Malerei: Angelika Wende
Manche Menschen sind emotional von Beziehungen abhängig,
andere nicht.
Wenn ich von Abhängigkeit schreibe, meine ich: Sucht.
Neben Suchtmittel-Süchtigen gibt es
süchtige Verhaltensweisen, wie zum Beispiel Spielsucht, Arbeitssucht, Esssucht,
Geltungssucht und eben auch Liebes - und Beziehungssucht.
Was ist Sucht?
Im weitesten Sinne meint Sucht jede
zwanghafte Befriedigung von Bedürfnissen, die mit einem unerträglichen inneren Spannungszustand als zwingend erlebt wird. Die
Befriedigung hebt diesen Zustand nur vorübergehend auf, um sich dann in
gesteigertem Maße als eine Form unbezwingbarer Gier zu wiederholen. Sucht äußert sich als ein unabweisbares
Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Dieses Verlangen führt
dann zur Abhängigkeit.
Abhängigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass
eine für den Betroffenen unerträgliche innere Spannung die
Bedürfnisbefriedigung erzwingt. Der Zwang, unter dem der Süchtige dabei steht,
ist mit einem Mangel an Selbstkontrolle gleichzusetzen.
Süchtiges Verhalten mit
Krankheitswert liegt vor, wenn dieses zu einem eigendynamischen, zwanghaften
Verhalten wird, das sich selbst organisiert hat und sich
beständig zu verwirklichen sucht. Bei jeder Art
von Suchtverhalten handelt es sich um einen misslingenden Konfliktlösungs- oder
Anpassungsversuch. Sigmund Freud interpretierte Suchtverhalten
als triebhafte Beschäftigung mit sich selbst, die eine Illusion von Herrschaft
über die Triebbefriedigung und befriedigende Erfahrungen ermöglicht. Diese
Illusion schützt nach Freud den Süchtigen vor der Unaushaltbarkeit seiner Realität.
Sucht ist so gesehen der Kompensationsversuch von inneren Konflikten und
Traumatisierungen des Selbst.
Kennzeichen von Sucht
sind:
- Unwiderstehliches
Verlangen, Zentrieren des Denken und Handeln auf das Suchtmittel, nur
durch das Suchtmittel kann das innere Gleichgewicht hergestellt
werden.
- Wunsch
oder Zwang, eine Substanz zu konsumieren oder etwas immer wieder zu tun.
- Kontrollverlust.
- Abstinenzunfähigkeit.
- Toleranzbildung.
- Entzugserscheinungen.
- Schädlichkeit
für den einzelnen und das Umfeld.
Das Verlangen
Beziehungssüchtiger nach ihrem Suchtmittel ist für sie
unbezwingbar. Sie verlieren die Kontrolle über sich selbst. Ist der Partner
nicht anwesend oder verfügbar leiden sie unter Abstinenz. Sind sie nicht in Beziehung, haben sie
Entzugserscheinungen. Der Partner wird zum Mittelpunkt und zum Dreh-und
Angelpunkt der eigenen Welt. Sind sie ohne Beziehung fühlen sie sich innerlich
leer und empfinden ihr Leben als sinnlos. So fungiert ihr Suchtverhalten als energetische Barriere, die
verhindert, dass Schmerz oder Ängste aus dem Unbewussten an die Oberfläche
kommen.
"Unter Beziehungssucht versteht man die
emotionale Bindung an einen anderen Menschen in einem Ausmaß, in dem die
persönliche Freiheit und die menschliche Würde aufgegeben werden.
Beziehungssüchtige sind nur in der Lage, (Pseudo-) Beziehungen einzugehen, in
denen „zwei zu einem“ werden, und in ihnen als Person fungieren."
(Anne Wilson Schaef, A.W.,
1989).
Für
Beziehungssüchtige gibt es nur die Beziehung als Lebensmodell oder sogar als
einzige Überlebensmöglichkeit.
Aufgrund der inneren Überzeugung, dass nur
Beziehung ihnen eine Identität verleiht, sind sie süchtig nach Paarsein. Sie
brauchen den anderen um sich ganz fühlen zu
können. Das ganze Sein kreist um den anderen und wird als bedingungslose Liebe
zu ihm wahrgenommen.
Eine eigene Identität
gelingt Beziehungssüchtigen nicht. Im Grunde wissen Beziehungssüchtige nicht,
wer sie sind. Dieses Nichtempfinden für sich selbst kompensieren sie, indem sie
sich auf den Partner fixieren. Sie neigen dazu sich in die Person verwandeln
und sich wie die Person verhalten, die der andere gerne hätte. Der Partner wird idealisiert und überhöht. In ihren Gefühlen und Stimmungen sind sie vom Partner abhängig. Schenkt er
ihnen Zuneigung und Aufmerksamkeit geht es ihnen gut, entzieht er sie, geht es ihnen
schlecht. Beziehungssüchtige haben kaum Grenzen, sie verlieren sich im anderen und gleichzeitig überschreiten sie die Grenzen des anderen. Demütigungen und Kränkungen werden ertragen, um den Partner nicht zu verlieren.
Auch wenn der Partner sie schlecht behandelt, bleiben sie in der Beziehung,
die in Wahrheit nur eine Illusion ist. Sie bleiben, weil sie das Gefühl haben, nichts
Besseres verdient zu haben und verstricken sich bis zur Selbstaufgabe. Dass sie leiden nehmen sie in Kauf.
In der Welt des
emotional Abhängigen ist alles besser als ohne Beziehung sein.
Betroffene fühlen
sich nur sicher in der Nähe des
Partners. Wendet er sich gefühlt auch nur für kurze Zeit ab wird das als Drama
empfunden. Es kommt zu Eifersucht und Streit. Werden sie
verlassen, stürzen sie in eine tiefe Leere. Es kommt zu Ängsten und Depressionen, denn
das Alleinsein wird als
qualvoller empfunden als jegliche Probleme in der Beziehung.
Wenn Beziehung für
einen Menschen überleben bedeutet, sprechen wir von Beziehungssucht.
Beziehungssucht ist eine Sucht, die mit viel Leid verbunden ist. Betroffene
jedoch verbinden Leid mit Liebe, sie glauben zu lieben, wenn sie leiden.
Beziehungssucht ist eine äußerst schmerzhafte Sucht, die meist progressiv verläuft.
Was ist der Urgrund
der Beziehungssucht?
So genau weiß man es nicht.
Eindeutige Parameter warum Menschen beziehungssüchtig werden gibt es nicht. Was man aber weiß: Jede Art von Suchtverhalten wird meist in der Kindheit angelegt und erlernt.
Hinsichtlich der Beziehungssucht gibt es zwei
Haupttypen. Der erste Typus ist nach Beziehung süchtig. Diese Beziehung kann real sein oder nur in der Phantasie ausgelebt werdeb. Der Betroffene ist fixiert auf
seine Vorstellung von Beziehung, wobei der Partner nicht von Bedeutung ist. Zum zweiten Typus gehören Menschen,
die von der Beziehung zu einer bestimmten Person abhängig sind.
Sie können auch ohne
eine Beziehung leben, sobald sie jedoch in Beziehung sind, fixieren sie sich
sofort auf den Partner. Beide Typen haben eins gemeinsam: Die Beziehung beherrscht
das gesamte Denken, Fühlen und Handeln. Sie definieren ihre
Identität über den anderen, von dem sie glauben, nicht ohne ihn leben zu können.
Zuneigungshunger und fehlendess Identitätsbewusstsein als Grundlage der
Abhängigkeit
Vor
allem scheint der Hunger nach Zuneigung,
Liebe, Anerkennung und Halt sowie die Angst vor dem
Alleinsein in dem fehlenden Gefühl für
die eigene Identität begründet zu sein. Der Zugang zum Selbst ist diesen
Menschen versperrt, oft weil sie als Kind ein falsches Selbst aufbauen mussten
um emotional zu überleben, wodurch sie auch gelernt haben: ohne in Beziehung zu sein gehe
ich zugrunde. Bin ich nicht verbunden, bin ich ausgestoßen und muss sterben. Gefühlt lösen sie sich auf wenn sie sich allein fühlen.
Die meisten
Beziehungssüchtigen kommen aus dysfunktionalen Familien oder aus sogenannten
broken homes (unvollständige Familie, Abwesenheit
eines Elternteils als Folge von Scheidung, Tod, Getrenntleben oder sonstigen
Umständen.)
Eine Ursache kann auch in einer
lieblosen, von Missbrauch, Vernachlässigung geprägten traumatischen Kindheit liegen oder die Eltern haben ein
Beziehungsmodell von gegenseitiger Abhängigkeit vorgelebt. Das ist der Fall, wenn
Eltern zusammenbleiben, obwohl sie sich nicht lieben und nicht gut zueinander
sind, so dass das Kind unbewusst lernt: Der Erhalt von Beziehung, egal wie toxisch sie sein mag, ist mit Überleben
gleichgesetzt.
Aus ihrer Ursprungsfamilie bringen fast alle Beziehungssüchtige keine klare
Vorstellung oder eine ungesunde Vorstellung von Beziehung mit, wobei sie
gleichzeitig keine oder nur eine geringe Fähigkeit zum Aufbau einer gesunden Beziehung besitzen, da sie dies ja nie gelernt haben. Beziehung ist für sie nicht einander freiwillig gut tun, sondern
vielmehr assoziieren sie Beziehung mit emotionalem Überleben,
Existenzberechtigung Lebenssinn und fatalerwiese mit Leiden. Vor allem aber mit dem Wunsch nach bedingungsloser
„Liebe“ - eine Liebe die alles gibt, alles in Kauf nimmt und alles erträgt. Die Selbstachtung dieser Menschen ist sehr niedrig und getragen von der unbewussten
inneren Überzeugung: "Ich habe es nicht verdient, glücklich zu sein. Ich bin es
nicht wert geliebt zu werden."
Beziehungssüchtige sind häufig sensible, empathische Menschen, die intuitiv die Mängel und Schwächen des Gegenübers spüren und sie auffüllen wollen. Sie neigen dazu andere retten zu wollen. Daher her finden wir viele Beziehungssüchtige in Co-abhänggkeit zu anderen Süchtigen oder Menschen mit Persönlichkeitststörungen wie z.B. dem Narzissmus.
Zwanghaft suchen diese Menschen nach einer Existenzberechtigung, die sie in sich selbst nicht fühlen. Und sie suchen nach dem, was sie als Kind nicht erfahren haben: Bindung, Verbundenheit, Halt,
Sicherheit und Liebe. Nur davon bekommen sie nie genug. Für Beziehungssüchtige
ist es nie genug Liebe. Ihr Zuneigungshunger ist unstillbar. Die Dosis muss
immer erhöht werden.
„Liebe“ muss intensiv sein, egal wie und
egal was es kostet.
Je intensiver, rauschafter und schmerzhafter es ist, desto mehr glauben sie, dass es Liebe ist. Auch wenn sie rational begreifen, dass das, was weh tut, keine Liebe ist, sind sie nicht fähig sich aus der toxischen Verstrickung zu lösen. Denn dann ist da nichts mehr und das Nichts fürchten sie mehr als jede Seelenqual. Aber dieses Nichts ist nichts anderes als der Verlust von Bindung, welcher das Gefühl von Selbstverlust zur Folge hat.
Beziehungssüchtige klammern sich wie
jeder Suchtkranke an ihr Suchtmittel.
Beziehungssucht ist wie alle Süchte ein
fortschreitender, zum Siechtum führender Prozess, gelingt es nicht, ihn zu
stoppen. Um seiner Sucht zu frönen gibt sich der Süchtige immer weiter auf.
Genau
wie bei substanzgebundenen Süchten gewinnt das Suchtmittel die Kontrolle
über den Menschen und sein Leben. Er löst sich mehr und mehr auf und verändert sein Wesen. Mit fortschreitender
Sucht treten immer bestimmte Verhaltensmuster und Wesensveränderungen ein. Der
Partner wird z.B. immer mehr kontrolliert. Es kommt zu Machtausübung, Schuldzuweisungen und extremer Eifersucht.
Es kommt zu Selbstbezogenheit, Unehrlichkeit, eingeschränktem Denkvermögen und
tunnelartigem Denken. Aggression, Wut und Drohungen sind nicht selten, sobald
der Partner sich gefühlt entzieht oder sie gar verlassen will. Des Weiteren
kommt es zu Selbstvernachlässigung, Vernachlässigung von Verantwortung usw. Das
zerstörerische Verhalten wird ständig wiederholt. Um den Erhalt der Beziehung wird bis zur Selbstaufgabe gekämpft. Der Süchtige
ist nicht mehr in der Lage angemessen zu reagieren oder seinen Alltag auf
gesunde Weise zu bewältigen. Er verliert schließlich die Kontrolle über sich
selbst und sein Leben.
Beziehungssucht ist wie alle Süchte
zerstörerisch.
Wie gelingt es Beziehungssucht
überwinden?
Der erste Schritt, um Beziehungssucht
zu überwinden, ist die Krankheitseinsicht des Betroffenen. Das bedeutet zu erkennen und sich
selbst ehrlich einzugestehen, dass man süchtig ist. Das passiert aber in den
meisten Fällen erst dann, wenn seelische Störungen wie Angstzustände, Panikattacken,
Depressionen oder körperliche Erkrankungen den Betroffenen signalisieren, dass es so nicht weitergeht.
Ist der erste Schritt getan gibt es
Wege um aus der Beziehungssucht heraus zu finden. Eine Therapie ist unumgänglich
um die selbstschädigenden, unheilsamen Verhaltensmuster zu identifizieren und sie
durchbrechen zu lernen.
Beziehungssüchtige müssen lernen sich selbst zu fühlen
um eine eigene Identität aufzubauen.
In der Therapie geht es u.a. darum die
slbstschädigenden inneren Überzeugungen und die dysfunktionalen Muster die zur emotionalen Abhängigkeit führen zu
erkennen und sie langsam aufzulösen. Der Beziehungssüchtige lernt nach und nach
sich selbst als Individuum mit eigenen Gefühlen und Bedürfnissen wahrzunehmen,
diese auszudrücken und für sich selbst zu stehen um das Leben alleine
meistern zu können. Dazu gehört das Selbstbewusstsein, die Selbstwertschätzung,
den Eigenwert und das Gefühl des Ganzseins in sich selbst zu stärken um eine
gesunde Beziehung zu sich selbst aufzubauen. Schließlich gilt es zu verinnerlichen,
dass er es wert ist, wirklich und wahrhaftig geliebt zu werden.
Wenn du dich in diesem Text erkannt hast und Hilfe suchst, schreib mir eine Mail unter:
aw@wende-praxis.de