Liebe des Vaters doch noch zu bekommen - nach dem Motto - dieses Mal muss es doch klappen: Er muss mich doch lieben. Es kann nicht klappen, denn auch wenn sie geliebt werden würden - diese Liebe heilt die Wunde nicht. Der Geliebte ist nicht der Vater. Allein der Vater ist es, der die Wunde heilen könnte. Das Unbewusste begreift dies aber nicht.

Auch wenn diese Frauen sich ihrer Kindheitswunde bewusst sind, haben sie kaum eine Chance dem verinnerlichten Musters zu entkommen. Oft braucht es jahrelange Therapie um das unheilsame Beziehungsmuster aufzulösen und die Verletzungen des inneren Kindes zu heilen.

Die in der Kindheit tagtäglich erlebte emotionale Zurückweisung und Abwertung bewirkt ein Trauma.
Die Krux des traumatisierten Kindes ist, dass es als erwachsener Mensch eben nicht versucht alte Verletzungen und Erfahrungen zu vermeiden, sondern sie geradezu zwanghaft, versucht zu wiederholen. Es klingt paradox, aber die Entwicklungspsychologie weiß: Die Wiederholung des Erlebten lindert den Schmerz. Emotional missbrauchte, traumatisierte Menschen sind gefangen in der Wiederholungsfalle der Kindheit.  

Innere Einsamkeit
Eine Frau, die als Kind vom Vater weder wohlwollende Aufmerksamkeit, noch liebvolle Zuwendung bekommen hat, ist innerlich einsam. Sie fühlt sich wertlos und nicht liebenswert. Die erfahrene und verinnerlichte Nichtbeachtung, die erlebte Zurückweisung in der Kindheit wird als Mangel empfunden, als Fehler. Sie fühlt sich falsch, nicht gut genug, schuldig und speichert diesen Makel in ihrem Selbstbild ab.
Da das Kind den Vater liebt, tut es alles um ihm zu gefallen. Es entwickelt die verhängnisvolle Bereitschaft seine Erwartungen zu erahnen um sie zu erfüllen. Gleichzeitig aber demontiert die kindliche Psyche, um den Schmerz der Zurückweisung zu ertragen, den Vater und beginnt ihn innerlich zu entwerten. Ein Mechanismus, der zwei Pole in sich trägt. Einer ist so fatal und zerstörerisch wie die andere: Die Frau fühlt sich nicht nur wertlos und besonders im Hinblick auf das andere Geschlecht als ein Niemand - sie entwertet gleichzeitig das Männliche schlechthin um seelisch zu überleben. 

Trifft sie dann auf einen Mann, der ihr Aufmerksamkeit, Zuwendung und Liebe schenkt, gerät ihr Überlebensmechanismus ins Wanken. 
Das innere Kind kann nicht begreifen, dass es möglich ist liebenswert zu sein. Es signalisiert: Da stimmt Etwas nicht. Weil das Vertrauen in das Männliche nicht aufgebaut werden konnte, misstraut sie diesem Mann. Kurz - ihr Programm wird gestört. Um diese innere "Störung" aufzulösen versucht das Unterbewusstsein die verinnerlichten Mechanismen der väterlichen Hypothek wieder herzustellen. Sie tut, was sie als Kind tat: Sie beginnt den Mann zu entwerten mit dem Ziel die eigene emotionale Sicherheit wieder herzustellen. Der Preis ist die Zerstörung oder das Verlassen der Beziehung um das falsche Selbst am Leben zu halten.

Die Wut, die Vorwürfe, der Hass, all die unausgelebten unterdrückten Emotionen, die eigentlich dem Vater gelten, richten sich dabei in Wahrheit nicht gegen diesen Mann, sondern gegen das Männliche überhaupt - mit anderen Worten - sie überträgt das negative Vaterbild auf den Partner und jagt ihn durch den väterlichen Filter. Auf diese Weise reinszeniert das Unterbewusstsein die ihm vertraute Wirklichkeit.
Am Ende ist sie allein. Allein wie sie als Kind war, für sie - die einzige mögliche Art emotional zu überleben ohne den alten Schmerz zu fühlen.