Samstag, 22. Februar 2020

Er lügt


Zeichnung: Angelika Wende

Meine Klientin sitzt vor mir. Ihre Augen blicken ins Leere. 
„Er hat mich wieder belogen. Es war nur eine kleine Lüge, aber ich bin so erschüttert.“

Was erschüttert Sie so?, frage ich.

„Dass er immer wieder lügt. Ich will nicht belogen werden. Ich will vertrauen können. Ich will mich sicher fühlen. Ich hasse Lügen. Ich fühle mich dann betrogen."

Worum fühlen Sie sich betrogen?

„Um meinen Wert in seinem Leben.“

Um Ihren Wert?

„Ja, es fühlt sich dann für mich an, als sei ich es ihm nicht wert mir die Wahrheit zu sagen. Ich habe ihm gesagt, dass er gelogen hat und er hat mich einfach abgewiegelt: „Mach nicht schon wieder Stress!
Das tat weh, das war wie ein Schlag in die Magengrube.
Er versteht das nicht. Für ihn hat das Lügen keine Bedeutung. Er lügt halt.
Aber für mich gerät mit jeder Lüge, auch wenn sie noch so klein ist, der Boden ins Wanken.
Das begreift er nicht.
Ich falle ins Bodenlose.
Er sagt dann, ich mache aus allem ein Drama.
Das tut weh."

Was genau tut weh? 

"Ich fühle mich schuldig. Nicht okay. Unsicher. Irgendwie als hätte ich was Falsches gamacht. Schuldig eben und ich schäme mich dann auch. Das macht mich klein.
Ich werde belogen, ich sage es ihm auf den Kopf zu und dann bin ich die, die schuld ist und Stress macht"

Sie fühlen sich schuldig?

„Ja, weil er mich dazu macht.“

Und wie fühlen Sie sich dann?

„Ich fühle mich ohnmächtig.“
Sie weint.
"Ich fühle mich wie ein Kind, das man nicht ernst nimmt und einfach abwiegelt und ihm dann noch die Schuld überkippt. Ich bin dann wie gelähmt, fassungslos und weiß nicht mehr was ich tun soll. Es beschäftig mich tagelang und ich bin nur noch traurig."

Ja, das verstehe ich gut, sage ich.
Ich lade Sie jetzt ein genau hinzuschauen. Was geschieht da, wenn Sie es von Oben betrachten, quasi aus der Vogelperspektive?

"Nun, er lügt mich an und übergibt mir die Verantwortung für meine Reaktion auf sein Handeln."

Damit tut er Ihnen eigentlich einen Gefallen.

"Wie bitte?"

Ja, er zeigt Ihnen was nicht stimmt in Ihrer Beziehung.

"Wieso? Indem er mir die Verantwortung für seine Lügerei in die Schuhe schiebt?"

Indem er Ihnen zeigt, dass er keine Verantwortung übernimmt – weder für die Lügerei, noch für die Beziehung, noch für die Gefühle, die er in Ihnen auslöst, noch dafür, dass Sie ihm vertrauen können.
Und er zeigt Ihnen was Ihre Aufgabe ist.

"Meine Aufgabe?"

Ja, Ihre Aufgabe.
Sie möchten ihm vertrauen, aber Ihr Vertrauen wird immer wieder missbraucht und enttäuscht.
Das schmerzt. Sie leiden. Und sie leiden weiter, weil er Sie nicht wertschätzt und für den Stress in Ihrer Beziehung verantwortlich macht.
Was ist also Ihre Aufgabe?

„Ich weiß es nicht. Helfen Sie mir bitte.“

Ihre Aufgabe ist es, sich selbst wertzuschätzen, indem Sie groß werden  und sich selbst vertrauen und damit aufhören sich selbst zu belügen.

Eine Weile ist es still.

„Ja, sagt sie, das stimmt. Ich belüge mich die ganze Zeit.
Ich mache mir vor, ich könnte, indem ich ihm seine Lügen aufzeige, erreichen dass er damit aufhört.“

Ja, und was erleben Sie?

"Dass ich nicht ernst genommen werde, dass ich dramatisiere. Dass ich schuld bin, wenn wir Stress haben."

Und Sie springen rein ins Drama.
Wozu ist das Drama gut?

„Ich weiß es nicht.“

Es ist dafür gut, dass Sie das, worum es wirklich geht, nicht sehen müssen.
Wahr ist, dass er Sie belügt. Wahr ist, dass er sie verletzt und nicht ernst nimmt, dass er Ihre Wahrnehmung verdreht und Ihre Gefühle nicht achtet. Ihnen sogar die Schuld gibt für sein unheilsames Handeln. Wahr ist, dass er Ihnen keine Wertschätzung entgegenbringt. Wahr ist, dass sie mit  diesem Menschen nicht glücklich sind und es auch nicht werden.
Würden Sie das klar erkennen, was wäre die heilsame Konsequenz?

Meine Kleintin weint.

"Ja, die Konsequenz wäre mich selbst endlich wertzuschätzen, indem ich mich selbst ernst nehme."

Ja, und was würden Sie dann erkennen?

"Dass ich mich die ganze Zeit selbst belüge."

Aha!

„Ja, ich belüge mich selbst.“

Und, was ist die Wahrheit?

„Wahr ist: Mit einem Mann, der mich immer wieder anlügt, will ich nicht sein.“






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