Mittwoch, 29. Mai 2024

Aus der Praxis: Verrats-Trauma

 

                                                          Malerei: Angelika Wende

 
Die Bindungstheorie besagt, dass wir Menschen von Natur aus das Bedürfnis haben, tiefe und bedeutungsvolle Verbindungen aufzubauen. Bindungen sind notwendig für unser Überleben. Das tief verwurzelte Bedürfnis nach Bindung ist von zentraler Bedeutung für den Aufbau einer langfristigen vertrauensvollen Beziehung mit einem intimen Partner.
Die emotionale Bindung in der Partnerschaft ist ein Halt inmitten der Unwägbarkeiten des Lebens. Die Basis einer Partnerschaft ist Vertrauen. Vertrauen ist die Grundlage für tiefe Verbundenheit. Ohne Vertrauen kann nichts wachsen und gedeihen. Der gegenseitige Vertrauensaufbau stärkt die Beziehung. Je tiefer das Vertrauen, desto gehaltener fühlen wir uns, wir fühlen uns sicher und geborgen mit dem anderen., wir können uns fallen lassen. Ohne Vertrauen ist es nicht möglich, unser Innerstes, unsere Träume und Wünsche, unsere Verletzbarkeit und unsere Ängste mit einem Menschen zu teilen, der versteht und uns in unserem Sosein achtet und annimmt.
 
Untreue zerreißt das Band dieser Bindung.
Sie erschüttert das Fundament der gefühlten Sicherheit und führt zu tiefer Verzweiflung, die den Verratenen mit einem schmerzhaften Gefühl der Trennung und traumatischer Verletzlichkeit zurücklässt.
Wer einen Verrat erlebt, dem wird der Boden unter den Füßen weggezogen. Betrogene Menschen bleiben in einem Gefühl der Fassungslosigkeit, der Ohnmacht, der Wut, des Schmerzes, der Scham, der Schuldgefühle (weil man es nicht bemerkt hat), der Selbstverurteilung und der Trauer zurück und manche bleiben darin stecken. 
 
Untreue-Verrat ist ein zutiefst traumatisches Erlebnis.
In der Praxis erzählte mir eine von ihrem Ehmann seit Jahren betrogene Frau, dass sie mit ihrer Freundin über den Betrug gesprochen habe. Diese meinte, sie soll sich nicht so anstellen, Männer seien eben nicht treu. Es gäbe Schlimmeres.
Meine Klientin war fassungslos. Für sie ist durch den Betrug nicht nur ihre Beziehung, sondern ihre ganze Welt zusammengebrochen, sie fühlt sich verraten, gedemütigt und beschmutzt.Sie hat vollkommen die Orientierung verloren. Ihr Leben erscheint ihr sinnlos, die Jahre ihrer Ehe wie eine einzige Lüge, eine Illusion, die sie sich gemacht hat.
 
Trauma ist nicht das, was passiert, sondern wie ein Mensch auf das, was passiert, reagiert.
Verrat ist eine schwere seelische Verletzung. Ein solches Erlebnis kann traumatisierend wirken, wenn die psychischen Kapazitäten der Betroffenen zur Bewältigung der Situation nicht ausreichen und sie massiv überfordert sind.
Trauma ist eine psychische Ausnahmesituation auf die jede Psyche anders antwortet.
Das Trauma Verrat stellt nicht nur einzelnes traumatisches Erlebnis dar, es ist hochkomplex und vielschichtig. Diese Komplexität entsteht, weil das Trauma nicht endet, wenn der Verrat endet oder man die Trennung vollzogen hat.
Es kann eine Flut emotionaler Reaktionen auslösen, die sich erst im Laufe der Zeit zeigen.
Die Entdeckung des Verrats löst zunächst einen Schock aus, diesem folgt ein breites Spektrum an überwältigenden Emotionen und Reaktionen, die beginnen ein Eigenleben zu führen, wenn der Verrat vom betrogenen Partner oder gemeinsam als Paar nicht verarbeitet werden kann. 
 
Es hat erheblichen Einfluss auf die Verarbeitung des Traumas wie der untreue Partner auf den Schmerz des Verratenen reagiert.
Tut er dessen Gefühle ab oder bagatellisiert er den Betrug z.B. mit Worten wie: „Es war nur Sex, es hatte nichts mit dir zu tun oder: Ich bin ein Schwein, ich mache das nie mehr, verzeih mir bitte“, ist das, wie die Praxis zeigt, nicht hilfreich.
Im Gegenteil, der andere wird in seiner Verletzung nicht ernst genommen. Auch wortreiche Reue, nach dem Motto: „Ich tue es nie wieder“, ist keine Hilfe und meist auch nur wieder ein Verrat. Wer betrogen hat und nur verbal Reue bekundet, dann Vergebung erhält, betrügt meist weiter, er hat Abbitte geleistet, er ist entlastet, ihm wurde verziehen und damit wurde ihm die Erlaubnis gegeben: „Ist okay, mit mir ist es möglich.“
Echte Reue bedeutet, etwas tun, es wieder gut machen wollen.
Wer betrogen hat und es wahrhaft bereut, macht sich an die Arbeit an sich selbst um herauszufinden, warum er das getan hat, was mit ihm selbst nicht in Ordnung ist, warum er das Vertrauen und die Loyalität dem anderen gegenüber bricht und in Kauf nimmt den Partner, die Partnerin tief zu verletzen.
Betrug, sagt man, ist ein Zeichen, dass in der Beziehung etwas nicht stimmt. Das ist u.a. ein Grund, den Menschen nennen, wenn sie fremd gehen und den anderen betrügen. Wenn etwas in der Beziehung nicht stimmt, heißt das: Darüber reden, kommunizieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen oder sich trennen, wenn es keine Lösung gibt.
 
Wer betrügt, sucht keine Lösung, er flüchtet aus der Beziehung.
Er wendet sich ab und andern zu, anstatt ehrlich zu sagen, was ihn stört, unglücklich macht oder emotional belastet. Er gibt dem Partner keine Chance und denkt nur an sich selbst.
Wie sich der Genesungsprozess nach einem Verrat entwickelt, hängt sehr davon ab wie der Verrat vom Verräter empfunden und erklärt wird, und ob er die Bereitschaft hat, an sich selbst zu arbeiten, anstatt den anderen schuldig oder mitschuldig an seinem Verrat zu sprechen, also das Opfer zum Täter, bzw. zum Mittäter zu machen.
 
Traumata durch Verrat sind komplex und haben vielschichtige Folgen.
Jeder Betrug weist andere Merkmale auf, die ein Verrats-Trauma prägen. So kann sich ein Verrat auf frühere traumatische Erlebnisse aufsetzen und deren Auswirkungen verstärken, bzw. retraumatisierend wirken. Das Wissen um die Untreue zerstört nicht nur die Beziehungsgrundlage, es verschärft oder belebt bereits bestehende Traumata wieder. Darüber hinaus spielen die Dynamik innerhalb der Beziehung sowie die Lebensumstände und die emotionalen Belastungen des, der Betrogenen zum Zeitpunkt des Verrats eine entscheidende Rolle bei den nachfolgenden emotionalen Reaktionen.
Verrat ist schmerzhaft und wirkt verstörend auf den ganzen Organismus.
Alles, was wir erleben, wirkt sich auf unseren physischen Körper aus. Dazu gehört auch alles, was emotional in unserer Beziehung passiert. Der physische Aspekt eines Verrats-Traumas wirkt sich auch auf den Körper aus. Wenn Menschen ein Trauma erleben, geht Ihr Körper mit ihnen durch das Trauma. Es sitzt in jeder Zelle.
 
Sex ist die intimste Erfahrung zwischen zwei Menschen.
Es ist der Akt, indem wir uns dem anderen vertrauensvoll hingeben und sehr verletzlich sind. Die sexuelle Verratskomponente kann für Betroffene eine der tiefgreifendsten sein. Sex wird von vielen Frauen als etwas Heiliges empfunden. Der sexuelle Verrat-Anteil ist damit gegeben, dass dieser heilige Bereich massiv verletzt wird. Intime Schutzräume, emotionale und körperliche Grenzen werden ignoriert, überschritten, durchbrochen, verletzt. Der Vertrauensverlust greift tief in die Quelle der Sexualität in der Beziehung ein. Der Partner hat die sexuelle Vertrautheit und heilige Intimität gegen Sex außerhalb der Beziehung eingetauscht. Viele Frauen fühlen sich dadurch entwertet, missacht und zutiefst gedemütigt. Ihr Selbstwertgefühl zerbröselt. Ihre Werte sind ins Wanken gebracht oder zerstört.
Die Reaktionen darauf sind so unterschiedlich wie wir Menschen. Manche Frauen geraten in einen hypersexuellen Zustand, wollen plötzlich mehr Sex oder experimentieren sexuell. Andere fühlen sich innerlich leer und gefühlstaub. Sie haben kein Verlangen mehr nach Sex oder sie empfinden Ekel, wenn sie an Sex mit dem Partner denken, der sie betrogen hat. Wieder andere fühlen Scham. Sie fühlen sich beschämt und beschmutzt und ekeln sich vor dem eigenen Körper. Auch psychosomatische Reaktionen sind keine Seltenheit.
Meine Klientin entwickelte nach dem Verrat eine Reizblase und Herzrythmusstörungen.
Was ein Verrats-Trauma so schmerzhaft macht, ist zudem, dass die betrogene Person die Beziehung zum Täter oft nicht einfach abbrechen kann. Entweder weil sie noch Liebe empfindet, sich rächen will, ihn durch ständige Vorhaltungen betrafen will oder einen Widergutmachungswunsch hegt - in der Hoffnung, der Verräter heilt die Wunde, die er geschlagen hat. 
 
Nicht jede Untreue ist gleich.
Komplexe Traumata entstehen durch äußere Bedingungen, durch eine Kombination verschiedener Faktoren, wie etwa langfristige Geheimhaltung und Täuschung oder wiederholten Betrug mit immer anderen Sexualpartnern. Jede Art von Untreue hat Einfluss auf den psychischen Schaden, den die betrogene Person erfährt. Besonders verheerend ist ein Verrat, wenn der betrogene Mensch, bereits mit anderen Stressoren oder psychischen Problemen zu kämpfen hat. Er wird nun auch noch mit der traumatischen Belastung einer verheerenden Realität konfrontiert.
Die Tiefe und Komplexität eines Verrats-Traumata zu verstehen ist sowohl für den betrogenen als auch für den untreuen Partner von entscheidender Bedeutung, wenn sie den Weg der Genesung gehen, ob gemeinsam oder allein.
Der durch Untreue verursachte emotionale Schmerz entsteht durch den Bruch einer tiefen emotionalen Bindung, ein Bruch, der existentielle Bedrohung und Urängste auslöst, die entstehen, wenn die wesentliche Bindung zum Partner bedroht oder zerstört ist. Dabei geht es nicht nur um den Verrat selbst, sondern auch um die tiefgreifende Auswirkung auf die Beziehungsrealität, die zuvor ein sicherer Boden im Leben war und jetzt eingebrochen ist. Die Folge dieses Bruchs ist nicht nur Vertrauensverlust, die Folgen können das Selbstwertgefühl, die Selbstwahrnehmung, das Selbstempfinden, das Selbstbewusstsein, die Indentität, die emotionale und körperliche Gesundheit und die gesamte Vergangenheit der Beziehung erschüttern und in Frage stellen.
Mit diesem Trauma klarzukommen schaffen nur wenige. Es ist gut, sich professionelle Unterstützung zu holen, um nicht im Schatten des Traumas stecken zu bleiben. 
 
 
Wenn Du Unterstützung wünscht, ich bin da.
Kontakt: aw@wende-praxis.de
Malerei: A.Wende

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen