Montag, 10. Januar 2022

Aneinandervorbeisein, einsam sein


 

„Er wurde nicht von denen verstanden, die er liebte. Und gerade das hielt er nicht aus, dieses Aneinandervorbeisein mit denen, die er liebte. Aber es war noch mehr da, das so groß wurde, daß es alles überwuchs, und das sich nicht wegschieben lassen wollte.

Das war, dass er nachts weinen konnte, ohne dass die, die er liebte, ihn hörten. Das war, dass er sah, daß seine Mutter, die er liebte, älter wurde und dass er das sah. Das war, dass er mit den anderen im Zimmer sitzen konnte, mit ihnen lachen konnte und dabei einsamer war als je. Das war, dass die anderen es nicht schießen hörten, wenn er es hörte. Dass sie das nie hören wollten. Das war dieses Aneinandervorbeisein mit denen, die er liebte, das er nicht aushielt.“

Diese Sätze sind aus Wolfgang Borcherts Buch, „Das Holz für morgen“.

 

Das Aneinandervorbeisein mit denen, die man liebt, erleben manche von uns zur Zeit. Wir kommen nicht mehr an die anderen heran. Sie verstehen uns nicht, sie hören vielleicht gar nicht zu, sie können nicht fühlen, was wir fühlen oder sie weigern sich, sich mit uns auseinanderzusetzen.

Das kaum Aushaltbare dabei ist, dass wir uns uns allein gelassen fühlen und es sind. Und je mehr wir uns allein gelassen fühlen, desto einsamer fühlen wir uns, sind wir. Wir sind getrennt von denen, die wir lieben, Einzelmenschen, die ihre Gefährten verloren haben. Die Sehnsucht nach Verbundenheit findet keinen Anker mehr. Wir sind getrennte Wesen, die in einem Orbit der Leere trudeln, denn, was uns einst Halt gab und Geborgenheit, hat sich aufgelöst. 

Wir sind enttäuscht und die Enttäuschung sitzt tief. Wir fühlen Trauer. Trauer, die unteilbar ist, die keinen Trost findet, macht noch einsamer.  Sie zieht uns wie ein Sog in den Abgrund der totalen Isolation. 

Keine Verbundenheit - das ist Einsamkeit.

 

Einsamkeit hat Wirkungen. Wir sind müde, immer müde, zu müde um mit jemandem sprechen zu wollen. Mit wem auch?

Nachdenken, Gedanken über das, was war und verloren ist und nie mehr so sein wird. Je länger wir einsam sind, je bewusster uns unsere Verluste werden, desto größer wird die Angst. Angst verrückt zu werden in unserem leeren Orbit, Angst, die sich abwechselt mit der Wut auf die Menschen, die die Einsamkeit verursacht haben. Die uns allein gelassen haben. Das Band ist zerrissen, von dem wir glaubten, dass es für immer hält.

Wir haben uns getäuscht und es hilft uns nichts zu wissen, dass die Enttäuschung das Ende der Täuschung ist. Wir leiden. Gefühle lassen sich nicht wegdenken, weil der Verstand zur Einsicht kommt.

Wir fragen uns: Ist das was wir hatten, noch irgendwie da? Gibt es da noch einen Rest von Verbindung? Macht es noch Sinn überhaupt miteinander zu reden? 

Wir haben es doch versucht, immer wieder und immer wieder nur die Erfahrung des Aneinandervorbeiseins.

Da ist diese Wand, die zu hoch ist, um sie zu übersteigen, zu hart um sie zu durchbrechen.

Äußerste Einsamkeit - das ist ohne Gefährten sein. 

Das ist kaum aushaltbar.

Wir wollen befreit werden, aber es kommt keine Befreiung. Wir wünschen uns Versöhnung, aber sie kommt nicht. Wir beschließen auszuhalten und verlegen uns auf das Hoffen. Wir mahnen uns zur Geduld, sagen uns, die Zeit heilt auch diese Wunde, im Wissen, dass es Wunden gibt, die niemals heilen. Wir sind in Gefahr aufzugeben, wenn wir nicht wissen, womit anfangen, wohin gehen, allein. Immer wieder stoßen wir an unsere Grenzen.

Wir brauchen jetzt geduldige Beharrlichkeit. 

Uns nicht überwältigen lassen. 

Unserer Einsamkeit einen Sinn verleihen.

 

 

 

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