Samstag, 11. September 2021

Von Leid sprechen

 



Der Begriff Leid umfasst alles, was uns Menschen körperlich und seelisch belastet. Neben Gründen wie Trennung, Verlust, Kummer, Schmerz, Trauer, Angst und Krankheit, Sterben und Tod, entsteht das Gefühl von Leid immer dann, wenn dem Menschen etwas zu seiner Bedürfniserfüllung fehlt und wenn Lebensentwürfe nicht in Erfüllung gehen. 
 
Als Leid empfinden wir insbesondere:
1. Alter, Krankheit, Einsamkeit und Schmerzen
2. die Nichterfüllung von Bedürfnissen und Erwartungen
3. der Verlust von nahestehenden Menschen
4. die Trennung von sozialen Gruppen
5. äußere Zwänge und Begrenztheiten
 
Leid entsteht durch ein Ereignis und hat immer einen Auslöser. Leid kann uns zustoßen, es kann uns ergreifen und es kann uns von uns selbst und anderen zugefügt werden. Absichtlich oder unabsichtlich. Leid führt zu Schmerz, seelisch und/oder körperlich.
Wenn wir leiden fragen wir: Warum ich? Oder wir fragen uns: Was habe ich getan, dass mir das geschieht? Was habe ich verbrochen, was falsch gemacht, was an mir ist falsch? Warum habe ich das verdient? Bin ich vielleicht ein schlechter Mensch? Werde ich bestraft?
All diese Fragen kenne ich. Und weil ich sie kenne, weiß ich - sie helfen nicht. Weder um das Leid zu schmälern, noch um es leichter zu ertragen. Diese Fragen führen allein dazu, dass wir in den Widerstand gehen, uns selbst bemitleiden, klagen oder wüten. 
 
Wir empfinden Schmerz, den wir nicht haben wollen und nicht aushalten wollen. Wir suchen Schuldige und verteilen Schuld – an uns selbst und andere. Wir tun alles um gegen den Schmerz zu kämpfen und damit wird unser Leid noch größer.  
All das tun wir, weil wir nicht akzeptieren wollen, dass dieses Leid jetzt in unserem Leben ist. Aber es ist jetzt in unserem Leben. Und Punkt. Also können wir aufhören zu fragen und stattdessen anfangen an uns zu arbeiten und das Leid abtragen und es als Herausforderung annehmen. Klingt einfach, ist es aber nicht. Wir fühlen ihn doch, den Schmerz, den das Leid schafft. Wir können doch unsere Gefühle nicht einfach abstellen. Wir haben doch Herzrasen, Magenprobleme, Atemnot und diesen dumpfen Druck auf der Brust. Wir fühlen uns doch ohnmächtig, ängstlich, gekränkt, verletzt, erschüttert und traurig. Und wir haben doch Angst, dass wir dieses Leid nicht überstehen. Das kann man doch nicht wegmachen. Nein, das kann man nicht. Aber man kann es nicht noch schlimmer machen.
Wir können lernen diese Gefühle da sein zu lassen. Sie nicht ins Unermessliche zu steigern, indem wir sie als vernichtend bewerten und wir können lernen, sie nicht durch den inneren Widerstand unseres Egos oder unseres verletzten Inneren Kindes zu füttern und wir können lernen sie auszuhalten. Tun wir das nicht sind wir in unserem Leid untröstlich. Auch das kenne ich. Und was dann kommt ist die Verzweiflung – der schlimmste Affekt.
 
Ja, es ist schwer am Leid nicht zu verzweifeln, nicht daran zu zerbrechen. Es erfordert viel Kraft und unser Umgang damit hat viel mit unserer Persönlichkeit, unserer Biografie, unseren Traumata und unserer Sicht auf das Leben, die Menschen, die Welt und uns selbst zu tun.
Jeder von uns empfindet Leid anders, jeder bewertet Leid anders – auch wenn es von der Qualität her das selbe Leid ist. Jedes Leid ist genauso groß, wie die Schultern, die es zu tragen haben. Der eine zerbricht unter der Last, der andere wächst daran.
Können wir uns das aussuchen, ob wir zerbrechen oder wachsen?
Ja, wir können. Aber es ist verdammt schwer und es erfordert viel von uns. Sehr viel. Vor allem erfordert es unsere Bereitschaft radikal zu akzeptieren was ist. 
 
Wir können lernen, Leid als eine Grunderfahrung des menschlichen Daseins zu akzeptieren. Wir können auch lernen, uns vom Leid zu lösen. Wir können lernen das Leid als eine Herausforderung anzunehmen, die uns das Leben aufgibt.
Ich habe oft gelitten. Ich leide im Moment an der Trennung von einem geliebten Menschen, ich leide an dem, was in unserer Welt gerade an Unfassbarem geschieht und was man Menschen antut, aus reiner Willkür. Mein Schmerz ist groß. Aber ich bin bereit ihn nicht zu füttern. Ich bin bereit die Herausforderung anzunehmen, weil ich weiß, auch das ist das Leben. Ich frage mich nicht mehr: Warum?, weil ich weiß, es führt mich nirgendwohin. Ich weiß, Leid gehört zur Entwicklung des Menschen und damit auch zu der meinen. Also erkenne ich an was ist, ich fange an, an dem zu arbeiten was ist, ich arbeite an mir selbst, auch wenn ich auf diesen verdammten Mist keinen Bock habe. Ich lerne und ich vertraue darauf, dass ich an diesen Herausforderungen wachsen darf. Und ich vertraue darauf, dass mich etwas trägt, das größer ist als ich. 
 
 
"Der höchste Lohn für unsere Bemühungen ist nicht das, was wir dafür bekommen, sondern das, was wir dadurch werden."
John Ruskin

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