Dienstag, 2. Dezember 2025

Was in Beziehung krank wurde, kann nur in Beziehung heilen

 



 
„Es ist die Beziehung, die heilt, die Beziehung, die heilt, die Beziehung, die heilt – mein professionelles Rosenkranzgebet.“
Dieser Satz stammt aus dem Buch des Psychoanalytikers Irvin D. Yalom mit dem Titel „Die Liebe und ihr Henker“. Ich habe alle seine Bücher gelesen. Jedes einzelne hat mich viel gelehrt über Menschen, ihre Sorgen, ihr Leid, ihre Kämpfe und über die Arbeit mit Menschen. Vieles was er an Fällen beschreibt erkenne ich in meiner eigenen Arbeit wieder. Yalom ist ein außergewöhnlicher Schriftsteller und ein außergewöhnlicher Therapeut, mit unorthodoxen Methoden. Wenn er schreibt: „Es ist die Beziehung, die heilt", meint er damit die Beziehung zwischen Klient und Therapeut. 
 
Man weiß, dass diese Beziehung für den Therapieerfolg von hoher Bedeutung ist
Nur ein sicheres, tragendes Fundament aus Wertschätzung, vorurteilsfreier, nicht bewertender Annahme, Achtsamkeit, Vertrauen, Empathie und gegenseitigem Respekt ermöglicht es dem Klienten, sich vollkommen zu öffnen, intime Details preiszugeben und an schwierigen Themen zu arbeiten. Manche Menschen erfahren sogar zu ersten Mal in ihrem Leben eine gesunde Beziehung, die dann, aufgrund dieser heilsamen Erfahrung der positiven Interaktion, als Modell für künftig gesündere Beziehungen im weiteren Leben dienen kann. Eine starke therapeutische Allianz, die als partnerschaftliche Zusammenarbeit wahrgenomen wird, ist sogar entscheidend für tiefgreifende und nachhaltige Veränderungen.
 
Irvin D. Yalom betont in seinen Büchern immer wieder die offene und authentische therapeutische Beziehung in der der Therapeut eine Rolle spielt, die der eines guten Freundes ähnelt. Er sieht diese enge Verbindung als zentral für die Überwindung von Problemen an. Im Gegensatz zu dem, was man angehenden Therapeuten in der Interaktion mit Klienten beibringt - nämlich professionelle Distanz zu wahren, plädiert Yalom für Authentizität und Offenheit. Er übt Kritik an der rein „anonymen“ Therapie. Er weicht von der traditionellen, anonymen Rolle des Therapeuten ab und betont den unschätzbaren Wert einer persönlichen, menschlichen Interaktion. Der Therapeut sollte sich öffnen, um eine echte Verbindung zu schaffen. Das kann bedeuten, auch seine eigenen Erfahrungen zu teilen, um dem Patienten zu helfen, seine Probleme aus einer neuen Perspektive zu betrachten. 
Für Yalom ist Therapie Begegnung auf Augenhöhe.
Und so sehe ich das auch. Was in Beziehung krank wurde kann nur in Beziehung heilen und eine Beziehung ist nur dann heilsam, wenn sich zwei Menschen auf Augenhöhe begegnen. Der Klient, der vor mir sitzt ist kein Fall, er ist ein Mensch wie ich.
 
 
„Kenne alle Theorien, beherrsche alle Techniken, aber wenn du eine menschliche Seele berührst, sei einfach nur eine weitere menschliche Seele."
C.G.Jung
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de
 
Zur besseren Lesbarkeit habe ich das generische Maskulinum verwendet. Die verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich auf alle Geschlechter.

Sonntag, 30. November 2025

Einen Abschluss machen

 


Am Jahresende tragen viele von uns weit mehr Belastungen mit und in uns herum, als wir uns vielleicht bewusst sind. Das können sein: Längst überfällige Entscheidungen, unerledigte Aufgaben, anhaltende Themen und Probleme, für die wir bisher keine Lösung finden konnten, nicht abgeschlossene To-Dos, Türen, die wir längst schließen sollten und die wir noch immer halb offen stehen lassen.
Diese mentale Last sitzt nicht nur in unserem Geist, sie raubt uns Energie und stresst unser Nervensystem.  Im Dezember neigt sich das Jahr dem Ende zu. Ich finde, ein guter Monat um alles, was unerledigt ist, so gut wie es uns möglich ist, zum Abschluss zu bringen, innezuhalten und uns zu fragen: 

Was will ich nicht ins nächste Jahr mitnehmen?

Was will ich jetzt abschließen?

 

Dazu sind folgende Fragen hilfreich:

 

Was oder wer raubt mir Energie?

Was oder wer bringt mich immer wieder aus dem Gleichgewicht?

Für wen oder was habe ich keine Kapazitäten mehr frei?

 

Welches Projekt macht keinen Sinn mehr, weil es bis jetzt, trotz meiner Anstrengungen, keinen Erfolg hatte?

Welches Ziel, für das ich vergeblich gekämpft habe, darf ich sein lassen?

Was ist die größte Illusion, die ich mir mache?

Worauf warte ich schon zu lange vergeblich?

 

Was oder wer interessiert mich nicht mehr, auch wenn ich denke es oder er müsste mich noch interessieren?

Was will ich nicht mehr tolerieren?

Was kann ich ausmisten, was nicht mehr zu mir und meinem jetzigen Leben passt?

Was oder wem bin ich entwachsen?

Welche Gewohnheiten dienen mir nicht mehr oder schaden mir sogar?

Welche längst überfällige Entscheidung will ich treffen?

Wie würde es sich anfühlen, wenn ich dies oder das sein lasse?

 

Wenn du all diese Fragen beantwortet hast, könntest du dich fragen

Was würde mich jetzt interessieren?

Was könnte ein Funke sein, durch den ich mich wieder lebendiger und leichter fühle?

 

Finden wir heraus, was sich gut für uns anfühlt, und lassen wir den unheilsamen Rest hinter uns. Klarheit entsteht, wenn wir aufhören, uns selbst zu belügen, uns unserer selbst bewusst werden und zielgerichtet zu handeln und dazu gehört auch Dinge endgültig abzuschließen, um den Raum zu öffnen, damit Neues in unser Leben treten kann.

 

 

 

Samstag, 29. November 2025

Jetzt reiß dich doch mal zusammen!

                                                                   Malerei: A.W.


Wenn jemand in einer schweren emotionalen Situation ist, ist eine Phrase wie: „Jetzt reiß dich doch mal zusammen!“, weder hilfreich für den Betroffenen, noch zeugt sie vom Versuch Verständnis zu zeigen. Vielmehr zeugt sie von einem Empathiedefizit und weckt den Eindruck, dass die Gefühle des anderen nicht ernst genommen werden.

Jeder Mensch hat seine eigenen Kämpfe und Herausforderungen. Wer vorschnell zu solchen Phrasen greift, neigt dazu den individuellen Kontext und die emotionale Befindlichkeit und Bedürfnisse anderer zu übersehen. Er geht von sich selbst und seinem begrenzten Denkrahmen aus, dem es nicht gelingt über das Eigene hinauszublicken.

Wer sich zusammenreißen soll, hat das in den meisten Fällen längst lange und oft genug getan. Irgendwann kommt der Punkt, an dem sich das Zusammenreißen erschöpft, dann, wenn die Seele gewisse Situationen oder emotionale Belastungen, wenn sie lange genug anhalten, nicht mehr ertragen kann. Anstatt Unterstützung anzubieten, Betroffene aufzufordern, sich mal zusammenzureißen, tut nichts für sie, außer, dass es den emotionalen Druck erhöht.

Menschen, die über längere Zeiträume hinweg chronischem Stress oder großen Belastungen ausgesetzt sind, können sich irgendwann nicht mehr zusammenzureißen, sie sind seelisch am Limit. Chronische Belastungen können zu einer Erschöpfung der emotionalen Ressourcen führen, was das "Zusammenreißen" nahezu unmöglich macht. Die Fähigkeit zur Selbstregulation ist aufgebraucht. Ein Zustand physischer und emotionaler Erschöpfung, der oft durch anhaltenden Stress verursacht wird, kann Menschen daran hindern, ihre Emotionen zu regulieren und Lösungen zu finden. Auch Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, haben oft Schwierigkeiten sich in belastenden Situationen zusammenzureißen.  Bestimmte psychische Erkrankungen, wie Angststörungen oder Depressionen, können die Fähigkeit zur emotionalen Regulation erheblich beeinträchtigen. Menschen mit Zwängen und Angstzuständen fällt es schwer sich selbst zu beruhigen, was das Zusammenreißen erschwert. Bei Depressionen kann es zu einem Gefühl der Antriebslosigkeit und tiefer Hoffnungslosigkeit kommen, was das Zusammenreißen unmöglich macht. Und das sind nur einige Beispiele.
In solchen Fällen ist professionelle Unterstützung notwendig, um die emotionale Stabilität wiederherzustellen.

All das sehen jene, die vom Zusammenreißen sprechen nicht.
Sie gehen von sich selbst aus. Sie argumentieren aus einem Ich heraus, das all das nie erfahren hat und unfähig oder derart ignorant und von Hochmut besselt ist, dass es ihm nicht gelingt über die eigene Erfahrung und das eigene begrenzte Bild von Welt hinauszudenken. Meist haben diese Menschen wenig Kontakt mit unterschiedlichen Lebensrealitäten oder es fehlt ihnen schlicht und einfach der Wille den anderen als das zu sehen, was er ist – ein eigener Mensch mit eigenen Gefühlen und keine Blaupause für das Verhalten, die Entscheidungen, die Strategien, Lösungsmöglichkeiten oder die Entwicklung eines Individuums.

Jetzt reiß dich doch mal zusammen!
Mit Phrasen wie diesen sollte man sich zurückhalten.

 

Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Donnerstag, 27. November 2025

Einzigartig und nicht ersetzbar

 



Wenn es dir seelisch nicht gut, ist die vorweihnachtlichen Zeit nicht einfach zu ertragen. Wenn du einen Verlust erlitten hast, kann diese Jahreszeit deine Trauer verstärken. Die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit, die vertrauten Rituale, die Tage an denen Freude und Leichtigkeit zu deinem Leben gehörte. All die Echos von dem, was verloren ist, machen das Herz schwer. Da ist Sehnsucht, Traurigkeit, Einsamkeit, Angst, Wut, Erschöpfung ja vielleicht sogar Scham darüber, dass du dich nicht dankbar fühlst, für das was noch da ist, trotz dem Verlust. Du könntest sich von den Menschen getrennt fühlen, die dich nicht verstehen oder deine Gefühle nicht nachempfinden können. Du könntest dich noch mehr in dich selbst zurückziehen, weil du dich nicht verbunden fühlst oder weil du denkst, so wie du dich fühlst mag keiner in deiner Gesellschaft sein. Du verkriechst dich vielleicht immer öfter drinnen während draußen die Menschen auf den Weihnachtsmärkten feiern. Du fürchtest dich vielleicht vor den Feiertagen und fühlst dich wie ein Alien, der mit all dem nichts mehr zu tun hat. Dir wird wieder schmerzhaft klar: Das was war ist vorbei und mit dem was war, ist ein Teil von dir verschwunden. Und so ist es auch.

Wenn wir einen geliebten Menschen verlieren, ist es nicht nur nicht der Verlust dieses Menschen, der uns zutiefst erschüttert. Wir verlieren den Teil in uns, den nur dieser Mensch in uns zum Leben erwecken konnte und der nun verschwunden ist. Und je mehr Zeit vergeht, desto mehr wird uns bewusst, wie wahr das ist. Es gab Seiten an uns, die nur dieser Mensch kannte. Seiten, die nur dieser Mensch aus uns herausholte. Seiten an uns, die wir nur diesem Menschen gegenüber zeigen konnten. Seiten an uns, die sich nur im Raum des vollkommenen Vertrautseins entfalten konnten. Wenn dieser Mensch nicht mehr da ist, verstummen diese Seiten in uns. Wir vermissen nicht nur diesen Menschen, sondern auch den Menschen, der wir waren, an seiner Seite. Und wir spüren es in den kleinen Momenten. Wenn wir Worte nicht mehr sagen, die wir gesagt haben, wenn wir Gedanken für uns behalten, die wir in Worte fassen konnten, wenn wir Gefühle unterdrücken, die wir offenbart haben, wenn wir Erinnerungen nicht mehr teilen können. Wir vermissen den Teil in uns, der sich nur mit diesem Menschen zeigen und lebendig sein konnte. Dieser Teil unserer Selbst ist mit diesem Menschen verloren. Wir vermissen nicht nur diesen Menschen, wir vermissen Teile unserer selbst. Und wir wissen nicht wie wir sie wieder zum Leben erwecken können.
Und vielleicht ist das auch gar nicht die Aufgabe.
Vielleicht ist es okay, sie dort zu lassen, wo sie einst waren.
In liebevoller Erinnerung an diesen Menschen und an uns, die wir mit ihm waren. Einzigartig und nicht ersetzbar.

Es ist okay. Nichts was mit deiner Trauer einhergeht bedeutet, dass du in dieser Zeit etwas falsch machst. Es gibt keinen richtigen Weg, die vorweihnachtliche Zeit zu erleben, sei einfach ehrlich, mitfühlend und gütig zu dir selbst. Ich weiß, einfach ist es nicht. 

 

Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de
 

Mittwoch, 26. November 2025

Das Glück in der Einsamkeit

 



Heute morgen lese ich in Facebook: Immer mehr Menschen sind alleine glücklich. Sie wollen keine Beziehung mehr. Sie feiern ihr Alleinsein, manche romantisieren sogar die Einsamkeit, wobei die Meisten das eine mit dem anderen verwechseln.
Was ich in der Praxis täglich erlebe spricht andere Worte. Immer mehr Menschen, unabhängig vom Alter, vereinzeln und immer mehr Menschen leiden unter schmerzhafter Einsamkeit.
Die Zahl der Singlehaushalte hingegen steigt. Dies untermauert oben genannte Behauptung. Aber nur insofern, dass immer mehr Menschen allein leben. Ob sie das feiern, wage ich zu bezweifeln. Fakt ist: Viele Menschen werden immer beziehungsunfähiger. Die einen weil sie zu viele Enttäuschungen erlebt haben und sich vor neuen Verletzungen schützen, die anderen weil ihnen Freiheit, Selbstverwirklichung und Erfolg im Leben wichtiger sind als eine Beziehung.
Wenn ich beides genauer betrachte und beide Abwehrformen in ihrer Entstehung zurückverfolge, stelle ich fest, dass sie letztlich einem Bedürfnis nach Liebe entspringen, das sich gebrochen hat an den Erfahrungen von Enttäuschung, Zurückweisung, Schmerz, Trennung, Verlust. Angesichts dessen flüchten die einen in unbrauchbare Lebensphilosophien - was bleibt noch anderes übrig als die Einsamkeit in den Himmel zu loben? Während die anderen die Flucht nach vorne in die grandiose Besonderheit und Vereinzelung auf Kosten liebevoller Beziehung antreten. Phantasien der eigenen Großartigkeit sollen die Einsamkeit kompensieren. Ob diese Strategien auf Dauer erfüllend sind ist zu bezweifeln. Möglicherweise könnte das Glück in der Einsamkeit immer mickriger ausfallen.

Dienstag, 25. November 2025

Man kann nichts verändern, was man nicht akzeptiert und was nicht nahe genug ist.


                                                          Art: Louis Bourgeois


Jetzt arbeite ich seit Monaten an mir selbst und mir geht es schlechter, sagt ein Klient. Ich höre an dieser Stelle auf. Er will damit demonstrieren: Schauen Sie, was dabei herauskommt, wenn ich mich wirklich auf alles einlasse, was ich verdrängt habe. Was die Frage impliziert: War es nicht besser zu verdrängen?

 

War es das?

Der Klient hat sich gewöhnlich damit begnügt sich zu beklagen, vor seinen Ängsten wegzulaufen und seine Probleme mit Alkohol zu betäuben.

Indem er die innere Arbeit macht, muss er jetzt den Mut und die Ehrlichkeit sich selbst gegenüber aufbringen seine Aufmerksamkeit auf die Erscheinungen seiner Probleme zu richten. Seine Probleme müssten, um sie zu lösen, nicht abgelehnt, sondern ein würdiges Gegenüber werden aus dem er Wertvolles schöpfen kann damit es ihm mit der Zeit besser geht. All das Verdrängte, alle Selbstlügen, die so lange unterdrückt wurden, brauchen Kontakt, sie brauchen Nähe, Mitgefühl und Liebe. Um dahin zu gelangen braucht es Bereitschaft auch Unangenehmes auszuhalten und die Einsicht, dass das, was jahrzehntelang im Argen lag, nicht in kurzer Zeit anders wird und dass es mühsam ist all das zu be-und zu verarbeiten.

 

Wann immer wir uns lost oder blockiert fühlen, sind wir im Widerstand gegen das Leben, das eine neue Version von uns verlangt, weil die alte Version nicht mehr unserer Realität entspricht.  Wir sind im Widerstand gegen eine tiefe innere Wahrheit, die wir längst wissen, aber nicht sehen wollen und schon gar nicht akzeptieren wollen.



Der Klient in der Mitte seiner Sechziger meint, er müsse unbedingt noch etwas Großes erreichen. Er hat Ideen, er macht Pläne und Konzepte, aber er kommt nicht ins Handeln. Immer wenn es an die Umsetzung geht ist er blockiert. Er tut dann nichts und macht weiter Pläne, ständig getrieben von dem Gedanken: Ich muss noch etwas Großes erreichen, bevor meine Zeit abläuft.

Dabei ignoriert er, dass es ihm an Vielem fehlt um das "Große" umzusetzen. Er ignoriert, dass er eigentlich gar nicht die Disziplin, die emotionale Stabilität und die Ausdauer hat um kontinuierlich dran zu bleiben.

Er ignoriert, dass er wenig Chancen mit seinem Projekt hat, weil der Markt übersättigt ist und es viele Jüngere in diesem Bereich gibt, die sehr erfolgreich sind.

Er weiß im Grunde – es ist für das „Große“ zu spät. 

Er will es aber nicht sehen. Er drückt sich vor der Bewältigung der anstehenden Entwicklungsaufgabe. Er will nicht (ein) sehen, dass das Leben jetzt etwas anderes von ihm will – nämlich sich sich selbst zuzuwenden und das „Große“ in sich selbst zu entdecken, um innere Ruhe, Zufriedenheit, Wertschätzung für sich selbst und Gelassenheit zu finden. Er jagt einer Illusion hinterher, die mit der Version seiner selbst, die er zu diesem Zeitpunkt seines Lebens ist, nicht kompatibel ist. Er will nicht wahrhaben, dass diese Lebensphase eine neue Version seiner selbst von ihm verlangt. Er verdrängt eine tiefe innere Wahrheit, nämlich, dass er im Tiefsten sein Leben als sinnlos und unerfüllt empfindet. Er weicht aus, indem er sich auf etwas „Großes“ im Außen fixiert, was seinem Leben dann noch einmal Sinn geben soll. Das wahre Problem ist seine Angst ein misslungenes Leben gelebt zu haben. Die Aufgabe ist - den Weg nach Innen zu gehen und sich mit sich selbst und seinem Leben zu versöhnen und das Jetzt zu akzeptieren, um dann einen Weg zu gehen, der dem Menschen entspricht, der er in dieser Lebensphase ist. Seine Herausforderung wäre, würde er sie annehmen: Die Chance zur Entdeckung neuer Entwicklungs- und Erfahrungsufer, unabhängig davon, sich selbst und anderen "Großes" beweisen zu wollen. Er aber geht in den Widerstand und alles bleibt beim Alten.

 

Die Aufgabe ist nie unklar, sie ist nur unangenehm.

Solange die Probleme und deren Ursachen, die durch die innere Arbeit ans Licht kommen, abgelehnt oder als „verschlimmert“ beklagt werden, sind wir im Widerstand. So gelingt weder die Versöhnung mit dem Verdrängten noch dessen Integration. Mit anderen Worten: Es braucht eine eine gewisse Toleranz und im besten Falle: Akzeptanz, Mitgefühl und Liebe für unser Leiden.

 

Wir müssen aufhören wegzulaufen vor dem, was wir nicht sehen wollen.

Es ist normal, dass sich durch jede Art der inneren Arbeit belastende Erinnerungen, Symptome und Wahrheiten hervordrängen, die früher nicht wahrgenommen, bzw. verdrängt, abgewehrt oder abgespalten wurden und dass innere und äußere Konflikte verschärft werden. Das ist eine vorübergehende Verschlechterung, die es durchzustehen gilt. Nur brechen viele genau an dieser Stelle die Arbeit an sich selbst ab. Sie gehen, bewusst oder unbewusst, in den Widerstand und wenden sich wieder den vertrauten alten Überlebensmustern und Gewohnheiten zu – eben auch der Verdrängung, der Abspaltung, der Betäubung und der Selbstlüge. Mit dem Ergebnis: Die ganze Arbeit hat nichts gebracht, außer der fälschlichen Annahme: Es geht mir schlechter damit.

 

Man kann nichts verändern, was man nicht akzeptiert und was nicht nahe genug ist.

Der Widerstand aber scheut sich vor wahrer Nähe mit sich selbst.

 

 

Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Montag, 24. November 2025

Das Leben ist keine Spirale, die sich unaufhörlich nach oben schraubt

 


Das Leben ist keine Spirale, die sich unaufhörlich nach oben schraubt.

Krankheit, Einsamkeit, Alter, Sterben und der Tod zerstören die Illusion einer lebenslangen Aufwärtsbewegung und machen mit einem Mal die immer verdrängte Verletzlichkeit der Existenz bewusst. Das beharrlich Verleugnete, weil latent Gefürchtete, mit dem sich der Mensch nicht auseinandergesetzt hat und dem er dann nichts entgegenzusetzen hat, fordert früher oder später seinen Tribut. Die Realität des Todes lässt sich auf die Dauer nicht verleugnen und ereilt uns schließlich doch. Die Abwehrstrategie der Besonderheit und Grandiosität funktioniert nicht mehr – das idealisierte Selbst und seine illusionären Wunschvorstellungen zerfallen.