Samstag, 29. Januar 2011

Portrait of the Artist Cyrus Overbeck




Längst hat er als Maler die museale Akzeptanz erreicht. Seine Werke hängen in Kunsthallen in Düsseldorf, Köln, München und Washington. Er lebt und arbeitet in New York, Duisburg und dem kleinen Ort Esens in Ostfriesland. Seit einigen Tagen hat Cyrus Overbeck in der Adam Karillon Straße 4 im Weingut Landenberger nun sein Mainzer Atelier bezogen. Gedacht war es als vorübergehende Station. Doch schon ist es anders. Er will bleiben. „Ich habe noch nie eine liebenswertere Stadt erlebt, in der die Menschen so schnell so offen sind“, sagt Overbeck über seine neue Dependance in der Welt. Cyrus Overbeck ist einer der großen zeitgenössischen Realisten.

Seit seinem vierzehnten Lebensjahr malt der Sohn einer Deutschen und eines Persers. „Nie wollte ich etwas anderes sein als ein Maler. Malen, das bin ich. Erst kommt die Malerei, dann der Nachklang der Malerei, dann die Literatur“, sagt der temperamentvolle 40jährige. Die leuchtenden Augen im runden Gesicht, das von langen schwarzen Locken umrahmt ist, strahlen mit einer Herzlichkeit, der man sich nicht entziehen kann. Die Welt dieses malenden Philosophen ist offen und weit, voll von Gedanken und Sehnsüchten, die sich auf den Tableaus seiner expressiven großformatigen Ölgemälde, in zarten poetischen Radierungen und meisterhaft in Holz geschnitten, auf eine seltsam andere Weise wieder finden, als in seiner hedonistischen Haltung dem Leben gegenüber. Ambivalenz, dieser Gedanke stellt sich ein, eine hochvibrierende Schwingung zwischen überbordender Lebensfreude und einer tiefen Traurigkeit schwankend, wird spürbar. Beides lebt auf den Leinwänden im Atelier, formiert sich zu Kompositionen, deren Energie auf den Betrachter überschwappt, ihn in den Bann zieht und ihn dort abholt, wo der Mensch steht, gefangen in der Komplexität seines „In die Welt Geworfen Seins“, auf der Suche nach dem, was Leben ist und sein kann.

„Ich bin ein Erzähler auf der Leinwand, dessen Helden scheitern, um aufzustehen, um wieder zu scheitern“, beschreibt Overbeck sein künstlerisches Schaffen. Es sind die Brüche, die ihn zu immer neuen Kompositionen herausfordern, die Tragik des Lebens, die Wunden, die es schlägt und ihr Umgang damit. An der Wand lehnt ein Bild, das einen Soldaten zeigt, schreiend vor Schmerz, im Hintergrund ein pinkfarbenes Blütenmeer. Alles ist eins, kommt einem in den Sinn, wo das eine ist, ist immer auch die Möglichkeit des Anderen, die Angst und die Liebe, der Schmerz und die Freude, das Gute und Böse. Das Leben auf Overbecks Leinwänden - eine Kippfigur.

Overbeck serviert schweren Rotwein, trinkt, raucht, denkt laut, formuliert geistreich, ohne Unterlass. „Die Bilder sind immer im Kopf, es ist ein Dauerstress, ich bin permanent überfordert, ich kann ja nicht zehn Bilder auf einmal malen. Ich bin ein Getriebener, menschenhungrig, ich sauge sie aus“, resümiert er. „Wenn du keine Brüche hast, bist du für mich langweilig, ich brauche das, was unter der Oberfläche ist, das möchte ich sichtbar machen in der Physiognomie, Impulse geben, die der Rezipient weiter denken soll. Wir leben in einer Zeit der Orientierungslosigkeit. Wir erleben gerade einen unheimlichen Verfall, wir haben ein neues Fin de siécle. Das fängt mit dem Mangel an kultureller Bildung an. Wir brauchen Philosophen und Querköpfe, die in die Gesellschaft eingreifen“, sprudelt es aus ihm heraus. „Wir haben nach 1945 keine andere Wirtschaftsethik und keinen neuen Humanismus in die Gesellschaft hineintragen können.“

Über 20 Jahre hat Overbeck Kreuzigungen, Erschießungen und Hinrichtungen gemalt, sich mit dem Leiden identifiziert. Es sind die Opfer, denen er sich verbunden fühlt, eine Thematik der er mit Ratlosigkeit gegenübersteht, selbst immer zwischen barocker Verschwendungssucht und Verarmungswahn schwankend. „Essen ist wichtig“, sagt er lächelnd, „Geborgenheit und Liebe. Ich sehne mich danach verstanden zu werden.“ Overbeck ist ein malend Suchender, hoch sensibel, mit einer berührenden Empathie im wilden Herzen, dem es schwer fällt allein zu sein. Und doch muss es sein, wenn er malt. „Schon der Atem eines anderen im Raum stört mich dann“, sagt er und dass er die Nacht zum Tag macht, weil er nur in ihr die Stille findet, die das Laute in seiner ruhelosen Seele zum Schweigen bringt. Cyrus Overbeck ist ein Nomade, der immer wieder neue Orte sucht, in der Hoffnung anzukommen, getragen von der Sehnsucht Antworten auf seine Ratlosigkeit zu finden.

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