Sonntag, 2. Februar 2025

Um was geht es wirklich

 

                                                                    Foto: A.Wende

 
Wofür strengst du dich an?
Was willst du kontrollieren?
Was meinst du besitzen zu müssen?
Woran bist du gebunden?
Womit bist du verstrickt?
Wer meinst du sein zu müssen?
Wer meinst du, bist du?
Was treibt dich an?
Wann fühlst du dich lebendig?
Wann fühlst du dich frei?
Wann fühlst du inneren Frieden?
Womit bist du tief verbunden?
Was erfüllt dich wirklich?
Was hält dich von innen, wenn alles im Außen wegfällt?
Was ist es, was dir Kraft gibt?
Wofür willst du diese Kraft einsetzen?
Was ist dein Warum?
Um was geht es wirklich? 
 
 
Angelika Wende

Montag, 27. Januar 2025

Geradewegs gegen eine Wand

 

                                                           Malerei: A.Wende

 

 

„Beschleunigte Prozesse werden dort problematisch werden, wo sie unser Weltverhältnis so verändern, dass es zu Entfremdung vom eigenen Dasein führt“, so der Soziologe Hartmut Rosa sinngemäß.  

Wir sind mittendrin in diesem Prozess der Entfremdung.

Höher, schneller, weiter. Selbstoptimierung, Prozessoptimierung und Maximierung als Maßstab. Und wir vergessen dabei: Ein zu schnelles und zu hohes Tempo in allen Lebensbereichen führt zu Überforderung und Anpassungsstörungen. Immer im Außen, immer im Funktionsmodus, immer informiert sein, überall mitreden können, nichts verpassen. So leben unzählige Menschen. 

Die Folge – sie verpassen sich selbst und sind irgendwann ausgebrannt.

Wie Rosa richtig sagt – Selbstentfremdung, vom eigenen Dasein entfremdet.

 

Von Oben betrachtet:

Funktionierende menschliche Teilchen einer sich selbst überholenden Geschwindigkeit. 

Das Gefühl für das Wesentliche schwindet im selben Maße wie diese Teilchen durchs Leben hetzen und rennen.

Alles ist flüchtig.

Flüchtig werden Headlines gelesen, flüchtig werden What´s App geschrieben, flüchtig wird im Internet gescrollt, flüchtig wird getextet, anstatt geredet. Ich war entsetzt als mir neulich ein Klient erzählte, er habe vom Tod der Mutter via Textnachricht erfahren.

Das ist nicht wahr habe ich gedacht, und doch es ist wahr. 

 

Die Selbstentfremdung und die Entfremdung vom Nächsten gehen nebeneinander her. 

Die Empathiebereitschaft und die Empathiefähigkeit uns selbst und anderen gegenüber sinkt.

Statt miteinander verbunden, verbinden wir uns mit technischen Geräten um uns verbunden zu fühlen. Ständig kleben wir an unseren Smartphones, als sei darin die Welt enthalten und sonst nirgendwo. Wir sind in Kontakt mit künstlicher Intelligenz, aber nicht mit uns selbst und unserem Nächsten.

Wohin führt das?

Vereinzelung, innere, äußere Isolation, Einsamkeit und Vereinsamung sind die Seuche unserer Zeit. Wir sind mehr und mehr emotional degenerierte narzisstische Wesen, die sich um sich selbst und um eine immer künstlicher werdende Welt drehen, bis uns schwindelig wird und der klare Geist aufweicht, ganz zu schweigen von den immer kälter werdenden Herzen. 

Eine Welt wie ein Irrenhaus in der man nicht einmal mehr weiß, wer die Irren sind – die Insassen oder die Betreuer oder beide.

 

Wir leben in einem virtuellen Raum, in dem wir täglich millionenfach filterlos Reize aufnehmen und kein Raum zwischen Reiz und Reaktion. Wahllos wird temporeich konsumiert ohne das Konsumierte überhaupt verdauen zu können. Flüchtig wird Essen hineingeschoben ohne es überhaupt zu schmecken. Flüchtig werden Beziehungen geführt und wieder beendet, per Textnachricht oder indem geghostet wird.

 

Flüchtig sind wir in hoher Geschwindigkeit auf der Flucht. 

Vor wem?

Vor uns selbst und wir merken es nicht einmal, eben wegen der rasend hohen Geschwindigkeit in der wir konsumieren und agieren.

Wo wir hinrasen? Geradewegs gegen eine Wand.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sonntag, 26. Januar 2025

Innere Ruhe finde

 



Stress basiert immer auf einem Gefühl. Zum Beispiel: Angst, Wut oder Trauer. 
Je stärker das Gefühl, desto stärker das Gefühl des Überwältigtseins, desto höher der Stresspegel.
Auch innere Ruhe ist ein Gefühl.
Innere Ruhe bedeutet, dass wir ganz bei uns sind, uns in unserer Mitte fühlen, uns innerlich ruhig fühlen und uns nicht stressen lassen.
Jeder Mensch reagiert anders auf innere und äußere Stresseinflüsse. 
Wie stark wir auf Stress reagieren hängt vor allem damit zusammen, wie schnell und wie stark das Erregungszentrum in unserem Gehirn aktiviert wird. Und das kann man verändern.
Dazu gibt es viele Wege und Methoden, die allerdings bei jedem unterschiedlich wirken.
Der eine beruhigt sich durch Meditation, der andere durch Atemübungen oder Yoga, der nächste indem er kreativ tätig wird, ein anderer indem er Spaziergänge in der Natur macht oder die Wohnung putzt. 
 
Es gibt keine Methode, die bei jedem wirkt. 
Daher sind Tipps und Methoden zur Selbstberuhigung zwar hilfreich, aber sie wirken eben nicht bei jedem gleich. Wichtig ist herauszufinden, was uns selbst hilft zur Ruhe zu kommen. Und das merken wir daran, dass wir spüren und wahrnehmen, dass wir zur Ruhe kommen. Es gilt also auszuprobieren, was für uns das Richtige ist. Und es kontinuierlich anzuwenden, wenn wir es herausgefunden haben.
 
 
 
Angelika Wende

Samstag, 25. Januar 2025

Aus der Praxis: Sich sorgen

 

                                                               Malerei: A.Wende

 
"Ständig kreist das Gedankenkarussell. Ein nagendes Gefühl breitet sich im Körper aus. Über allem liegt ein Schatten, der selbst in den hellsten Momenten nicht weicht. Immer sind da die Sorgen, die ohne Unterlass in den Gedanken herumgeistern, die leise flüstern, was alles schiefgehen könnte. Immerzu frage ich mich, ob ich den Erwartungen gerecht werde, die an mich gestellt werden. Jeder kleine Fehler, jede verpasste Gelegenheit, jede größere Herausforderung wird zu einem schweren Stein, der auf meine Seele drückt. Da ist die Angst, nicht gut genug zu sein, es nicht gut genug zu machen. Und immer ist da die Angst vor der ungewissen Zukunft. Tagsüber versuche ich, die Fassade aufrechtzuerhalten, während die innere Unruhe mich zerfrisst. Ich sehe die anderen, die scheinbar mühelos durchs Leben gehen und frage mich, warum ich nicht einfach loslassen kann, warum es mir so schwerfällt, selbst die kleinen Freuden des Lebens zu genießen. Die Nächte sind am schlimmsten. In der Dunkelheit überfällt mich dieses erdrückende Gefühl der Hilflosigkeit. Ich kann nicht einschlafen, zähle die Stunden und wünsche mir, dass die Sorgen einfach verschwinden. Aber sie verschwinden nicht, sie sie sind hartnäckig, sie flüstern mir zu, dass ich auf der Hut sein muss, dass die Welt ein gefährlicher Ort ist, voller Unsicherheiten und Unvorhersehbarkeiten. Ich sehne mich so sehr nach Frieden, nach einem Moment der Ruhe, in dem ich einfach sein kann, ohne von den ständigen Sorgen und Ängsten zerfressen zu werden. Hört das denn nie auf?"
So schildert meine Klientin ihre seelische Verfassung. 
 
Sorgen und Befürchtungen können tiefgreifende Auswirkungen auf einen Menschen haben, sowohl psychisch als auch physisch.  
Anhaltende Sorgen können zu chronischem Stress, Angstzuständen und Depressionen führen. Sie können das allgemeine Wohlbefinden beeinträchtigen und das Leben als überwältigend erscheinen lassen. Sorgen können die Konzentration und die Entscheidungsfindung beeinträchtigen. Menschen, die ständig besorgt sind, haben oft Schwierigkeiten, sich auf Aufgaben zu konzentrieren oder klare Entscheidungen zu treffen. Menschen, die unter starken Sorgen leiden, neigen dazu, sich von sozialen Interaktionen zurückzuziehen. Dies kann zu Einsamkeit und einem Gefühl der Isolation führen. Sorgen können körperliche Symptome hervorrufen wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Magenprobleme oder andere stressbedingte Erkrankungen. Langfristig kann chronischer Stress das Immunsystem schwächen und zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen führen. Sorgen können zu Verhaltensänderungen führen, wie z.B. zu erhöhtem Konsum von Alkohol oder Drogen, ungesunden Essgewohnheiten oder einer Abnahme der körperlichen Aktivität. Anhaltende Sorgen können dazu führen, dass ein Mensch in einem negativen Denkmuster gefangen sind, was die Perspektive auf das Leben und die Fähigkeit, positive Erfahrungen zu machen, massiv beeinträchtigen kann. Sorgen beeinflussen die Lebensqualität erheblich und machen auf Dauer krank.
 
Es gibt viele Tipps um sich das Sorgenmachen abzugewöhnen.
Zum Beispiel:
Indem man für Ablenkung sorgt, indem man Stoppsignale nutzt (laut „stopp“ sagen), indem man seine Gedanken aufschreibt um Abstand zu gewinnen, indem man Gespräche mit vertrauten Menschen führt und seine Sorgen ausspricht, indem man einen fixen Termin für das Sorgen festlegt und indem man Entspannungstechniken oder anderen Strategien zur Stressbewältigung nutzt um das Nervensystem zu beruhigen. 
 
All das ist hilfreich. Entscheidend aber ist, dem Sorgenmachen auf den Grund zu gehen.
Sich ständig sorgen ist eine Gewohnheit. Ein Mensch der sich ständig sorgt, muss daher lernen sich diese Gewohnheit abzugewöhnen, das bedeutet: Er muss lernen den Sorgen-Modus, der sich im Gehirn als Automatismus verankert hat, einzustellen. Er muss erkennen, dass er seinem Gehirn nicht hilflos ausgeliefert ist, sondern dazu fähig ist, diesen Automatismus zu regulieren und zu steuern. Um das zu erreichen ist es auch wichtig das eigene Selbstwertgefühl und das Gefühl von Selbstwirksamkeit zu hinterfragen und gegebenenfalls zu stärken. Um das Sorgenmachen nachhaltig loszulassen, ist es wichtig an die Wurzel des Problems gehen und nicht nur an den Symptomen herumdoktern. Es gilt zu erforschen, welche tieferen Auslöser es für die ständigen Befürchtungen gibt. Ständiges Sorgen hat immer einen Grund, den gilt es herauszufinden, damit eine tiefgreifende Veränderung gelingen kann. 
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Freitag, 24. Januar 2025

Altern

 

                                                                 Foto. A.Wende


In der Stille der frühen Morgenstunden, wenn die Welt noch schläft, sitze ich mit einem Kaffee auf meinem Lieblingsplatz vor dem Fester und denke über das Alter nach, ein Thema, das viele von uns mit Angst erfüllt, denn es läutet den langen Abschied vom Leben ein. Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt und ich weiß nicht, wie diese Zeit aussehen wird. Ich weiß nicht, ob ich gesund alt werde, was noch an Herausforderungen auf mich zukommt, was mich noch an Verlusten und Abschieden erwartet, bevor ich selbst Abschied nehmen muss von diesem wundervollen Leben. Es wird mir fehlen. Und das macht mich an diesem Morgen melancholisch.
Doch es gibt auch eine tiefgreifende Schönheit in diesem Prozess. 
Das Altern ist wie ein gewebter Teppich, der aus den Fäden unserer Erfahrungen, Erinnerungen und Träume besteht. Jeder einzelne Faden erzählt eine Geschichte – von der Kindheit, der ersten Liebe, den Herausforderungen, die wir überwunden haben, den Menschen und den Beziehungen die unser Leben geprägt haben. Diese Geschichten sind nicht immer leicht und schön, manche sind traurig und schwer, doch sie sind es, die uns formen und uns zu dem Menschen machen, der wir sind.
Die Linien und Falten in meinem Gesicht sind nicht nur Zeichen der Zeit, sie sind auch Spuren des Lachens, des Glücks, der Tränen, des Kummers und der Kämpfe. Sie sind Zeugen meiner Reise. Sie erzählen von Mut und Resilienz, von der Fähigkeit nach dem Fallen immer wieder aufzustehen und weiterzugehen, auch wenn der Weg steinig ist.
 
Das Altern macht mich fragiler, und zugleich lehrt es mich, die kleinen Dinge zu schätzen – den Duft von frisch gebrühtem Kaffee, die Farben eines Sonnenaufgangs, die Stille an diesem Morgen, die nur das Zwitschern der Vögel im Garten durchbricht. Es lässt mich die Langsamkeit entdecken, es fordert mich auf innezuhalten, den Moment wahrzunehmen und bewusst zu leben, denn ich weiß, mehr als jemals zuvor, meine Zeit ist kostbar und flüchtig.
Das Altern bringt so viele Veränderungen mit sich, wir verlieren die körperliche Kraft, die wir einst hatten, es kommen immer mehr Zipperlein und manchmal auch Krankheiten. Wir verlieren die Unbeschwertheit und die Naivität. Wir verlieren Menschen, die wir lieben. Es werden mehr, je älter wir werde. Mit diesen Veränderungen und Verlusten kommt auch eine tiefere Einsicht. Ich weiß, was für mich wirklich zählt: Liebe, Familie, Beziehungen, Verbundenheit, Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit, Geduld, Demut, Dankbarkeit, Empathie und Mitgefühl. Ich erkenne, dass es nicht die Jahre sind, die das Leben ausmachen, sondern das, was ich aus dem Leben mache und jene Momente, die mich tief berühren und die ich nie verlieren werde, denn sie sind aufbewahrt in der Schatztruhe meiner Erinnerung.
 
Ich trinke den letzten Schluck meines Morgenkaffees, nehme einen tiefen Atemzug und beschließe dem Alter mit Neugier und einem offenen Herzen entgegen zu gehen. Ich stelle mich den Herausforderungen, die es mit sich bringt, und vertraue auf die Erfahrung, das Wissen und die Weisheit, die ich erlangt habe und die ich noch erlangen darf. Immer, solange ich lebe, ist da die Möglichkeit, weiter zu wachsen, zu lernen und zu lieben.
Das Alter ist nicht das Ende, es ist ein neuer Anfang – eine Einladung, das Leben in seiner vollen Tiefe zu erleben und die Schönheit des Seins zu erkennen. Darin finde ich an diesem Morgen Trost in meiner Melancholie. Das Altern ist nicht nur mein Weg, es ist der Weg von uns allen. Ein Weg, der uns verbindet, der uns zeigt, dass wir, egal wie alt wir werden, immer die Fähigkeit haben zu träumen, zu hoffen und zu lieben.
 
"Das Maß der Weisheit eines Menschen ist das Maß seiner Liebe."
James Allen
 


Donnerstag, 23. Januar 2025

Geduld

 

                                                                  Foto: A.Wende

 
Geduld ist eine Tugend, sie ist die Fähigkeit in schwierigen oder unangenehmen Situationen ruhig und gelassen zu bleiben. Sie ermöglicht es uns, Herausforderungen zu meistern, ohne impulsiv zu reagieren oder in Hektik zu verfallen. Geduld ist in vielen Lebensbereichen von großer Bedeutung, sei es im Alltag oder in Beziehungen. Eine geduldige Haltung beinhaltet Verständnis und Empathie für uns selbst und gegenüber anderen. Sie hilft uns, die Perspektiven, Sichtweisen und Bedürfnisse anderer Menschen zu erkennen und zu respektieren. Geduld ist wie ein ruhiger Fluss, der durch die Landschaft unseres Lebens fließt. Sie ist die stille Kraft, die uns auch in den stürmischsten Zeiten erdet. In einer Welt, die von Hektik und Reizen überflutet ist, kann Geduld wie ein Nordstern sein, der uns den Weg weist, wenn wir die Orientierung verloren haben.
Stell dir vor, du stehst an einem Fenster und beobachtest einen Baum, der im Frühling blüht. Die Knospen öffnen sich langsam, eine Blüte nach der anderen. Es ist ein Prozess, der Zeit braucht. Du wirst nicht auf die Idee kommen an den Blättern zupfen, damit sie schneller wachsen. Du wartest und beobachtest geduldig, wie die Natur sich entfaltet. Geduld lehrt uns, denn Sinn im Warten zu erkennen und den Wert des Prozesses zu schätzen.
 
Im Angesicht von Rückschlägen und Enttäuschungen ist Geduld ein Anker. 
Sie schenkt uns die Kraft, weiterzumachen, auch wenn es schwer ist. Sie lehrt uns, dass jeder Schritt, egal wie klein er ist, Bedeutung hat. Sie lehrt uns, dass Erfolg nicht immer sofort sichtbar ist, sondern oft das Ergebnis harter kontinuierlicher Arbeit und unermüdlichen Glaubens an uns selbst.
Wenn wir lernen, geduldig zu sein, eröffnen wir uns eine tiefere Verbindung zu uns selbst und zu anderen. Wir beginnen, die kleinen Wunder des Lebens zu schätzen. Geduld lehrt uns, dass wir trotz aller Herausforderungen weiter wachsen. Geduld ist nicht nur eine Tugend, sie ist ein Geschenk, das uns dazu einlädt, das Leben in seiner ganzen Tiefe und Fülle zu erleben.
In einer schnelllebigen Welt, in der immer sofortige Ergebnisse erwartet werden, ist es eine Herausforderung geduldig zu sein. Doch das Üben von Geduld kann uns helfen zu mehr innerer Ruhe zu finden und die Dinge in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Geduld ist nicht nur eine Fähigkeit, sie ist eine bewusste innere Haltung, die unser Leben bereichern kann.

Dienstag, 21. Januar 2025

"Ich kann nicht mehr!" Krisen im Alter

 

                                              Malerei: Angelika Wende 

 

Jeder Mensch kann in eine kritische Situation oder in eine Krise geraten. Ich selbst habe in meinem Leben einige Krisen durchlebt und bin jedes Mal stärker daraus hervor gegangen. Das gelingt nicht jedem Menschen und auch dem, dem es immer gelungen ist mit Krisen fertig zu werden, kann an einen Punkt kommen, wo er das Gefühl hat: "Ich kann nicht mehr!"

Im Chinesischen steht das Wort Krise steht wéi für Gefahr und Risiko, sowie das Zeichen jī für Chance und Gelegenheit.  Eine Krise ist ein entscheidender oder ein gefährlicher Moment im Leben. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Wir meistern die Situation und überwinden die Krise und wachsen daran oder wir sind überfordert und zerbrechen daran.

 

Je älter wir sind, desto mehr Lebenserfahrung haben wir, auch was Krisen angeht. 

Die meisten von uns haben alle Krisen irgendwie gemeistert. Je älter wir werden, desto stärker und resilienter werden wir, könnte man meinen, aber das ist nicht immer so. 

Je älter wir werden, desto fragiler können wir werden, desto weniger Energie und Kraft steht uns zu Verfügung, die wir noch in jungen Jahren hatten. Wir haben viel erlebt und manches blieb nicht in den Kleidern stecken. Auch unsere Resilienz kann sich aufbrauchen. Dazu kommt, dass wir viele Verluste erlebt haben und je älter wir werden, desto mehr werden es. Wir verlieren Menschen, die uns Halt gaben und Menschen, die die wir lieben. 

Viele ältere Menschen sind mehr und mehr auf sich selbst zurückgeworden. Ein neues soziales Umfeld zu schaffen, das die eigenen Bedürfnisse erfüllt und mit dem Resonanz möglich ist, fällt aus vielerlei Gründen nicht leicht. Kommt dazu noch eine schwere Krise, kommt der Moment, wo wir denken: „Ich kann nicht mehr!“

Dieser Gedanke ist ein Signal der Psyche, wenn alles zu viel wird.

Sich das einzugestehen kann eine Erleichterung sein.

 

Trennung, der Tod eines geliebten Menschen, Eintritt ins Rentenalter, eine schwere Krankheit, körperlicher Verfall, Überforderung oder Unterforderung, weil wir keine Aufgabe mehr haben, uns nicht mehr gebraucht fühlen, Langeweile, Leere, gefühlte Sinnlosigkeit, Sinnverlust, Einsamkeit und Vereinsamung sind typische Krisensituationen im Alter.  

Findet sich kein Ausweg, kann all das in eine schwere Lebenskrise führen.

Wir fühlen Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit. Wir sind traurig. Wir spüren Wut. Wir resignieren. Wir sind hoffnungslos und verzweifelt. Vielleicht möchten wir nur noch auf dem Sofa liegen oder kommen kaum noch aus dem Bett.

Es gibt kein „Wozu“ mehr um am Morgen aufzustehen.

Diese Gefühle und Zustände sind sehr belastend. Sie drücken nach Unten. 

Sie sind schwer auszuhalten.

 

Vielen Menschen, besonders Männern, fällt es schwer, um Hilfe zu bitten.

Es ist schwer zu sagen: „Ich komme gerade mit meinem Leben und mit mir selbst nicht zurecht.“ Manche Menschen machen deshalb Folgendes:

Sie ziehen sich zurück, sie lassen sich gehen, sie haben keine Tagestruktur mehr. Sie trinken zu viel Alkohol, sie fangen an zu rauchen oder rauchen mehr als früher. Sie essen zu viel und/oder zu ungesund oder sie essen kaum noch. Sie nehmen Psychopharmaka um die belastenden Gefühle zu betäuben. All das sind Suchtstoffe und unheilsame Verhaltensweisen, die schnell zur Gewohnheit werden, abhängig machen und auf Dauer zerstörerisch wirken.

Gefühle wie: „Ist doch auch schon egal!“ „Ich bin alt. Mein Leben ist eh nicht mehr lebenswert.“ Oder eben: „Ich kann einfach nicht mehr", sind nachvollziehbar.

Hört man genauer hin, steckt hinter dem „nicht mehr können“ oft ein: „Ich will nicht mehr.“

 

Hinter “nicht mehr können und “ nicht mehr wollen” stecken Gefühle und Gründe.

Diese gilt es zu herauszufinden.

Gefühle wie diese sagen uns auch: Bleib stehen und halte inne.

Sie signalisieren wie groß die Erschöpfung der Psyche ist.  

 

Fast jeder Mensch empfindet manchmal so.

Das ist kein Zeichen von Schwäche.

Es ist ein Zeichen, dass die Krise jetzt Gefahr signalisiert.

 

Ein Mensch, der nicht mehr weiter weiß, der nicht mehr können will, braucht Hilfe. 

Wer nichts tut, bleibt in der Krise stecken. Die Spirale geht weiter nach Unten.  

Doch woher Hilfe nehmen, wenn da vielleicht keiner mehr ist, dem wir uns anvertrauen können? Wer hört zu? Wen interessiert es? Wer ist wirklich bereit zu helfen? Wer ist bereit da zu sein, mitten in der Krise, durch die Krise? Wer hat die Zeit, die Bereitschaft und die Kraft einen Menschen zu begleiten, auf seinem Weg durch die dunkle Nacht der Seele? 

Ich wünsche jedem, dass er einen Menschen hat oder findet, der ihn ernst nimmt, mit all seinen Gefühlen und Ängsten. Einen, der wirklich zuhört ohne zu bagatellisieren oder gut gemeinte Ratschläge zu geben, einen, der einfach da ist, der versteht und nicht bewertet.

 

Für viele Menschen die in einer Krise stecken, ist es schon eine große Hilfe über ihre Gefühle zu sprechen und vor allem: verstanden zu werden.

Das ist der Anfang die Chance zu nutzen, die sich in der die Krise bietet: Reden, Verständnis suchen und verstanden werden. Dann erst Lösungen finden um weiter zu machen.

Es gibt immer eine Lösung, die wir in der Krise allein nicht sehen können. 

Dafür bin ich da, um zu verstehen und um Lösungen zu finden, wenn da sonst keiner ist.

 

Diese Woche biete ich wieder kostenfreie Erstgespräche an.

Wenn Du Hilfe brauchst, schreib mir dazu gerne unter: aw@wende-praxis.de.


 

„Es ist nie zu spät, das eigene Leben neu zu gestalten.

Selbst in den schlimmsten Zeiten können wir uns für einen Sinn entscheiden.“

 

Viktor Frankl

 

Montag, 20. Januar 2025

Aus der Praxis: Was nützt Erkenntnis?


                                                            Gemälde: Kerstin Lichtblau
 

Wenn wir den Weg zur Genesung gehen, gewinnen wir irgendwann die Erkenntnis darüber, was uns geprägt und zu dem Menschen gemacht hat, der wir sind. Wir wissen um Ursachen und Gründe. Wir verstehen weitgehend, warum wir so denken, fühlen und handeln wie wir es tun. Unser Verstand sagt uns, dass wir nun, da wir alles erkannt haben, die Lösung gefunden haben. Und dann merken wir, dass sich doch nichts verändert.
Erkenntnis hat viele Aspekte unter anderem auch diese:
Du hängst fest am erkannt haben und weißt keinen Schritt weiter, weil das Erkannte dich erschüttert, dir den Boden unter den Füßen wegreißt und alles zusammenbrechen lässt, was du für wahr, wertvoll und wichtig gehalten hast.
 
Du weißt nicht, was dich erwartet, nach dem, was du erkannt hast.
Erkenntnis kann schmerzhaft sein, so schmerzhaft, dass ihr Lähmung folgt.
Erkenntnis kann ein Wegfallen sein, das dich ins Fallen bringt.
Erkenntnis kann eine Blockade sein, die dir die Sicht auf das verstellt, was sein könnte.
Erkenntnis kann dich in der Vergangenheit festhalten und dich für das Jetzt blind machen.
Erkenntnis ist ein Stadium zwischen dem, was erkannt ist und dem, was noch nicht erkennbar ist.
 
Erkenntnis allein ist noch keine Lösung.
Sie ist noch keine Veränderung.
Erkenntnis ist ein Anfang auf der kognitiven Ebene. Zur Umsetzung muss sie in eine tiefere Ebene sacken. Sie ist noch keine Verhaltensänderung. Verhaltensänderung beginnt dann, wenn du ins Fühlen kommst, bewusst im Jetzt ankommst und handelst um deine Erkenntnisse umsetzen. Veränderung beginnt, wenn du einen emotionalen Zugriff auf das hast, was du erkannt und verarbeitet hast. 
 
 
Angelika Wende

Sonntag, 19. Januar 2025

Neue Wahrheiten

 

                                                               Zeichnung: A.Wende

 

Lange glaubten die Menschen, dass die Erde das zentrale Element im Weltraum sei und das Meer der Anfang vom Ende der Welt sei, bis der Astronom Galileio Galilei eine Entdeckung machte und behauptete, dass die Sonne der Mittelpunkt unseres Planetensystems ist und die Himmelskörper um die Sonne kreisen.

Galileio´s neues Weltbild aber widersprach dem, was die Menschen glaubten. Vor allem die Katholische Kirche wehrte sich dagegen, denn, was der Astronom sagte, widersprach der Bibel. Nach seiner Verurteilung durch die Inquisition der katholischen Kirche wurde Galilei verboten seine Lehre zu verbreiten. 

"Eppur si muove!" - "Und sie bewegt sich doch!" soll Galileo Galilei gesagt haben, als er nach seiner Verurteilung den Raum verließ.

Heute wissen wir, er hatte Recht. Seine Entdeckung hat die Welt verändert.

 

Attackieren, ausgrenzen, verurteilen – Galileio´s Geschichte ist nur ein Beispiel dafür, wie Menschen reagieren und handeln, wenn etwas nicht in ihr Glaubenssystem passt und ihm widerspricht: Sie verschließen sich neuen Gedanken und Erkenntnissen, sie schließen die, die ihnen neue Wahrheiten anbieten aus, sie verurteilen sie und sie machen sie mundtot, so sie das können.

Das war früher so und das ist heute so.

 

Menschen werden unruhig, wenn man an ihren Glaubensmustern, Überzeugungen, Vorstellungen und selbsterschaffenen Wirklichkeiten kratzt, wenn einer an ihren Suggestionen und Automatismen rüttelt. Sie bekommen es mit der Angst zu tun. Der Halt, der sie gehalten hat, könnte ins Wanken kommen, die Welt, die berechenbar erschien, könnte unberechenbar werden. Strukturen könnten sich auflösen, die alte Wahrheiten wie Leim zusammenhalten. Ihre selbsterschaffenen Götter könnten sich als Illusion erweisen.
Bloß alles beim Alten lassen.
Bloß nichts Neues zulassen.
Auch wenn das Alte längst überkommen ist und zu nichts Gutem geführt hat.
Bloß nichts ändern.

 

Jeder der seine eigene Wahrheit hat, die alte Denkweisen in Frage stellt und es wagt sie zu äußern, geht auf dünnen Eis. Er macht sich unbeliebt, er macht sich angreifbar, er passt nicht in die Welt so wie die Masse sie zu sehen gelernt hat. Wer es wagt alte Glaubensmuster, Konzepte und Therorien in Frage zu stellen oder gar neue Einsichten und Wahrheiten zu verbreiten, geht das Risiko ein, attackiert ausgrenzt und ausgestoßen zu werden. 

Wer selber denkt ist suspekt. Er fällt aus dem Rahmen des Denkrahmens, auf den sich das Kollektiv geeinigt hat.

Er hat die Wahl zu schweigen oder weiter seine Wahrheit zu vertreten und für sie einzustehen. Viele dieser freien Denker schweigen dann, denn als Ausgestoßener lebt es sich schwer. Manche aber schweigen nicht, so wie Galileo Galilei es getan hat. Er und all die anderen, die ihre eigenen Wahrheiten suchen, finden und für sie einstehen, haben meinen tiefen Respekt, denn sie sind es, die uns weitergebracht haben und weiter bringen. 

 

Wie sagte Galileio einst?

„Ich fühle mich nicht zu dem Glauben verpflichtet, dass der selbe Gott, der uns mit Sinnen, Verstand und Vernunft ausgestattet hat, von uns verlangt dieselben nicht zu benutzen."

 

Genauso sehe ich das auch.

 

 

 

Freitag, 17. Januar 2025

Spirituelle Co-Abhängigkeit

 

                                                           Malerei: A.Wende

 
"Der Lehrer, der Guru, der Meister, ist verantwortlich für mein spirituelles Wachstum."
Bei dieser Überzeugung hat das Kind in uns das Gefühl, dass sein Wachstum von den Eltern abhängt. Der Guru, der Lehrer, der Meister, ist Stellvertreter für die elterliche Instanz. Er ist dafür verantwortlich uns auf den Weg zu führen, uns zu leiten, zu nähren, zu befreien, zu erleuchten. Ohne seine Lehren sind wir unfähig und hilflos. Nur mit seiner Weisheit, seinem Wissen und seiner Führung erreichen wir Wachstum.
In Wahrheit aber sind wir abhängig von der kindlichen Sehnsucht gehalten, geführt und umsorgt zu werden. Die kindliche Sehnsucht fixiert sich auf etwas außerhalb von uns selbst.
Jede Fixerung auf etwas außerhalb von uns selbst nimmt uns die Verantwortung für unsere eigene Wahrnehmung, unsere eigene Erfahrung und unsere eigene Wahrheit ab.

Mittwoch, 15. Januar 2025

Selbstwirksamkeit

 

                                                              Malerei: A.Wende


All der unerledigte Kram der Vergangenheit, all das, was an uns nagt, all das, was uns schwer auf der Seele liegt, was wir nicht verdaut haben, hindert uns daran im Jetzt zu leben und auf eine bessere Zukunft hinzuarbeiten.
Unerledigtes und Ungelöstes hindern uns daran, auf Wege zu gelangen, die zu Besserem führen. Wir sind in gewisser Weise von Dingen vergiftet, auf die wir keinen Einfluss mehr haben. Um weiterzugehen müssen wir sie aus unserem Geist entlassen, uns auf das Jetzt konzentrieren und auf die Dinge, auf die wir jetzt Einfluss haben. 
 
Wenn wir unser Leben damit verbringen, vergangene Dinge zu bedauern, sie wieder und wieder im Geist durchspielen, bleiben wir den Herausforderungen der Gegenwart gegenüber starr und unbeweglich. 
Niedergedrückt von der Last der Vergangenheit schaffen wir es nicht, uns wieder aufzurichten. Das Alte hängt wie ein schwerer Rucksack an uns, der nichts als ungesunde Nahrung enthält. Wir vergiften uns selbst weiter. Es fehlt uns an Selbstvertrauen und Zuversicht. Wir sind passiv, resigniert und handlungsunfähig. Wir fühlen uns mental, emotional und körperlich schwach.
Es ist so einfach, uns zu entmutigen und zu sagen „Das schaffe ich nicht.“ Wir können es schaffen. Es gibt keinen Grund, dass wir es nicht schaffen, außer dem einen: Wir bleiben stehen, weil wir uns nichts mehr zutrauen und nicht mehr an uns selbst glauben.
Wohin führt das? Zu nichts.
 
Die einzige Art voranzuschreiten ist: Handeln.
Jede noch so kleine Handlung in die richtige Richtung schenkt uns das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Jedes Mal, wenn wir Selbstwirksamkeit erfahren, wächst unser Selbstvertrauen und unser Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, Möglichkeiten und Kompetenzen die Anforderungen des Lebens wirksam bewältigen zu können und positive Ergebnisse zu erzielen.
 
 
Wenn Du Deine Selbstwirksamkeit stärken willst, unterstütze ich Dich gern.
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Dienstag, 14. Januar 2025

Verletzlichkeit

 

                                                                                Foto: A.W.


 

Verletzlichkeit bedeutet nicht, dich selbst zu verlieren.

Verletzlichkeit bedeutet, von einem Ort der inneren Stärke heraus zu teilen.

Verletzlichkeit ist eine Entscheidung, deine Authentizität zu offenbaren 

und dabei in deiner Würde und Selbstachtung verankert zu sein.

Montag, 13. Januar 2025

Was ist dran am Klischee vom intelligenten, glücklichen Einzelgänger?

 

                                                                           Foto: A.W.

 

Eine Studie aus dem British Journal of Psychology zeigte vor einigen Jahren, Hochintelligente Menschen, the extremely intelligent, genannt, erfahren weniger Zufriedenheit in sozialen Kontakten. Damit stehen sie im Gegensatz zur Mehrzahl der Menschen, bei der Sozialisation mit anderen Menschen einer höheren Lebenszufriedenheit gleichkommt. 

 

Wir Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen einander, das haben zahlreiche Wissenschaftszweige belegt. Der Reiligionsphilosoph Martin Buber brachte es auf den Punkt: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Der Mensch wird am Du zum Ich“,  denn nur in Beziehung zu einem Du kann sich unser Ich entwickeln. Mit "Du" meinte Buber dabei unsere Mitmenschen als auch Gott, im Sinne von: Das „ewige Du“.

 

Wie aber steht es um die intelligenten Einzelgänger, brauchen sie kein Du, keine Begegnungen, und wenn, warum ist das so?

Laut obengenannter Studie sind viele intelligente Menschen Einzelgänger. Sie vermeiden weitgehend soziale Kontakte. Die Autoren der Studie, Norman Li, ein Evolutionspsychologe an der Singapore Management University und Satoshi Kanazawa von der London School of Economics, haben sich mit der Frage beschäftigt, wie sich Intelligenz, Freundschaft und Bevölkerungsdichte auf das Glücksgefühl der Menschen auswirken. Ihr Fazit: Intelligente Menschen fühlen sich glücklicher, wenn sie ihre Zeit nicht mit anderen verbringen müssen. 

Der Grund: Sie können Aufgaben besser alleine lösen und ziehen es vor selbstständig die Herausforderungen des Lebens zu meistern. Ihr Fokus liegt auf Autonomie im Gegensatz zu Fremdgesetzlichkeit, Fremdbestimmtheit und Bindung, also der Abhängigkeit von fremden Einflüssen bzw. vom Willen und den Erwartungen anderer. Aufgrund ihres starken Autonomiebedürfnissen sind ihnen Beziehungen weniger wichtig. Manche von ihnen, so eine Aussage der Studie, empfinden Beziehungen sogar oft als Klotz am Bein. 

 

Unser Maß an Intelligenz beeinflusst die Art, wie wir die Welt sehen.

Ein Mensch mit einem hohen IQ und ein Mensch einem niedrigen IQ sehen nicht dieselbe Welt. Die Person mit dem höheren IQ erkennt und versteht komplexe Informationen, Zusammenhänge und Muster, die die Person mit dem niedrigen IQ nicht sieht. Er ist fähig abstrakt zu denken, Dinge schnell zu erfassen, zu verarbeiten und daraus angemessene Schlussfolgerungen zu ziehen. Diese Fähigkeit umfasst kognitive Prozesse wie Wahrnehmung, Lernen, Erinnern, kritisches Denken und eine hohe geistige Leistungsfähigkeit bei Entscheidungsfindungen und im kreativen Lösen von Problemen. 

Von diesen Menschen, die diese Fähigkeiten besitzen, gibt es nicht allzu viele. Was dazu führt, dass jene, die sie besitzen, oft Einzelgänger sind. 

 

Ann Clarkson von der Mensa International, der weltweit größten und bekanntesten Hochbegabtenvereinigung, sagte dazu einmal Folgendes: „Es ist belegt, dass sich sehr intelligente Menschen manchmal von den Menschen um sich herum isoliert fühlen, weil sie die Welt anders sehen und wahrnehmen. Es ist schwer, jemanden zu finden, der Informationen genauso verarbeitet wie du, wenn dein Gehirn so funktioniert, wie das von nur zwei Prozent vom Rest der Weltbevölkerung.“

 

Mit anderen Worten: Wer besonders intelligent ist, ist allein, ein Einzelgänger. 

Da aber alles  mehrere Seiten hat, gilt auch hier: Das Thema ist komplex.

Der postulierte Zusammenhang zwischen sozialer Isolation und Intelligenz stimmt so pauschal nicht. Das würde im Umkehrschluss heißen: wer sozial integriert ist, gesunde Beziehungen führt und Freunde hat, ist nicht sonderlich intelligent. Auch unter Hochintelligenten gibt es sozial integrierte Menschen, die erfüllende Beziehungen haben. Man hüte sich wie immer vor Verallgemeinerungen. Wahr allerdings ist, es ist schwer, mit jemandem zu kommunizieren, der nicht dieselbe Welt sieht, die wir sehen.

Eine Ursache dafür, dass intelligentere Menschen oft Einzelgänger sind, liegt u.a. am Kommunikationsspektrum. Jeder Mensch kann am besten mit einem Gegenüber kommunizieren, das einen ähnlich hohen IQ und ein ähnliches Kommunikationsspektrum hat. 

Je intelligenter ein Mensch ist, desto weniger Menschen können ihn verstehen, was dazu führt, dass man sozial isoliert ist, dann nämlich, wenn man absolut keine Begabung für Small Talk hat und diesen als sinnlos, ermüdend und langweilig empfindet. Während sich die meisten Menschen für banale Dinge interessieren und darüber endlos reden, machen sich intelligentere Menschen über wichtigere und komplexere Dinge Gedanken. Sie gehen in die Tiefe, haben einen hohen Anspruch an Details, nehmen wahr, was anderen gar nicht auffällt und meiden alles, was nur die Oberfläche kratzt. Pseudothemen ohne Nährwert sind für sie reine Zeitverschwendung.

Vielen intelligenten Menschen mangelt es an Menschen mit ähnlicher Intelligenz.

Sie isolieren sich dann, auf Grund der Tatsache nicht verstanden zu werden.

Sie wählen aufgrund dessen, dass sie keine Resonanz finden, ihr Einzelgängertum selbst, nach dem Motto: „Besser allein, als schlecht begleitet.“ Ihr unerfüllter Anspruch zwingt sie in die Isolation.

Intelligente Menschen machen zudem immer wieder die Erfahrung, dass sie oft nicht verstanden oder sogar missverstanden werden, dass man ihnen sagt,  sie seien seltsam, kompliziert, überempfindlich und anstrengend.

Wozu sollen sie sich dann austauschen?

In Folge ziehen sie sich, aufgrund wiederholter Zurückweisung, in ihre eigene Welt zurück. Viele intelligente Menschen sind nicht einmal introvertiert, sie finden einfach keine Verbundenheit, sprich Menschen, die ähnlich wahrnehmen, denken und fühlen. Sie sind auch nicht unbedingt sozial inkompatibel, sie genießen Gesellschaft, wenn inspirierende Gespräche stattfinden.

 

Fakt ist auch: Je höher die Intelligenz, umso höher sind in der Regel die Selbstansprüche.  Werden diese nicht erfüllt, wachsen Frust, Enttäuschung und Selbstzweifel. Was wiederum auch zum inneren Rückzug führen kann. Je intelligenter, desto mehr Gedanken sind im Kopf, und das heißt auch, desto mehr wird gegrübelt. Was nicht immer heilsam ist.  

Eine kanadischen Studie mit dem Titel: "Intelligence and emotional disorders: 
Is the worrying and ruminating mind a more intelligent mind?", die den Zusammenhang 
zwischen Intelligenz und emotionalen Störungen untersucht hat, kam zu dem Ergebnis, 
dass das Grübeln tatsächlich ein Grund dafür ist, warum besonders intelligente Menschen 
die Einsamkeit bevorzugen. 
Zudem zeigte die Studie, dass es einen Zusammenhang zwischen Angst- und Depressionen 
mit Intelligenzmessungen gibt. Laut der Studie machen sich Menschen mit hoher Intelligenz 
mehr Sorgen. Infolgedessen haben sie ein höheres Angstniveau und entwickeln häufiger 
Angststörungen wie z.B. die GAS (Generalisierte Angststörung). 
 
Schließlich sind intelligente Menschen oft sensibler, heißt: Verwundbarer. 
Da jeder Kontakt die Möglichkeit beinhaltet, verletzt zu werden, neigen sie zu sozialem 
Rückzug, was zur Vereinsamung führen kann. 

Intelligente Menschen, die noch dazu hochsensibel sind, fühlen sich zudem häufig missverstanden und damit nicht anerkennt und ausgegrenzt.

Daher meiden Sie Gespräche und Kontakte, die negative Gefühle auslösen. 

 

Das Klischee vom intelligenten, glücklichen Einzelgänger kommt bei genauerer Betrachtung ins Wanken. 

Ich kenne, auch durch meine Arbeit, einige intelligente Menschen, die oft einsam und traurig sind. Sie leiden unter einer inneren Einsamkeit, die C.G. Jung einmal so definierte: „Einsamkeit kommt nicht davon, keine Menschen um sich herum zu haben, sondern davon, unfähig zu sein, die Dinge zu äußern, die einem wichtig sind oder seine eigenen Standpunkte zu vertreten, die andere als unzulässig finden.“

Es ist also nicht so, dass hohe Intelligenz uns per se zum glücklichen Einzelgänger macht, und dass sie generell zu einem gelingenden Leben führt, es macht auch nicht unbedingt Spaß allein zu sein. Das Klischee vom intelligenten Einzelgänger ist eine hochkomplexe Sache, es ist u.a. die Reaktion auf die Umwelt, verbunden mit vielen Parametern der Persönlichkeit und der Psyche, wozu übrigens auch die Bindungsangst und Bindungsstörungen gehören, welche dann als „Splendid Isolation des einsamen Genies “ stilisiert und romantisiert werden.

Manchmal ist es auch einfach bequemer intelligenter Einzelgänger zu sein, nach dem Motto: Am Gipfel bleibt die Lage überschaubar.

Mein Fazit: Intelligenz ist leider nicht genug für ein gelingendes Leben.