Sonntag, 12. Mai 2024

Mutterhäufchenelend

 

                                                                         Foto: A.W.

 
„Er könnte es viel leichter haben,“ sagt sie, vor mir sitzend wie ein Häufchen Elend. Mutterhäufchenlend, schießt es mir durch den Kopf. „Aber, wissen sie, er hat es sich immer schwer gemacht. Er ist nie den einfachen Weg gegangen, immer habe ich das Gefühl, dass er sich die Steine selbst aussucht, die ihm im Weg liegen. Er lässt sich einfach nicht helfen, dabei weiß ich doch wie es besser wäre für ihn.“
Mit einem Blick, als könne ich diejenige seine, die ihrem Sohn die Steine jetzt sofort mit einem Zauberspruch aus dem Weg räumt, sieht sie mich an, hilflos, zugleich verzweifelt fordernd.
Ich lehne mich zurück, hole mir Rückendeckung an der Stuhllehne. „Warum, glauben sie, lässt er sich nicht von Ihnen helfen?“.
Sie nestelt an dem altmodischen Spitzentaschentuch herum, das sie die ganze Zeit in den Händen hält, zu einem kleinen weißen Ball formt, ihn wieder aufzurollt um dann von vorne zu beginnen.
„Ich weiß es nicht, sagen sie es mir!“
Ich wiederhole die Frage: Warum ?
„Warum?“ Mit einem harten „Pft“ bläst sie Luft über die Lippen. Sie flatterten wie ihre Angst, die in Wellen zu mir herüber rollt, seit sie den Raum betreten hat.
„Mein Gott, das weiß ich doch nicht! Ich sage ihm wie er es machen soll, er wird aggressiv und macht dann genau das Gegenteil.“
„Okay, sie wissen also, wie er es leichter haben könnte“, antworte ich.
„Ja, das weiß ich. Wir haben ihm doch alles auf dem Silbertablett serviert, bricht es aus ihr heraus. Schon als er klein war, hat er alles bekommen, was er wollte, wenn es Probleme gab, habe ich sie gelöst. Sein Vater war ja nie da. Ich habe mein Bestes getan. Und das ist jetzt der Dank, er wendet sich von mir ab.“
Sie weint. Dann kommt es, dieses: Ich habe als Mutter versagt, das sie vergeblich in ihr Taschentuch gerollte hat.
Ich sehe sie an und fühle das Versagen, weil ich es kenne, weil ich es oft höre, das vermeintliche Versagen der Mütter, wenn das Leben der Kinder anders verläuft als sie es sich vorgestellt haben. Das Mutterhäufchenlend ist weit verbreitet, als gehöre es zum Muttersein unabdingbar dazu.
„Die Mutter ist immer schuld, wenn was schiefläuft“, weint sie.
Ich atmete tief durch: „Woher wollen sie das wissen?“
„Na, weil es so ist.“
„Und woher wollen sie das wissen? Sind sie der liebe Gott?“
Sie faucht mich an: „Was hat denn das mit Gott zu tun?“
"Nun, wenn sie Gott wären, dann würden sie es sicher wissen. Gott, sagt man doch, sieht alles und weiß alles. Und da sie nicht Gott sind, woher wollen sie alles wissen?“
Sie klammert sich an ihr Taschentuch. „Jetzt weiß ich gar nichts mehr.“
„Sehen sie, sie wissen es nicht.“
"Nein, ich weiß es nicht, aber das nützt mir nichts. Ich bin schuld!"
„Doch“, erwidere ich, „das könnte ihnen sehr viel nützen.“
„Und was?“
Ich spüre Wut in ihr hoch kochen. Sie steigt aus ihrem Bauch in den Hals und schärft ihre Stimme. „Verdammt ich will meinem Sohn nützen und nicht mir!“
Ich beuge mich langsam zu ihr vor.„Kann es sein, dass Sie ihm zu viel Druck machen?“
Sie sieht mich verblüfft an.
„Wieso? Ich will es doch nur für ihn gut machen.“
Sie schweigt. Wischt sich mit dem Taschentuch die Tränen vom Gesicht. In ihren Augen sehe ich ein langsames Begreifen.
„Hm, meinen Sie, ich sollte ich ihm einfach mal vertrauen.“
„Ja“, antworte ich, sie könnten ihm vertrauen.“

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