Freitag, 19. Februar 2021

Gedanken über die Einsamkeit

                                                                  Foto: A. Wende


Friedrich Nietzsche, der große Einsame schrieb einst: „Des einen Einsamkeit ist die Flucht des Kranken. Des anderen Einsamkeit ist die Flucht vor den Kranken.“
Es gibt immer mehr Kranke in einer kranken Welt und wer ist nun der, der vor wem flieht?
Einsamkeit als Krankheit. Krankmachendes einsam sein. Einsam sein, um nicht krank zu werden, so ist es jetzt für viele Menschen.
 
In der Einsamkeit werden wir mit einer großen Angst konfrontiert - der Angst des Kindes, das sich nicht gesehen, verlassen, mutterseelenallein und ungeliebt fühlt. Das fühlt sich an wie ein Fallen ins Bodenlose, in ständiger Erwartung des Aufschlags, der nicht kommt. Noch nicht? Wann? Wie lange geht das so? Ich kenne das Gefühl. Es hat etwas existentiell Bedrohliches.
Aber die Erwachsene in mir weiß: Leben ist (auch) Einsamkeit und gerade jetzt erleben viele von uns eine nie gekanntes, erzwungenes Alleinsein, das über das Gefühl des Alleinseins hinausgeht, je länger das Alleinsein andauert, hineinfießt in Einsamkeit.
Da ist nichts, was uns ablenkt, nichts, was uns die Möglichkeit gibt in Kontakt mit Menschen zu treten, heraus aus dem engen Kokon hinein in ein offenes menschliches Miteinander. Es gibt keine Cafés, keine Restaurants, keine Sportstudios, keine Gruppen, denen wir uns anschließen können um dem Gefühl der Einsamkeit zu entkommen, und sei es auch nur für Stunden. Der Einsame ist auf sich selbst reduziert. 
 
„Das Leben ist schwer, aber es übt. Und zu den Übungen, die es auferlegt, zu den Fähigkeiten, die es abverlangt, gehört die Einsamkeitsfähigkeit“, schreibt der Philosoph Odo Marquard in: Der Einzelne: Vorlesungen zur Existenzphilosophie.
 
Kann man Einsamkeit üben?
Kann man die Sehnsucht nach Kontakt, nach Berührung, nach gesehen, geliebt, verstanden zu werden, zähmen?
Und zähmt man all das, was bleibt dann vom Menschsein?
Und - ist das Gefühl der Einsamkeit damit gezähmt?
Wie fühlt sich der Einsame dann?
Die Buddhisten sprechen von der kühlen Einsamkeit. Man vermeidet sinnlose Aktivitäten, ist diszipliniert, präsent im Moment und achtsam bei jedem Tun. Man rennt nicht in der Welt der Begierden und der Ablenkungen umher um etwas zu erhaschen oder zu besitzen, was man nicht braucht. Man erwartet keine Sicherheit von anderen, weil man all das in sich selbst findet. Man braucht keinen Bezugspunkt, keine Hand, die hält, keinen, der einen umsorgt und beschützt, weil man all das für sich selbst tun kann. Man ist frei von Gefühlen des Mangels und sich der inneren Fülle bewusst. Der Geist beruhigt sich, ein Gefühl inneren Friedens und eine tiefe Ruhe stellen sich ein.
Wahrlich eine hohe Kunst!
 
Gäbe man sie also auf, die Sehnsucht nach dem Du, gäbe man es auf, das zugeneigte, verstehende Du zu ersehnen, wenn es nur gelänge der inneren Einsamkeit übend zu entfliehen?
Ich weiß es nicht. Wahr ist: Das Ich braucht das Du. Weil das Gefühl über den Verstand nicht zu er lösen ist, schmerzt die Einsamkeit weiter. Ein nagender, chronischer Schmerz, an dem wir kranken und der krank machen kann.
Nimmt man die Einsamkeit an, als Übung eines vorübergehenden Zustandes, hört man auf dem Alleinsein mit sich selbst zu entfliehen und damit wird der Schmerz kleiner.
Die Melancholie bleibt. Aber ihr Schmerz ist feiner, sanfter, leiser. Ein Schmerz, mit dem man leben kann.

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