Foto: pixybay
Montag, 24. Juni 2024
Overload
Donnerstag, 20. Juni 2024
Ein verletztes Herz
"Ich kann mein Herz nicht mehr öffnen, weil ich verletzt wurde."
Denke und glaube ich so, bleibe ich an meinem Schmerz haften. Ich bleibe an denen oder dem haften, der ihn mir zugefügt haben. Ich füge mir selbst über den Schmerz hinaus Leid zu. Ich mache aus Schmerz Leiden, im Glauben mir eine schützende Rüstung um mein Herz legen zu müssen, auf dass mich nichts und niemand mehr verletzt. Aber, in dieser Rüstung lebt es sich nicht gut. Sie ist hart und eng. Sie macht Atmen schwer, Bewegung schwer, trennt mich von all dem, was mir nah kommen will. Sie macht verdammt allein. Aus Selbstschutz wird Selbstquälerei.
Es ist schwer sich aus der der Verhaftung mit einem alten Schmerz zu herauszulösen, schwer die schützende Rüstung abzulegen im Wissen – jetzt bin ich wieder verletzbar. Schmerz ist wieder möglich. Neuer Schmerz. Manchmal kann es sogar soweit kommen, dass die Rüstung so vertraut oder sogar so liebgeworden ist, weil sie mir als Schutz für mein verletztes Herz gute Dienste leistet. Das Herz aber wird leiden. Es wird an der Enge langsam ersticken. Es wird an Einsamkeit, an Verbitterung, an Resignation erkranken.
Um die Rüstung abzulegen und zu gesunden, bedarf es der Verantwortungsübernahme – und zwar für das eigene Leben. Und das bedeutet - uns zu öffnen für das Leben, wieder und wieder, auch wenn wir verletzt sind und auch wenn wir die Gefahr eingehen wieder verletzt zu werden.
„Das Leiden, die Not gehört zum Leben dazu, wie das Schicksal und der Tod“ , schreibt Viktor Frankl.
Es gibt immer schmerzvolle Dinge und Umstände, denen wir als Mensch unausweichlich begegnen. Es gibt das Schicksal, das manchmal ein Arschloch ist. Es gibt so vieles, was nicht in unserer Hand liegt. Es gibt Erfahrungen, die uns alles abverlangen und denen wir uns stellen können oder nicht. Es gibt Dinge, die unveränderbar sind, egal wie sehr wir uns dagegen wehren.
Wie wir damit umgehen, wie wie wählen, allein das liegt in unserer Hand. Was wir damit machen, liegt in unserer Hand. Das entscheiden wir selbst. Jeden Tag haben wir neu die Wahl, angesichts des Schmerzes, den wir fühlen zu resignieren – oder aus dem Schmerz heraus unser Leben neu zu gestalten, indem wir den Sinn im eigenen Leiden zu erkennen suchen, indem wir uns fragen:
Aus welchem Grund bin ich in dieser Lage?
Was will das Leben jetzt von mir?
Worin könnte meine Aufgabe, meine Herausforderung liegen?
„Es ist das Leben, das uns die Fragen stellt, wir haben zu antworten und diese Antworten zu ver-antworten“, Nichts anderes kommt uns Menschen zu!“, schreibt Frankl weiter.
Was heißt das?
Es heißt die Herausforderung anzunehmen indem wir uns zu fragen: Wozu fordert mich mein Schmerz heraus?
Und: Welche Antwort will ich geben?
Will ich mein Leid vermehren oder es wandeln?
Sich wandeln hat einen Preis, nämlich den die scheinbar sichere Rüstung abzulegen, den Schmerz loszulassen, die Verbitterung und die Resignation loszulassen und aufhören zu sagen: "Ich kann mein Herz nicht mehr öffnen, weil ich verletzt wurde." Auch ein verletztes Herz kann wieder ganz werden, nicht mehr ganz so ganz wie es einmal war, aber mutiger, weicher, wissender, weiser, mitfühlender, ehrlicher und wahrhaftiger sich selbst und damit anderen gegenüber.
Wir können die Rüstung ablegen und uns fragen:
Wofür will ich mein Herzblut geben?
Was will ich aus meinen Herzen heraus in die Welt geben?
Samstag, 15. Juni 2024
Tiefes Verständnis
Foto: A.Wende
Mittwoch, 12. Juni 2024
Ein offener Geist
Foto: pixybay
Montag, 10. Juni 2024
Warum ist es so schwer im Jetzt zu bleiben?
Foto: Pixybay
Donnerstag, 6. Juni 2024
Aus der Praxis: Schuld im Zusammenhang mit emotionalem Missbrauch
Malerei: A.Wende
Wie definiere ich den Begriff emotionalen Missbrauch?
Ich spreche von Missbrauch da, wo ein Mensch nicht respektiert, abgewertet, erniedrigt, gedemütigt, verwirrt, manipuliert, hintergangen, getäuscht, verraten und betrogen wird.
Wie sehe ich das Thema Schuld im Zusammenhang mit emotionalem Missbrauch?
Die meisten Menschen, die emotionalen Missbrauch erfahren haben oder erfahren, haben keine oder nur eine geringe Chance sich gegen den Missbraucher zu wehren, wenn sie nicht rechtzeitig, bevor sich der Missbrauch einschleicht, die Red Flags erkennen und rennen.
Sie bleiben aus Zuneigung und Liebe zum anderen. Mit der der Zeit werden sie emotional destabilisiert, mental geschwächt, hilflos und, ohnmächtig. Sie müssen ihre Bedürfnisse, ihren Schmerz und ihren Zorn tief unterdrücken, um weitere Verletzungen oder Eskalation zu vermeiden, was wiederum dazu führt, dass der letzte gesunde Rest an Selbstwertgefühl und Selbstschutz zerbröselt.
Wie oft höre ich in der Praxis: „Ich bin ja selber schuld, ich habe es mit mir machen lassen.“ Oder: „Ich habe nichts Besseres verdient, wer will mich denn schon?“
Betroffene haben „ES“ mit sich machen lassen. Das ist wahr. Wahr ist auch: Es gibt tiefliegende psychische Ursachen und Gründe warum sie ES mit sich machen ließen, derer sich die meisten Missbrauchsopfer aber nicht bewusst sind, eben weil sich Gründe und Ursachen dem Bewusstsein entziehen.
Was aber niemals sein darf: Dass diese Menschen sich die Schuld geben und sich dafür schämen, für das Leid, das man ihnen angetan hat. Damit übernehmen sie etwas, was nicht das ihre ist: nämlich die Schuld und die Scham, die in Wahrheit zum Täter gehören. Sie übernehmen die Verantwortung für das, was nicht in ihrer Verantwortung lag.. Damit sprechen sie den Täter frei und machen sich selbst zum Täter - an sich selbst.
„It takes two für Tango“, auch das ist wahr.
Aber wer von uns erwartet beim Tango, dass ihm der Tanzpartner aus purer Lust, Ignoranz oder aus Grausamkeit ständig auf die Füße tritt und immer weiter macht, auch wenn wir vor Schmerz laut aufschreien?
Nun kann man sagen:
Wer den Tanz nicht selbst beendet wird weiter leiden.
Stimmt.
Wer den Tanz nicht beendet, kann es nicht, denn könnte er es, würde er es tun.
Stimmt.
Selber schuld! Nein nicht selber schuld! Schuldumkehr!
Schuldumkehr das machen Narzissten, das machen unreflektierte und unreife Menschen, die keinerlei Verantwortung kennen und tragen wollen, und das machen viele Menschen wenn es um emotionalen Missbrauch geht mit sich selbst und sie müssen es auch von Außenstehenden erfahren.
Du bist ja selbst schuld, warum verlässt du ihn, sie nicht? Warum bist du so blöd, so naiv, so blind, so schwach usw. gewesen? Warum hast du dir das gefallen lassen?
Die Schuldumkehr in der Selbstanklage klingt dann so: „Ich bin wertlos, mich kann man nicht lieben, ich war nicht lieb genug, ich habe ihn/sie nicht richtig geliebt, ich bin zu schwach“, und und und ..
Der dümmste und menschenverachtendste Spruch zum Thema Schuldumkehr: Der Missbraucher ist nur dein Spiegel. Noch krasser kommt ein Spruch aus der spirituellen Fraktion daher: Die Seele wollte oder will das erleben.
Solche Sätze kommen von Menschen, die sich ihre eigene Welt bauen um die Wahrheit über allzu Menschliches - und dazu gehört auch das Böse und die Schuld - dahin zu biegen, wo es für sie konsumierbar ist.
Wahr ist: Es ist eine zum Himmel schreiende Ignoranz und eine an Gleichgültigkeit und Dummheit grenzende Verleugnung gegenüber dem Leid und der Grausamkeit, die Menschen anderen Menschen zufügen. Es gibt das Böse und wo es zuschlagen kann, wird es zuschlagen. Und nein, dann habe ich es nicht eingeladen. Er, du, es, wir, sie haben es nicht eingeladen.
Jeder Mensch verdient Respekt, Wertschätzung, Ehrlichkeit und achtsame Behandlung.
Jeder, auch jene Menschen, die ihre Grenzen nicht kennen, die zu sensibel, zu gutmütig, zu naiv, zu empathisch sind oder traumatische Erlebnisse hatten, die ihren Selbstwert geschwächt oder zerbröselt haben, verdienen all das, wenn sie eine Beziehung eingehen.
Niemand stellt sich freiwillig und bewusst einem emotionalen Missbraucher zur Verfügung und sagt: „Mit mir ist es möglich!“
Es ist möglich, aber die Erlaubnis des Möglichen geschieht unbewusst.
Wird ein Mensch emotional missbraucht, ist er nicht schuld daran. Schuld trägt der, der den Missbrauch ausübt.
Sehr viele Menschen, die emotionalen Missbrauch erleben oder erlebt haben, reagieren ihre unterdrückte Wut nicht am Täter ab, sie bestrafen sich selbst für das, was ihnen angetan wurde, so wie sie es in der Kindheit gelernt haben. Sie werden krank, abhängig von Tabletten, Alkohol oder Drogen oder sie leiden an Ängsten und Depressionen oder sie ziehen sich aus der Welt zurück.
Sie nehmen das alles in Kauf, um ja niemals den Täter zu beschuldigen. Immer suchen sie die Schuld bei sich selbst.
Ich höre jetzt über 16 Jahre Jahre als Coach meinen emotional missbrauchten KlientInnen zu und muss feststellen, dass sie ausnahmslos alle misshandelte und auf irgendeine Weise missbrauchte Kinder waren, aber ebenso wie sie diese Wahrheit leugnen und ihre Eltern in Schutz nehmen, nach dem Motto: „Sie konnten ja nicht anders“, leugnen sie die Schuld des missbrauchenden Partners und suchen sie beschämt bei sich selbst und ihren eigenen seelischen Defiziten.
Heißt: Sie selbst hätten anders gekonnt und die armen Eltern nicht.
Sie selbst hätten anders gekonnt und der arme Missbraucher nicht.
Sehr unheilsam dieses Denken.
Die Verleugnung des eigenen in der Kindheit erfahrenen Leids, ebenso wie die Verleugnung des im Erwachsenalter erfahrenen Leids durch andere ist nicht nur unheilsam, sondern gefährlich für die Opfer und für die Täter gleichermaßen.
Nur, dass mich die Täter an dieser Stelle gerade nicht interessieren.
Mich interessieren all die Menschen, deren Seelen kaputtgemacht wurden und kaputt gemacht werden, die sich nicht wehren können, weil sie es nicht können.
Menschen, die als Kinder misshandelt und missbraucht wurden, wird sogar in Therapien oft geraten ihren Misshandlern zu vergeben, auch denen, die später das Gleiche mit ihnen machen wie die Misshandler der Kindheit. Aber, und das weiß ich aus meiner Erfahrung mit vielen Menschen: Das Vergeben heilt keine Wunden.
Wunden heilen, wenn überhaupt, durch das Zulassen der schmerzhaften Wahrheit, durch das Zulassen und das Durchleben der unterdrückten und verleugneten Gefühle, nicht aber durch Selbstbeschuldigung und angeratene Vergebung - das ist Selbstverrat.
Um zu heilen, müssen die Wunden aufgedeckt werden und nicht verborgen bleiben.
Um zu heilen muss nach der Ursache gesucht werden, warum der Missbrauch zugelassen werden konnte. Was in einem selbst es möglich machte.
Um zu heilen, muss die Schuld denen zurückgegeben werden, die sich schuldig gemacht haben.
Selbstverrat führt allein dazu, dass sich Opfer von emotionalem Missbrauch auch wenn der Missbrauch beendet ist, selbst genauso mies behandeln wie sie von ihrem Missbraucher behandelt wurden.
Damit hört das Leiden niemals auf.
Der Weg der Heilung bedeutet für missbrauchte Menschen: Selbstermächtigung und nicht Selbstanklage.