Es ist eines der schlimmsten Dinge, die erwachsene Kinder ihren Eltern antun können: ein Kontaktabbruch. Kontaktabbrüche in der Familie sind schon immer keine Seltenheit. Seit Corona haben sie sich gehäuft. So wie sich Paare, Freunde und Bekannte getrennt haben, haben sich Kinder von den Eltern getrennt. Fast 100.000 Fälle von erwachsenen Kindern, die ihre Eltern verlassen haben, gibt es zur Zeit schätzungsweise in Deutschland.
Wie kann das geschehen?
Man versteht sich nicht mehr. Der andere hat eine komplett andere Sicht der Dinge, man hat sich so lange gestritten, bis man endgültig zerstritten ist und die Fronten verhärtet sind, so hart, dass es zu dem harten Schnitt des Kontaktabbruches kommt.
Ein plötzlicher Kontaktabbruch ist eine impulsive, endgültige Trennung am Ende eines langen schmerzhaften Prozesses. Aber, auch wenn es so scheinen mag, ist ein Kontaktabbruch nichts, was man mal so eben geschieht. Meist ist er die Folge eines jahrelang schwelenden Konflikts oder eines lang gehegten Golls, dessen Ursachen in der Vergangenheit liegen. Bei den meisten Kontaktabbrüchen war das Miteinander bereits lange schon konfliktbeladen und fragil. Irgendwann kommt dann der Tag, wo das Fass überläuft.
Wenn Kinder ihre Eltern verlassen, verlassen sie das, was sie in der Vergangenheit verletzt hat und nicht verzeihen können.
Sie fühlen sich als Opfer und werden zu Tätern.
Das tut weh. Es ist eines der schlimmsten Dinge, die eine liebende Mutter oder ein leibender Vater erleben können. Gefühle wie Schuld und Scham, Ohnmacht, Trauer, Wut und Verzweiflung sind dann die Begleiter. Die Betroffenen fragen sich ständig, was sie falsch gemacht haben. Sie finden in den meisten Fällen auch Antworten, aber sie helfen nichts – das eigene Kind hat sie als Mutter oder als Vater ausgelöscht. Mehr noch – es hat sie bestraft, dafür kein hinreichend guter Elternteil zu sein.
Wer sein Kind liebt und von ihm verlassen wird, hat in seinen eigenen Augen in der Liebe versagt. Wie sonst könnte er verlassen werden.
Das sind Gedanken, die Betroffene Tag für Tag begleiten und ihr Leben massiv beschweren. Die Trauer ist groß, Trost gibt es nicht. Sie haben das Liebste verloren, das Wesen, das sie von Geburt an umsorgt und behütet haben, das sie bedingungslos geliebt haben, hat sie verstoßen. Es zeigt ihnen, dass alles nicht genug war oder falsch. Es zeigt ihnen, dass sie unentschuldbare Fehler gemacht haben, dass sie ihr Kind verletzt haben.
„Du bist eine schlechte Mutter, ein schlechter Vater“, ist die unausgesprochene Botschaft. „Du tust mir nicht (mehr) gut, ich brauche und ich will dich nicht mehr“.
Indem ein Kind den Kontakt abbricht leugnet es die elterliche Existenz in seinem Leben. Das ist für die Betroffenen wie eine Ich-Vernichtung. Da reißt etwas ab, was einen großen Teil der Identität ausgemacht hat, da zerbröselt, was man für ewig und unzerstörbar gehalten hat, die Liebe des eigenen Kindes.
Aber ist das wirklich so?
Lieben Kinder, die ihre Eltern verlassen, sie nicht mehr?
Es ist möglich. So unbegreiflich es auch sein mag, sogar die Libe zu den Eltern kann vergänglich sein, aber in den meisten Fällen sind die Kinder im Tiefsten verletzt und enttäuscht. Sie haben es aufgegeben, zu bekommen, was sie von den Eltern gebraucht hätten und aus welchen Gründen auch immer, nicht bekommen haben. Sie geben den Kampf auf. Ihre Erwartungen sind massivst enttäuscht. Oder sie ziehen als erwachsener Mensch endlich die Konsequenzen aus traumatischen Kindheitsverletzungen, die ihnen die Eltern zugefügt haben.
Besser ein Cut, als weiter leiden. Besser Schweigen als weiter kämpfen und in den Konflikt gehen. Am Ende bleibt als Problemlösungsstrategie, um sich selbst zu entlasten dann nur das große Schweigen. Sie sind nicht mehr erreichbar. Sie antworten weder auf Nachrichten, noch auf Anrufe, noch auf Briefe. Endlich Ruhe. Endlich frei vom elterlichen Schatten.
Nachvollziehbar, aber dennoch zutiefst schmerzhaft für die Verlassenen. Alle Versuche den Kontakt wieder aufzunehemen sind ist nutzlos. Vergeblich. Sie prallen ab an einer eisigen Wand des Schweigens. Es dauert lang bis verlassene Eltern das überhaupt begreifen. Es dauert lang bis sie die Hoffnung aufgeben, dass es wieder gut werden könnte. Manche geben sie nie auf. Und manchmal kommen die Kinder auch zurück.
Aber was wenn sie nicht zurückkommen?
Wie gesagt, die Hoffnung, dass sie ihr Kind noch einmal wiedersehen, geben die wenigsten Eltern auf. Es dauert bis Betroffene akzeptieren können was ist und manche können es nie. Sie zerbrechen daran. Sie werden krank oder fallen in eine tiefe Depression. Sie sehen keinen Sinn mehr im Leben. Das Leben, das sie geschenkt haben, hat sich gegen sie gewandt. Das ist eine tiefe Erschütterung, die einen Menschen komplett aus der Bahn werfen kann. Das Liebste ist verloren und man selbst ist schuld. Eine Schuld, die sich nicht sühnen lässt, nicht entschuldbar ist, solange das Kind nicht fähig oder nicht bereit ist zu verstehen und zu verzeihen.
Wenn Kinder im Erwachsenenalter den Kontakt zu ihren Eltern für immer abbrechen, hat das die Wucht einer Tragödie. Es ist eine Tragödie um Schuld und Sühne, die nicht nur die Seelen der Eltern zerstören kann, sondern auch die der Kinder, die verlassen haben, werden Ursachen und Gründe des Verlassens nicht be-und verarbeitet.
Was kann man als verlassener Elternteil tun?
Es ist hilfreich sich in eine Therapie zu begeben um zu lernen das eigene Leben trotzdem weiter zu leben und es zu gestalten. Eine Therapie kann helfen um mit dem Schmerz, den Schuld- und Schamgefühlen und der Ohnmacht umgehen zu lernen und die Trennung zu akzeptieren und zu verarbeiten, so gut es geht. Manche Eltern suchen sich eine Selbsthilfegruppe um ihren Schmerz zu teilen. Heilen wird er nicht.
Kontakt: aw@wende-praxis.de
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