Wenn du willst,
dann kannst du!
Jedes Mal wenn
ich diesen Satz lese oder höre bekomme ich eine Gänsehaut. Nein, nicht die von
der angenehmen Art. Es ist eine unangenehme Gänsehaut, da zieht sich meine Haut am ganzen Körper zusammen und alle kleinen Härchen stehen ab wie kleine
Stacheln. Ich vermute fast, sie wollen mich schützen, damit ich so einen Satz erst gar nicht weiter an mich heranlasse.
Wenn du willst, dann kannst du!
Das lasse ich mir mal langsam im Großhirn zergehen. Da schreit nicht nur mein
limbisches System „Hilfe!“, das ist ein Totschlagargument für alle die wollen,
aber nicht können.
Schon Friedrich
Nietzsche ahnte, dass es keinen freien Willen gibt. Für ihn ist der freie Wille eine Erfindung der Theologen „das anrüchigste Theologen-Kunststück, das es gibt, um die Menschen abhängig zu machen." Sie
schaffen sich, laut Nietzsche damit eine Machtstellung, um über die Menschen zu
richten. „Die Lehre vom Willen ist wesentlich erfunden zum Zweck der Strafe“,
so der Philosoph.
Wenn du willst, dann kannst du!
Das ist ein weiterer hochglänzender Stein, den sich der Mensch in seiner
größenwahnsinnigen Anmaßung „Ich bin die Krone der Schöpfung“, ins goldige
Krönchen setzt.
Jeder intelligente Mensch, der sich bereits Gedanken über die Freiheit des Willens
gemacht hat, wird irgendwann geahnt oder am eigenen Leibe gespürt haben,
so willensfrei, wie ich mich glaube, bin ich nicht.
Schade eigentlich! Wie wunderbar wäre es, wenn ich alles könnte, was ich will.
Dann könnten mich alle mal und ich würde längst entspannt in meinem kleinen Häuschen
am Meer sitzen und malen und schreiben, über die Menschen und ihren Größenwahn
beispielsweise, ein unerschöpfliches Thema – und ich müsste nicht ständig Dinge machen, die ich eigentlich nicht mehr machen will, außer denen, die ich liebe, versteht sich.
Ich will das
wirklich. Ich will meine Freiheit, ich meine innere und äußere Ruhe, ich will entspannt tun, was
ich liebe, ich will mein Häuschen und ich will mich weiter aufregen über die
Dummheit, die Ignoranz, die Stillosigkeit und die Empathielosigkeit mancher Zeitgenossen, ich will das weiter verbreiten und ich will, dass die Ignoranten endlich aufwachen und aufhören mit ihrem „Ich
bin die Krone der Schöpfung Denken". Aber irgendwie
klappt das mit dem Wollen nicht, obwohl ich es will.
Und ich tue auch
etwas für mein Wollen. Ich liege nicht auf der faulen Haut rum und verschicke
Wünsche ans Universum, ich tue da wirklich etwas dafür. Aber irgendwie hört das
Universum nicht was ich will und irgendwie macht auch die Welt, in der ich
lebe, mein Wollen nicht mit. Bis jetzt nicht.
Das eigene Wollen
hat auch viel mit dem Fremden zu tun, dem Umfeld in dem ich lebe - mit meinem Leben, das ich mir halb
gewählt und halb nicht gewählt habe, weil ich nämlich nicht die Krone der
Schöpfung bin, sondern einen Schöpfer habe, der da auch noch ein Wörtchen
mitredet und vielleicht meint, die soll sich mal ordentlich anstrengen bis sie bekommt, was
sie will und weil es da auch noch Menschen in meinem Leben gibt, die das, was
ich will, nicht wollen. Also nichts mit:
wollen = können. So einfach ist es
nicht.
Das ist nicht ja nicht Neues, das mit dem freien Willen. Das haust in den Tiefen der
Kollektivneurose der Menschheit und regt seit jeher Philosophen, Psychologen
und Hirnforscher zu Explorationen an.
Ich beziehe mich bezüglich der Willensfreiheit gerne auf Schopenhauer, den ja manche nicht mögen, weil der die
Frauen nicht achtungsvoll wegkommen ließ – das lag wohl daran, dass sie ihn
nicht wollten, obwohl er sie gewollt hat – aber das tut seiner Klugheit keinen
Abbruch. Schopenhauer erkannte, schon bevor den Forschern der Blick ins Gehirn gelang, dass das mit dem Wollen wollen eine
Krux ist. Ich zitiere: „Der
Mensch kann zwar tun, was er will, aber nicht wollen, was er will". Und warum? Weil die im persönlichen Unterbewussten programmierten und wesensdominierten
Motive viel zu viel Gewalt über uns haben, als dass wir es könnten. Gruß vom Limbischen System an der Stelle.
Das leuchtet ein
oder?
Ich vermute aber – einige von der „Wollen = können Fraktion“, werden jetzt immer noch ihr
Veto einlegen, weil sie doch können wollen, was sie wollen.
Was erzeugt den
Willen des Menschen und seine damit verbundenen Handlungen?
Es ist
nicht allein das denkende Wollen mit all seinen bewussten und unbewussten Motiven, es sind auch die
Einflüsse und Reize von Aussen. Und da wird es auch schon wieder kompliziert, weil ein und derselbe äußere Reiz bei verschiedenen Menschen
verschiedene Reaktionen bewirkt. Es kommt, wie
Schopenhauer sagt, darauf an, aus welchem Holz der Mensch geschnitzt ist,
heißt: welche Charakterstruktur und welche Anlagen er hat.
Das Wollen und das
Können, also die dem Willen folgende Handlung, sind demnach erklärbar aus der Struktur des
Individuums plus der Situation, in der es sich im Augenblick der
Willensentscheidung befindet. Wille, Wesen und Welt sind quasi co-abhängig.
Die zentrale
Aussage der Psychoanalyse Sigmund Freuds, dass ein großer Teil unseres
Verhaltens unbewusst gesteuert ist, hat durch die Neurowissenschaften längst eine
Bestätigung erfahren. Durch Gerhard Roth zum Beispiel, der in seinen
neurobiologischen Forschungen belegt hat: „Der Mensch denkt, das Hirn lenkt und
die Neuronen sind uns einen Tick voraus." Eine weitere empirische Bestätigung, nicht zuletzt auch für Albert
Einsteins Skepsis gegenüber dem freien Willen.
Und noch etwas
spielt da mit - wie oben bereits
erwähnt, die Umwelt, sprich unsere Sozialisation. Unter
Sozialisation wird verstanden, wie Prof. Dr. Klaus Hurrelmann (von mir hochgeschätzt in
Sachen Gewalt bei Jugendlichen) formuliert: „Der Prozess der Entstehung und
Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit in Abhängigkeit von und in
Auseinandersetzung mit den sozialen und den dinglich-materiellen
Lebensbedingungen verstanden, die zu einem bestimmten Zeitpunkt der
historischen Entwicklung einer Gesellschaft existieren”.
Hoch kompliziert, das mit dem Wollen und dem Können.
Bei der
Persönlichkeitsentwicklung, aber auch konkret bei jeder einzelnen
Willensentscheidung, jeder einzelnen Handlung, sind neben Wesen und Welt
unendlich viele weitere determinierende, miteinander vernetzte bekannte und unbekannte Faktoren am
Werk. Und wenn man,
wenn man wirklich wollte, doch angeblich alles könnte, frage ich mich warum jene, die behaupten: „Wenn du willst dann kannst du!", nichts wirklich Überzeugendes finden, um ihre Behauptung glaubhaft zu stützen,
bevor sie diese Hypothese verbreiten, die anderen vorgaukelt - sie könnten nur nicht,
weil sie nicht wollten. Ich vermute die wollen das gar nicht wirklich wissen, sonst müssten sie ja erkennen, dass sie
sich selbst etwas vormachen. Wenn man will
kann man alles, ist Schönrednerei, nichts weiter. Aber warum
bleiben die VerfechterInnen der Freien Willens Hypothese so stur bei der
Sache? Weil sie dann
weiter in der schönen Illusion, der Allmachtsfantasie der von der Schöpfung Gekrönten leben können. Im Sinne der Humaität ist das nicht.
Der Abschied von der Idee der Willensfreiheit ist
absolut notwendig, wenn wir uns hin zur Menschlichkeit entwickeln wollen.
Menschlichkeit
bedeutet unter anderem auch anzuerkennen, dass wir nicht die alleinigen Schöpfer unseres Willens
und Könnens sind, das jeder anders ist als der andere, das wir nicht alles haben
können, was wir wollen - und uns dann nach dieser Erkenntnis verhalten. Dann zum
Beispiel wenn ein Mensch leidet - am nicht Können trotz endloser Versuche, am nicht gewollt gemachten Fehler, an
Schuldgefühlen, an mangelnder Selbstliebe - oder, wenn er scheitert, an sich selbst, am System, am eigenen Schicksal.
Das Prinzip der
Willensfreiheit ist ein gefährliches Prinzip. Es zeigt einmal mehr, wie wenig Demut
zwischen all den glänzenden Steinchen der Krone der Schöpfung sitzt.
Wir müssen akzeptieren, dass wir unvollkommene Wesen sind und damit müssen wir einverstanden sein. Wir müssen sogar die Möglichkeit akzeptieren, dass wir, trotz allen Wollens und aller Anstrengungen, niemals vollkommen sein werden und das Leben, das man uns geschenkt hat, ebensowenig. Das menschliche Leben ist größer als unser kleines Wollen, es ist so viel größer als das, was wir von uns und ihm glauben wollen. Es ist ein Geheimnis und genau das macht es so lebendig.