Donnerstag, 31. März 2022

Niemals sollten wir von uns selbst ausgehen, wenn es um andere geht

 



Probleme sind da um gelöst zu werden!
Es gibt keine Probleme, es gibt nur Herausforderungen!
Das sind die typischen Behauptungen von Menschen, die meinen, es gäbe für alles im Leben Lösungen und wer sie nicht findet, hat es nicht wirklich versucht.
Ist das wahr?
Einerseits : Ja. Andererseits: Nein.
Mein Job ist es Menschen dabei zu unterstützen ihre Probleme zu lösen und meistens gelingt das auch, aber eben nicht immer. 
 
Manche Probleme sind vermeidbar. Manche Probleme sehen wir kommen, andere sehen wir nicht kommen, sie treffen uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Manche Probleme schleppen wir schon ein Leben lang mit uns herum, manche Probleme liegen in unserer Psyche und machen uns immer wieder zu schaffen. Manche Problem machen uns andere, in Beziehungen, im Job, in der Familie. Sie erwachsen aus dem Kontext in dem wir leben, aus Veränderungen von Lebenssituationen, aus Krankheiten, aus Kriegen, aus dem Verlust von Dingen oder Menschen, die uns viel bedeuten. Manchmal wird ein Schicksal unser Problem.
Wie man sehen kann ist das, was wir Problem nennen, so vielfältig und so individuell, dass klar wird: Jedes Problem braucht eine eigene Lösung. Und jede Lösung ist nicht für jeden die gleiche, denn jedes Problem trifft auf ein Individuum mit anderen Anlagen, einer anderen psychischen Konstitution, einer anderen Gefühls- und Gedankenwelt, auf eine einzigartige Seele, deren Komplexität und Tiefe wir Menschen niemals begreifen werden und deren Individualität nicht vergleichbar ist. 
 
Nicht jeder ist seelisch gesund oder emotional stabil. Nicht jeder hat die gleichen Prägungen, Anlagen und Vorrausetzungen, nicht jeder verfügt über die gleichen Mittel, Bewältigungsstrategien und Werkzeuge zur Problemlösung, nicht jeder ist gegenüber Schicksalsschlägen resilient, nicht jeder ist ein unbeugsamer Held oder eine starke Heldin, nicht jeder verfügt über die gleiche Lebenskraft, nicht jeder hat die gleiche Intelligenz, den gleichen Geist und nicht jeder ist ein Stehaufmännchen.
Jeder Mensch ist anders und nicht jeder Mensch ist fähig, jedes seiner Probleme zu lösen. Manche Probleme lassen sich nur schwer oder eben nicht lösen, wenn sie auf eine Menschenseele treffen, die dem Problem nicht gewachsen ist.
Aber in unserer von Allmachtfantasien geprägten Gesellschaft, kann nicht sein, was nicht sein darf. Das dem nicht so ist, dürften die meisten von uns spätestens in der Jetztzeit begriffen haben.
Wer sein Problem nicht lösen kann, der hat selbst schuld oder hat es nicht richtig oder nicht lange genug versucht.
Was für ein Bullshit!
Nein, hat er nicht.
Mit Schuld oder richtig und falsch, hat das nichts zu tun.
Es hat mit Grenzen zu tun. Und diese liegen bei jedem Menschen woanders. Es gibt Grenzen dessen, was ein Mensch lösen kann und was nicht. Wo der eine noch kämpft, kann der andere schon zerbrochen sein.
Das anzuerkennen heißt: Menschsein verstehen. Es heißt: Einander verstehen und uns in unserer Verschiedenheit zu achten.
Verstehen, Verständnis und Einsicht.
Einsicht darin, dass jede Seele nur so viel tragen oder verkraften kann, wie sie eben kann. Einsicht darin, dass ein Schmerz, ein Verlust, ein Trauma, für den einen eine Herausforderung ist, die er annimmt, bestht und daran wächst, für den anderen aber den seelischen Kollaps bedeutet.
 
Niemals sollten wir von uns selbst ausgehen, wenn es um das Lösen von Problemen anderer geht.
 
„Also ich würde, ich würde, ich hätte ...“ usw.
Diese Aussagen können wir uns sparen. Sie sind ichbezogen. Sie sind selbstgerecht, empathielos, hochmütig, eitel und ignorant. Von anderen zu erwarten, was man selbst könnte oder tun würde, ist eine Missachtung derer, die eben nicht sind wie wir, und - es tröstet, motiviert oder hilft dem, der eben nicht wird, nicht hat und nicht kann, überhaupt nicht. 
 
Manchmal gehört ein Problem einfach zum Leben. Manchmal ist ein Problem dazu da, dass wir uns nach vergeblichem Kampf auf den Beistand unserer Höheren Macht verlassen und es nach Oben abgegeben.

Sonntag, 27. März 2022

Wofür?

 



Manchmal gelingt es uns nicht Abstand zu uns selbst zu nehmen. Wir sind verstrickt in unheilsame Gedanken. Wir stehen schon am Morgen auf und beginnen zu grübeln. Wir sind so gefangen in unguten Gefühlen, dass sie selbst den sonnigsten Morgen grau tönen. Wir sitzen vor unserem Kaffee und sind einfach nur traurig. Traurig, dass wir verstrickt sind, dass wir unsere Probleme nicht lösen können, traurig, dass wir so viel Angst haben vor dem Unguten was ist und was noch kommen kann, traurig, dass unser Leben nicht das ist, das wir uns wünschen, traurig, dass wir nicht glücklich sind, traurig, dass die Einsamkeit kein Ende nimmt oder eine Krankheit uns quält. Am Liebsten würden wir wieder zurück ins Bett gehen und uns die Decke über den Kopf ziehen. „Das wird ja doch nichts. Egal was ich mache, es ändert sich nichts. Wofür lebe ich eigentlich noch?"
Das ist oft der resignierte Gedanke, der am Ende der Grübeleien unser Fazit ist.
Wofür?
Diese Frage kann uns niederschmettern, wenn wir keine Antwort finden. Die Antwortlosigkeit kann uns lähmen. Sie kann dazu führen, dass wir nur noch das Nötigste tun, unsere Pflichten erfüllen und funktionieren wie ein Roboter. Und insgeheim wünschen wir uns, dass jemand den Ausschalter drückt, damit das alles endlich aufhört.
Wir sind müde, lebensmüde.
Müde vom Kämpfen, müde vom Hoffen, müde von der Angst und müde von uns selbst, müde von den anderen, müde vom den schlimmen Zustand der Welt und müde vom Leben.
Dauert dieser Zustand zu lange an, kann er dazu führen, dass wir keinen Sinn mehr sehen. Und dann hören wir auf für uns zu sorgen. Wir geben auf und zwar uns selbst.
Wir gleiten langsam aber sicher in eine Depression. Wir haben ja kein „Wofür“ mehr. 
 
Ich kenne das Gefühl, wenn dieses „Wofür“ sich groß und mächtig aufbaut. Ich habe in den letzten zwei Jahren viel verloren, was mir wichtig und wertvoll war. Ich habe Erschütterungen erlebt, ich bin belogen und betrogen worden. Ich musste ohnmächtig dabei zusehen wie ein geliebter Mensch sich selbst zerstört und mit sich, Teile meines Lebens. Ich musste erfahren, dass Liebe nicht alles heilt und auch nicht jeden retten kann. Menschen haben sich von mir abgewandt, weil ich mir erlaube eine eigene Haltung und Werte zu haben und danach lebe. Ich wurde ausgegrenzt und mein Lebensradius war so eng, dass ich mich wie in einem Ghetto gefühlt habe, dass man um mich herum gebaut hat.
Ich habe weiter meine Arbeit gemacht und Menschen unterstützt, denen es nicht gut ging. Ich habe jeden Tag mein Bestes gegeben. Dennoch habe ich mich jeden Morgen gefragt: Wofür?
Und immer wieder habe ich es gefunden. Manchmal war es schwer, manchmal leichter.
Ich stehe auf, ich mache weiter, weil ich das Leben liebe. Dafür.
Weil es Menschen gibt, die ich liebe und die mich lieben. Dafür.
Weil ich einen wunderbaren Sohn habe. Dafür.
Weil ich Menschenliebe empfinde, denen gegenüber, die es schwer haben und weil ich weiß, wie sich das anfühlt, wenn da keiner ist, der da ist, wenn uns Schweres belastet. Weil ich es mir zur Aufgabe gemacht habe, diesen Menschen zu helfen und weil ich es kann. Dafür.
Weil ich mich an kleinen Dingen freue. Dafür.
Weil ich dankbar bin, so viel Kreativität zu besitzen, dass ich immer eine Lösung finde, für mich selbst und mit denen, die sich mir anvertrauen. Das ist eine Gabe, die nicht mein Verdienst ist. Dafür.
 
Warum ich Euch das heute erzähle?
Weil ich in letzter Zeit viele lebensmüde Klienten habe, die nach dem „Wofür“ fragen, und weil jemand von Euch da draußen vielleicht auch so müde ist und keinen hat, der ihm hilft diese existentielle Frage zu beantworten, wenn er keine Antwort in sich selbst findet. Es gibt immer ein Wofür, wenn wir bereit sind, es finden wollen, solange wir leben. Egal wie schwer es ist.
Für mich liegt dieses „Wofür“ in uns selbst. In unserem Sein, das uns geschenkt wurde.
Es ist all das, was wir sind, was wir können und was uns ausmacht, selbst in den dunklen Stunden.
Es ist das Leben selbst.
Es ist dieses Wunder lebendig zu sein.
Und solange wir am Leben sind, haben wir Möglichkeiten. Auch wenn sie noch so begrenzt sind. Sie sind da.
Wofür?
Damit wir sie finden.
Dafür. 
 

Samstag, 26. März 2022

Aus der Praxis - Ein liebevolles Leben

 

                                                     Malerei: Angelika Wende
 
Wenn etwas schief läuft, sind manche von uns die ersten, die bereit sind auf sich einzuprügeln, sich zu verurteilen, zu kritisieren, sich in Zweifel zu ziehen, wütend auf sich selbst zu sein und sich regelrecht fertig zu machen bis sie nur noch ein Häufchen Elend sind. Sie haben vielleicht viel darüber gelesen, was es heißt sich selbst zu lieben, wie man lernt sich selbst zu lieben, aber in diesen Momenten ist alles wie weggeblasen. Von Eigenliebe keine Spur, dafür Eigenverurteilung, und die Bereitschaft sich als Versager zu fühlen, alles wieder da. Ganz groß. So groß, dass das Fitzelchen Eigenliebe, das bisher erreicht wurde, auch noch verschwindet.
Man könnte sich wundern, wie es so etwas geben kann, aber so verwunderlich ist das gar nicht. Da ist diese Stimme in uns, die mächtiger ist als unser Verstand und die sitzt im Bauch, von Kindesbeinen an. Und diese Stimme macht uns klar: Dieses miese Gefühl uns selbst gegenüber ist nicht das Gefühl, was sich unser Kopf wünscht. Das miese Gefühl sitzt nämlich schon seit ewigen Zeiten im Bauch und will da partout nicht raus. Egal wie sehr der Kopf das auch will – es weicht nicht.
Warum?
 
Eigenliebe lässt sich nicht anlesen, sie lässt sich nicht herbeidenken, sie lässt sich auch nicht einüben – ganz einfach, weil Liebe, egal, ob uns selbst oder anderen gegenüber, ein Gefühl ist. Menschen, die sich selbst nicht lieben können, haben eins nicht erfahren: Bedingungslose Liebe. Wie soll man etwas fühlen, was man nie erfahren hat? Wie soll man etwas lernen, was man nie erfahren hat? Schwer, sehr schwer, aber nicht unmöglich.
 
Was man nicht erfahren hat, kann man erschaffen.
Auf meinem Weg zur Eigenliebe habe ich eins gelernt: Ich lernte, dass sie wesentlich damit zu tun hat, die Wahrheit zu sagen. Dazu muss man sich selbst respektieren und vertrauen. Erst wenn das gelingt, gelingt es auch ehrlich zu sich selbst zu sein.
Die Wahrheit macht frei. Frei von allen Selbstlügen, frei von allen Rollen, die man meint spielen zu müssen, frei von dem Bild, das man von sich selbst erschaffen hat, das oft nur reine Makulatur ist, um sich selbst nicht sehen zu müssen, wie man im Tiefsten ist.
Der Weg zur eigenen Wahrheit ist eine Herausforderung. Ich weiß das. Da kann ziemlich viel zerbröseln von dem, woran man sich ein Leben lang festgehalten hat und am Ende steht man nackt da. Nackt und verletzt. Das zieht erst einmal ganz schön nach Unten: Das bin ich? Ja, das bist du!
Du bist das, dieses Kind, das sich nach nichts mehr sehnt als danach geliebt zu werden. So wie es ist, so klein, so bedürftig so traurig, so ängstlich, so fragil, wie es ist. Es will endlich auf den Arm genommen und auf den Schoß gesetzt werden und dann soll ihm einer sagen: Ich hab dich lieb, weil du du bist.
Das ist aber nicht passiert, als das Kind klein war und es wird nicht mehr passieren. Als Große können wir dieses Kind niemanden mehr auf den Schoß setzen. Das geht nicht. Und das wissen wir, auch wenn wir es immer wieder versuchen. Am Ende scheitern diese Versuche und der Kummer wird größer als er schon ist. Wir fühlen uns wieder bestätigt, im Gefühl: Ich bin nicht liebenswert. Und das mit der Eigenliebe wird noch schwieriger. Ja, manche von uns verlieren sogar die Hoffnung, da jemals hinzukommen. 
 
Nein, so wir kommen wir auch nicht da hin. Wir kommen aber auf einem anderen Weg da hin. Wir lassen dieses Kind in uns Gestalt annehmen. Wir sehen es vor uns. Ganz klar und deutlich, so wie es da sitzt, in seinem Kummer.
Was dann passiert, wenn wir uns diesem Kind endlich zuwenden, und zwar nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Gefühl, ist: Wir fühlen es. Dann fühlen wir eine tiefe Trauer, dass es so ein verletztes kleines Kerlchen in uns gibt mit einer so großen Sehnsucht nach bedingungsloser Liebe. Und wenn wir es wahrhaftig berührt haben, werden wir weinen. All der Kummer, all die Traurigkeit, all der Schmerz werden fließen. Und mit jeder Träne dürfen diese Gefühle unseren angespannten Körper verlassen.
Das ist Wahrheit, die wir dann fühlen – unsere Wahrheit und sie lautet: „Ja, ich will geliebt werden, ich brauche Liebe, Unterstützung, Halt. Und es soll einer für mich tun, weil man es nicht für mich getan hat.“
Dieser Wunsch ist absolut okay. Dafür brauchen wir uns nicht zu schämen. Niemals.
 
Wir brauchen nicht weiter so zu tun, als bräuchten wir all das nicht und stark tun und souverän, wenn wir es in Wahrheit gar nicht sind. Was für eine Anstrengung. Lassen wir sie sein. Sie macht uns nur verspannter und härter gegen uns selbst.
In dem Moment, wo wir den Wunsch nach Liebe zulassen, fühlen unsere Wahrheit. In uns selbst. Für uns selbst. Und für dieses Kind in uns. Dann sind wir wahrhaftig gefühlt bei ihm, mit all unserer Liebe für dieses kleine Kerlchen. Jetzt spüren wir Eigenliebe. Wir haben unseren wundesten Kern berührt, und wir werden uns selbst nicht weiter so behandeln wie man dieses Kind behandelt hat.
Wir gestalten ihm ein liebevolles Leben. 
 
 
 
Wenn Du ein liebevolles Leben gestalten willst, unterstütze ich Dich gerne. 
 

Donnerstag, 24. März 2022

Angst haben ...


Angst haben ...

Nicht sagen, was du denkst.
Nicht sagen, was du fühlst.
Nicht die Wahrheit sagen.
Nur die halbe Wahrheit sagen.
Nur das sagen, wovon du glaubst, dass es andere hören wollen.
Das Bild, das du und die anderen von dir haben, nicht zerstören.
Tun, was am wenigsten Unbehagen bereitet.
Den einfacheren Weg wählen, im Wissen es ist der Holzweg.
Zu viel auf das geben, was andere von dir denken.
Zu viel geben, damit dich andere lieb haben sollen.
Dinge tun, wovon du denkst, dass andere dich dafür mögen.
Zu deinem eigene Schaden gemocht werden wollen.
Zu deinem eigenen Schaden anerkannt werden wollen.
Angst haben, nein zu sagen.
Angst, statt Neugier wählen.
An Situationen und Menschen festhalten, obwohl du weißt, dass es dir schadet.
Den Kummer wegdrücken aus Angst, vertraute Verhältnisse zu verlassen.
Dir mehr aufladen, als du tragen kannst.
Nicht um Hilfe bitten, wenn du sie brauchst.
Glauben, alles alleine schaffen zu müssen.
Versuchen Menschen und Situationen zu kontrollieren, aus Angst zurückgewiesen und verletzt zu werden.
Angst haben, dass du zu viel vom Leben willst.
Angst haben, dich ohnmächtig fühlen und mit Wut reagieren, die Wut ausleben, weil du die Angst und die Ohnmacht nicht aushalten willst.
Dinge tun, weil du sie schon immer so tust.
Dinge gedankenlos tun.
Dinge tun, die nicht zu deinem Besten sind.
Angst haben zuzugeben, dass du nicht weißt, was du tun sollst.
Entscheidungen treffen, die auf fremden Erwartungshaltungen beruhen.
Angst haben überhaupt Entscheidungen zu treffen.
Angst haben, Fehler zu machen.
Versuchen wie die anderen zu sein.
Angst vor der Angst haben.
Angst haben, du selbst zu sein.
Angst haben, dich selbst auszuhalten.
Angst vor deiner eigenen Größe haben.
Dir selbst nicht vertrauen.

Mittwoch, 23. März 2022

Aus der Praxis - Vergebung

 



Es gab eine Zeit in meinem Leben, da dachte ich, es ist notwendig zu vergeben, um mich besser zu fühlen, um inneren Frieden zu finden. Ich glaubte tief und fest, dass Vergebung ein wesentlicher Teil der Heilung ist. Ich dachte, ich bin nur dann ein guter Mensch, wenn ich Menschen verzeihe, die mich tief verletzt haben.
Allerdings stellte ich fest, dass ich mich, wenn ich meinte vergeben zu müssen oder sogar glaubte, es getan zu haben, kein bisschen besser fühlte. Im Gegenteil es ging mir noch mieser als vorher. Ich hatte versucht ein emotionales Problem allein mit dem Verstand zu lösen. Und das funktionierte nicht.
Ich kam zu der Erkenntnis, dass Vergeben kein willentlicher Akt ist und dass Vergeben zwei Pole hat.
Zum einen bedeutet Vergeben unsere Kränkung, die daraus entstandene Verletzung und das Bedürfnis nach Gerechtigkeit loszulassen. Gerechtigkeit aber will Wiedergutmachung, und manchmal will sie Vergeltung oder sogar Rache. Rache schaufelt immer zwei Gräber. Sie trifft die oder den, an dem wir uns rächen wollen und sie trifft uns selbst, weil wir uns mit einer üblen Tat schuldig machen. Rache potenziert das Unglück, sie potenziert das Schlechte und sie ist zerstörerisch für unseren Seelenfrieden. Auch wenn der Gedanke an Rache uns erst einmal als Entastung dient, wenn wir tief verletzt worden sind, sollten wir es bei den Rachefantasien belassen, um uns selbst nicht noch mehr Schaden zuzufügen als wir schon erlitten haben. Es ist gesünder auf Rache zu verzichten, nachdem wir sie gedanklich durchlebt haben.
Der andere Pol der Vergebung ist weitaus komplexer und komplizierter.
Ich habe das Gefühl, dass da etwas nicht stimmig ist, wenn wir Menschen, die uns Schlimmes angetan haben, die Absolution erteilen, indem wir ihnen unsere Vergebung schenken. Nun sprechen aber alle spirituellen Konzepte von der Vergebung als unabdingbares Heilmittel für unsere Seele. Heißt also: Wir vergeben und zwar für uns selbst, damit wir heilen. Stimmt. Aber ist das Vergeben willentlich möglich eines ichbezogenen „ums“ willen? Kann ich vergeben, weil ich es will?
So einfach ist es nicht.
 
Was an Übel geschehen ist, ist geschehen und es hat Auswirkungen auf den, dem es geschehen ist. Eine erschütternde Erfahrung schmerzt und sie geht nicht davon weg, indem ich denen oder dem, der sie verursacht hat, vergebe.
Und jetzt kommt der zweite Pol ins Spiel: Die Erinnerung.
Unsere Erinnerungen sitzen im Hippocampus. Dort sitzen auch unsere Emotionen. Jedes Mal wenn wir uns an die Verletzung oder die Kränkung erinnern, reaktiviert unser Gehirn automatisch die dazu gehörigen belastenden Emotionen. Je öfter wir uns erinnern, desto öfter wird die Vergangenheit reaktiviert und damit wird sie permanent verschlimmert. Das kann sogar so weit gehen, dass die Verletzung alles Positive, was es auch gab, vollkommen ausblendet. Wir sehen nur noch, was man uns Übles angetan hat und fühlen, was es mit uns gemacht hat. Es gelingt uns partout nicht die Endgültigkeit der verletzenden Situation oder die Endgültigkeit der Beziehung mit dem Menschen, der uns verletzt hat, anzuerkennen und abzuschließen.
Je länger das nicht-abschließen-Können andauert, desto stärker wird unsere Verbitterung. Wir bestrafen uns selbst. Dann wird das Nichtverzeihen können pathologisch. Wir leiden. Wir sind abhängig geworden vom Übeltäter, wir wollen, dass er es wieder gut macht, wir sehen die einzige Lösung unseres Problems darin, dass der Verursacher seine Schuld einsieht, sie anerkennt und es wieder gut macht. Dann führt die Unfähigkeit zu verzeihen geradewegs in eine Verbitterungsstörung, die nichts anderes ist, als Aggression unter Inkaufnahme der Selbstzerstörung.
Wir stecken in einem Teufelskreis.
 
Aber wie kommen wir da raus? Welche Bewältigungsstrategien sind hilfreich?
Nun kommt das Zauberwort: Akzeptanz. Hört sich gut an, kann man üben, gelingt in manchen Dingen, aber eben nicht immer, wenn die Gefühle so stark sind, dass sie es einfach nicht mitmachen.
 
Wie soll ich verzeihen, wenn meine Seele sich anfühlt, als sei sie in tausend Bruchstücke zerschlagen?  
Wenn meine zentralen Werte missachtet, zertreten und zerbröselt wurden, wenn das, was mich gekränkt hat, mich demütigt, herabwürdigt, mein ganzes Sein erschüttert und mich in tiefe Selbstzweifel stürzt?
Dann macht das was mit mir. Dann bin ich emotional überfordert oder mein Herz ist gebrochen. Mein Glaube an das Gute, das Wahre und das Schöne ist radikal in Frage gestellt, alles, worauf ich mein Leben, meinen Sinn gegründet habe, trägt nicht mehr.
Dann ist es sehr schwer das zu akzeptieren.
 
Versuchen wir es mit Weisheit.
Dazu gehört das Erkennen, dass das, was ich für gerecht halte, was ich für gut halte, was ich für wertvoll halte, was ich für moralisch und ethisch gut halte, für den anderen einfach nicht existiert.
Ich sehe ein, dass ich kein Recht auf Gerechtigkeit habe und dass es sie im Leben nicht immer gibt. Ich sehe ein, dass ich sie nicht einfordern kann. Weder vom Leben, noch von dem, der mich verletzt hat.
Weisheit ist die Fähigkeit komplexe Probleme zu lösen. Das gelingt, wenn wir über uns selbst hinaus denken, dahin wo die innere und die äußere Welt eines anderen mit der unseren nichts zu tun hat. Und wir es schaffen, das bewusst zu erkennen und anerkennen.
Wir können das Problem lösen, indem wir uns von uns selbst und unseren Annahmen lösen und in Selbstdistanz gehen. Wir „verstehen“ den anderen. Auch wenn es heißt ein Übel zu verstehen. Auch wenn wir sein Handeln nicht gutheißen oder missbilligen. Auch wenn wir keine Rechtfertigung akzeptieren.
Klingt krass, ist aber ein Weg.
Wenn wie uns entscheiden weise zu sein, dann sind wir Beobachter des Ganzen. Wir fusionieren nicht mehr mit der Kränkung und den dazu gehörigen Gefühlen, wir lösen uns von der Forderung oder der Erwartung des Wiedergutmachens – wir haben Distanz eingenommen. Wir erlauben uns, dass das Übel und der Übeltäter uns nicht mehr belasten. Das ist Weisheitskompetenz.
Dann gelingt vielleicht irgendwann in der Folge das Verzeihen.
Und das bedeutet nicht, dass wir vergeben.
Wir sagen nicht: Ist schon gut, war nicht so schlimm.
Wir vergessen auch nicht. 
 
Vergeben heißt nicht vergessen. Es heißt nicht, alles ist wieder gut. Es heißt nicht, dass der Mensch, der mir eine Wunde zugefügt hat, weiter einen Platz in meinem Leben hat.
Es heißt: ich lasse los, weil ich begreife, dass es nur mir selbst schadet weiter jemanden oder an etwas festzuhalten, was es nicht wert ist, dass ich mich selbst zerstöre.
Es heißt: ich versöhne mich mit dem, was das Leben auch ist – ungerecht, schmerzhaft, bitter und traurig.
Das ist Weisheit.
 
Wie gesagt, Vergebung kann dann folgen. Muss aber nicht. Es reicht, dass ich mich versöhnt habe, um meinen Groll nicht weiter zu schüren. Versöhnt mit dem Leben wie es auch ist und den Menschen, wie sie auch sind – eben nicht nur gut.
Und wenn auch das nicht gelingt? 
Dann hilft Sinngebung.
Dann hilft es sich zu fragen: Was ist der Sinn der Verletzung?
Was habe ich erfahren und was darf ich aus dieser Erfahrung lernen?
Wozu ist sie vielleicht sogar gut?
Was habe ich erkannt, was ich ohne diese Erfahrung nicht erkannt hätte.
Wie kann ich daran wachsen?
Vergebung ist ein Prozess. Und er kann dauern.
Vergebung geschieht. Wenn wir vergeben haben, erkennen wir es daran, dass uns das Schmerzhafte nicht mehr schmerzt.
Das Herz wird leichter.
 
 
Wenn Du Hilfe brauchst, weil Du in der Verbitterung feststeckst, bin ich gerne für Dich da.

Samstag, 19. März 2022

Licht

 


Wochenende. Zeit für mich. Zeit mich auszuruhen nach einer Woche voller Gespräche mit Menschen, denen es nicht gut geht. Ihnen achtsam zuhören, die richtigen Fragen stellen, gemeinsam nach Lösugen suchen.
Die Dunkelheit des Krieges liegt über uns wie eine schwere Decke, obwohl es Frühling wird. Das ist schon für Daueroptimisten und Positivdenker nicht leicht auszuhalten. Besonders schwer ist es für Menschen, denen es nicht gut geht, bei denen es Innen dunkel ist. Die äußere Dunkelheit legt sich zu ihrem inneren Dunkel und das macht es ihnen nicht leichter durch die Tage zu kommen.
 
Noch einmal schwerer ist es für Menschen, die eine Depression, eine Angsterkrankung oder sonst eine seelische oder körperliche Last zu tragen haben. Diese Menschen brauchen Licht. Viel mehr Licht als jene, die ein inneres Leuchten in sich tragen, das sich auch angesicht des Dunklen nicht ausknipsen lässt.
Seelisch belastete Menschen sind dünnhäutiger als andere, sie verkraften vieles nicht wie andere, sie sind leichter zu erschüttern als andere, sie sind ängstlicher und man kann ihr Herz schneller brechen. Aus Erfahrung durch meine Arbeit mit diesen Menschen weiß ich: Sie haben sehr viel Licht in sich, aber sie selbst spüren es nicht mehr, weil das Dunkel in ihrem Leben so groß und so übermächtig geworden ist, dass der Zugang zu ihrem Licht versperrt ist. 
Aber - es ist trotzdem da, auch wenn sie es nicht sehen können.
 
Ich wünsche allen, die jetzt in dieser dunklen Zeit so fühlen, dass sie den Glauben an ihr inneres Licht nicht verlieren, so sehr es auch gerade im Schatten verborgen liegen mag. Es wird heller, dann, wir den Glauben nicht verlieren an das Gute, denn es ist da, inmitten von allem Unguten. Immer ist es da. Wir müssen es nur sehen. In jeder Dunkelheit ist auch Licht, jeder dunklen Nacht folgt ein neuer Morgen und jedem Winter ein Frühling. So lange wir leben. Das klingt platt, aber es ist wahr.
Und manchmal verlangt das Leben von uns, dass wir durchhalten. Nichts weiter: einfach aushalten und durchhalten, auch wenn wir nicht wissen, wann es wieder ganz hell wird.

Mittwoch, 16. März 2022

Vom Wert der Hoffnung

 



Wenn wir das Wort Hoffnung hören, denken wir es sei der Wunsch nach einer besseren Zukunft. Hoffnung also als Gefühl des Zukunftgerichtetseins. Was bedeutet: wir halten aus, was ist, in der passiven Haltung des Erwartens von etwas Besserem.
In Wahrheit geht es bei der Hoffnung um viel mehr. Hoffnung ist eine innere Haltung, ein Wert, den wir kultivieren können. 
 
Hoffnung ist die Möglichkeit im Jetzt Entscheidungen zu treffen, dank derer wir uns selbst aktiv weiterentwickeln.
Hoffnung liegt darin, zu wählen wir wir mit dem, was ungut ist, umgehen wollen, also eine innere Entscheidung zu treffen, wie wir das, was geschieht, erleben wollen.
Viktor Frankl schrieb einmal sinngemäß: "Man kann dem Menschen alles nehmen, nur nicht die letzte Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen."
Diese Wahl bleibt uns in jeder Lebenssituation.
Wie will ich mich darauf einstellen, wenn mir zum Beispiel der Boden unter den Füßen wegzurutschen droht, weil ich eine tiefe Erschütterung erlebe?
Bin ich hoffnungslos werde ich denken, dass ich im Zweifel daran zerbreche und meine Gedanken werden zu einer inneren Überzeugung und im Zweifel werde ich zerbrechen.
Die Hoffnung aber sagt: Schau, wie du als Mensch daran wachsen kannst und jetzt tu das Notwendige um zu wachsen. Dann ist die Hoffnung eine aktive treibende Kraft. 
 
Hoffnung ist eng mit Zuversicht verbunden.
Sie kann uns vor Hilflosigkeit und Verzweilfung bewahren. Sie wirkt wie ein Schutzmantel gegen das Aufgeben. Hoffnung nährt unser Empfinden von Selbstkontrolle und Selbstwirksamkeit. Beides brauchen wir um in einer unberechenbar und bedrohlich gewordenen Welt emotional, mental und körperlich gesund zu überleben und um an einer besseren Welt zu arbeiten.

Sonntag, 13. März 2022

Aus der Praxis - Kreative Hoffnungslosigkeit und wie sie uns weiter hilft



 

Viele von uns befinden sich seit langem in einer Art Kampfmodus.
Die Zeitenwende strengt an, vor allem psychisch. Aber wir müssen irgendwie weiter machen, unseren Alltag bewältigen, tun, was zu tun ist. Die Herausforderungen sind da und wir nehmen sie an. Aufgeben ist keine Option!, sagen wir uns und wir kämpfen uns zähneknirschend durch. Das geht schon lange so und ja, es wird nicht einfacher.
Wir kämpfen uns durch.
In diesem Kampfmodus tun wir alles Mögliche, um uns besser zu fühlen. Wir suchen nach Lösungen, wir haben Strategien, wir haben Kompensations- und Ablenkungsmechanismen, die uns helfen sollen, die Situtation besser zu verkraften und die schwierige Zeit irgendwie durchzustehen. Wir Menschen haben einen starken Drang, uns körperlich und psychisch wohlzufühlen.
Wenn aber Krisen und Tiefpunkte andauern, und kein Ende abzusehen ist, kommt irgendwann der Punkt wo wir uns fragen: Wird das nie besser? Oder: Wird es vielleicht noch schlimmer?
Wenn wir so denken und fühlen kann sich Hoffnungslosigkeit breit machen. Sie macht sich meistens dann breit, wenn wir erkennen: Ich habe alles versucht und nichts hilft. Diese Erkenntnis ist schwer zu akzeptieren.

Was machen wir damit?
Wir können resignieren und die Hoffnung fallen lassen.
Drüberleben, statt leben. Uns hängen lassen und aufgeben. Nichts mehr tun. In der Lähmung erstarren und in eine Depression gleiten oder am Leben und an uns selbst verzweifeln.
Manche von uns sind nah dran an diesem Punkt, wo nichts mehr geht. Ich verstehe das gut. Auch ich habe Momente in denen ich mich frage: Wofür? Warum? Macht alles noch einen Sinn und: Was ist jetzt mein Sinn?
Immer wieder finde ich ihn dann doch. In der Liebe zu meinem Sohn, der Zuneigung zu meinen Gefährten, in der Herausforderung meiner Arbeit Menschen zu helfen, in meiner Liebe zum Leben selbst und in der Liebe zu meinem Leben.

„Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“, schrieb Viktor Frankl.
Ein „Warum“ kann auch sein, dass wir die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir an ihr festhalten, weil sie ein Wert für uns ist. Wir geben die Hoffnung nicht auf, auch wenn es schwer ist, sie am Leben zu halten. Wir haben die Bereitschaft an der Hoffnung festzuhalten und wir treffen diese Entscheidung ganz bewusst. Und immer wenn wir spüren, dass sie uns wieder entgleitet, dann erinnern wir uns an unsere Entscheidung.
Mir hilft das. Die Bereitschaft an der Hoffnung festzuhalten ist mein Nordstern, dem ich folge.

Aber was, wenn auch das nicht gelingt?
Es gibt noch einen anderen Weg aus der Hoffnungslosigkeit: Die Kreative Hoffnungslosigkeit.

Dieser Begriff stammt aus der Akzeptanz- und Commitmenttherapie.
Fast jeder von uns hat die Kreative Hoffnungslosigkeit schon erlebt. Kreative Hoffnungslosigkeit ist der Zustand, indem wir tief drinnen begreifen, dass unser Kampfmodus uns nichts mehr nützt oder in dem wir erkennen, dass er unsere Lage nur noch schlimmer macht und wir es sein lassen zu kämpfen.
Wir lassen los, wir sagen uns innerlich: Okay, dann eben nicht! Dann ist das jetzt so!
Der Kampfmodus ist beendet.
Wir haben die Situation akzeptiert, die wir nicht kontrollieren und nicht ändern können. Damit ist aber nicht gemeint, dass wir uns selbst endgültig gehen lassen, uns in unser Schicksal fügen und nichts mehr tun. Es ist vielmehr so, dass wir jetzt ausatmen, dass wir „sein“ lassen, was nicht wirkt und unsere Energie dafür einsetzen, was sich noch tun lässt.

Wir machen einen Strategiewechsel vom Kampf gegen das Problem zum Leben mit dem Problem.
Wir stellen uns der Situation und den Umständen.
So kommen wir erst mal zur Ruhe.
Dieser Zustand schafft eine neue Ausgangslage. In der Ruhe, die einkehrt, sind wir fähig neue Optionen zu sehen und uns Möglichkeiten zu öffnen, die wir im Kampfmodus nicht sehen konnten. Wir durchbrechen den Kreislauf des Kämpfens und akzeptieren, dass dieser Weg uns nirgendwo hinführt.
Dann erst können wir wieder kreativ werden und weitergehen. 



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Mittwoch, 9. März 2022

Was wird die Zukunft bringen?




Diese Frage stellen sich viele von uns.
Die Antwort ist: Wir wissen es nicht.
Wir spekulieren erfolglos.
Die Sorge um Morgen, um das, was geschehen könnte, blockiert uns im Heute.
Sie kann uns sogar daran hindern, im Jetzt unser Bestes zu tun und unser Bestes zu geben. Sie kann uns daran hindern, die gegenwärtigen Aufgaben und Herausforderungen zu meistern. Sie kann sogar so weit gehen, dass wir im Unglück festsitzen, das wir erwarten, dann, wenn die Sorge zu Angst wird. Angst hat man vor etwas. Angst haben wir vor dem Ungewissen, dem Nichtwissen. Die meiste Angst aber haben wir vor dem, was wir befürchten.

Sich um die Zukunft Gedanken zu machen, sich zu sorgen oder zu ängstigen ist nicht hilfreich. Im Hier und Jetzt zu leben, im Jetzt präsent zu sein, ist hilfreich.
Je präsenter wir im Jetzt sind, desto weniger Macht haben Angst und Sorge. 

Im Jetzt sein ist das Beste was wir tun können und zwar nicht nur für das Heute, sondern auch für das Morgen.

Dienstag, 8. März 2022

Vom weiblichen Selbstwert - Gedanken zum Weltfrauentag

 


Der Selbstwert eines Menschen steigt in der Regel im Laufe des Lebens an. Bei Frauen ist dieses Gefühl für den eigenen Wert allerdings meist niedriger als bei Männern, das ergaben psychologische Studien. Viele Frauen reflektieren die Fragen: "Wer bin ich?" und "Was kann ich?" zu wenig. Sich selbst nicht bewusst wahrzunehmen, nicht zu wissen, wo die eigenen Stärken und Schwächen, die versteckten Potentiale und Fähigkeiten liegen, führt zu einem unausgereiften Selbstkonzept und in der Folge zu einem wenig positiv besetzten Selbstbild.
"In der Regel verbirgt sich hinter der prächtigen äußeren Fassade ein emotional verwahrlostes, verzweifeltes Kind, das nach Anerkennung seiner wahren Identität hungert. Die Entdeckung des "wahren" Selbst ist der Ausgangspunkt der Genesung und erfordert eine geduldige, behutsame Pflege des "inneren Kindes", schreibt die Psychologin Bärbel Wardetzki. Sie spricht aus Erfahrung.
 
In Gesprächen mit Frauen beobachte auch ich oft, dass kein oder nur sehr wenig stabiles Selbstwertgefühl vorhanden ist. Viele Frauen zeigen zwar nach Außen eine starke und selbstbewusste Fassade, dahinter versteckt sich jedoch ein unsicheres, verletztes und sich minderwertig fühlendes Mädchen.
 
Durch Perfektionismus, besondere Leistungen, einen hohen Anspruch an sich selbst und körperliche Attraktivität versuchen diese Frauen einem Idealbild zu entsprechen, welches das Außen ihrer Meinung nach von ihnen erwartet. Über die Zeit hinweg bedeutet das eine unglaubliche Anstrengung. Diese vermeintlich starken Frauen sind durch Kritik und Zurückweisung sehr schnell zu verunsichern. Die Selbsteinschätzung kippt beim kleinsten Angriff unmittelbar von "ich bin stark“ in ein Gefühl von Minderwertigkeit und endet in der Überzeugung nicht wertvoll und nicht liebenswert zu sein. Ein Schwanken zwischen Höhen und Tiefen bestimmt so das Leben.
 
Die innere Balance ist ebenso fragil wie das äußere Bild, das mit zunehmendem Alter, unverwirklichten Träumen, Zielen und Enttäuschungen in Beziehungen zu bröckeln beginnt. Diesen Frauen gelingt es nur schwer oder kaum, sich über einen längeren Zeitraum gut und lebendig zu fühlen. Die Folgen dieser inneren Disbalance sind u.a. Ängste, Depressionen, Burn Out oder Essstörungen wie Bulimie oder Anorexie. Die Ursache ist in den meisten Fällen ein fragiles, falsches oder in der Kindheit zerstörtes Selbstbild.
Es ist nicht neu, dass Frauen ihr Licht häufig unter den Scheffel stellen, während sich Männer eher überschätzen. Beide Einstellungen entfernen den Menschen von seiner inneren Realität.
 
Trotz Emanzipation und finanzieller Unabhängigkeit gibt es noch heute intelligente, autonome Frauen, die sich dem Dominanzanspruch des Mannes unterwerfen, sobald sie eine Partnerschaft eingehen. Die Mutter, die meist zeitlebens abhängig war und vergeblich nach Anerkennung gedürstet hat, vermittelt und lebt vor: eine gute Frau soll dem Manne dienen. Dies und das Erfüllenwollen notwendig geglaubter erotischer Stimulanz für den Mann, fungieren unbewusst noch heute bei vielen Frauen als Gegenleistung für Versorgung und männlichen Schutz. Durch die verinnerlichten Glaubensätze des vom Patriarchat gewollten kollektiven Bildes von Weiblichkeit befinden sich das weibliche Selbstbewusstsein und die innere Autonomie der Frau in einer bedenklichen Schieflage. Gerade in der Begegnung mit dem Mann wird die vermeintlich starke Frau schwach.
Hier leben archetypische Muster auf und führen ihr Eigenleben. Frauen spüren intuitiv, dass sich der Mann nur dann stark fühlen kann, wenn sie sich schwächer zeigen. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Die Erfahrung zeigt zudem - sobald Frauen selbstbewusst auftreten, gefährden sie das Selbstbewusstsein des Mannes. Sie greifen seine Überlegenheitsfantasien an, gelten als unweiblich, zickig, kompliziert, anstrengend oder streitlustig, haben "Haare auf den Zähnen".
 
Neben allen kollektiven Aspekten und Einflüssen auf das Frausein tragen mangelnde Anerkennung durch den Vater oder die Mutter zu einem weiblichen Selbstkonzept der Wertlosigkeit bei. Ganz zu schweigen von kindlichen Missbraucherfahrungen, egal ob sexueller oder emotionaler Art. Missbrauch zerstört das Gefühl des eigenen Wertes, er ist die Vernichtung des ganzen Seins. Eine solche Erfahrung führt zu Schuldgefühlen, dem Gefühl "schlecht" zu sein, Scham und Selbstverachtung. Missbrauch macht Frauen zum lebenslangen Opfer wenn er nicht verarbeitet wird. Diese Opferhaltung drückt sich später vor allem in intimen Beziehungen aus und ist ein Nährboden für Probleme in der Partnerschaft. Einerseits ist da die Angst, als Mensch nicht in der eigenen Ganzheit geliebt zu werden, andererseits die Angst, wieder von einem geliebten Menschen benutzt, verletzt oder verlassen zu werden, was paradoxerweise zum Klammern an den Partner führen kann. Eine Nähe, die sucht, was ihr eigentlich Angst macht.
 
Besonders Frauen, die sich mit ihrer Biografie nicht auseinandergesetzt haben und immer funktioniert haben, um den äußeren Schein zu wahren und ihre Rolle zu bedienen, suchen in einer Art Wiederholungszwang immer wieder Männer, die das Defizit eines gesunden Selbstwertgefühls noch verstärken.
 
Für einen gesunden Selbstwert aber ist es entscheidend, sich ein liebevolles, anerkennendes und unterstützendes Umfeld bewusst und vor allem selbst wählen zu können, das einen bestärkt, man selbst zu sein und es sein zu dürfen. Also auch schwach sein zu dürfen, vor sich selbst und anderen. Wer um seinen Wert weiß, ist nicht auf die Bestätigung durch andere angewiesen. Er ist autonom, er ist auf Augenhöhe mit dem Partner, und lebt seiner eigene Wahrheit und seiner Werte entsprechend.
 
Der Weg zu einem gesunden Selbstwert ist die Selbstreflexion. Ziel des Weges ist es, Eigenverantwortung zu übernehmen und sich damit aus der Opferrolle zu bewegen.
Dazu gilt es die Ursachen für das mangelnde Selbstwertgefühl zu erforschen und zu analysieren. Dabei ist es hilfreich, sich selbst zu beobachten um Schritt für Schritt alte Verhaltensmuster und unheilsame innere Überzeugungen zu verändern.
Der Weg zum eigenen Selbstbewusstsein hat immer auch einen philosophisch-spirituellen Aspekt. Es geht darum, sich des eigenen Wertes bewusst zu werden, sich selbst kennen zu lernen und sich anzunehmen, mit der eigenen Biografie, die uns zu der Frau macht, die wir sind. Es geht um Persönlichkeitsaufbau, Identität und um Authentizität, was nichts anderes bedeutet als dass Denken, Fühlen und Handeln übereinstimmen. Es geht darum, die Maske abzulegen, der eigenen Angst und Schwäche zu begegnen, sie mitfühlend anzunehmen und sich selbt wertzuschätzen. Es geht darum ja zu sich selbst zu sagen, ja zum eigenen Wert. Es geht um das Spüren der eigenen Kraft und Würde. 
 
An dieser Stelle möchte ich alle Frauen ehren.
Möget Ihr Euch selbst wertschätzen.
Möget ihr gut zu Euch sein.
Möget Ihr Euch selbst die beste Freundin sein.
Möget Ihr Euch eurer Kraft und Stärke bewusst sein.
 
Namasté Ihr Lieben
 
 

Montag, 7. März 2022

Mitten im Chaos - Mut, Weisheit und Frieden


"Eine schwierige Zeit
ist eine Zeit für Weisheitsübungen
und Übungen zum Mut", schreibt Jack Kornfield.
 
Das Chaos in der Welt hat sich zugespitzt. Wenn wir glaubten die Pandemie sei das Schlimmste, was passieren konnte, so waren wir auf dem Holzweg. Jetzt ist noch Schlimmeres in unser Leben getreten.
Viele von uns starren wie schon die letzten zwei Jahre voller Angst auf die Bedrohung, die wie ein Damoklesschwert über allem schwebt.
Wir denken in Szenarien wie: Im schlimmsten Falle ...
Das sind angesichts des Chaos in der Welt Gedanken, die auch ich mir mache, und jedes Mal, wenn ich so denke, komme ich zu dem Schluss ... im schlimmste Falle geschieht das Schlimmste und ich kann absolut nichts daran ändern.
Es geschieht, was geschehen wird.
Es wird sein, was sein wird.
Dann ist das so. 
 
Diese Gedanken beruhigen mich.
Sie machen mir wieder bewusst, dass ich nichts kontrollieren kann, worauf ich keinen Einfluss habe.
Sie machen mir wieder bewusst, dass es keine Sicherheit gibt.
Sie machen mir bewusst, dass ich weder mit Denken, noch mit Erklärungsversuchen, warum es ist wie es ist, weiter komme.
Sie machen mir auch bewusst, dass meine Angst, meine Ohnmacht, meine Trauer, meine Wut und meine Verzweiflung über das Schreckliche was in der Welt geschieht, nichts ändern, sondern es ändert allein etwas in mir selbst.
Ich fühle mich schlecht. 
 
Angst macht eng, macht manipulierbar, friert ein, lähmt, führt zu Flucht oder Rückzug. Ohnmacht lähmt meine Fähigkeit klar zu denken und angemessen zu handeln. Trauer macht legt eine dunkle, bedrückende Decke über mein Jetzt. Wut macht kopflos, frisst meine Klarheit und führt zu Aggressionen mir selbst oder anderen gegenüber. Verzweiflung lässt mich an allem ver zweifeln, auch an mir selbst, führt zu Selbstverlust.
Nicht hilfreich.
 
Was ist hilfreich in diesem Chaos?
Viele von uns haben in ihrem Leben schon viel an Chaos und Schicksalsschlägen erlebt und viele von uns haben es überlebt. Sie sind daran gewachsen und nicht zerbrochen. Sie wissen, dass sie mehr schaffen, als sie geglaubt hätten. Daran können wir uns halten. 
 
Das Wichtigste aber um durch das Chaos zu gehen ist die Ruhe zu bewahren und bei sich selbst zu bleiben. Sich nicht von der Angst in den destruktiven Sog ziehen zu lassen, sondern zu schauen: Was ist jetzt wichtig, jetzt in diesem Moment in der Zeit, an diesem Tag? Und es zu tun.
Indem wir etwas tun bleiben wir in Bewegung und damit treten wir aus der Lähmung, die destruktive Gedanken verursachen können.
Das zweitwichtigste ist Zuversicht.
Der Glaube daran, dass es gut ausgeht. Und auch wenn es nicht gut ausgeht, so haben wir doch die Zeit, bevor es dann vielleicht nicht gut ausgeht, gute Gedanken über das Destruktive siegen lassen.
Das dritte ist: Gelebtes Mitgefühl. Für uns selbst und für unsere Mitmenschen. Uns fragen, was können wir hilfreiches für uns selbst tun und was kann anderen helfen?
Das vierte ist, wie Jack Kornfield schreibt: Mut.
Damit meint er den Mut nicht aufzugeben, auch in dunklen Lebensphasen. Mutig jeden Tag anzunehmen, auch wenn das Leben unsicher ist, auch wenn es schwer ist, auch wenn es anders ist, als wir es uns wünschen. Ignorieren, verdrängen, betäuben oder Weglaufen sind keine Lösung, sondern verschlimmern die Probleme.
 
Annehmen was ist und dennoch weitermachen, das Mögliche tun, ist Weisheit.
Wenn wir unseren Lebensumständen, egal wie sie gerade sind, mit Mut und Mitgefühl begegnen, werden sie uns zu Gelassenheit, Weisheit und innerem Frieden führen.
Und letztlich ist es dieser innere Frieden zu dem wir jetzt aufgerufen sind. Frieden in uns selbst zu machen ist die große Herausforderung vor die uns das Leben jetzt stellt.
Wer innerlich im Frieden ist, trägt nicht nur zum äußeren Frieden bei, er kann im Frieden mit sich selbst loslassen, wenn die Zeit kommt um alles loszulassen. 
 
 
 

Samstag, 5. März 2022

Verstrickung

 

                                                          Malerei: Angelika Wende

 
Wenn wir glauben, wir könnten auch nur einen Menschen verändern, wenn wir glauben, das wir irgendwie derjenige sind, der einen anderen retten kann, sind wir auf dem Holzweg. Wenn wir glauben, wir sind zum „Retter “ auserkoren, geraten wir in Schwierigkeiten. Das ist ein Trugschluss. Es klappt nicht. Weder im Großen noch im Kleinen klappt es. Es macht uns nur ver rückt. Wir sehen die Dinge nicht mit klarem Verstand.
Wir geraten in Verstrickung und Co-abhängigkeit. Wir nehmen die Retterrolle und gleichzeitig die Opferrolle ein. Wir strengen uns an, wir opfern uns auf für den, den wir retten wollen, wir verlieren uns selbst, anstatt Eigenverantwortung zu übernehmen und dem anderen Eigenverantwortung zu lassen. 
 
Jeder Mensch hat Eigenverantwortung. Er übernimmt sie oder nicht. Wir können niemanden dazu bringen, sie zu übernehmen. Wir haben keine Macht über andere Menschen, auch wenn wir es nicht wahr haben wollen. Es ist wahr. 
 
Wir müssen niemanden beweisen, das wir Retter sind. Wir müssen nicht beweisen, dass man uns braucht. Wir müssen nicht die Welt retten, weil wir es nicht können. Was wir können, ist uns ändern, wenn wir spüren, dass wir immer wieder in den Retter Modus verfallen. Dann dürfen wir lernen uns selbst zu retten.
Es ist immer der erste Schritt, sich nicht instrumentalisieren zu lassen, weder von anderen, noch von unserer Vergangenheit, noch von unserer eigenen Bedürftigkeit.
Die Unterstützung, die Hilfe und die Begleitung, die wir anderen geben können, entsteht nicht durch Wollen, nicht durch Anstrengung, nicht durch Druck und Kampf, nicht durch das ständige Bemühen, dem anderen zu zeigen, wie er besser leben oder besser sein könnte und dass wir genau derjenige sind, der ihm das beibringt. Hilfe entsteht auf ganz natürliche Weise, wenn andere dazu bereit sind. Wir müssen es nur zulassen.

Freitag, 4. März 2022

Ruhe im Sturm finden

 



Um unser Nervenkostüm zu schonen, müssen wir darauf achten, uns nicht in alles hineinziehen zu lassen. Uns hineinziehen lassen bedeutet: Wir sind mittendrin in den Angelegenheiten anderer. Wir sind nicht mehr bei uns selbst.
Auch wenn es zur Zeit schwer ist, bei uns selbst zu bleiben, es ist notwendig um nicht dauerhaft von schwierigen Gefühlen beherrscht zu sein.
Das nützt keinem. Dir nicht, mir nicht, unseren Kindern nicht, unseren Nächsten nicht, der Welt nicht.
 
Wir alle wünschen uns Frieden.
Wenn wir versuchen Frieden zu schaffen, müssen wir nicht in der Mitte des Geschehens sein. Wir schaffen Frieden, wenn wir in uns selbst für Ruhe, Klarheit und Frieden sorgen und nicht kopflos dem äußeren Aufruhr folgen und uns darin verstricken.
Das heißt nicht, dass wir keine Angst haben. Das heißt: Wir sind uns unserer Angst bewusst, aber wir lassen uns nicht von ihr beherrschen. Genauso ist es mit der Wut. Wir sind uns unserer Wut bewusst, aber wir lassen es nicht zu, dass sie uns zu unheilsamen Reden und Handeln treibt. So ist es mit der Hilflosigkeit und der Ohnmacht. Wir erkennen sie an, wir lassen sie zu, aber wir lassen uns nicht lähmen und uns vom angemessenen Handeln abbringen. Wir lassen Unbehagen und Unruhe zu und dann lassen wir bewusst los und lassen Ruhe, Frieden und Liebe in unserem Inneren einkehren. So ist es mit unserem Mitgefühl, wir fühlen mit, aber wir versinken nicht im Mitleid. Wir tun, was wir können um zu helfen und was in unserem Einflussbereich liegt. 
 
Wo schwierige Gefühle die Macht über uns haben, sind wir machtlos. Wo wir uns machtlos fühlen, werden wir zu Opfern und zum Spielball äußerer Mächte. 
 
Wir stiften Frieden, wenn wir nicht noch mehr Chaos und Leid anrichten. Nicht in uns selbst, nicht in denen, die wir lieben, nicht in unserem Umfeld und nicht in der Welt.
 
Wenn Dir das alleine nicht gelingt, bin ich gerne für Dich da.
 
Namasté
 
 

Donnerstag, 3. März 2022

Krieg und Frieden

 

                                                                Art: Banksy

In dem Maße wie wir auf unsere Sicht von Welt beharren, in dem Maße, wie wir uns oder andere in Vorstellungen und Normen pressen, in dem Maße, wie wir verurteilen, was nicht in den eigenen Denkrahmen passt, entfernen wir uns vom Frieden und von der Liebe.
Wir wollen andere ändern. Wir wollen ihnen unsere Wahrheit aufdrücken. Damit wir uns besser fühlen können, damit wir im Recht sein können. Und es gibt Unfrieden.
Wenn wir friedlich zusammenleben wollen, müssen wir uns selbst und unsere Nächsten akzeptieren wie wir sind.
Leicht gesagt und nicht gelungen.
Gelingt nicht, zeigt die Geschichte, gelingt nicht, das haben uns die letzten beiden Jahre so klar und deutlich wie nie zuvor gezeigt.
Kein: Ich lasse mich sein und ich lasse dich sein.
Kein: Du bist okay. Ich bin okay.
Nein, wir haben uns gegenseitig bekriegt. 
 
So viel Krieg in den Herzen und in der Welt.
 
Menschen wurden erbitterte Gegner, weil sie verschiedene Meinungen haben. Und jetzt blicken wir dem Krieg in der Ukraine in sein grauenvolles Gesicht und wir sind fassungslos und erschüttert.
Wir blicken in einen grausamen Spiegel von Wut, Hass und Zerstörung und fürchten uns. Und wir verurteilen diesen Krieg. Wir, die wir nicht einmal in uns selbst, nicht in der kleinsten Zelle, zum Frieden fähig sind. Ja, so grauenvoll ist Krieg, so zerstörisch, so vernichtend, wenn das Böse im Menschen sich Macht verschafft und ganz groß wird. Und wir sind entsetzt. Wir, die wir noch gestern böse waren auf die, die anders denken und sie zum Feind erklärt haben.
 
Ist es nicht Zeit endlich aufzuwachen?
Nein, so können wir nicht gut zusammenleben.
 
Wir können nicht gut zusammenleben, wenn wir von anderen verlangen so zu denken, zu fühlen, zu handeln wie wir selbst.
Wenn wir fordern, andere müssen so sein wie wir, weil sie unsere Sicht von Welt irritieren oder in Frage stellen. Je mehr wir sie dafür angreifen, desto unsicherer sind wir uns unserer selbst, desto weniger Halt haben wir in uns selbst, desto größer ist die Angst, die eigene kleine Maulwurfswelt könnte bedroht und in Frage gestellt werden. 
 
Wo Angst ist, ist kein Raum für Liebe.
Wir führen Krieg. 
 
Je vehementer der Angriff gegen Andersdenkende, desto größer die eigene Angst, desto größer die Anhaftung an Konzepte, desto größer das Festhalten, desto enger das Herz, desto größer ist der Krieg, der im eigenen Inneren stattfindet.
Wer in sich selbst Frieden fühlt, führt keinen Kampf gegen andere.
Frieden ist, wenn wir uns selbst und den anderen als Mensch achten und ihm seine Position zugestehen. Frieden ist da wo Respekt, Mitgefühl, Achtung, Achtsamkeit, Verständnis, Rücksicht, liebevolle Güte und ja ... dieses große Wort: Liebe, ist. Auch Nächstenliebe.
Sprachwort Liebe!?
Wo leben wir die Liebe?
Ich du, er, sie es, wir?
Es ist Zeit, dass wir anfangen mit dem Lieben.
Und Frieden machen. Zuerst in uns selbst.
"Wer keinen Frieden in sich selbst gefunden hat, kann nicht zum Friedenswerkzeug werden, sagte
Thich Nhat Hanh einmal.
Er hat Recht. 


Mittwoch, 2. März 2022

Zuhören ist gar nicht so leicht


 
Es plappert da oben. Den ganzen Tag plappert es in unserem Denkapparat. 
Zur Zeit plappert es bei vielen von uns noch mehr als sonst. Ich nehme mich davon nicht aus. Auch in mir plappert es gewaltig.
Aber es plappert nicht nur, wir hören dem Geplappere auch zu - inneres Reden und inneres Zuhören. Und wir glauben, was wir hören und schon sind wir überzeugt davon, dass das alles wahr ist, was wir hören, ohne zu überprüfen, ob das, was wir hören, auch wirklich wahr ist. Wir urteilen über andere oder über uns selbst.
Aus dieser geglaubten Wahrheit formt sich dann unsere innere Realität. Aus dieser inneren Realität werden Gefühle und Handlungen von deren Richtigkeit wir fest überzeugt sind.
Weil wir so von unserer inneren Wahrheit überzeugt sind, ist es so schwer, anderen zuzuhören. Weil im eigenen Inneren die ganze Zeit jemand gegen das äußere Gespräch anplappert. 
 
Wir fahren unseren eigenen Film, folgen unserem eigenen Drehbuch und alles was von außen kommt, versackt im Nirwana, ohne dass es auch nur für einen Moment bei uns ankommt. Wir reden um zu antworten und haben die Antwort schon parat, so wie sie im Drehbuch steht.
 
Es plappert in uns, es plappert aus uns heraus, wir hören uns selbst und damit ist unser Blickwinkel eingeschränkt. Damit setzen wir eine Schranke, die echtes aktives Zuhören unmöglich macht. Aktives Zuhören, als essentielles Tool der Kommunikation, hat den Wunsch, den Gesprächspartner besser zu verstehen.
Könnte sich jetzt jeder mal fragen: Will ich das überhaupt? 
 
Es ist unsere Schwäche unserem inneren Geplapper zu glauben und in der Folge die Dinge nur aus einem Blickwinkel zu sehen.
Die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen ist schwer, denn dazu muss man bereit sein wirklich zuzuhören, das Gehörte aufzunehmen und darüber nachzudenken.
Das macht Mühe und das ist anstrengend.
Die Dinge nur aus dem eigenen Blickwinkel zu sehen ist nicht nur einfacher, sondern ichbezogen. So können wir uns individuell und kollektiv nicht wirklich weiter entwickeln.
Wenn wir aber dem anderen zuhören um ihn zu verstehen, werden wir uns selbst besser verstehen. Und je besser wir uns selbst verstehen, desto besser verstehen wir den Zusammenhang des Ganzen.