Mittwoch, 26. Juli 2023

Aus der Praxis: Defusion - Ist dieser Gedanke hilfreich?

 

                                                         Zeichnung: A. Wende



Schön, wenn du morgens aufwachst und voller Freude den neuen Tag begrüßt. Vielleicht aber schlägst du die Augen auf und zack ist es da: Das unheilsame Gedankenkarusell mit dem du schon am Abend ins Bett gegangen bist.
Und täglich grüßt das Murmeltier.
Die immer gleichen Gedanken, die immer gleichen Grübeleien. Du hast es so satt. Du würdest so gerne einmal aufwachen und alles wäre gut oder zumindest leichter.
Gedanken, die wir am schon Morgen denken, beeinflussen unseren Tag und vor allem: Sie beeinflussen unsere Gefühle. Belastende Gedanken sind eine emotionale Last.
Gedanken, die wir immer wieder denken und die Gefühle die ihnen folgen, führen zu inneren Überzeugungen und diesen folgen Handlungen, die diesen Überzeugungen entsprechen.
Schwere Gedanken machen das Leben schwer. Leichtigkeit stellt sich so nicht ein.
Wenn wir das ändern wollen, macht es Sinn einmal eine Woche lang ein Tagebuch zu führen in das wir jeden Morgen schreiben, was wir direkt nach dem Aufstehen denken. Und welche Gefühle dabei entstehen. So identifizieren wir das, was uns belastet. Wir werden uns klar darüber, was genau es ist, was uns das Leben so schwer macht.
Jetzt könntest du sagen, das weiß ich doch eh. Ja, meistens wissen wir es, aber es macht einen Unterschied, wenn es schwarz auf weiß vor uns liegt. Liegt es vor uns, können wir bewusst damit arbeiten. Wir können eine Strategie entwickeln wie wir mit unseren belastenden Gedanken ab jetzt umgehen wollen. Einfach stopp sagen, wenn dysfunktionale Gedanken kommen ist zwar hilfreich, funktioniert aber nicht bei jedem.
Also brauchen wir eine andere Strategie.
 
Aus der Akzeptanz und Commitment-Therapie (ACT) kommt der Ansatz, dass wir dazu neigen unvermeidbarem Leid, unnötiges Leid hinzuzufügen.
Wenn wir uns zum Beispiel Trennungsschmerz empfinden, fügen wir oft Gedanken hinzu wie: „Ich werde nie mehr glücklich sein, ich werde einsam alt werden. Ich werde nie mehr einen Partner oder eine Partnerin finden, oder noch schlimmer: Ich bin nicht liebenswert, ich habe es doch gewusst. Niemand will mich." Das ist natürlich alles nicht wahr, aber was wir glauben wird dann zu unserer Wahrheit, je öfter wir es glauben.
Nicht gut. 
 
In der Psychologie bezeichnet man diese unheilsamen Gedanken als „dysfunktional“, also nicht hilfreich, denn sie führen nur zu weiteren negativen Gedanken oder sogar zu Gedankenspiralen und damit zu dysfunktionalem Verhalten. Diese dysfunktionalen Gedanken gilt es zu unterbrechen, indem wir uns ihrer bewusst werden und uns fragen:
Ist dieser Gedanke hilfreich?
Diese Frage nutzt den Raum zwischen Reiz und Reaktion, sie unterbricht bewusst das dysfunktionale Denken. Nur wenn wir uns über etwas gewahr sind, haben wir die Möglichkeit, bewusst Einfluss darauf zu nehmen. Sind wir uns gewahr, dass ein Gedanke nicht hilfreich ist, haben wir die Wahl zu entscheiden anders zu denken.
Im Falle von Trennungsschmerz könnten wir denken: "Ja, es ist jetzt so, ja es tut weh, und es geht vorüber. Es gibt einen guten Grund warum es vorbei ist. Ich werde an dieser Erfahrung wachsen und ich werde wieder bessere Zeiten erleben."
Damit entschärfen wir die dysfunktionalen Gedanken.
Wir akzeptieren was ist und was wir nicht ändern können. Damit setzen wir Kraft und Energie frei um uns auf das zu fokussieren, was jetzt wichtig ist und vor allem, was wir beeinflussen und ändern können. Wir nehmen bewusst Abstand von unnötigem Leid, anstatt es zu füttern. 
 
In der Commitment Therapie nennt man das Defusion, was so viel bedeutet wie Entschärfung. 
Defusion gelingt, indem wir lernen Abstand zu unseren Gedanken zu nehmen. Je weniger wir mit ihnen fusionieren, also mit ihnen verschmelzen, umso leichter wird es, uns von ihnen zu distanzieren.
Wenn wir das konsequent üben, gelingt es immer öfter und besser dysfunktionale Gedankenkreise zu durchbrechen und bewusster zu reagieren. Wir sind unseren Gedanken nicht mehr hilflos ausgeliefert. Wir erfahren Selbstberuhigungskompetenz und Emotionsregulaton. Wir erleben eine neue Handlungsfreiheit. Das stärkt unser Selbstbewusstsein. Und: Wir fühlen uns leichter. 
 
„Ich habe einen Körper, aber ich bin nicht mein Körper.
Ich habe Gefühle, aber ich bin nicht meine Gefühle.
Ich habe einen Verstand, aber ich bin nicht mein Verstand.
Ich habe Wünsche, aber ich bin nicht meine Wünsche.
Ich bin ein Zentrum reinen Bewusstseins und reinen Willens.“
 
Roberto Assagioli

Dienstag, 25. Juli 2023

All is always Now


                                                                     Foto: A.Wende

Montag, 24. Juli 2023

You need a story, not an explanation.

                                                               Foto: A.Wende
 

Samstag, 22. Juli 2023

Zeit


                                                                 Foto: A. Wende

Zeit

 

Gut zu begreifen, in welcher Zeit wir leben.

Gut zu begreifen wie kostbar jeder einzelne Augenblick ist

und für die Zukunft sein kann,

und die Zeit, die wir haben, zu nutzen.

Für uns selbst

Für das, was wir lieben

und für das, woran wir glauben

und was wir in die Welt geben wollen

um sie zu einem besseren Ort zu machen.

 

 

„Die Zeit ist schlecht? Wohlan. Du bist da, sie besser zu machen.“ 

Thomas Carlyle

Freitag, 21. Juli 2023

Alles hat seine Zeit



                                                                Foto: www
 
 
Das Leben ist in ständiger Veränderung.
Es gibt keine Phasen, die für immer andauern. Jede Phase ist vorübergehend, einschließlich glücklicher und friedlicher Phasen. Wenn wir glücklich sind hoffen wir, dass das Glück lange anhält, am Besten für immer. "So soll es sein, so soll es bleiben!", wünschen wir uns. Erleben wir schwierige Phasen hoffen wir, dass sie schnell vorüber gehen. Wir sind ungeduldig, unruhig, im Widerstand gegen das, was ist. Wir können es nicht erwarten, dass es vorbei ist. "Das soll aufhören!", wünschen wir uns.
Der Schmerz, das Leid, die Trauer, der Kummer, ein gebrochenes Herz, Krisen, Krankheit, Konflikte und Unfrieden sind Besucher, die wir nicht haben wollen. Sie sollen ganz schnell wieder verschwinden. Es fällt uns sehr schwer diese schweren Zustände mitsamt den dazugehörigen Emotionen anzunehmen und sie als normale Phasen des Lebens zu akzeptieren.
"Warum ich?", fragen wir uns dann. "Ich will doch nur glücklich sein oder zumindest in Frieden leben."
Aber alles hat seine Zeit.
Wenn wir ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass alles seinen Sinn hat und dass alles so geschieht wie es geschehen soll, können wir ein großes Stück Gelassenheit gewinnen.
Dinge geschehen und uns bleibt die Wahl wie wir darauf antworten. Wir haben, egal was ist, Entscheidungsspielraum.
Es ist möglich, aktiv zu werden und trotz schwerer oder leidvoller Lebensphasen ein bisschen inneren Frieden zu finden. Dies geschieht indem wir nachdenken und herausfinden, was diesen inneren Frieden herbeiführt. Wir können entdecken, was mitten im Sturm Frieden in unser Leben zu bringt. Wir können herausfinden welche Handlungen uns helfen für Momente Ruhe zu gewinnen. Wenn wir diese Handlungen ausführen, und je öfter wir sie ausführen, desto öfter finden wir für Momente in der Zeit Frieden und vielleicht sogar Augenblicksglück. 
 
 
„Nicht das, was der Mensch ist, sondern das, wozu er sich jeweils durch die Tat macht, ist sein Wesen.“
Martin Buber


Mittwoch, 19. Juli 2023

Aus der Praxis: Warum wir andere und uns selbst nicht so leicht ändern können

 




"Aber es könnte doch sein, dass er/sie sich ändert", wie oft höre ich das in der Praxis, wenn Menschen an Beziehungen festhalten, in denen sie unglücklich sind.
Es könnte doch sein, wenn ich mir noch ein bisschen mehr Mühe gebe. Ich muss nur noch weiter Geduld haben und die Hoffnung nicht aufgeben, dann wird er/sie sich ändern.
Ja, vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Eher nicht, weil Veränderung schwer ist, das kennen wir selbst. Weil altes Verhalten so leicht nicht abgelegt wird, auch das kennen wir selbst. Wir wissen, wie groß die Herausforderung ist, unsere eigenen Verhaltensmuster langfristig zu ändern.
Wir können uns nicht so einfach aus der eigenen Haut herausschälen und unser Verhalten ändern, selbst wenn wir die Entscheidung getroffen haben, dass wir es tun wollen.
Warum also sollte der andere tun können, was uns nicht gelingt? Wir können andere nicht ändern. Diese Macht haben wir nicht und Geduld und Hoffnung ändern schon gar nichts.
Menschen ändern ihr Verhalten nur sehr schwer.
Und es ist umso schwerer je tiefer Veränderungen in unsere Persönlichkeit eingreifen, weil sie bereits in der Kindheit fixiert wird. Auch wenn ein Mensch die Bereitschaft hat, sein Verhalten zu ändern, ist es schwer. Verhaltensänderung ist ein Lernprozess und der ist komplex und anstrengend. 
 
Schon wenn wir versuchen nur eine kleine Verhaltensveränderung zu etablieren, entfernen wir uns aus unserer Komfortzone, das, was wir als Normalität erleben, der Bereich, der uns vertraut ist und in dem wir uns sicher fühlen, auch wenn er nicht das ist, was wir uns eigentlich wünschen. Je weiter wir uns aus der Komfortzone rausbewegen desto stärker wird das Bedürfnis wieder dorthin zurückzukehren. Da sind wir heimisch, da kennen wir uns aus, da fühlen wir uns sicher, da sind Gewohnheit und Routine, das ist berechenbar, das ist gewohnt und vertraut. Und alles Vertraute hat eine große Macht: Es mindert die Angst vor einer unbekannten, unberechenbaren Zukunft. 
In unserer Komfortzone bewegen wir uns selbstverständlich und ohne große Anstrengung, sogar wenn es in dieser Zone emotional anstrengend ist, ja sogar, wenn wir leiden. Hier wissen wir, was wir haben. Wir sind vor Überraschungen gefeit, denken wir, nein fühlen wir. Emotionen sind stärker als Gedanken und Absichten. Zudem ist unser Gehirn ziemlich faul. Es mag das Gewohnte, weil es nicht anstrengend ist. 
 
Veränderung ist auch deshalb so schwer, weil dazu eine Veränderung unseres Gehirns notwendig ist. Das bedeutet nicht nur, dass wir Unbewusstes ins Bewusstsein holen müssen, es kostet viel Energie, Disziplin, Durchhaltevermögen und ständige Wiederholung neuer Verhaltensmuster um die alten zu „überschreiben“ und die neuen zu verfestigen.
Veränderung braucht entweder einen extrem hohen Leidensdruck oder eine fette Belohnung.
Das Unbewusste fragt nämlich, sobald wir etwas verändern wollen unvermeidlich, wo denn der Benefit ist. Gibt es keinen klar erkennbaren lohnenswerten Benefit, also keine überzeugende Belohnungsaussicht, die stärker ist als das Festhalten am Gewohnten ist, gibt es auch keine Motivation und wir ändern unser Verhalten nicht.
 
Heißt das jetzt, na dann kann ich es ja gleich lassen.
Nein, heißt es nicht. Nur was andere Menschen angeht können wir unser Bemühen lassen.
Wir können nur uns selbst verändern und damit sollten wir anfangen, ansttatt zu meinen, der andere muss sich ändern – bei uns selbst.
Im ersten Schritt müssen wir uns klar darüber werden: 
Was ist meine Motivation und welche Belohnung verspricht mir meine Veränderung? 
Und weiter: Was bin ich bereit dafür zu tun?
Das bedeutet auch, uns zu fragen: Bin ich bereit die Konsequenzen meines Veränderungsprozesses zu tragen?
Wenn all das klar ist, beginnen wir uns in kleinen Schritten aus der Komfortzone herauszubewegen. 
 
 
"I do my thing and you do your thing. I am not in this world to live up to your expectations, and you are not in this world to live up to mine. You are you, and I am I, and if by chance we find each other, it’s beautiful. If not, it can’t be helped."
 
Fritz Perls
 
 
Wenn Du Dir in Deinem Veränderungsprozess Unterstützung wünscht, bin ich gerne für Dich da. Schreib mir eine Mail unter aw@wende-praxis.de und wir vereinbaren ein kostenfreies Kennenlerngespräch.

Montag, 17. Juli 2023

Möge die Macht mit dir sein!

 
 
Wenn du an dem Punkt bist, wo du anfängst du selbst sein zu wollen, wo du begreifst, dass das dein Leben ist und dass es endlich ist, wenn du genug hast von Verstrickungen und Anhaftungen, wenn du begreifst, dass dein Leben ein Abenteuer ist und kein Hamsterrad, in dem du auf ewig gefangen bist, wenn du bereit bist etwas zu riskieren und dich auf das Unsichere und Ungewisse einzulassen, bevor dich das scheinbar Sichere und Gewisse erstickt, wenn du genug hast von all den „Du darfst nicht, du sollst nicht, das kannst du nicht, das bist du nicht“, wenn du genug hast von all dem, was dich verletzt und dir schadet, wenn du endlich deinen Hoffnungen und Träumen folgen willst, wenn du den Ruf hörst, der aus deinem tiefsten Inneren kommt, oder dir wie ein Vorschlaghammer eine Krise vor den Kopf knallt, die dir sagt, dass du zum Wachstum berufen bist, dann gehst du los und folgst dem Ruf. 

Und du bist dir klar darüber, dass du mit der Angst losgehst und trotzdem gehst. Du weißt, auf dich warten Schmerz, Trauer, Kleinmut und Phasen der Verzweiflung und der Einsamkeit. Du weißt es, wird Abschiede für immer geben, Verrat, Trennungen und Verluste. Es wird Zweifel, Schwellenhüter, Drachen, Prüfungen, Niederlagen, Erschöpfung, Gefahren und Rückschläge geben. Du wirst in die tiefe Nacht der Seele fallen und du wirst wieder aufstehen und aus ihr herausfinden. Du wirst den Glauben verlieren und ihn wiedergewinnen. Du wirst aufgeben wollen und trotzdem weitergehen.
 
Und es wird auch Vertrauen, Wahrhaftigkeit und Transformation geben. Es wird Tapferkeit, Mut, Zuversicht, Selbstvertrauen, Kraft, Geschenke, Belohnungen und Gnade geben. Es wird Menschen geben, die dich unterstützen. Es wird Liebe, Loyalität und Treue geben, in dir selbst, für dich selbst und von anderen, die dir auf dem Weg begegnen. 
 
Es gibt immer eine Chance, dein Leben zum Besseren hin zu wandeln. Es gibt sie, wenn du dem Ruf folgst und bereit bist, dein Leben zu meistern auf deine ureigene Weise.
Möge die Macht mit dir sein! 
 
 
"Die Möglichkeiten, die tiefsten Kräfte in uns zu finden, kommen, wenn das Leben am schwierigsten scheint."
 
Joseph Campbell

Donnerstag, 13. Juli 2023

Das bist du

 

                                                               Foto: www


Ich arbeite jetzt seit über fünfzehn Jahren mit Menschen und alle, die mir begegnet sind, sind wunderbare, liebenswerte, kluge, sensible Menschen, die sich aus ihrem alten Ich herausschälen wollen, die sich selbst finden wollen, die hart an sich arbeiten, die wirklich bereit sind zur Veränderung. Ich durfte in all den Jahren viel lernen, darüber, was uns als Mensch ausmacht und warum wir zu dem werden, der wir sind. Wenn ich eins gelernt habe: Es ist nicht möglich unser altes Ich einfach abzustreifen. Es ist absolut unmöglich all die Programmierungen und Überzeugungen, die Prägungen und Erfahrungen, die Verletzungen und Traumata, einfach abzustreifen. Und darum geht es auch überhaupt nicht, es geht nicht ums abstreifen. Es ist nicht möglich unsere Vergangenheit rückgängig zu machen, denn die Vergangenheit ist unveränderbar. Es geht darum alte Programmierungen und Überzeugungen zu identifizieren, sie neu zu bewerten und uns neu auszurichten. Es geht darum zu begreifen und zu verinnerlichen: Diese Programme sind kein Gesetz, dem wir auf immer und ewig glauben und folgen müssen. 
Schon dieser Schritt ist ein mentaler und emotionaler Kraftakt und es ist harte Arbeit. Genesung ist wie das Leben - ein Weg durch Höhen und Tiefen und manchmal finden wir uns dabei in der Hölle wieder. Manche Vergangenheit war eine Hölle. Aber wir haben sie überlebt, wir sind da durch. Allein das ist eine HeldInnenentat. 
 
Ich habe so viele Geschichten gehört, sie würden ein dickes Buch füllen. All diese Geschichten sind durchdrungen von Schmerz. Aber sie sind auch voller Mut und Kraft.
Die Heldinnen und Helden dieser Geschichten haben meinen tiefen Respekt. Jede dieser Geschichten ist es wert erzählt zu werden. Aus jeder Geschichte durfte ich lernen und können all jene lernen, die sie hören. Dafür sind sie da, unsere Geschichten, dass wir sie weitergeben, auch wenn sie keine glitzernden Erfolgsstorys sind, denn sie können für andere hilfreich sein. Und was ist überhaupt Erfolg? Erfolg ist für mich: Das eigene Leben meistern, auf unsere ureigene Art und Weise, mit allem, was es ausmacht, nicht aufzugeben und immer weiter zu gehen. 
 
Unsere Geschichte ist voll intensivem, gelebtem Leben. Unsere Geschichte, ganz gleich wie sie war und wie sie ist, verdient unsere Anerkennung und unseren Respekt. Und nicht, wie wir es so gerne tun, Ablehnung oder Abwertung, weil es keine schöne Geschichte ist. Es geht um die Integration unserer Geschichte, nicht um ihre Abspaltung oder Auslöschung. Alles was wir leugnen, weghaben wollen, nicht anerkennen, hat eine Tendenz unsere Wahrnehmung zu vergiften. 
 
Indem wir unsere Geschichte anerkennen, erkennen wir uns selbst an. Allein darum geht es: Uns selbst anerkennen mit allem, was wir sind und was wir erlebt haben, denn das ist unsere Wahrheit, das hat uns geformt und unser Selbst gestaltet, auch wenn uns dieses Selbst nicht gefällt und wir es gern anders hätten. Das Selbst ist keine starre Größe, es ist veränderbar.
Jeder neue Erfahrung verändert etwas in uns selbst. Wir schreiben eine neue Geschichte im Buch unseres Lebens und wir haben, ganz gleich was war, jeden Moment Einfluss darauf wie wir sie schreiben.
Auf der Basis von unbewussten Programmierungen aus der Kindheit schreiben und gestalten wir unsere Geschichte solange unbewusst, bis wir uns bewusst machen, dass wir sie neu schreiben und gestalteten können. Das zu erkennen dauert, es zu verinnerlichen dauert länger, es umzusetzen dauert noch länger, denn was dem bewussten Denken bewusst ist, muss das Unbewusste erreichen und durchdringen, es muss ins Gefühl sacken, dorthin wo die alten Wunden sitzen, um zu wirken. Das ist ein langer, langer Prozess und dieser Prozess heißt Leben. Das bist du. 
 
„The privilege of a lifetime is being who you are.“
 
Joseph Campbell

Samstag, 8. Juli 2023

Innere Leere

 

                                                                              Foto: A.Wende

 

Viele sitzen so da. Mit leerem Blick. Auf Parkbänken, in ihren Wohnungen, an Cafétischen, an Schreibtischen. Resigniert, taub für sich selbst und das Leben.

Ein Bild der inneren Leere.

Wie fühlt sie sich an?

Das Gefühl von tiefer Sinnlosigkeit.

Das Gefühl, nicht füllt zu sein, egal was du tust.

Das Gefühl vollkommen allein zu sein in der Welt.

Das Gefühl getrennt von allem und jedem zu sein, mit nichts und niemand verbunden. 

Das Gefühl nur noch zu existieren. 

Das Gefühl, dass Etwas fehlt, aber was es genau ist, lässt sich nicht benennen.

Das Gefühl im eigenen Leben nicht präsent zu sein.

Das Gefühl von Taubheit, Trägheit, Lähmung und Dumpfheit.

Ein Zustand von Überdruss und Lustlosigkeit.

 

Freitag, 7. Juli 2023

Aus der Praxis: Die Einsicht des Süchtigen ist eine sehr dünne Membran – und sie ist alkohollöslich


                                                                  Adobe Stock Foto

 

Jede Sucht ist ein Zustand des Verstandes, der aus der tief verwurzelten Überzeugung kommt: Du kannst ohne dein Suchtmittel nicht leben. Sinn und Zweck jeder Sucht ist, das gesamte Erleben oder Teile des Erlebens zu betäuben und schließlich auszulöschen. Sucht ist eine physische Repräsentation all dessen, womit der Süchtige nichts zu schaffen haben will und für das er nicht die Verantwortung übernehmen will. Stattdessen wird alles betäubt, was er nicht fühlen, nicht sehen, nicht erleben und nicht wahrhaben will.
Der Prozess des Süchtigwerdens vollzieht sich schleichend.
Die Verantwortung für das eigene Erleben wird nicht übernommen. Sie wird auf das Suchtmittel übertragen. So wird nach und nach eine Überzeugung bezüglich des Suchtmittels geschaffen um dessen Gebrauch zu rechtfertigen. Das Suchtmittel übernimmt die Kontrolle über das Erleben. Sucht wird durch das Bedürfnis Recht zu haben manifestiert. Die Sucht übernimmt die alleinige Macht über das Leben. Die Eigenmacht wird abgegeben. Der Mensch ist vollends mit der Sucht identifiziert. Er ist jetzt Opfer der Sucht und für nichts mehr verantwortlich.

Die Einsicht des Süchtigen ist eine sehr dünne Membran – und sie ist alkohollöslich

 

Einsicht beim Süchtigen bedeutet nichts und doch lassen sich viele Co-abhängige immer wieder davon beeindrucken und wollen glauben, dass sich damit etwas ändert. Sie bleiben jahrelang oder sogar ein Leben lang Gefangene des eigenen Unvermögens „Nein“ zu sagen, zu einem Menschen, der sein komplettes Leben und das ihre mit seiner Sucht zerstört - trotz Einsicht.

Co-abhängige verstehen, verzeihen, entschuldigen, trösten, helfen, unterstützen, rechtfertigen, sie tun alles um sich selbst nicht die Hoffnung zu nehmen, dass es doch eines Tages besser wird und der Süchtige zur Einsicht kommt.

Die Einsicht kommt oft. „Ich versuche es ja“, kommt oft.

Und die Co-abhängigen hoffen weiter.

Hoffnung, in diesem Falle, ist bluten. Sinnlose Hoffnung blutet aus.

Sie kostet ungeheure Kraft und verbrennt Lebensenergie und am Ende das eigene Selbst.

 

Einsicht bei einem Süchtigen bedeutet rein gar nichts.

Es ist nur eine weitere Falle der Manipulation, die Süchtige perfekt beherrschen um den anderen bei der Stange und im Suchtsystem zu halten. Und der Co-abhängige tappt hinein.

Blind für die Wahrheit, die er eigentlich auch gar nicht sehen will, denn würde er sie sehen wollen, würde er begreifen, dass sein Bleiben das Suchtsystem nur weiter aufrecht hält und nichts verändert. Er ist weiter verstrickt.

Er will nicht begreifen: Der Einzige der seine Sucht stoppen kann ist der Süchtige selbst. Und zwar indem er selbst die Verantwortung übernimmt und etwas dagegen tut. Kein anderer kann das für ihn tun.

 

Hör auf zu sagen, du wirst es versuchen. Tu es oder lass es!

 

Es wird nichts getan. Es bleibt beim Wort „versuchen“.

Es wird weiter der Sucht gefrönt, einfach, weil der Süchtige süchtig ist.

Es gibt keinen anderen Grund.

Er hat tausend Gründe seine Sucht zu erklären und zu rechtfertigen, aber es gibt in Wahrheit nur einen einzigen: Er ist jetzt süchtig.

Es ist auch vollkommen egal warum und wieso. Es spielt auch keine Rolle warum und wieso er dahin kam. Kein „Warum“ ändert den Ist-Zustand, im Gegenteil - jedes Warum ist eine weitere Rechtfertigung um nicht aufzuhören und um den Co-abhängigen weiter an der Nase herumzuführen.

Soviel zur Einsicht des Süchtigen.

 

Es ist unerträglich dabei zusehen zu müssen, wie sich ein geliebter Mensch durch seine Sucht zerstört. Es ist die Erfahrung totaler schmerzhafter Ohnmacht. Ich habe es erfahren. Und ich habe lange Zeit vollkommen überfühlt, dass ich auch dabei zusehe, wie ich mich selbst durch meine Co-abhängigkeit zerstöre.

Und irgendwann kam meine Einsicht:

Einsichtige Worte, denen keine Taten folgen, sind die Fesseln meiner Verstrickung. Sie haben mit der Realität nichts zu tun. Ich begriff, dass ich gehen muss um mein Leben zu retten.

Die Einsicht des Süchtigen ist eine sehr dünne Membran – und sie ist alkohollöslich.

Die Einsicht des Co-abhängigen ist Ernüchterung.

Diese Ernüchterung ist erste Schritt um die zerstörerische Verstrickung zu lösen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Donnerstag, 6. Juli 2023

Jetzt ist jetzt

                                                                       Foto: A.Wende

 

Jetzt ist jetzt.

 

In dieser Zeit, in diesem Jetzt und nur im Jetzt kannst du das Leben erfahren und spüren.

Kannst du dich erfahren und spüren.

Nicht in der Vergangenheit.

Nicht in der Zukunft.

Jetzt ist Jetzt.

Jetzt ist hier.

Hier ist hier und sonst nirgendwo.

Was ist jetzt?

Was erfährst du jetzt?

Was spürst du jetzt?

 

Mittwoch, 5. Juli 2023

Aus der Praxis: Erwartungen


 

Wir alle haben Erwartungen.
Man könnte sagen, wir sind sogar von unseren Erwartungen angetrieben. Manche von uns mehr, manche weniger.
Erwartungen beziehen sich auf die Annahme oder die Antizipation eines zukünftigen Ereignisses. Sie bilden sich aus Bedürfnissen, Vorstellungen und Wünschen in Bezug auf uns selbst, auf andere, auf Situationen, Entwicklungen und das Leben selbst. Dahinter stecken Idealvorstellungen oder im gegenteiligen Fall negative Annahmen.
Erwartungen haben viel mit unserer Vergangenheit zu tun, aus der sich eine Erwartungshaltung entwickelt. „Weil es immer so war, wird es immer so sein und so kommen“, ist z.B. so eine Erwartungshaltung, die sich aus der Erfahrung unserer Vergangenheit speist. 
 
Oft erwarten wir, dass die Dinge sich ändern, wenn es uns nicht gefällt, was wir erleben und erfahren. Wir wollen, dass es besser wird und erwarten es. Wir wollen endlich unseren Seelenpartner finden und erwarten, dass er uns begegnet. Wir wollen Anerkennung oder Erfolg haben für unser Bemühen und erwarten es. Wir wollen inneren Frieden finden oder Sinn und erwarten es.
Auf der anderen Seite erwarten wir, dass wir wieder zurückgewiesen werden, weil man uns schon als Kind zurückgewiesen hat, wir erwarten, dass wir wieder enttäuscht werden, weil wir so oft enttäuscht wurden, wir erwarten, dass wir wieder die falsche Entscheidung getroffen haben, weil wir ja so oft falsch entschieden haben. Wir erwarten, dass uns niemand hilft, weil uns nie jemand geholfen hat oder helfen konnte. Wir erwarten, dass wir wieder verlassen werden, weil man uns so oft schon verlassen hat.
Mit jeder Erwartung, egal ob sie auf ein „es geht gut“ oder „es geht nicht gut“ bezogen ist, sind wir fixiert auf etwas und - wir fällen ein Urteil über etwas, was noch gar nicht stattgefunden hat. Und manchmal werden unsere Urteile sich selbst erfüllende Prophezeiungen. Wir fühlen uns bestätigt: „Ich wusste es, ich hatte Recht.“
 
Unser Verstand will immer Recht haben. Er sucht ständig Beweise dafür, dass er Recht hat. Damit verursachen wir unser eigenes Erleben. Wir gestalten unser emotionales Zentrum, um das herum sich unser Leben formiert. Und wir merken dabei gar nicht, dass wir immer die die selbe Platte abspielen. Es macht also durchaus Sinn uns einmal genau anzuschauen, was so unsere Erwartungen sind, im Guten und im Unguten. Und dann könnten wir schauen, welche von ihnen wir immer wiederholen und mit Rechtfertigungen festhalten, die dazu führen, dass wir glauben, dass die Dinge genauso eintreten werden wie unser Denkapparat meint. 
 
Wenn das, was wir glauben, wahr ist, brauchen wir es nicht zu glauben, wenn es wahr ist wird es sich am Ende zeigen, ob wir unsere Energie mit Rechtfertigungen verschwendet haben oder nicht. Was ich damit sagen will: Wir sollten uns öfter entspannen und von unseren Erwartungen Abstand nehmen, denn sie blockieren den Fluss den Denkens, der Erfahrungen und den Fluss des Lebens. Und sie führen, wie wir wissen, nicht selten zu Enttäuschungen. Das Geheimnis ist: Keine Erwartungen. 
 
„Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.“
Wilhelm Busch

Montag, 3. Juli 2023

Warum muss ich leiden?

 

 
Diese Frage haben wir uns alle schon gestellt, wenn wir in eine tiefe Krise geraten sind oder einen schweren Schicksalsschlag erlitten haben. Wir suchen nach Gründen, nach Ursachen, nach Erklärungen. Wir glauben vielleicht wir haben verdient, dass wir leiden müssen. Wir fühlen Schuld und Scham. Man sagt uns, wenn das Leiden aufhört, wird alles gut. Man sagt uns am Ende des Tunnels ist ein Licht und wir werden belohnt.
All das sind Konstruktionen, die wir machen um das Leiden irgendwie greifbar zu machen, um seine Ursachen zu ergründen, um uns zu trösten. Wenn wir all diese Konstruktion einmal weglassen, ist Leiden nur eine Erfahrung, die wir machen.
So wie wir Glück und Freude erfahren.
„Nimm es nicht persönlich“, sagte einmal ein weiser Mann zu mir, als ich ziemlich gelitten habe. Ich dachte, wie kann er nur so reden, es betrifft mich doch persönlich.
Was aber, wenn wir unser Leid nicht persönlich nehmen?
Was ist dann anders?
Dann erkennen wir, dass wir diese Erfahrung machen um eine Erfahrung zu machen. Nichts weiter. Wir erkennen, dass es nicht um Schuld oder Scham oder Belohnung geht, sondern einfach um die Erfahrung selbst. Wir erkennen, dass jede Erfahrung ein Teil unserer Entwicklung ist, die uns wachsen lässt. Wir können trotz des Schmerzes, trotz der Ungewissheit, trotz der Angst, trotz der inneren Aufgewühltheit, bewusst in die Erfahrung gehen. Wir könnten erkennen, es geht allein um diese Erfahrung und deren Integration. Es gehört zum Menschsein, dass wir Erfahrungen machen.

Sonntag, 2. Juli 2023

Refraiming: Statt destruktiv denken – konstruktiv denken

 

                                                    Zeichnungen: A.Wende
 
 
Wir alle interpretieren die Dinge vor dem Hintergrund unserer Denkmuster, Erwartungen und Zuschreibungen, wir verpassen ihnen einen Rahmen und geben ihnen einen Sinn. Dabei funktioniert unser Denkapparat meist im Autopiloten. Das ist nicht immer hilfreich. Das kann man ändern indem wir über den gewohnten Denkrahmen hinausdenken.
Refraiming wurde von Virginia Satir im Zusammenhang mit der Systemischen Familientherapie entwickelt und bedeutet die Umdeutung einer Situation oder eines Ereignisses. Diese Technik geht von der Annahme aus, dass allein wir den Dingen durch unser Denken und Fühlen Bedeutung geben. Mittels Refraiming haben wir die Möglichkeit eine Situation oder ein Ereignis, dass wir als negativ bewerteten und empfinden, umzudeuten, heißt: die Dinge in einem anderen Blickwinkel (Rahmen) erscheinen zu lassen, sodass es uns möglich wird, konstruktiv mit der Situation umzugehen. Auf diese Weise können neue, hilfreiche Vorstellungen und Deutungsmöglichkeiten entstehen.
Mit anderen Worten: Wir verlassen unseren gewohnten Denkrahmen. Es kommt zu einem Perspektivwechsel. So werden neue Reaktionen und neues Verhalten möglich. 
 
Reframing hat nichts mit Positivem Denken zu tun, in dem Sinne, dass wir unsere unangenehmen Gefühle verdrängen und die rosa Brille aufsetzen, vielmehr geht es darum, ein gesundes, der Situation angemessenes Maß zu finden. Diese Technik lässt sich auch anwenden, wenn wir mal wieder destruktiv über uns selbst denken.
 
Beispiele:
Ich bin ein Fehler - Ich bin ein Mensch, der sich entwickelt, ich muss nicht perfekt sein.
Ich habe versagt – Ich habe eine zweite Chance, es besser zu machen.
Ich schaffe das einfach nicht - Ich werde nie wissen, ob ich es schaffe, wenn ich es nicht weiter versuche.
Mich will keiner - Ich habe noch niemand gefunden, der zu mir passt.
Ich habe Angst, dass die Leute mich nicht mögen könnten - Die richtigen Leute werden mich mögen.
Bei mir klappt nichts – es hat schon viel geklappt. Ich habe schon viel geschafft.
Es ist alles aus - Das ist eine Phase in meinem Leben, das ist nicht mein Leben. Diese Phase ist eine Chance für einen Neuanfang.
Schon wieder eine Enttäuschung - Was will mich die Situation lehren? Was habe ich noch nicht verstanden? Wie kann mir diese Erfahrung nützlich sein?
 
 
„Nicht die Dinge an sich sind es, die uns beunruhigen, sondern vielmehr ist es unsere Interpretation der Bedeutung dieser Ereignisse, die unsere Reaktion bestimmt."
- Marc Aurel