Freitag, 3. Januar 2025

Aus der Praxis: Fear of Happiness, die Angst vor Glück

 



Was ist Glück?
Wie fühlt sich Glück an?
Gibt es einen Weg zum Glück?
Wie werde ich glücklich?
Wie halte ich das Glück, wenn es mit begegnet?
 
All das sind Fragen, die wir uns stellen, wenn es um das Glück geht.
Glück bedeutet für die meisten von uns optimales Wohlbefinden. Wir sind maximal einverstanden mit dem, was ist, wir sind eins mit dem, was ist, wir haben das Gefühl angekommen zu sein, so wie der Hans im Glück, der am Ende seiner Reise auf der Suche nach dem Glück das Wesentlichen erkennt. Zumindest ist das die Lektion im Märchen der Brüder Grimm: Glück liegt nicht in materiellem Reichtum, sondern in der Zufriedenheit mit dem, was man hat. Hans jedenfalls ist am Ende glücklich.
 
Eine andere Geschichte geht so: "Endlich habe ich verwirklicht wovon ich immer geträumt haben. Und es war sogar ein Erfolg. In diesem Moment war ich unfassbar glücklich. Und sofort kam sie, die Angst, da kommt sicher ein Unglück. Mein Blick in die Zukunft ist voller Angst, sie wird wieder Schmerz bringen. Ich kenne es doch, immer wenn es mir gut geht, dauert es nicht lange und es ist vorbei. Dieser Glücksmoment, der das Grau des Alltags in helles Licht taucht, Augenblicksglück, vergänglich wie alles. Vom Moment des Eintauchens bis zum Moment des Auftauchens, nur ein Augenblick. Schon im Kommen liegt sein Gehen. Ich falle zurück in diese existenzielle Angst, die durch kein Glück überwindbar ist. Sie ist da, schaut mich aus großen Augen an, sagt: Pass auf, das nächste Unglück kommt bestimmt! Das Glück trägt nicht. Ich habe es doch immer wieder erfahren."
Diese Geschichte ist die Geschichte einer Klientin. Sie gehört zu den Menschen, die sich davor fürchten, glücklich zu sein.
 
„Fear of happiness“, Angst vor dem Glücklichsein nennen Psychologen das Phänomen.
Die Betroffenen haben große Probleme, sich selbst Glück oder Freude zuzugestehen. Beides beunruhigt oder ängstigt sie. Sie denken: Heute bin ich glücklich, und morgen passiert bestimmt etwas Schlimmes. Bei mir darf es nicht gut sein, und wenn es gut ist, werde ich dafür bestraft. Wenn ich mich zu sehr über etwas freue, wird es mir wieder genommen.
Die Strategie dieser Menschen um diese belastenden inneren Überzeugungen zu kompensieren oder abzuwehren, sieht dann so aus: Sie versuchen starke Glücksgefühle zu unterdrücken oder sie erlauben sich, sie für den Moment zu fühlen, um das Glücksgefühl dann wieder mit destruktiven Gedanken zu vernichten. Statt ihr Glück zu genießen und es auszukosten, versuchen sie bewusst es zu dämpfen oder zu demontieren. Es kann nicht sein, was nicht sein darf! Für sie nicht. Für alle anderen schon.
 
Strategien gegen Glücksgefühle gibt es viele. Manche gehen soweit, das Betroffene akut krank werden, nachdem sie Glück erlebt haben. Der Körper symptomatisiert, was sie als unverdient und nicht zu ihnen gehörig empfinden und „straft“ sie mit Kranksein oder Schmerzen ab. 
 Die Angst vor dem Glück ist eine emotionale Grundhaltung, die jeden möglichen Fortschritt in Richtung Wohlbefinden behindert. Eine Tatsache kann nicht anerkannt werden, weil sie gegen das eigene Weltbild verstößt, eine Art Selbstbeschwörung, die Christian Morgenstern in seinem Gedicht "Die unmögliche Tatsache", treffend beschreibt:
"Und er kommt zu dem Ergebnis:
Nur ein Traum war das Erlebnis.
Weil, so schließt er messerscharf,
nicht sein kann, was nicht sein darf."
Das Glück trägt auf diese Weise immer Zweifel mit sich und der ängstlich Zweifelnde fragt sich: Habe ich mein Glück verdient?
 
Es gibt Ursachen, die die Angst vor dem Glücklichsein erklären.
Eine Ursache steht, so die Annahme der Psychologie, eng in Verbindung mit der Melancholie, der Depression oder anderen psychischen Störungen. Eine andere Ursache liegt in einem niedrigen oder mangelnden Selbstwertgefühl und Gefühlen, bzw. dem Drang zur Selbstabwertung. Betroffene empfinden ihr Selbst und ihr Leben als nicht wertvoll, nicht lebenswert oder gar unverdient. Besonders Menschen, die unter einer Existenzschuld leiden, die ihnen als Kind vermittelt wurde, sind davon überzeugt nichts Gutes verdient zu haben, denn eigentlich dürften sie ja gar nicht existieren. Und wenn schon, dann dürfen sie gefälligst nicht glücklich existieren.
 
Menschen, die Angst vor dem Glück haben, neigen dazu, sich auf das Negative zu fokussieren. Statt das Gute zu sehen, was ihnen widerfahren könnte, versuchen sie stattdessen ständig, das Schlechte zu sehen und zu vermeiden. Durch ihre innere Brille nehmen sie vorzugsweise das wahr, was sie bedrohen und verletzen könnte. Die Angst vor dem Glück ist ein emotionales Problem, das Ursachen hat. Diese liegen meist in der Biografie der Betroffenen. Sie haben in ihrem Leben viel Unheilsames erlebt. Sie haben das Unglück sozusagen gespeichert und als das normale Leben verinnerlicht. Es war zu oft und zu lange ungut, so dass sie den Glauben, die Hoffnung und das Vertrauen in die Möglichkeit verloren haben, es könne jemals gut werden, geschweige denn, sie könnten glücklich sein. Sie haben gelernt, dass das Streben nach Glück zu nichts führt. Sie haben innerlich dicht gemacht um sich vor weiteren Enttäuschungen zu schützen. Lieber dauerhaft unglücklich als ein Glück, das wieder zerbricht. Das ist dann zumindest scheinbar kontrollierbar und verleiht das Gefühl von Sicherheit – es gibt keine Überraschungen, jedenfalls keine glücklichen.
 
Auch magisches Denken führt zur Angst vorm Glück.
„Wer glücklich ist, muss mit dem Unglück rechnen.“ „Glück und Glas, wie leicht bricht das.“
Das sind Sprüche, die sich im kollektiven Gedächtnis verankert haben. Wenn wir uns unser Leben anschauen, ist in der Tat viel Wahres dran. Was allerdings nicht wahr ist: Wer glücklich ist, muss mit einer Bestrafung für das Glück rechnen.
Derartige innere Überzeugungen kommen meist aus der Kindheit. Ich selbst erinnere mich an meine Mutter, die immer, wenn ich mich gefreut habe oder glücklich war, mit einem Ausdruck von Vernichtung im Gesicht sagte: „Freu dich lieber nicht zu früh, das nächste Unglück kommt bestimmt!“
Sätze wie diese, gepaart mit der entsprechenden Mimik, prägen sich ein. Manche von uns wurden als Kinder sogar getadelt oder bestraft, wenn sie zu viel Freude zeigten. Andere wieder, haben gelernt, dass man nicht glücklich sein darf oder Freude empfinden und zeigen darf, wenn Mutter oder Vater unglücklich sind. Dann verknüpfen sich Glücksempfinden, Angst, Scham und Schuldgefühle zu einer unheilsamen Melange. Die Angst zieht das Unglück dann im Zweifel sogar an. 
 
Das sind nur einige Annahmen und Ursachen für die Angst vor dem Glück. Sie zeigen wie sehr manche von uns mit dem Unglück verhaftet sind, vor allem dann, wenn wir es schon oft erlebt und am eigenen Leib gespürt haben. Verständlich, dass sich daraus entsprechende innere Überzeugungen entwickeln, die uns daran hindern, das Glück anzunehmen, eben weil es vergänglich ist.
Für alle, die Angst vor dem Glück haben, könnte dieser Gedanke hilfreich sein: Jetzt bin ich glücklich. Und was morgen ist – ich weiß es nicht. Niemand weiß das. Aber diesen Moment kann mir niemand nehmen. Das ist heute meine Haltung und ich gehörte lange zu denen, die glaubten Glück nicht verdient zu haben. Glück dürfen wir haben, ohne es uns verdienen zu müssen.
Je öfter wir den Glücksmomenten bewusst erlauben da zu sein und uns dafür bedanken, dass sie uns widerfahren, desto weiter öffnen wir den Raum für das Glück - es braucht dann keine Angst mehr zu haben, dass es uns Angst macht.
 
 
Angelika Wende

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