"Diese die Schwere kriecht mir in die Knochen und saugt alles Leben aus mir heraus, dieses dumpfe Gefühl zieht mich nach Unten, es macht mich so müde, so hilflos und so ohnmächtig, es vergällt mir alle Lebensfreude und raubt mir meine ganze Kraft. Manchmal habe ich das Gefühl selbst eine Depression zu haben. Ich halte das nicht mehr aus, das ist mir alles zu viel. Mein eigenes Leben rattert langsam den Bach runter."
Diese Worte stammen von einem Menschen,
der mit einem depressiven Angehörigen lebt.
Sie könnten auch von einem Menschen
stammen, der mit einem Suchtkranken lebt oder mit einem Menschen, der unter einer
schweren Persönlichkeitsstörung leidet, sie könnten von all den Menschen
stammen, die mit einem Menschen leben, der massive Probleme hat, die dazu
führen, dass sein Leben ins Wanken geraten ist und ihm ein funktionierendes
Leben unmöglich machen.
Ich nehme hier das Beispiel der Depression
um die Hilflosigkeit derer zu beschreiben, die sich an den Problemen ihrer
geliebten Nächsten abarbeiten ohne, dass sie etwas daran ändern können.
Immer dann, wenn der depressive Partner oder das depressive
Familienmitglied keine Krankheitseinsicht hat oder therapieresistent ist, sich
also nicht helfen lassen will und jede sinnvolle Hilfe um zu genesen, zurückweißt, ist der Angehörige
mit seinem Leid allein auf weiter Flur.
In vielen dieser Fälle kommt es sogar soweit,
dass sich Angehörige im eigenen Zuhause nicht mehr heimisch und geborgen fühlen,
weil sich alles nur noch um die Depression dreht. Alles Lebendige wird durch
die dunkle Energie der Depression erstickt, es ist als lebe nicht nur der
Depressive sondern auch sein nächstes Umfeld unter einer schweren Decke, die
alle Beteiligten zu ersticken droht. Kennt ein Angehöriger selbst depressive
Episoden in seinem Leben, klingt im Kontakt mit dem Kranken nicht selten auch das
Eigene in der Seele an und das verstärkt die innere Not um ein Vielfaches.
Die Depression zieht also nicht nur den
Depressiven selbst in die dunkle Nacht der Seele, sondern, je nachdem wie lange
sie dauert, auch die Menschen die mit ihm leben. Depressionen können, werden
sie nicht behandelt, ein ganzes System in den Abgrund ziehen, und das nicht nur
seelisch, geistig und körperlich.
Wer mit einem Depressiven lebt verliert,
wie der Depressive, selbst nach und nach den Halt im Leben, die Energie, die
auf ihn übergreift, strahlt in seinen ganzen Alltag aus. Das Arbeiten fällt ihm
schwer, seine Gedanken sind ständig bei dem Kranken und sind sie es nicht, schleppt
er die sorgenvolle Gedanken machende Lähmung den ganzen Tag hinter sich her wie
eine schwere Last. Er funktioniert nicht mehr für sich selbst, sein Energiepegel
ist auf einem Minimum, er brennt in dem Maße aus, wie seine Hilfeversuche auf
Ablehnung stoßen und seine Ohnmacht wächst.
Angehörige von Depressiven sind ebenso co-abhängig wie
Angehörige von Süchtigen. Die Krankheit des Anderen kontrolliert ihr Leben und
sie wiederum versuchen den Depressiven zu kontrollieren, indem sie versuchen,
das, was er nicht mehr schafft, für ihn zu tun.
Sie denken für ihn, sie handeln für ihn
und überfordern sich damit selbst. Auch für sie wird die Depression zur
Kraftprobe: Sie müssen lernen, die Schuld für die Krankheit des Anderen nicht
bei sich zu suchen, sie müssen lernen, die Sorge um den geliebten Menschen zu
ertragen und sie müssen lernen, mit einem Menschen zu leben, der sich immer
wieder zurückzieht, unerreichbar ist und sie abweist. "Das musst du lernen", ist
leicht gesagt, in Wahrheit ist das ein schreckliches Leben, ein Leben voller
Angst, Sorge, Hilflosigkeit, Ohnmacht und ohne Freude.
Mit dem guten Ratschlag: Du musst lernen dich besser
abzugrenzen kommt ein Co-Abhängiger nicht weiter, geschweige denn wieder zu
sich selbst.
Eine Beziehung und eine Familie ist ein
System und in einem System schwingen alle Teile miteinander, sie treten energetisch
in Resonanz miteinander und negative
Energie hat die Eigenschaft die positive Energie nach Unten zu ziehen, ob man
das will oder nicht und ob man das glaubt oder nicht. Die Erfahrungen vieler
Betroffener beweist dieses Phänomen. Aber auch ganz pragmatisch gesehen ist es
schwer sich abzugrenzen, wenn die Krankeit des Anderen derart ins eigene Leben
übergreift, dass man doppelte Arbeit leisten muss, nämlich all das auffangen,
alles regeln, was der Depressive nicht mehr schafft, abgesehen von dem
finanziellen Problemen, die entstehen wenn er seiner Arbeit nicht mehr nachgehen kann und
man die finanzielle Last zusätzlich alleine tragen muss. Angehörige sind
irgendwann nur noch am Ausgleichen und am Schaden verhindern, regulieren oder am
Schaden beheben. Der Schaden, der dadurch in ihrem eigenen Leben entsteht ist
ein schmerzhafter Kollateralschaden, der zusätzlich Angst macht und die Seele belastet.
Wie da noch achtsam mit sich selbst sein
und sich selbst stärkend zu Seite zu stehen, wenn alle Kraft verloren geht?
Depressive brauchen Unterstützung, sie ist unbedingt nötig und selbstverständlich, aber nur solange der Depressive auch selbst etwas gegen seine Krankheit unternimmt. Man kann alles gemeinsam durchstehen, wenn beide dabei sind. Sind alle Bemühungen Hilfe zu geben umsonst, ist man aber allein und kann irgendwann nicht mehr. Und dann muss man es auch nicht mehr. Dann ist es Zeit sich geistig, seelisch und körperlich aus der ungesunden Verstrickung in das Leben und die Probleme des Anderen zu lösen.
Depressive brauchen Unterstützung, sie ist unbedingt nötig und selbstverständlich, aber nur solange der Depressive auch selbst etwas gegen seine Krankheit unternimmt. Man kann alles gemeinsam durchstehen, wenn beide dabei sind. Sind alle Bemühungen Hilfe zu geben umsonst, ist man aber allein und kann irgendwann nicht mehr. Und dann muss man es auch nicht mehr. Dann ist es Zeit sich geistig, seelisch und körperlich aus der ungesunden Verstrickung in das Leben und die Probleme des Anderen zu lösen.
Loslassen basiert auf der Erkenntnis,
dass jeder für sich selbst verantwortlich ist, und dass wir Probleme, die wir
nicht lösen können, weil sie nicht die unseren sind, eben nicht lösen können.
Das klingt einfach und auch das ist unendlich schwer. Es erfordert Klarheit,
Mut und eine große Portion Selbstliebe, zu erkennen, dass ein Mensch, der sich
trotz schwerer Probleme und ständigen Hilfsangeboten nicht helfen lässt, seine
Suppe endlich selbst auslöffeln muss. Es erfordert ein hohes Maß an Weisheit,
dem anderen die Freiheit zu geben, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen
und zu wachsen. Es erfordert viel Kraft und Selbstbeherrschung um
festzustellen, was wir ändern können und was nicht in unsrer Macht liegt. Und
es erfordert die Einsicht, dass es nicht unsere Schuld ist, wenn jemand krank
ist und nichts dagegen tut.
Nun könnte so mancher einwenden: Aber
der Depressive kann das doch nicht mehr. In jeder Depression wie auch bei jeder
Sucht, gibt es hellere Momente, Stunden oder Tage an denen Einsicht möglich
ist, die Einsicht – ich komme da allein nicht raus. Wer soweit ist, dass die Krankheit
ihn vollends überwältigt, hat in diesen hellen Momenten nichts getan um sein
Leid einzusehen und um Hilfe zu bitten. Das klingt hart, aber die Wahrheit ist
niemals weichgespült.
Haben Angehörige alles getan und ist
alles vergeblich, ist es an der Zeit sich selbst zu vergeben. Vergeben dafür,
dass sie keine Kraft mehr übrig haben, den anderen aus dem Sumpf zu ziehen ohne
selbst darin zu ersticken. Sie müssen dann um ihres eigenen Lebens willen
aufhören sich aufzureiben, sich zu zerreißen und zu zerfleischen. Sie lernen, wie
Melody Beattie in ihrem Buch über Co-Abhängigkeit schreibt, die magische
Lektion: „Machen wir das Beste aus dem, was wir haben, so wird es mehr. Loslassen
schließt das Leben im Augenblick ein, hier und jetzt leben. Wir lassen das
Leben geschehen, statt es mit Gewalt kontrollieren zu wollen. „
Es ist schwer sich von der Trauer über
die Vergeblichkeit zu lösen und es ist nicht leicht, das Beste aus jedem Tag zu
machen. Es ist auch nicht leicht zu sagen: Wir vertrauen darauf, dass eine
Macht, die größer ist als wir selbst, sich darum kümmert, was geschieht. Es ist
auch nicht leicht zu sagen: Ich gebe das Problem nach Oben ab, mit der Demut – Dein
Wille geschehe. Die magische Lektion ist zugleich die schwerste Lektion im
Leben, die es zu lernen gibt. Ich wünsche allen Menschen, die sie lernen müssen,
Vertrauen in das göttliche Prinzip.
Buchtipp: Meldody Beattie, Die Sucht gebraucht zu werden, Heyne Verlag
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