Montag, 31. Januar 2022

Aus der Praxis - Das Cave-Syndrom und die Anpassungsstörung

 

                                                             Foto: pixybay

Jetzt haben wir, dank Corona, wieder einmal ein neues Wort für ein altes Phänomen: Cave - Syndrom. Zu Deutsch: Höhlen Syndrom, was nichts anderes bedeutet, als dass sich Menschen in die soziale Isolation begeben. Sie ziehen sich zurück in die eigenen vier Wände, verlassen diese nur selten und nur dann, wenn es nicht vermeidbar ist.

Wie gesagt neu ist dieses Verhalten nicht. 

 

Das Cave-Syndrom im Grunde nichts anderes als eine Schutz- und Vermeidungsstrategie aufgrund einer Anpassungsstörung.

Menschen mit Angststörungen, Phobien, Suchterkrankungen, Depressionen und anderen psychischen oder auch körperlichen Erkrankungen kennen diesen Rückzug ins Eigene, dieses sich Einschließen in die private kleine Welt, die gefühlt schützt vor der Außenwelt, welche als unsicher, bedrohlich, angsteinflößend oder schamauslösend wahrgenommen und bewertet wird.

Anderseits gibt es auch Menschen die schon vor Corona in einer Art „Splendid Isolation“ den Rückzug in die eigene Höhle frei gewählt haben, weil sie viele soziale Kontakte weder brauchen, noch vermissen. Dazu gehören Introvertierte, Hochsensible oder Künstlernaturen. Menschen, die die sich selbst genug sind oder zu viele Reize meiden um ihr hochsensibles System nicht zu überlasten.

 

Wie gesagt, das Höhlen-Syndrom ist nichts Neues.

Neu allerdings ist, dass sich immer mehr Menschen aufgrund der Pandemie immer seltener nach draußen ins Leben bewegen und menschlichen Kontakt vermeiden. Nachvollziehbar, denn das Außen ist ja wirklich eine Bedrohung, ist doch mit jedem Kontakt die Möglichkeit gegeben , sich mit dem Virus zu infizieren. So ist es nicht verwunderlich, dass die Motivation zur sozialen Teilhabe sinkt und zwar in dem Maße, wie hoch die eigene Angst ist, dass soziale Kontakte eine Gefahr für Leib und Leben bedeuten.

 

Diese Angst ist konditioniert und wird täglich medial befeuert.

Wir haben in zwei Jahren gelernt, dass Kontakte mit anderen Menschen gefährlich sind. „Stay home for us“ wurde 2020 zum internationalen Aufruf im Kampf gegen das Coronavirus.

Wir haben gelernt, den anderen und uns selbst zu schützen, indem wir Nähe und Berührung vermeiden und wir haben gelernt, den anderen als potenziell bedrohlich für unsere Gesundheit wahrzunehmen. Je mehr Kontakte und je enger diese sind, desto höher ist unser Risiko uns zu infizieren und zu erkranken. Nach zwei Jahren Pandemie ist das Gelernte bei vielen zu einem Vermeidungsverhalten geworden. Bei manchen Menschen ist die Vermeidung so tief verankert, dass die konditionierte Angst, die sie hervorruft,  nicht wieder abgelegt werden kann. Je schwerer dies Betroffenen gelingt, desto schwerwiegender ist das, was man in der Psychologie eine "Anpassungsstörung" nennt.

 

Was ist eine Anpassungsstörung?

Eine Anpassungsstörung ist eine Reaktion auf ein einmaliges oder ein fortbestehendes belastendes Lebensereignis. Sie zeigt sich in negativen Veränderungen des Gemütszustandes und/oder in Störungen des Sozialverhaltens. Sie tritt dann auf, wenn wir einen neu eingetretenen belastenden psychischen oder physischen Zustand über einen längeren Zeitraum hinaus nicht akzeptieren können, bzw. uns an nicht an die neue Lebenssituation anpassen können.

Die Anpassungsstörung ist charakterisiert durch emotionale Zustände subjektiv empfundener Bedrängnis und emotionalen Beeinträchtigungen wie z.B. Angst. In der Folge ist die Fähigkeit soziale Beziehungen einzugehen eingeschränkt bis unmöglich. Wird die Anpassung nicht vollzogen, führt dies zu einem hohen Leidensgrad.

 

Warum trifft eine Anpassungsstörung mache Menschen mehr und manche weniger?

Es ist wie bei einem Trauma. 

Trauma kennzeichnet sich nicht dadurch „was“ uns zustößt, sondern „wie“ wir auf das Ereignis emotional antworten. Also nicht die objektive Schwere des Ereignisses, sondern unser subjektives Empfinden der Bedrohung, die Menge der vorherigen destruktiven Erlebnisse unserer Biografie, die individuelle Resilienz, die seelische Belastbarkeit sowie unsere Bewältigungsfähigkeiten sind entscheidend für die Entwicklung einer Anpassungsstörung und für ihren Schweregrad. Im Durchschnitt hält eine Anpassungsstörung meist nicht länger als sechs Monate an. Sie kann aber bestehen bleiben und in einer Depression oder einer Angsterkrankung enden.

 

Starke Gefühle von Angst, Trauer, Betroffenheit, Hilflosigkeit und Ohnmacht, die durch Traumata, Belastungssituationen oder Schicksalsschläge ausgelöst werden, sind absolut normale menschliche Reaktionen. 

Die normale Reaktion bedeutet, dass uns ein situationsangemessenes Verhalten weiterhin möglich ist und uns verschiedene Freiheiten und Möglichkeiten erhalten bleiben, und somit nicht übermäßig viele Lebensbereiche unter dem Eindruck der Belastung  nicht mehr oder nur schwer zu bewältigen sind. Die Anpassungsstörung jedoch führt dazu, dass viele Lebensbereiche – im Falle des Cave-Syndroms ist dies besonders die Fähigkeit soziale Kontakte zuzulassen - stark eingeschränkt sind.

 Bei den meisten Menschen wird das Cave-Syndrom mit der Zeit wieder verschwinden. So wie die Maßnahmen gegen Corona erlernt und vor allem individuell als stark oder weniger stark beängstigend bewertet wurden, werden sie mit der Rückkehr in einen Zustand ohne Maßnahmen auch wieder verlernt. Dazu gehört, dass wir die Erfahrung machen, dass, wenn wir die Höhle verlassen, nichts Schlimmes passiert.

 

Was aber, wenn wir uns in der Höhle dauerhaft einrichten?

So gemütlich sie auch für mache von uns sein mag, wenn wir sie nicht selbst gewählt haben, leiden wir. Was wenn wir uns nicht mehr aus der Höhle herauswagen? Was wenn wir weiterhin Kontakte vermeiden und andere als Bedrohung empfinden? Was wenn die Angst sich festgesetzt hat?

Dann sollten wir uns dringend Hilfe holen!

Denn dann besteht die Gefahr, dass wir in einer sozialen Isolation enden, die zur Vereinsamung führt. Wir werden sozial inkompatibel und drehen uns nur noch um uns selbst. Wir geraten in einen Kreislauf der Angst vor der Angst, was zu einer Vermeidung alles Lebenswerten führen kann. Im schlimmsten Falle verstärken sich psychische Symptoe und Störungen und es entwickeln sich ernsthafte Pathologien und/oder körperliche Symptome.

Daher sollten wir wachsam sein und uns  fragen:

Wo stehe ich?

Wie groß ist meine Angst?

Wovor genau habe ich Angst?

Was vermeide ich aus Angst?

Wo hindert sie mich an einem erfüllten Leben?

Was muss ich nicht tun, wenn ich meine Höhle nicht verlasse?

Was ist der sekundären Gewinn, wenn ich mich aus dem Leben zurückziehe?

 

Es ist auf Dauer unheilsam, sich keinen Erfahrungen mehr auszusetzen und keine Dinge mehr zu erleben, die ein erfülltes Leben ausmachen. Das Ich braucht das Du - das sollten wir nicht vergessen. Das Leben findet nicht nur Innen statt, auch wenn das eine ganze Weile sehr entspannend und heilsam sein kann, sondern es findet zwischen Innen und Außen statt.

 

 

Wenn Du in deiner Höhle festsitzt und Hilfe brauchst, melde Dich unter:

 aw@wende-praxis.de

 

 Ich bin für Dich da.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 25. Januar 2022

All Eins Sein

 


Gestern am späten Abend bekam ich eine E-Mail von einem Klienten. Er schrieb: Ich fühle die Einsamkeit in mir hochsteigen und möchte gerne etwas tun. Gibt es eine Routine für einen Helden, der nun ganz allein dasitzt und seine Welt weiterbewegen will?

Die Einsamkeit von der mein Klient schreibt, kennen viele von uns. Corona ist eine Pandemie der Einsamkeit. Wir waren schon zuvor Vereinzelte, nur haben wir es so nicht gespürt, nicht in dieser Intensität, weil es da so vieles gab mit dem wir uns ablenken konnten. Das ist jetzt anders. Wer allein ist, wer allein lebt, ist sich dieses Zustands jetzt bewusster. Er kommt nicht daran vorbei, sich damit auseinanderzusetzen. Aber auch wenn wir nicht allein leben, können wir uns einsam fühlen.

Es lohnt sich unser Konzept von Alleinsein und Einsamsein in Frage zu stellen. Denn manchmal fühlen wir uns allein, ohne uns dieses Zustandes in seiner ganzen Tiefe bewusst zu sein und setzen Alleinsein mit Einsamsein gleich. 

 

Das Alleinsein hat mit Einsamkeit nichts zu tun. Es hat mit Ruhe zu tun, mit Stille, mit Bei-sich-selbst-sein. Und gehen wir einen Schritt weiter, über das Bei-sich-selbst-sein hinaus, dann wird das Alleinsein zu einem All-EINS-SEIN. Wir fühlen uns verbunden mit allem Sein, je mehr wir mit uns selbst verbunden sind. In dieser Verbundenheit fühlen wir uns niemals einsam. Aber das ist eine Kunst, die nur wenige von uns beherrschen. Das Alleinsein wird dann zur Einsamkeit, wenn es zu lange andauert, wenn wir kaum oder nicht in Kontakt sind. Weder im Herzen, noch im realen Leben mit anderen Menschen, die uns etwas bedeuten und wir ihnen. Im Alleinsein sind wir auf das rudimentäre Ich-bin Gefühl reduziert.  In der Einsamkeit aber fühlen wir uns getrennt von allem, nicht nur von einem bestimmtem Menschen. Es fühlt sich an, als gäbe es nur uns und niemand der sich für uns interessiert, niemand, der uns sieht, niemand, dem wir etwas bedeuten, der uns zur Seite steht und der mit uns geht. Wir sacken zusammen. Alles fühlt sich leer an. Wir fühlen eine tiefe Sehnsucht nach Verbundenheit und spüren nur Verlassenheit.

 

Das Alleinsein, je länger es andauert, kann zum Einsamsein, zur Vereinsamung führen, wenn es nicht endet, und dann kann es so unerträglich werden, dass wir vieles tun würden, um das nicht erleben zu müssen. So wie mein Klient schreibt: Ich möchte etwas tun.

Bevor wir etwas tun, könnten wir uns fragen: Bin ich wirklich einsam oder fühle ich mich allein?

Alleinsein ist nicht schmerzhaft. Alleinsein ist eine Zeit, die nur uns gehört, die wir brauchen um zu regenerieren, in der wir die Dinge erschaffen, die uns wichtig und wertvoll sind, in der wir kreativ sind und zur Ruhe kommen, die Stille und unsere eigene Gesellschaft genießen. Wir sind allein und fühlen uns dennoch mit allem verbunden und aufgehoben.

Aber je getrennter, je unverstandener, je ungesehener, je verletzter wir uns fühlen, desto einsamer können wir uns fühlen, ohne uns der Ursache dieses Zustandes in der Tiefe bewusst zu sein. 

 

Spüren Sie, wenn Sie mögen, in sich hinein, was wirklich ist, habe ich meinem Klienten geantwortet. Und dann fragen Sie sich, was jetzt zu tun ist. Muss der Held wirklich die Welt bewegen oder will sich etwas in ihm bewegen und wohin könnte diese Bewegung gehen? Muss der Held ins Außen gehen? Oder ist die Bewegung jetzt vielleicht eine Bewegung nach Innen?

Das sind Fragen, die wir uns stellen können, wenn wir das Gefühl von Einsamkeit haben. Aber meist ist es so, dass der begleitende Schmerz dieses Einsamkeitsgefühls es uns schwer macht oder gar unmöglich, etwas Gutes in diesem Jetzt-Zustand zu sehen. Wir wollen ihn weg haben, wir bewerten ihn als schlecht oder sogar als bedrohlich und - wir bewerten uns selbst. Wir glauben, wir sind schuld an unserer Einsamkeit, wir suchen nach Gründen, warum es uns trifft und glauben sie bei uns selbst zu finden. Wir schämen uns und denken: Wer einsam ist, macht etwas falsch oder ist falsch. 

Aber ist das wirklich wahr?

Es ist nicht wahr.

In dieser Zeit gibt es so viele einsame Menschen wie nie zuvor. Weil diese Zeit sie geradezu produziert mit all den unheilsamen Maßnahmen, die uns Menschen auf eine nie dagewesene Weise trennen. Diese neue Einsamkeit kommt von Außen, sie ist geboren aus Umständen, die wir nicht kontrollieren und nicht ändern können. Wir müssen, um sie auszuhalten, den Widerstand aufgeben und aufhören zu wünschen, dass es anders sein soll als es jetzt ist, sonst verzweifeln wir. Wir brauchen Geduld mit den Umständen und mit uns selbst. 

Leicht gesagt, ich weiß. Aber viele von uns haben jetzt keine andere Wahl. 

 

Unser Alleinsein zwingt uns in die Bewegung hin zur Isolation. Und darin liegt eine schwere, schmerzhafte Einsamkeit, denn das sich isoliert fühlen ist angstbesetzt. Angst, die darauf gründet, dass wir glauben, wir sind aussortiert, wir gehören nicht mehr dazu, es wird nie mehr anders. Aber wenn eines sicher ist: Es wird wieder anders. Denn: Alles, alles geht vorüber.

 

Einsamkeit ver rückt uns in das Ich-Bin. Und damit zwingt sie uns, uns uns selbst zuzuwenden - weg vom Außen ins Innerste. Entweder wir machen diese Bewegung mit Mitgefühl und Offenheit uns selbst gegenüber, hin zu dem, was wir jetzt in uns selbst alles finden dürfen oder wir werden ver rückt.

Im einsamen Alleinsein ist unser Mut gefragt, der Mut uns selbst zu begegnen und uns selbst auszuhalten, der Mut unser Sosein zu erfahren und zu erleben. Wir entdecken, wenn wir uns selbst mit Neugier begegnen, eine innere Fülle, die uns das Gefühl der Leere und der Angst nimmt. Wir entdecken, dass wir mehr sind, als wir dachten, dass wir stärker sind, als wir uns fühlten, uns besser halten können, als wir glaubten, kreativer sind, als wir ahnten und uns selbst ein besserer Freund, als wir dachten.

 

Wenn wir Glück haben, zeigt sich dann das Gefühl von All-Eins-Sein. Und das Gefühl der Einsamkeit löst sich auf. Wir spüren innere Verbundenheit und innere Fülle. Dann geben wir etwas von dieser inneren Fülle über uns selbst hinaus in die Welt. Wege dazu gibt es viele.

 

Möge es so sein. Für alle, die sich jetzt einsam fühlen.

 

Samstag, 22. Januar 2022

Aus der Praxis - Warum Werte so wichtig sind und wann sie ins Spiel kommen



Das Leben ist eine Herausforderung. Jeder Tag stellt uns vor Herausforderungen. Manche sind leicht zu bewältigen, andere schwerer und mache sind so schwer, dass wir denken: "Das schaffe ich nicht!" Manchmal stehen wir an einem Punkt, wo wir nicht weiter wissen. Wir haben das Gefühl, den Boden unter den Füßen verloren zu haben. Wir stehen plötzlich alleine da, weil wir wichtige Menschen verloren haben, die uns Halt gaben. Wir haben einen Traum aufgeben müssen, ein Ziel nicht erreicht, wir sind auf ganzer Linie gefühlt gescheitert und haben die Orientierung verloren. Kurz: Tragende Säulen, an denen wir unser Leben festgemacht haben, sind zusammengebrochen. Dann kann ein Gefühl kommen, das der Schriftsteller Haruki Murakami so beschreibt: „Ich habe das seltsame Gefühl, dass ich nicht mehr ich selbst bin. Es ist schwer, in Worte zu fassen, aber ich schätze, es ist so, als hätte ich schnell geschlafen, und jemand kam, zerlegte mich und brachte mich eilig wieder zusammen. Dieses Gefühl.“

Dieses Gefühl von Zerlegung und Neuzusammensetzung und nicht mehr wissen was oder wer dieses Zusammengesetzte ist, kennen manche von uns. Wir sind noch wir selbst, aber wir fühlen uns nicht mehr. Alles in uns fühlt sich anders an und fremd. Wir kennen uns selbst nicht mehr, wir kennen uns nicht mehr aus mit uns und wir wissen nicht mehr wohin mit uns. Wir haben den inneren Kompass verloren und stehen emotional zerbröselt in einem Niemandsland.
Das kann große Angst machen. Das kann den Impuls wecken einfach aufzugeben. Sich dem hinzugeben was ist und zu resignieren. Genug ist genug, könnten wir uns sagen, und wozu soll ich überhaupt noch aufstehen am Morgen, ich habe keinen Grund mehr, kein Ziel mehr, es ist eh alles umsonst, es gibt scheinbar kein Warum mehr.

„Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie“, hat Friderich Nietzsche einmal gesagt.
Und da können wir ansetzen. An dieser Frage: Was ist mein Warum? Was gibt es in meinem Leben, dass trotz allem so wertvoll ist, jede Herausforderung anzunehmen und nicht aufzugeben?
Damit sind wir bei den Werten.

Oft frage ich meine Klienten: Was sind Ihre Werte? Die meisten können es mir nicht sagen. Sie haben Ziele. Aber Ziele sind keine Werte. Ziele beschreiben, was ich erreichen möchte. Ein schöne Beziehung zum Beispiel, Erfolg im Beruf zum Beispiel. Freude und Leichtigkeit zum Beispiel, oder Selbstfreundschaft.
Ein Ziel ist ein gewünschtes Ergebnis, das erreicht und vollendet werden kann.
Werte beschreiben, wie ich mich verhalten möchte. Und das macht den Unterschied: Wir können jeden Moment nach unseren Werten leben, ohne unsere Ziele zu erreichen. Ein Beispiel: Eine liebevolle Beziehung zu haben ist ein Ziel. Liebevoll zu sein, ist ein Wert.
Werte leben im jetzigen Moment, Ziele in der Zukunft. Ziele werden erreicht und sind damit vollendet, Werte niemals. Unsere Werte sind frei gewählt, dynamisch und innerlich (be)lohnend. Ein Wert ist eine Richtung, in die wir uns bewegen möchten, ein andauernder Prozess, der kein Ende hat. Der Wunsch zum Beispiel andere zu unterstützen ist ein Wert. Fürsorglich, mitfühlend und gütig zu sein sind Werte. Wissen zu erlangen ist ein Wert. Verbundenheit mit der Schöpfung ist ein Wert. Verantwortung, Zuverlässigkeit und Loyalität sind Werte. Etwas Schönes zu erschaffen ist ein Wert. Akzeptanz, Respekt, Gerechtigkeit, Disziplin, Wahrhaftigsein, andere annehmen wie sie sind, sind Werte. Etwas zu erschaffen ist ein Wert, etwas über uns selbst hinaus in die Welt zu geben, ist ein Wert. Diese Werte sind unser Leben lang gültig. In dem Moment wo wir aufhören in diesem Sinne zu leben, leben wir nicht mehr unseren Werten gemäß.

Wenn wir also das Gefühl haben nicht mehr weiter zu können, kommen unsere Werte ins Spiel. Und dazu müssen wir sie kennen. Nur wenn wir sie kennen, können wir uns mit unseren Werten verbinden. Auf diese Weise funktionieren Werte als Motivation. Sie geben uns die Kraft, egal was geschieht, weiter zu machen. Sie geben uns die Kraft zum Überleben. Wenn wir unsere Werte kennen und uns mit ihnen verbinden, gibt uns das das Gefühl, dass auch harte Arbeit oder Durchhalten die Anstrengung wert ist. Werte verhelfen uns auch in schweren Situationen und bei Schicksalsschlägen die Bereitschaft aufzubringen, dennoch weiterzumachen. Werte sind ein Kompass, wenn wir die Orientierung verloren haben. Sie sind machtvolles Mittel, mit dem wir unserem Leben, egal was ist, Bedeutung und Sinn verleihen.

Wenn du meine Arbeit unterstützen möchtest, dann freue ich mich, wenn du diesen Beitrag teilst.

Namasté
Angelika Wende
www.wende-praxis.de

Montag, 17. Januar 2022

Aus der Praxis - Du kannst deine Gedanken nicht kontrollieren, aber du kannst dich von ihnen distanzieren

 



In dieser Zeit, die für uns alle nicht einfach ist, möchte ich Euch in den nächsten Tagen mit einigen wertvollen Methoden und Übungen der Akzeptanz - und Commitment -Therapie (ACT) bekannt machen, mit der ich auch mit meinem Klienten arbeite.
Mögen Sie hilfreich für Euch sein. 
 
Was ist ACT?
ACT ist eine knapp 30 Jahre alte Therapieform, die den Fokus nicht auf die Störung selbst setzt mit dem Ziel sie dann zu beseitigen. Stattdessen hilft ACT, das Leben trotz und mit bestehenden psychischen Problemen, aktiv zu gestalten und die Lebensqualität durch hilfreiches Denken und Handeln zu verbessern. 
 
Beginnen wir mit Gedanken. Was sind Gedanken?
Gedanken sind Geschichten, die wir uns erzählen, ob sie wahr sind oder nicht. Je mehr wir diesen Geschichten glauben, desto mehr werden sie zu Überzeugungen. Je stärker wir an diesen Überzeugen haften, desto starrer und unflexibler werden wir in unseren Einstellungen und in unserem Verhalten. Wir werden engstirnig und unflexibel. Wir sehen die Dinge nicht wie sie auch sein könnten, sondern wie wir denken, dass sie sind oder zu sein haben. 
 
In der ACT-Therapie gibt es den Begriff der Kognitiven Defusion. Im Zustand der Fusion verschmelzen wir mit unseren Gedanken und Emotionen und verhalten uns entsprechend rigide und unflexibel. Durch Defusion lernen wir, Gedanken und Gefühle wahrzunehmen, zu beobachten, zu benennen und uns von ihnen zu lösen. Wir lernen auch: Wir sind nicht unsere Gedanken und Gefühle, sondern wir haben sie. Manche von ihnen sind nützlich, viele jedoch ganz und gar nicht.
 
Manche Gedanken können uns sogar das Leben vermiesen.
Destruktive Gedanken beispielsweise, mit denen wir uns selbst runtermachen, klein machen, kritisieren, belasten oder uns Angst machen, sind nicht nützlich. Sie verringern nicht nur unsere Lebensqualität, sie blockieren auch unsere Motivation, unser Wohlbefinden und unser Selbstwertgefühl. 
 
Wenn destruktive Gedanken in deinem Kopf auftauchen, kann es hilfreich sein, dir eine oder mehrere Fragen zu stellen.
Über diesem Text ist eine Frage für den Anfang.
Lautet deine Antwort auf diese Frage JA, dann ist der Gedanke wahrscheinlich hilfreich. Wenn nicht, ist er wahrscheinlich nicht hilfreich. Dann solltest du ihm nicht weiter Glauben schenken.
Wenn du den Eindruck hast, dass deine destruktiven Gedanken doch viel zu stark sind oder immer wieder kehren und es dir nicht so recht gelingt, dich von diesen zu distanzieren, dann melde dich bei mir. Ich helfe dir gerne weiter. 
 
 
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Montag, 10. Januar 2022

Aneinandervorbeisein, einsam sein


 

„Er wurde nicht von denen verstanden, die er liebte. Und gerade das hielt er nicht aus, dieses Aneinandervorbeisein mit denen, die er liebte. Aber es war noch mehr da, das so groß wurde, daß es alles überwuchs, und das sich nicht wegschieben lassen wollte.

Das war, dass er nachts weinen konnte, ohne dass die, die er liebte, ihn hörten. Das war, dass er sah, daß seine Mutter, die er liebte, älter wurde und dass er das sah. Das war, dass er mit den anderen im Zimmer sitzen konnte, mit ihnen lachen konnte und dabei einsamer war als je. Das war, dass die anderen es nicht schießen hörten, wenn er es hörte. Dass sie das nie hören wollten. Das war dieses Aneinandervorbeisein mit denen, die er liebte, das er nicht aushielt.“

Diese Sätze sind aus Wolfgang Borcherts Buch, „Das Holz für morgen“.

 

Das Aneinandervorbeisein mit denen, die man liebt, erleben manche von uns zur Zeit. Wir kommen nicht mehr an die anderen heran. Sie verstehen uns nicht, sie hören vielleicht gar nicht zu, sie können nicht fühlen, was wir fühlen oder sie weigern sich, sich mit uns auseinanderzusetzen.

Das kaum Aushaltbare dabei ist, dass wir uns uns allein gelassen fühlen und es sind. Und je mehr wir uns allein gelassen fühlen, desto einsamer fühlen wir uns, sind wir. Wir sind getrennt von denen, die wir lieben, Einzelmenschen, die ihre Gefährten verloren haben. Die Sehnsucht nach Verbundenheit findet keinen Anker mehr. Wir sind getrennte Wesen, die in einem Orbit der Leere trudeln, denn, was uns einst Halt gab und Geborgenheit, hat sich aufgelöst. 

Wir sind enttäuscht und die Enttäuschung sitzt tief. Wir fühlen Trauer. Trauer, die unteilbar ist, die keinen Trost findet, macht noch einsamer.  Sie zieht uns wie ein Sog in den Abgrund der totalen Isolation. 

Keine Verbundenheit - das ist Einsamkeit.

 

Einsamkeit hat Wirkungen. Wir sind müde, immer müde, zu müde um mit jemandem sprechen zu wollen. Mit wem auch?

Nachdenken, Gedanken über das, was war und verloren ist und nie mehr so sein wird. Je länger wir einsam sind, je bewusster uns unsere Verluste werden, desto größer wird die Angst. Angst verrückt zu werden in unserem leeren Orbit, Angst, die sich abwechselt mit der Wut auf die Menschen, die die Einsamkeit verursacht haben. Die uns allein gelassen haben. Das Band ist zerrissen, von dem wir glaubten, dass es für immer hält.

Wir haben uns getäuscht und es hilft uns nichts zu wissen, dass die Enttäuschung das Ende der Täuschung ist. Wir leiden. Gefühle lassen sich nicht wegdenken, weil der Verstand zur Einsicht kommt.

Wir fragen uns: Ist das was wir hatten, noch irgendwie da? Gibt es da noch einen Rest von Verbindung? Macht es noch Sinn überhaupt miteinander zu reden? 

Wir haben es doch versucht, immer wieder und immer wieder nur die Erfahrung des Aneinandervorbeiseins.

Da ist diese Wand, die zu hoch ist, um sie zu übersteigen, zu hart um sie zu durchbrechen.

Äußerste Einsamkeit - das ist ohne Gefährten sein. 

Das ist kaum aushaltbar.

Wir wollen befreit werden, aber es kommt keine Befreiung. Wir wünschen uns Versöhnung, aber sie kommt nicht. Wir beschließen auszuhalten und verlegen uns auf das Hoffen. Wir mahnen uns zur Geduld, sagen uns, die Zeit heilt auch diese Wunde, im Wissen, dass es Wunden gibt, die niemals heilen. Wir sind in Gefahr aufzugeben, wenn wir nicht wissen, womit anfangen, wohin gehen, allein. Immer wieder stoßen wir an unsere Grenzen.

Wir brauchen jetzt geduldige Beharrlichkeit. 

Uns nicht überwältigen lassen. 

Unserer Einsamkeit einen Sinn verleihen.

 

 

 

Dienstag, 4. Januar 2022

Mitgefühl und Grenzen

 



Es ist wichtig und gut, durchlässig zu sein, sonst kann ich kein Mitgefühl entwickeln. 
Es ist wichtig und gut, sich abzugrenzen, sonst spült mich mein Mitgefühl weg.
 
Grenzen zu ziehen fällt mitfühlenden Menschen schwer. Sie sind so empfänglich für die Gefühle, Bedürfnisse und Nöte anderer, dass sie sich dabei selbst vergessen oder an zweite Stelle setzen. Mitfühlend zu sein bedeutet nicht alle Grenzen abzubauen. Mitgefühl bedeutet auch nicht, dass wir es immer allen recht machen, ihnen alles geben, was sie wollen und alles zulassen was sie tun, auch wenn es unheilsam ist, für sie selbst und für uns. Es bedeutet auch nicht immer lieb und nett zu sein. Damit machen wir uns zu Idioten.
Mitgefühl bedeutet auch mitfühlend mit uns selbst zu sein.
Grenzen ziehen hat etwas mitfühlendes mit uns selbst. 
 
Vernünftige Grenzen ziehen macht gesunden Dialog und gesunde Beziehungen überhaupt erst möglich. Zu wissen wo ich aufhöre und wo der andere anfängt, schafft Klarheit und Augenhöhe. Grenzen ziehen heißt - mich selbst behüten, sich hüten vor einer Vermengung des anderen mit mir selbst und das hat nichts mit dem Ego zu tun, das alles so haben will, wie es es für sich haben will. Ohne selbstmitfühlend Grenzen zu ziehen landen wir nicht selten in der Verstrickung und diese schafft immer Leid.
Grenzen ziehen schafft Klarheit über uns selbst und in uns selbst.
Wo ist es mir zu viel?
Wo bin ich dabei Dinge zuzulassen, die mich schmerzen?
Wo gebe ich mehr, als mir gut tut?
Warum lasse ich zu, dass mich ein Mensch immer wieder verletzt?
Um diese Fragen zu beantworten müssen wir bereit sein wirklich hinzuschauen, ohne die Ignoranz, die uns so oft in Verstrickungen führt und darin gefangen hält.
Klarheit und Mitgefühl mit uns selbst führt dazu, dass wir wissen, woran wir sind - mit uns selbst und mit anderen. Mitgefühl heißt also nicht, dass wir keine Grenzen haben.
Wenn wir unsere Grenzen achten, achten wir wiederum auch die Grenzen anderer.