Freitag, 22. April 2022

Heilung beginnt mit der Akzeptanz deiner eigentlichen Wunde

 


Konflikte zwischen bewussten und unbewussten Inhalten sind der Urgrund, der zu psychischen Störungen und seelischen Problemen führt. Diese unbewussten Inhalte beeinflussen unser Denken, Fühlen und Handeln. Seit Sigmund Freud, dem Vater der Psychoanalayse, wissen wir, dass Heilung der Weg des Erforschen, Erkennens und Verarbeitens dieser unbewussten Inhalte ist. Carl Gustav Jung ging dabei einen Schritt weiter. Er bezog das kollektive Unbewusste in seine Arbeit auf dem Weg seelischer Heilung mit ein. Für ihn stand fest, dass das kollektive Unbewusste, ebenso wie das persönliche Unbewusste, Teil der menschlichen Psyche ist. Kollektive Erfahrungen werden über Generationen vererbt. Heute wissen wir, nicht zuletzt durch die Traumaforschung, besonders auch im Hinblick auf die Generation der Kriegskinder und deren Kinder, wie kollektive Traumata über Generationen hinaus auf das individuelle Unbewusste wirken. Zudem war Jung der festen Überzeugung, dass das Verarbeiten seelischer Wunden zum Ziel haben muss, diese als Teil der eigenen Biografie zu akzeptieren und sie dann als Teil der eigenen Ganzheit zu integrieren.
 
Erforschen, erkennen, verarbeiten, integrieren. Darum geht es, wenn wir von seelischer Heilung sprechen.
 
Erforschen und erkennen
Zu allererst dürfen wir also den Ursachen für unseren seelischen Schmerz auf den Grund gehen, denn nicht immer wissen wir darum, weil sie verdrängt oder abgespalten sind. Alles was außerhalb unseres Bewusstseins liegt führt ein Eigenleben in den Tiefen unserer Seele und hat gerade deshalb immense Macht über uns. Wir reagieren zu 90 Prozent unbewusst, weiß man heute, und das ist verdammt viel. Je unbewusster wir uns also unserer inneren Konflikte und Wunden sind, je tiefer sie in den Schatten der Seele verborgen liegen, desto stärker werden wir von ihnen beherrscht und desto stärker beeinflussen sie unser Leben auf allen Ebenen, besonders in Beziehung zu uns selbst und anderen.
 
Verarbeiten
Viele von uns sind im Glauben aufgewachsen, dass seelischer Schmerz und psychische Probleme eine Schwäche sind, dass ungute Gefühle weggedrückt und unterdrückt werden müssen, um ein „gutes Kind“ zu sein und um im Leben zu funktionieren. Vielen von uns hat man beigebracht, dass es das Unheilsame nicht geben darf und dass man den eigenen Schmerz für sich behalten und auf keinen Fall zeigen soll. Doch genau das führt zu noch mehr seelischem Kummer. Für viele Menschen ist es bereits befreiend, wenn sie über ihre seelischen Verletzungen zu reden beginnen, es wirkt enorm entlastend, wenn sie sich endlich die Erlaubnis geben ihre Gefühle wahrzunehmen und sie auszudrücken. 
 
Seelischer Schmerz muss herausgelassen werden, erst dann kommt verkapselte destruktive Energie ins Fließen und nur was fließt, kann sich wandeln.
Damit beginnt die Verarbeitung. Wir holen alles aus dem Keller, was da seit Jahrzehnten ins Dunkle weggesperrt wurde. Wir schauen es an, stellen uns den damit verbundenen Gefühlen und Gedanken, wir haben die Bereitschaft sie radikal zu akzeptieren und sie als Teil unserer Biografie und unseres Seelenhauses fortan bewusster und vor allem - mitfühlender mit uns selbst, da sein zu lassen. Damit beginnt der Prozess des Integrierens.
Akzeptanz und Integration sind wichtige Schritte im Heilungsprozess. Nur wenn wir uns selbst akzeptieren, wenn wir aufhören, uns selbst etwas vorzumachen oder jemand zu sein, der wir nicht sind, nur wenn wir uns selbst annehmen und uns gut um uns selbst kümmern, findest wir zu uns selbst und das Entscheidende: wir lernen uns selbst zu vertrauen. Wir gehen auf uns selbst zu und damit überwinden die Entfernung von uns selbst, die zur Selbstentfremdung geführt hat. 
 
Wer sich selbst vertraut, findet den Mut und die Kraft sich seiner Wunde zu stellen, statt weiter vor ihr zu fliehen.
Mit diesem Selbstvertrauen können wir Vergangenes verarbeiten. Und es wirkt wie ein Schutzschild, um uns vor weiteren seelischen Verletzungen zu schützen. Sich selbst vertrauen stärkt unsere Fähigkeit uns uns selbst zuzumuten, so wie wir sind, ohne uns dafür zu kritisieren oder zu verurteilen. Es stärkt unsere Fähigkeit zu handeln, nicht nur in der Welt da draußen, sondern im besten Sinne für uns selbst. Selbstvertrauen heißt, auf das zu vertrauen, was wir wirklich fühlen, welche Bedürfnisse wir haben. Selbstvertrauen schenkt uns die Kraft dafür zu sorgen, dass wir uns lebendig werden lassen.
Wir vertrauen uns selbst, so wie wir sind, mit allem, was wir sind und sorgen gut für uns selbst. Wir lernen Selbstfürsorge. Selbstfürsorge aktiviert die Selbstheilungskräfte, die die Seele gesunden lassen. Auch wenn es viel Zeit braucht.
Heilung ist der Weg zu unserem wahren Selbst.
Individuation, nennt C. G. Jung diesen Prozess, ein Prozess der Selbstwerdung des Menschen, in dessen Verlauf sich das Bewusstsein der eigenen Individualität zunehmend verfestigt.
 
 
 
Angelika Wende

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