frieden
empathie
achtung
menschliches miteinander
gegenseitige hilfe
sehen nicht wegsehen
verstehen nicht verurteilen
handeln nicht wünschen
zuversicht
L I E B E
Freitag, 23. Dezember 2011
Mittwoch, 21. Dezember 2011
ZWINGEND
da war sie wieder die stimme in ihrem kopf.
leise, dann immer lauter drang sie in all die anderen gedanken, schob sie zu seite, breitete sich aus, unüberhörbar.
leise, dann immer lauter drang sie in all die anderen gedanken, schob sie zu seite, breitete sich aus, unüberhörbar.
lisa hielt sich die ohren zu. es half nichts. sie wusste es, die stimme kam nicht von aussen, es war nutzlos sich die ohren zuzuhalten. sie hatte sich lange gewehrt, maßnahmen ergriffen um sie nicht zu hören, über sie hinweg zu hören oder durch sie hindurch. sie hatte das radio angestellt, eine cd in den cd player geschoben und sich die kopfhörer aufgesetzt, sie hatte sich unter die dusche gestellt, das wasser laufen lassen, am anfang und immer wieder, bis sie begriff - es waren untaugliche versuche. lisas lösungsstrategien waren begrenzt, das laute der stimme unbegrenzt.
sie war unberechenbar. wann sie sich meldete konnte lisa nicht vorhersagen. die stimme hatte ein eigenleben, in ihr, ihrem leben, war gewachsen mit ihr wie eine pflanze. wie efeu, dachte lisa, wildwuchs. ein überwucherndes wildes, das nicht auszumerzen war.
in ihren ohren dröhnte es. geh weg, forderte sie die stimme auf, leise, dann lauter gegen die stimme ansprechend. die stimme lauter werdend mit lisas lautem, lachte höhnisch: du taugst nichts, aus dir wird nichts. das war noch auszuhalten. dann folgte der satz, der immer folgte, unweigerlich als letzter aller sätze: du bist die nachgeburt, die wir großgezogen haben.
dia nachgeburt, die raus kam, nachdem das kind geboren war. ein blutiger klumpen nutzlos gewordenenen mutterkuchens, rohes fleisch. anfangs ekelte sie sich vor dem bild, dann vor sich selbst. der ekel hatte den waschzwang ausgelöst. die weiß verbundenen hände über die ohren legend, dachte lisa an den vater.
sie hatte ihm nichts recht machen können. sie hatte es versucht. der vater sah sie nicht, wollte sie nicht sehen. warum das so war wusste sie nicht, beschloss, dass er es nicht konnte, weil sie kein recht hatte zu sein.
später sagte er einmal, sie habe sein leben zerstört mit ihrem dasein und das leben der mutter, die vieles gewollt hatte nur lisa nicht, dass es ein unfall gewesen sei ihr leben. ein unfall, der blutige klumpen, der sie war. das war stimmig. sie hatte sich unsichtbar gemacht dann. ein stilles kind, das gut lernte, aber sich nicht meldete im unterricht. ein unauffälliges mädchen. auffällig geworden, als es zur frau zu werden begann. die wachsende brust mit tüchern wegebunden. die haare kurz geschoren und immer allein im zimmer nach der schule, den vater nicht stören wollend. die mutter sich selbst beklagend, weinflaschen im nachttisch versteckend, resignierte traurigkeit wie eine anklage dem kind entgegen haltend.
lisa wollte sich auflösen, wusch es ab das sichauflösenwollende, hundert mal am tag. die hände verbunden wie die brust, dann.
die stimme schwieg. lisa weinte ein bisschen, holte die salbe aus dem schränkchen im badezimmer, wickelte den weißen verband auf, sah den blutigen klumpen rohes fleisch in beiden händen. sie musste ihn abwaschen, zwingend.
Dienstag, 20. Dezember 2011
GLÜCK - Eine Entscheidung?
Postives Denken ist die Formel des Zeitgeistes und ihre Vertreter verdienen daran, es jenen beizubringen, die das nicht können mit dem positiven Denken und es unbedingt lernen wollen. Alle wollen glücklich sein. Warum sonst leben wir, wenn nicht um glücklich zu sein?
Ist das wirklich wahr?
Sei der Antike sind das Glück und die Frage nach einem glücklichen Leben ein großes Thema in der Philosophie. Schon Aristoteles schrieb: " Das Glück wollen alle, die Gebildeten und die Vielen". Nicht wenige Menschen glauben, das Leben selbst trägt den Anspruch auf das Glück in sich. Die Option auf Erfüllung garantiert es uns jedoch nicht. Vielmehr zeigt uns das Leben anderes. Das Glück ist wie die Liebe zwischen Mann und Frau, launisch und vergänglich. Auch darüber schreiben die Philosophen und wer lange genug lebt wird dies bestätigen. Schopenhauer, formuliert das mit dem Glück so: "Es kommt bei der Lebenskunst gerade nicht darauf an, sich geschickt durchs Leben zu manövrieren, sondern darauf Schmerzen zu überwinden und das Leben selbst zu gestalten.“
Das eigene Leben gestalten, Moment für Moment, auch in den Momenten wo das Glück abwesend ist, zu sehen, dass genau das unser Leben ist. Was für ein Glück!
Glück ist keine Entscheidung, die der Mensch trifft, es ist eine Sehnsucht. Sehnsüchte tragen in sich, dass sie meist unerfüllt bleiben. Sie entspringen einem Mangel, sind ein Suchen. Die Sehnsucht ist zukunftsorientiert wie das Glück, das, wenn es abwesend ist, bei vielen Menschen zu einem zukunftsorientierten Seinszustand wird. Oh nein, ich habe nichts gegen das Glück, ich habe es selbst oft erfahren, dieses Augenblicksglück, von dem man sich wünscht, so soll es sein, so soll es bleiben. Es bleibt aber nicht. Es geht und wenn wir Glück haben kommt es wieder. Wäre es immer anwesend würden wir es nicht mehr aushalten vor glücklicher Langeweile. Das vollkommene dauertüchtige Glück als Lebensoption ist eine Illusion und das ist gut so, denn nur durch das Erleben und Durchleben verschiedenster Gefühlszustände wächst der Mensch. Da halte ich es mit Nietzsche, der konstatierte, dass sich die Lebenskunst an Intensität, nicht an Schmerzvermeidung orientiert. Lebenskunst bedeutet nicht, Leid und Schmerz partout vermeiden zu wollen, abgesehen davon, dass dies auch ein unmögliches Unterfangen ist, sie bedeutet intensive Erfahrungen zuzulassen. Nichts ist öder als eine linear verlaufende Lebensspur. Das Leben verläuft episch und das bei den meisten Menschen. Was für ein Glück!
Das ständige Streben nach Glück birgt ein bitteres Gift in sich.
Es bedeutet unzufrieden zu sein mit dem was ist, es bedeutet sich immer neue Ziele setzen zu müssen, sie erreichen zu müssen, es bedeutet getrieben zu sein in die Zukunft, die bessere bitte, und es bedeutet ein Herausfallen aus dem Jetzt wie es ist. Es bedeutet das Jetzt nicht wahrzunehmen, den Verlust der Achtsamkeit auf den Moment und ein ständiges abwesend Sein von dem, was uns das Leben gerade vor die Füße legt, damit wir es aufheben und etwas damit gestalten. Stefan Grammel hat es einmal so formuliert: "Eine grundsätzliche Übung für alle, die ihr Unglück suchen, ist eine intensive Beschäftigung mit dem Glück." Glück als Lebensziel ist eine Verirrung aus dem Jetzt in eine unwägbare Zukunft. Der Anspruch auf das Glück und der Glaube es mit positiven Affirmationen einfach herbeidenken zu können gleicht einer Verachtung des Lebens, seiner Vielfalt und Unerwartbarkeiten, es ist Undank und mangelnde Demut. Glück kann nicht das Ziel sein, sondern der Lohn.
Glück ist niemals eine Entscheidung - es ist eine Fähigkeit, die wir in uns tragen oder nicht.
Es kann auch keine Entscheidung sein, denn eine Entscheidung bedeutet es folgt dieser ein Tun. Glücklich tun können wir nicht, ebenso wenig wie wir andere glücklich machen können oder sie uns. Glück ist ein Seinszustand in einem Moment in der Zeit. Es ist flüchtig und freiheitsliebend wie die Liebe: Beide begegnen uns ohne unser Zutun und sie verlassen uns ohne unser Zutun. Das Schöne und Gute lässt sich nicht zwingen und nicht halten. Das ist Leben - Veränderung. Was wir aber tun können ist offen zu sein für Möglichkeiten. Glücklich ist, der das vermag!
Gerade weil das Glück eine Möglichkeit ist, ist es so kostbar. Aber das Kostbare verschwendet sich nicht, denn dadurch verliert es seine Kostbarkeit. Wollen wir uns für das Glück entscheiden und es gar herbeiwünschen oder sogar einfordern, legen wir es in Ketten. Wiederum legen wir uns mit der Entscheidung glücklich sein zu wollen in Ketten, denn wir nehmen das kleine Glück nicht mehr wahr.
Und nein, nicht jeder ist sein Glückes Schmied. Das Leben und alle seine vergeblichen Glücksschmiedereien haben es uns längst bewiesen.
Solang Du nach dem Glücke jagst,
bist du nicht reif zum Glücklichsein
und wäre alles Liebste Dein.
Solang Du um Verlorenes klagst
und Ziele hast und rastlos bist,
weißt Du noch nicht was Friede ist.
Erst wenn Du jedem Wunsch entsagst,
nicht Ziel mehr noch Begehren kennst,
das Glück nicht mehr mit Namen nennst,
dann reicht Dir des Geschehens Flut
nicht mehr ans Herz,
und Deine Seele ruht.
Hermann Hesse
Montag, 19. Dezember 2011
De MUT
Der Mensch glaubt er hat alles erreicht.
Die Welt ist hochtechnisiert, chemisiert, industrialisiert. Ein Ende dieses Prozesses ist nicht absehbar, getrieben vom Gedanken an ein noch besser, noch mehr, dreht sich die Welt mit uns und sie dreht sich immer schneller diese Welt, die wir die wir zu beherrschen glauben. Aber um uns herum bröckelt, was wir für Gold halten, nur weil es so schön glänzt. Was dahinter sichtbar ist glänzt nicht.
Da ist eine Welt voller Kathastrophen, eine Natur, die zurückschlägt, eine Wirtschaft, die sich seit Jahren in der Krise befindet, da sind immer mehr Menschen die alles verlieren, da sind Krankheiten wie Depression, Ängste, Krebs und Alkoholismus, die sich ausbreiten und da sind unsere Kinder, die keinen Halt mehr finden, ich könnte endlos weiter aufzählen.
Unmenschlichkeit, Härte, Gewalt und Empathielosigkeit breiten sich aus in dieser Welt, in der das Geld regiert und als das Maß aller Dinge gilt, auf Kosten der Menschlichkeit, im Sinne - wie der Mensch sein könnte.
Wir befinden uns in einem Zustand, den zu reparieren fast unmöglich geworden ist. Viele Menschen sehen das und viele Menschen wissen - es ist Zeit nach Innen zu gehen, zu hinterfragen und Lösungen zu finden.
Es ist Zeit ein neues Bewusstsein zuzulassen. Es gibt so viele Zeichen.
Unsere Generation gehört zu den Zerstörern. Diese Einsicht sollte dazu führen, uns selbst und unseren Kindern die Kraft und den Mut zu geben neu zu denken und zu fühlen, den Mut menschlicher, vorrausschauender und klüger zu handeln. Wir wissen alle wie eine Kindheit nicht sein sollte - allein deshalb sollten wir darauf achten unseren Kindern Liebe, Achtung und Respekt vor dem Leben in jeglicher Form und vor allem Selbstwertgefühl mitzugeben.
Aber was ist die Realität?
Unsere Kinder sollen funktionieren. Es gibt Kinder, die sich wehren, die sich dem verweigern, was wir von ihnen fordern. Das sind dann die schwierigen Kinder, die mit Aufmerksamkeitsdesinfizitsyndromen, die Leistungsverweigerer, die die ausbrechen auf irgendeine Weise und sich dabei sogar selbst verletzten, weil sie verletzt sind, weil sie ohnmächtig sind gegenüber all den Erwartungen, die wir an sie stellen und die sie nicht erfüllen können, weil wir sie überfordern.
Diese Kinder reagieren normal, nomaler als die Angepassten.
Ihre kleine Rebellion ist das Zeichen eines gesunden Lebensgefühls, das man ihnen austreiben will, damit sie wie die Überzahl der Menschen keinen eigenen Willen haben, keine Ambitionen selbst zu denken, damit sie funktionieren. Ich bin froh über diese Kinder, die sich wehren und ich bin zugleich traurig, denn sie haben es unendlich schwer. Aber es sind starke Kinder, stark genug um zu überstehen was noch kommen wird.
Wir hinterlassen ihnen ein trauriges Vermächtnis, eine verletzte Erde, die wir ihrer Schönheit und ihrer Gesundheit beraubt haben und wir machen weiter, obwohl wir wissen - nichts ist gut, obwohl wir wissen, dass wir auf diese Weise nicht weiter machen dürfen.
Das Wesen des Menschen, der im Grunde Gutes will, ist ein destruktives, eine Kraft, die das Gute will und doch das Böse schafft.
Der Motor, der uns antreibt ist die Gier. Sie ist nicht zu stillen. Da brauche ich nicht die Weihnachtszeit um das zu sehen. Sie ist lediglich die sichtbare scheinheilig glitzernde Spitze des gierigen Raffens und Anhäufens von Dingen die kein Mensch braucht, ein Raffen, das sich wie eine Seuche ausbreitet.
Zu viel, zu viel von allem was es zu kaufen gibt, zu haben gibt - vom Wesentlichen viel zu wenig.
Das Wesentliche - Demut!
Ein altmodisches Wort, ein Wort, das, spricht man es laut aus, belächelt wird und der, der es ausspricht.
Die Gier macht uns blind, schüttet uns Sand in die Augen.
Damit wir die Skrupellosigkeit und das Maß der Ausbeutung unseres Planeten und seiner Bewohner übersehen?
Die schlimmsten Fantasien von heute sind die Realität von Morgen, wenn wir nicht bereit sind etwas Wesentliches zu ändern, wenn wir weiter machen wie bisher.
Einige von uns wissen das und eigentlich wissen wir es alle. Und in dieser weihnachtlichen Zeit kriecht dieses Wissen bei vielen Menschen ganz nach oben. So weit hoch, dass es schwer fällt es herunterzuschlucken. Aber wir schlucken ihn runter, diesen dicken Kloß, der raus will, weil wir glauben, wir können ja doch nichts ändern, weil uns der Mut fehlt - der Mut der Demut.
Die Welt ist hochtechnisiert, chemisiert, industrialisiert. Ein Ende dieses Prozesses ist nicht absehbar, getrieben vom Gedanken an ein noch besser, noch mehr, dreht sich die Welt mit uns und sie dreht sich immer schneller diese Welt, die wir die wir zu beherrschen glauben. Aber um uns herum bröckelt, was wir für Gold halten, nur weil es so schön glänzt. Was dahinter sichtbar ist glänzt nicht.
Da ist eine Welt voller Kathastrophen, eine Natur, die zurückschlägt, eine Wirtschaft, die sich seit Jahren in der Krise befindet, da sind immer mehr Menschen die alles verlieren, da sind Krankheiten wie Depression, Ängste, Krebs und Alkoholismus, die sich ausbreiten und da sind unsere Kinder, die keinen Halt mehr finden, ich könnte endlos weiter aufzählen.
Unmenschlichkeit, Härte, Gewalt und Empathielosigkeit breiten sich aus in dieser Welt, in der das Geld regiert und als das Maß aller Dinge gilt, auf Kosten der Menschlichkeit, im Sinne - wie der Mensch sein könnte.
Wir befinden uns in einem Zustand, den zu reparieren fast unmöglich geworden ist. Viele Menschen sehen das und viele Menschen wissen - es ist Zeit nach Innen zu gehen, zu hinterfragen und Lösungen zu finden.
Es ist Zeit ein neues Bewusstsein zuzulassen. Es gibt so viele Zeichen.
Unsere Generation gehört zu den Zerstörern. Diese Einsicht sollte dazu führen, uns selbst und unseren Kindern die Kraft und den Mut zu geben neu zu denken und zu fühlen, den Mut menschlicher, vorrausschauender und klüger zu handeln. Wir wissen alle wie eine Kindheit nicht sein sollte - allein deshalb sollten wir darauf achten unseren Kindern Liebe, Achtung und Respekt vor dem Leben in jeglicher Form und vor allem Selbstwertgefühl mitzugeben.
Aber was ist die Realität?
Unsere Kinder sollen funktionieren. Es gibt Kinder, die sich wehren, die sich dem verweigern, was wir von ihnen fordern. Das sind dann die schwierigen Kinder, die mit Aufmerksamkeitsdesinfizitsyndromen, die Leistungsverweigerer, die die ausbrechen auf irgendeine Weise und sich dabei sogar selbst verletzten, weil sie verletzt sind, weil sie ohnmächtig sind gegenüber all den Erwartungen, die wir an sie stellen und die sie nicht erfüllen können, weil wir sie überfordern.
Diese Kinder reagieren normal, nomaler als die Angepassten.
Ihre kleine Rebellion ist das Zeichen eines gesunden Lebensgefühls, das man ihnen austreiben will, damit sie wie die Überzahl der Menschen keinen eigenen Willen haben, keine Ambitionen selbst zu denken, damit sie funktionieren. Ich bin froh über diese Kinder, die sich wehren und ich bin zugleich traurig, denn sie haben es unendlich schwer. Aber es sind starke Kinder, stark genug um zu überstehen was noch kommen wird.
Wir hinterlassen ihnen ein trauriges Vermächtnis, eine verletzte Erde, die wir ihrer Schönheit und ihrer Gesundheit beraubt haben und wir machen weiter, obwohl wir wissen - nichts ist gut, obwohl wir wissen, dass wir auf diese Weise nicht weiter machen dürfen.
Das Wesen des Menschen, der im Grunde Gutes will, ist ein destruktives, eine Kraft, die das Gute will und doch das Böse schafft.
Der Motor, der uns antreibt ist die Gier. Sie ist nicht zu stillen. Da brauche ich nicht die Weihnachtszeit um das zu sehen. Sie ist lediglich die sichtbare scheinheilig glitzernde Spitze des gierigen Raffens und Anhäufens von Dingen die kein Mensch braucht, ein Raffen, das sich wie eine Seuche ausbreitet.
Zu viel, zu viel von allem was es zu kaufen gibt, zu haben gibt - vom Wesentlichen viel zu wenig.
Das Wesentliche - Demut!
Ein altmodisches Wort, ein Wort, das, spricht man es laut aus, belächelt wird und der, der es ausspricht.
Die Gier macht uns blind, schüttet uns Sand in die Augen.
Damit wir die Skrupellosigkeit und das Maß der Ausbeutung unseres Planeten und seiner Bewohner übersehen?
Die schlimmsten Fantasien von heute sind die Realität von Morgen, wenn wir nicht bereit sind etwas Wesentliches zu ändern, wenn wir weiter machen wie bisher.
Einige von uns wissen das und eigentlich wissen wir es alle. Und in dieser weihnachtlichen Zeit kriecht dieses Wissen bei vielen Menschen ganz nach oben. So weit hoch, dass es schwer fällt es herunterzuschlucken. Aber wir schlucken ihn runter, diesen dicken Kloß, der raus will, weil wir glauben, wir können ja doch nichts ändern, weil uns der Mut fehlt - der Mut der Demut.
Mittwoch, 14. Dezember 2011
ERINNERUNG
sie hatte gewartet, geduldig wie es ihre art war. immer geduldig sein, hatte die mutter ihr eingetrichtert, schon als kind. sie hatte es verinnerlicht, nie war sie ungeduldig gewesen, immer hatte sie den dingen ihre zeit gegeben, gewartet ohne viel einzugreifen in das, was leben war. das nötigste getan und wenig über das nötige hinaus. geduldig hatte sie die schläge des vaters ertragen, wenn er betrunken nach hause kam. geduldig das abklingen des schmerzes erwartet, der über den rücken kroch wie ein rauhes schuppiges tier.
sie litt unter dem schmerzenden rücken. die erinnerung hatte sich in die nervenbahnen verkrochen.
manchmal legte sie sich auf den bauch, fühlte in den schmerz hinein und wartete geduldig bis er verschwand. dann erhob sie sich, schüttelte sich und die erinnerung ab. der rücken beruhigte sich eine weile, bis das tier sich wieder bemerkbar machte. dann wiederholte sie die prozedur.
als der mann seine hände zum ersten mal über ihren rücken gleiten ließ fühlte sie den schmerz intensiv wie damals. er legte sich über das tier. die hände des mannes drückten es tiefer in die haut. das tier, sich einbohrend in die knochen ihres rückgrates.
hör auf, bat sie ihn. hab geduld mit mir. der mann, ungeduldig, wollte ihre haut und sie, die sie ihm nicht geben konnte, zog sich zurück von seinen ungeduldigen händen. eine erklärung gab sie ihm nicht, nur die bitte um die geduld, die ihm fremd war. sie spürte seine ungeduldige unnachgiebigkeit, sein unbedingtes wollen, das ihre geduld ignorierte.
sie traf ihn immer seltener. dachte an den vater, der längst tot war und doch nicht tot, lebendig in ihrem rücken wie das tier, das er auf sie gehetzt hatte. nicht totzukriegen das tier.
manchmal ließ sie das wasser über den rücken laufen, eiskalt, bis es die haut betäubte und über die haut hinaus jedes gefühl. wut war ihr fremd, sie verweigerte sich jedem wollen. das wollen sei es, dass ihr fehle, hatte der psychologe gesagt, den sie besuchte, um dem mann eine chance zu geben und sich. das wollen, das die mutter nicht zugelassen hatte, ersetzt hatte durch die mahnung an die geduld, die stärker war, als die worte des psychologen und das wollen des mannes. das nicht wollen können setzte sie unter druck. das tier kam immer öfter.
manchmal war der schmerz so stark, dass sie sich krankmelden musste, wochenlang. der arbeitgeber, anfangs verständnisvoll, wurde ungeduldig und sie, an die wand gedrängt, wusste nicht was tun. die geduld nützte ihr nichts, war kein ausweg mehr, machte das leben zum käfig. den schlüssel suchend, nicht findend, war sie verzweifelt.
der mann forderte eine entscheidung. sie unfähig sie zu treffen, suchte nach worten, fand keine, ausser er möge geduld haben, sie habe sie auch.
er sei am ende mit seiner geduld, möge sie tun was sie wolle, er gebe auf, sagte der mann.
das benzin besorgte sie sich an der tankstelle. der geruch als sie es aus dem kanister in die badewanne goß betäubte die sinne. geduldig hielt sie aus, legte die kleider ab. ihr körper in die wanne gleitend, spürte das brennen des benzins auf der haut. es ignorierend öffnete sie die streicholzschachtel, zündete das streichholz an. das tier bohrte sich in die haut. es wird aufhören, sagte sie zu dem tier. gleich hört es auf.
sie litt unter dem schmerzenden rücken. die erinnerung hatte sich in die nervenbahnen verkrochen.
manchmal legte sie sich auf den bauch, fühlte in den schmerz hinein und wartete geduldig bis er verschwand. dann erhob sie sich, schüttelte sich und die erinnerung ab. der rücken beruhigte sich eine weile, bis das tier sich wieder bemerkbar machte. dann wiederholte sie die prozedur.
als der mann seine hände zum ersten mal über ihren rücken gleiten ließ fühlte sie den schmerz intensiv wie damals. er legte sich über das tier. die hände des mannes drückten es tiefer in die haut. das tier, sich einbohrend in die knochen ihres rückgrates.
hör auf, bat sie ihn. hab geduld mit mir. der mann, ungeduldig, wollte ihre haut und sie, die sie ihm nicht geben konnte, zog sich zurück von seinen ungeduldigen händen. eine erklärung gab sie ihm nicht, nur die bitte um die geduld, die ihm fremd war. sie spürte seine ungeduldige unnachgiebigkeit, sein unbedingtes wollen, das ihre geduld ignorierte.
sie traf ihn immer seltener. dachte an den vater, der längst tot war und doch nicht tot, lebendig in ihrem rücken wie das tier, das er auf sie gehetzt hatte. nicht totzukriegen das tier.
manchmal ließ sie das wasser über den rücken laufen, eiskalt, bis es die haut betäubte und über die haut hinaus jedes gefühl. wut war ihr fremd, sie verweigerte sich jedem wollen. das wollen sei es, dass ihr fehle, hatte der psychologe gesagt, den sie besuchte, um dem mann eine chance zu geben und sich. das wollen, das die mutter nicht zugelassen hatte, ersetzt hatte durch die mahnung an die geduld, die stärker war, als die worte des psychologen und das wollen des mannes. das nicht wollen können setzte sie unter druck. das tier kam immer öfter.
manchmal war der schmerz so stark, dass sie sich krankmelden musste, wochenlang. der arbeitgeber, anfangs verständnisvoll, wurde ungeduldig und sie, an die wand gedrängt, wusste nicht was tun. die geduld nützte ihr nichts, war kein ausweg mehr, machte das leben zum käfig. den schlüssel suchend, nicht findend, war sie verzweifelt.
der mann forderte eine entscheidung. sie unfähig sie zu treffen, suchte nach worten, fand keine, ausser er möge geduld haben, sie habe sie auch.
er sei am ende mit seiner geduld, möge sie tun was sie wolle, er gebe auf, sagte der mann.
das benzin besorgte sie sich an der tankstelle. der geruch als sie es aus dem kanister in die badewanne goß betäubte die sinne. geduldig hielt sie aus, legte die kleider ab. ihr körper in die wanne gleitend, spürte das brennen des benzins auf der haut. es ignorierend öffnete sie die streicholzschachtel, zündete das streichholz an. das tier bohrte sich in die haut. es wird aufhören, sagte sie zu dem tier. gleich hört es auf.
Dienstag, 13. Dezember 2011
MACHTLOS
ich will keine pläne machen, sagte sie. ich habe schon zu oft pläne gemacht, am ende waren sie nichts weiter als ein durchgestrichenes sinnloses wünschen.
er sah sie an. verständnislosigkeit mischte sich in den versuch zu verstehen. er kannte ihr leben, das was sie ihm erzählt hatte von der zeit, vor ihrer zeit.
wenn du keine pläne machst kann nichts entstehen, sagte er, verstehst du?
ich verstehe das. ich überlasse es jedem seine pläne zu machen. ich aber mache keine. sie klang gereizt.
er wusste, es war besser nichts mehr zu sagen. du verweigerst dich der zukunft, ist es das? rutschte es ihm heraus.
in ihrem kopf braute sich eine welle zusammen, schwemmte die erinnerung nach oben, drängte dunkle bilder zwischen sie und ihn, schaffte abstand. der abstand breitete sich in der mitte des bettes aus.
sie drehte ihm den rücken zu. er weiß es nicht, er könnte es wissen, müsste es wissen, dachte sie, und dass er ihr wohl nie richtig zugehört hatte. die welle brach sich an ihrer wut gegen sein nichthören wollen, zog sie in einem strudel nach unten zu den geistern der vergangenheit.
sie wünschte sich, er möge schweigen.
alle menschen machen pläne, drängte seine stimme unter das weinrot der kissen, blieb dort kleben zwischen ihr und den geistern.
krampfhaft versuchte sie die wut runter zu schlucken. in ihrer kehle blieb sie stecken.
schau, wenn wir keine pläne machen, hat das was von hoffnungslosigkeit.
ein scharfes lachen kroch aus ihrem hals nach oben, riss das verklebte in ihrer kehle schmerzhaft auf. du hast doch keinen blassen schimmer, die hoffnung und die pläne haben nur eins gemein, sie sind zukunftsabhängig, ein schutzschild gegen das unerwartbare sind sie nicht.
er zerrte an der decke, wollte sie in den arm nehmen, sie hinwegtragen über die weigerung das leben nach vorn zu denken.
sie krallte sich fest. die geister hatten sie längst wieder. er, mit seinen plänen, machtlos.
er sah sie an. verständnislosigkeit mischte sich in den versuch zu verstehen. er kannte ihr leben, das was sie ihm erzählt hatte von der zeit, vor ihrer zeit.
wenn du keine pläne machst kann nichts entstehen, sagte er, verstehst du?
ich verstehe das. ich überlasse es jedem seine pläne zu machen. ich aber mache keine. sie klang gereizt.
er wusste, es war besser nichts mehr zu sagen. du verweigerst dich der zukunft, ist es das? rutschte es ihm heraus.
in ihrem kopf braute sich eine welle zusammen, schwemmte die erinnerung nach oben, drängte dunkle bilder zwischen sie und ihn, schaffte abstand. der abstand breitete sich in der mitte des bettes aus.
sie drehte ihm den rücken zu. er weiß es nicht, er könnte es wissen, müsste es wissen, dachte sie, und dass er ihr wohl nie richtig zugehört hatte. die welle brach sich an ihrer wut gegen sein nichthören wollen, zog sie in einem strudel nach unten zu den geistern der vergangenheit.
sie wünschte sich, er möge schweigen.
alle menschen machen pläne, drängte seine stimme unter das weinrot der kissen, blieb dort kleben zwischen ihr und den geistern.
krampfhaft versuchte sie die wut runter zu schlucken. in ihrer kehle blieb sie stecken.
schau, wenn wir keine pläne machen, hat das was von hoffnungslosigkeit.
ein scharfes lachen kroch aus ihrem hals nach oben, riss das verklebte in ihrer kehle schmerzhaft auf. du hast doch keinen blassen schimmer, die hoffnung und die pläne haben nur eins gemein, sie sind zukunftsabhängig, ein schutzschild gegen das unerwartbare sind sie nicht.
er zerrte an der decke, wollte sie in den arm nehmen, sie hinwegtragen über die weigerung das leben nach vorn zu denken.
sie krallte sich fest. die geister hatten sie längst wieder. er, mit seinen plänen, machtlos.
Freitag, 9. Dezember 2011
DIESE MÖGLICHKEIT
da stand sie die liebe, ganz groß stand sie vor ihr.
sie stand da, schon lange. ein jahr schon stand sie da. an manchen tagen des jahres hatte sie sich berühren lassen von der liebe, die da stand und immer noch da stand. sie hatte sie weggejagt, immer wieder in diesem jahr. so wie sie jede liebe weggejagt hatte in den jahren davor, aber sie war jedes mal wieder gekommen.
nicht, dass sie sie nicht gewollt hätte. immer wenn sie abwesend war, wünschte sie sich nichts sehnlicher als dass sie kommen möge. die sehnsucht brannte in der abwesenheit der liebe, ein brennendes nicht verbrennendes, das sie unter kontrolle hatte.
die kontrolle nicht verlieren. überlebenswichtig. hineinfallen in die sehnsucht, nicht in die liebe, die liebe war unberechenbar. am ende tat sie immer weh. egal was sie versprach, am anfang.
sie misstraute der liebe. manchmal fragte sie sich, ob es schon immer so gewesen war. in diesem fragen lag die erinnerung an ihre kindheit. sich erinnernd fragte sie sich, ob sie sich getäuscht haben konnte, ob es so gewesen war, dass sich niemandes augen liebend auf sie gelegt hatten oder ob sie es übersehen hatte. es war möglich.
sie dachte an den vater, der sie geliebt hatte, wenn die mutter nicht da war, der sie von sich gestoßen hatte, wenn die mutter da war. grundlos in der erinnerung, die keine gründe fand in der gegenwart. sie dachte an den großvater, der sie geliebt hatte wie ein großvater ein kind nicht lieben darf. sie fühlte den schmerz, den der gedanke auslöste wenn sie ihn dachte und schob in fort, weil er schmerzte.
sie wusste, dass die erinnerung dazu neigte seltsame blüten zu treiben, auch fleischfressende pflanzen, die sich ins innerste fraßen, alles wegfraßen, was lieben wollte und vertrauen. sie erinnerte sich nicht oft.
sie dachte an das eine mal, wo sie die liebe zu sich gelassen hatte, ganz nah, ganz eng, ganz tief in ihr innerstes. das eine mal, als sie verschmolzen war mit der liebe, die sie hatte leben lassen, ohne die sehnsucht und das brennen, in einer langen wärme. sie dachte an das kind, das sie geboren hatte, vor dieser liebe, aus einer anderen liebe heraus, der sie vertaut hatte und die sie verlassen hatte. das kind, das diese tiefe liebe nicht gewollt hatte für sie, nicht hatte wollen können aus angst die mutter zu verlieren. sie weinte um das kind, das sie verloren hatte wegen der tiefen liebe, das kind, das gelitten hatte für diese liebe, die so tief war, dass sie sie nicht hatte gehen lassen können. sie fühlte den schmerz, die ohnmacht und den zorn des kindes. sie fühlte die schuld gegenüber dem kind, das gegangen war, wegen der liebe.
sie tat weh die liebe, das war, was sie fühlte. sie zerstört die liebe, das war, was sie gelernt hatte von der liebe. sie hatte bezahlt für die liebe. sie erlaubte sich die liebe nicht mehr, dachte, dass sie die liebe nicht verdient hatte, wegen der schuld, die sie trug.
aber die liebe stand immer noch vor ihr, ganz groß und sie spürte das große, das sich zu dem anderen großen legte, das der liebe misstraute.
sie sah die liebe an, die vor ihr stand, noch immer, dachte, sie steht da, bis du sie zu dir lässt, ganz nah, ganz eng, ganz tief in dein innerstes. dachte, dass sie so lange da stehen würde, bis sie sie zu sich ließ, ganz nah. dann würde sie sie verlassen, wieder.
diese möglichkeit würde sie ihr nicht mehr geben.
sie stand da, schon lange. ein jahr schon stand sie da. an manchen tagen des jahres hatte sie sich berühren lassen von der liebe, die da stand und immer noch da stand. sie hatte sie weggejagt, immer wieder in diesem jahr. so wie sie jede liebe weggejagt hatte in den jahren davor, aber sie war jedes mal wieder gekommen.
nicht, dass sie sie nicht gewollt hätte. immer wenn sie abwesend war, wünschte sie sich nichts sehnlicher als dass sie kommen möge. die sehnsucht brannte in der abwesenheit der liebe, ein brennendes nicht verbrennendes, das sie unter kontrolle hatte.
die kontrolle nicht verlieren. überlebenswichtig. hineinfallen in die sehnsucht, nicht in die liebe, die liebe war unberechenbar. am ende tat sie immer weh. egal was sie versprach, am anfang.
sie misstraute der liebe. manchmal fragte sie sich, ob es schon immer so gewesen war. in diesem fragen lag die erinnerung an ihre kindheit. sich erinnernd fragte sie sich, ob sie sich getäuscht haben konnte, ob es so gewesen war, dass sich niemandes augen liebend auf sie gelegt hatten oder ob sie es übersehen hatte. es war möglich.
sie dachte an den vater, der sie geliebt hatte, wenn die mutter nicht da war, der sie von sich gestoßen hatte, wenn die mutter da war. grundlos in der erinnerung, die keine gründe fand in der gegenwart. sie dachte an den großvater, der sie geliebt hatte wie ein großvater ein kind nicht lieben darf. sie fühlte den schmerz, den der gedanke auslöste wenn sie ihn dachte und schob in fort, weil er schmerzte.
sie wusste, dass die erinnerung dazu neigte seltsame blüten zu treiben, auch fleischfressende pflanzen, die sich ins innerste fraßen, alles wegfraßen, was lieben wollte und vertrauen. sie erinnerte sich nicht oft.
sie dachte an das eine mal, wo sie die liebe zu sich gelassen hatte, ganz nah, ganz eng, ganz tief in ihr innerstes. das eine mal, als sie verschmolzen war mit der liebe, die sie hatte leben lassen, ohne die sehnsucht und das brennen, in einer langen wärme. sie dachte an das kind, das sie geboren hatte, vor dieser liebe, aus einer anderen liebe heraus, der sie vertaut hatte und die sie verlassen hatte. das kind, das diese tiefe liebe nicht gewollt hatte für sie, nicht hatte wollen können aus angst die mutter zu verlieren. sie weinte um das kind, das sie verloren hatte wegen der tiefen liebe, das kind, das gelitten hatte für diese liebe, die so tief war, dass sie sie nicht hatte gehen lassen können. sie fühlte den schmerz, die ohnmacht und den zorn des kindes. sie fühlte die schuld gegenüber dem kind, das gegangen war, wegen der liebe.
sie tat weh die liebe, das war, was sie fühlte. sie zerstört die liebe, das war, was sie gelernt hatte von der liebe. sie hatte bezahlt für die liebe. sie erlaubte sich die liebe nicht mehr, dachte, dass sie die liebe nicht verdient hatte, wegen der schuld, die sie trug.
aber die liebe stand immer noch vor ihr, ganz groß und sie spürte das große, das sich zu dem anderen großen legte, das der liebe misstraute.
sie sah die liebe an, die vor ihr stand, noch immer, dachte, sie steht da, bis du sie zu dir lässt, ganz nah, ganz eng, ganz tief in dein innerstes. dachte, dass sie so lange da stehen würde, bis sie sie zu sich ließ, ganz nah. dann würde sie sie verlassen, wieder.
diese möglichkeit würde sie ihr nicht mehr geben.
Donnerstag, 8. Dezember 2011
S P R A C H W O R T
s p r a c h w o r t LIEBE
leicht gesagtes
leicht benutztes
hingeworfenes
verschleudertes
abgenutztes
s p r a c h w o r t
im augenblick als es zu füllen war mit tun
als leer entlarvtes
verblasstes
leicht gesagtes
s p r a c h w o r t liebe
leicht gesagtes
leicht benutztes
hingeworfenes
verschleudertes
abgenutztes
s p r a c h w o r t
im augenblick als es zu füllen war mit tun
als leer entlarvtes
verblasstes
leicht gesagtes
s p r a c h w o r t liebe
Montag, 5. Dezember 2011
M E D E A
Malerei: Angelika Wende |
lust hatte er nicht, lieber hätte er den abend zu hause verbracht, sich arbeit mitgenommen. er hatte genug arbeit und eigentlich keine zeit für zerstreuung. aber irgendetwas zog ihn dann doch ins theater. ein geschäftsfreund hatte ihm die karte geschenkt. premiere und danach premierenfeier. du musst mal raus, hatte der geschäftsfreund gesagt. er hatte seinen widerwillen besiegt, war mitgegangen. es sind ja nur ein paar stunden, gedacht, und dass es ihm vielleicht gut tun würde einmal rauszukommen.
die luft im theater war stickig. er öffnete den hemdkragen und versuchte sich auf das geschehen auf der bühne zu konzentrieren.
diese leidensmine. sie galt ihm, eine anklage gegen sein ganzes sein, sein da sein, das er ihr entzogen hatte. sie litt sichtbar. das leid zog sich wie gitterstäbe um alles und jeden, der sie umgab. sie sah nur noch sich selbst, schloss alle anderen aus und gleichzeitig ein in ihr leid.
sie ist blind vor hass, dachte er. dabei hatte er gedacht, dass nur die liebe blind macht. das sagte man jedenfalls. jetzt sah er, dass leid das gleiche anrichtete, auf eine zerstörerische weise. selbstzerstörerisch in einem nach aussen greifenden maße über die maßen des selbst hinaus, schwarzgalliges, leben zerstörendes.
zuerst hatte er schuldgefühle. dann mitleid. beides half nicht. ihr nicht und ihm nicht. dann kam das mitgefühl, das sie nicht annehmen konnte oder wollte. dann kam die wut auf ihre ignoranz. dann die ohnmacht. es dauerte bis er begriff, dass seine ohnmacht ihre macht war. es war ihre rache, geboren aus verletzter eitelkeit und verwundetem stolz oder dem verlust eines lebenskonzeptes. sie, die verstoßene. er, der ihr das angetan hatte. er sollte büßen.
auf der bühne krümmte sich die hauptdarstellerin, kreischte den hauptdarsteller an: durch schmähungen erleichtere ich mein herz. ich habe dich gerettet und du dankst es mir mit verrat, erwarbst ein neues bett, obgleich du kinder hast.er hielt sich die ohren zu.
was es genau war wusste er nicht zu sagen. er hatte gehofft, dass es vorrübergehen würde. immer wieder hatte er den versuch gemacht mit ihr zu reden. sie weigerte sich. sie gab das opfer, schlüpfte in die rolle, von der sie glaubte, dass das leben sie ihr zugespielt hatte. sie das arme opfer, er der gewissenlose täter, angeklagt und verurteilt, von ihr, wenn die welt es schon nicht tat. sie wollte rache. dass sie damit mehr als zwei gräber schaufelte war ihr nicht bewusst, oder es war ihr egal. der hass benutzte seine fresswerkzeuge. zerfressen, dachte er.
das gesicht der hauptdarstellerin glich einer leblosen fratze.
sie war schmal geworden, eine reduktion der ganzen person auf das mindestmaß. dass sie immer unattraktiver wurde war ihr gleichgültig. das leid war größer als jede eitelkeit. seine ohnmacht war ihr triumph. sie wollte gewinnen, zerstören was sie nicht haben konnte, zerstören, was möglich war, wenn nicht ihn, dann sich selbst und das kind. er würde schon sehen.
er sah es, spürte wie sich die schlinge immer enger um sie zog, atmen schwer machte, leben ausschloss. am ende würde sie sich zuziehen. wem das nutze, fragte er sich. er sah die kollateralschäden um sich herum, die sie in kauf nahm.
manchmal fragte er sich, ob es schon immer in ihr gewesen war, das radikal zerstörerische. er hatte es nicht bemerkt, begriff, dass er sie nicht gekannt hatte, nicht erkannt in all den jahren. erschreckend, dachte er und fühlte die ohmacht, die sich über das vergangene legte, über das gegenwärtige und über das gegenwärtige hinaus.
er hoffte auf die zukunft, zählte auf die zeit, die wunden heilt. das sagte man doch. er glaubte daran, weil er daran glauben wollte, setzte seinen glauben gegen ihr wollen, das im begriff war jeden glauben an die zukunft auszulöschen.
wie weit würde sie gehen?
die verzweiflung, die handlungsleitend war, das ich von der welt abtrennte, die existenz ad absurdum führte, das versinken in leere, darin eingeschlossen der wunsch nach zerstörung, dessen was das ich zerstört.
auf der bühne legte medea jason die toten kinder vor die füße.
mit einem schlag stand sie vor ihm, wuchs aus dem aplaus des premierenpublikums heraus, die wahrheit, ganz groß: nein, dachte er, sie ist kein opfer. sie ist eine täterin. ihr größtes vergehen ist ihre unfähigkeit den tod der liebe zu akzeptieren.
Mittwoch, 30. November 2011
ENTSCHEIDUNG
mit leeren augen sah sie ihn an.
ich bin ihr verteidiger, sagte er.
sie blieb still.
wenn sie nicht sprechen, wie soll ich ihnen helfen?
ich habe nichts zu sagen, antwortete sie.
man wird sie verurteilen, das ist ihnen hoffentlich klar, wenn sie weiter schweigen. sie müssen sich verteidigen.
sie drehte den kopf zum vergitterten fenster. ich muss nichts, sagte sie.
aber sie wissen was ihnen blüht, wenn wir nichts zu ihrer verteidigung vorzubringen haben.
ich wusste es vorher, sagte sie.
was? er sah sie erstaunt an.
was mir blüht, wie sie es nennen.
und?
er suchte nach worten über das undwort hinaus. irritiert spielte er mit seinem füller, drehte ihn hin und her, ein sich winden gegen die ohnmacht, die ihn umfing, jedes mal, wenn er sie besuchte. sie sind ein hartnäckiger fall, sagte er und versuchte ein lächeln, das keine erwiderung fand.
ich wusste, was ich tat.
das bedeutet, sie haben mit vorsatz gehandelt, hakte er nach.
ja, vorsätzlich, so kann man das nennen.
aber das bedeutet, es gibt keine entschuldigungsgründe, antwortete er.
ich will mich nicht entschuldigen, sagte sie. sie nahm eine zigarette aus der schachtel, die er ihr mitgebracht hatte. er gab ihr feuer. sie inhalierte und blies den rauch in aller seelenruhe aus.
ich verstehe sie nicht, wie können sie so ruhig bleiben, ihr leben steht auf dem spiel. sie werden lebenslänglich bekommen, ist ihnen das klar?
ja, das ist mir klar, sagte sie.
und? ist ihnen das egal.
mir ist es egal, ja.
er griff sich ins haar, mit einer hektischen bewegung fuhr er sich durch die dunklen locken.
wie alt sind sie?
alt genug, erwiderte sie.
alt genug, wofür?
alt genug für mich selbst zu entscheiden.
dann entscheiden sie für sich, fuhr er sie an. er war am ende mit seiner geduld.
ich habe entschieden, ich habe ihn getötet.
ich bin ihr verteidiger, sagte er.
sie blieb still.
wenn sie nicht sprechen, wie soll ich ihnen helfen?
ich habe nichts zu sagen, antwortete sie.
man wird sie verurteilen, das ist ihnen hoffentlich klar, wenn sie weiter schweigen. sie müssen sich verteidigen.
sie drehte den kopf zum vergitterten fenster. ich muss nichts, sagte sie.
aber sie wissen was ihnen blüht, wenn wir nichts zu ihrer verteidigung vorzubringen haben.
ich wusste es vorher, sagte sie.
was? er sah sie erstaunt an.
was mir blüht, wie sie es nennen.
und?
er suchte nach worten über das undwort hinaus. irritiert spielte er mit seinem füller, drehte ihn hin und her, ein sich winden gegen die ohnmacht, die ihn umfing, jedes mal, wenn er sie besuchte. sie sind ein hartnäckiger fall, sagte er und versuchte ein lächeln, das keine erwiderung fand.
ich wusste, was ich tat.
das bedeutet, sie haben mit vorsatz gehandelt, hakte er nach.
ja, vorsätzlich, so kann man das nennen.
aber das bedeutet, es gibt keine entschuldigungsgründe, antwortete er.
ich will mich nicht entschuldigen, sagte sie. sie nahm eine zigarette aus der schachtel, die er ihr mitgebracht hatte. er gab ihr feuer. sie inhalierte und blies den rauch in aller seelenruhe aus.
ich verstehe sie nicht, wie können sie so ruhig bleiben, ihr leben steht auf dem spiel. sie werden lebenslänglich bekommen, ist ihnen das klar?
ja, das ist mir klar, sagte sie.
und? ist ihnen das egal.
mir ist es egal, ja.
er griff sich ins haar, mit einer hektischen bewegung fuhr er sich durch die dunklen locken.
wie alt sind sie?
alt genug, erwiderte sie.
alt genug, wofür?
alt genug für mich selbst zu entscheiden.
dann entscheiden sie für sich, fuhr er sie an. er war am ende mit seiner geduld.
ich habe entschieden, ich habe ihn getötet.
Dienstag, 29. November 2011
HERZ 24
ich bin ein schwieriges herz, sagte das herz zu dem herzen, das es sich vertraut gemacht hatte. ich kann nirgends bleiben. ich bin ein schwieriges herz, sagte das herz, das sich vertraut gemacht hatte. ich will endlich ankommen.
ratlos blickten sie einander an. lass mich gehen, sagte das herz, das nirgends bleiben konnte. wenn ich wiederkomme, weiß ich, dass ich bleiben kann. aber was verlangst du von mir?, erwiderte das herz, das endlich ankommen wollte.ich verlange nichts von dir, lächelte das herz, das nirgends bleiben konnte. ich will nicht, dass du auf mich wartest. wenn ich wiederkomme und du noch da bist, sind wir angekommen.
Montag, 28. November 2011
TAUSEND UND EINE NACHT
lisa wischt sich das make-up vom gesicht. manchmal verändert sich alles, ohne dass man einfluss darauf hat. sie seufzte. sie würde alles verändern. altes mit neuen tauschen, die stadt verlassen, das haus, den alltag, den sie gewohnt war. nächste woche würde sie in der neuen wohnung sein.
die wimperntusche, die sie mit einem wattebausch von den augen rieb, hinterließ schwarze ränder. das sah traurig aus. es ist mein wirkliches gesicht, dachte sie. sie wischte die schwarze tusche mit reinigungsmilch weg. sie hatte um einen termin beim sendeleiter gebeten. sie würde ihm sagen, dass sie nicht mehr zur verfügung stand. sie hatte sich entschieden. sie fragte sich, ob es die richtige entscheidung war. seit ben im internat war, hatte sie sich mit der entscheidung herumgequält. sie ertrug den gedanken nicht, ihn nur noch in den ferien zu sehen.
ben hatte in das internat gewollt. gesagt, er wolle nicht mehr mit ihr allein leben, er wolle andere kinder um sich herum haben. lisa nahm ein handtuch um die letzten spuren des make-ups zu entfernen. sie hatte ihr gesicht lange genug in die kamera gehalten. es war die richtige zeit um zu gehen.
du musst ihn loslassen, hatte ihre freundin gesagt, er ist vierzehn. er wird erwachsen. lisa konnte nicht loslassen. in der nacht träumte sie vom fallen. sie hatte für ben gelebt, er war das leben, um das sie das ihre herumgebaut hatte. sie hoffte, dass es ihm gut ging. er schrieb selten, noch seltener rief er an. alles gut, mum, sagte er dann. ben redete nicht über gefühle.
es gab nur ihn, seit ihre ehe gescheitert war. sie hatte ben. einen mann hatte sie nicht mehr gewollt. jetzt hatte er den platz an ihrer seite verlassen. keine warme kinderhand, in die sie ihre hand legen konnte. kein kleiner körper, der am morgen schlaftrunken in ihr bett kroch, sich an sie drückte mit einem: mama ich hab dich lieb. sie nahm die zahnbürste und schrubbte die zähne bis das zahnfleisch blutete. es tat weh.
ihre freundin hatte gesagt, die kinder hat man nur geliehen, sie gehören sich selbst. sie hatte gesagt, ben sei noch klein, er brauche sie. mama, ich schaff das, hatte ben gesagt, als sie seine koffer im zimmer des internats abgestellt hatte. draussen vor dem tor hatte sie geweint. sie gewöhnte sich nicht an das leere haus. der fußball lag seit wochen an der gleichen stelle im garten. manchmal saß sie am fenster und sah ihn stundenlang an. am ende sah sie nur noch ein schwarzes loch.
mit kreisenden bewegungen verteilte sie tagescreme über ihr gesicht. ich habe falten, dachte sie. sie zog den mantel über und verließ den sender.
wie fast jeden abend stand er vor dem taxi und rauchte. sie fuhr taxi. sie hatte keinen führerschein. sein taxi war sauber. es roch nach leder, rasierwasser und tabak. er war perser. eigentlich war er bauingenieur. einmal, als sie im feierabendverkehr im stau standen, hatten sie sich unterhalten. er sagte, er habe kein glück gehabt, keine stelle gefunden in deutschland. sie wollten hier keine ausländer, die aus politischen gründen ihr land verlasssen haben.
er lächelte sie an und hielt ihr die beifahrertür auf. lisa spürte, dass er sie mochte. sie wusste nicht, ob sie ihn mochte.
sie schloss die wagentür und schnallte sich an. seine hände strichen über das lenkrad. lisa dachte, dass er schöne hände hatte. es war kein zufall, dass er sie heute heimfuhr. lisa wusste, dass es keinen zufall gab, nur etwas das einem zufiel. manchmal waren es menschen, die einem zufielen.
er machte den motor an und fuhr los. warum sind sie immer so traurig? fragte er sie und schaltete er das autoradio an. gut, dachte sie, das erspart mir die antwort. haben sie schon mal persisch gegessen?, er lächelte wieder. ich würde sie gern einladen, das heißt, falls sie mit einem taxifahrer ausgehen. lisa überlegte kurz und nickte.
vor dem restaurant bot er ihr eine zigarette an. rauchen sie, das beruhigt. man zieht an der zigarette, verinnerlicht etwas, verbindet sich mit etwas, man ist weniger allein. es ist nicht gut allein zu sein. lisa nahm die zigarette. er gab ihr feuer. seine finger berührten die ihren. es fühlte sich gut an. sie rauchten schweigend. als sie zu ende geraucht hatten, gingen sie in das restaurant.
er bestellte hammelfleisch und reis. das fleisch war zäh und der reis trocken. sie tranken schwarztee. er erzählte von seinem dorf am persischen golf, von seinem glauben, dem er abgeschworen hatte. ich glaube an die menschen, sagte er. lisa sagte, dass sie an nichts mehr glaubte, schon gar nicht an die menschen. sie sind traurig, sagte er, da verliert man manchmal den glauben, oder man glaubt, ihn verloren zu haben.
sein weißes hemd überstrahlte das schummrige licht. seine haut schien noch dunkler. sein haar glänzte nachtblau. seine augen strahlten unter den langen wimpern. er erinnerte sie an eine figur aus den märchen von tausendundeinenacht.
ich werde die stadt verlassen, sagte sie, und dass sie zu ben wollte, in seine nähe, um für ihn da zu sein. sie wollen nicht für ihn da sein, sie wollen, dass er für sie da ist, sagte er. sie schüttelte den kopf, was wissen sie über mein wollen. sie wollte gehen.
meine frau ist vor einigen jahren mit meiner tochter verschwunden, sagte er. ich habe sie lange gesucht. ich habe sie bis heute nicht gefunden. leila ist jetzt acht. ich suche sie nicht mehr. sie wird mich suchen, wenn sie alt genug ist. geben sie ben und sich eine chance.
ihr magen verkrampfte sich. sie stand auf und ging zur toilette. im spiegel blickte sie in ein verbittertes gesicht. als sie zurückkam lag die rechnung auf dem tisch. sie haben nur ein leben, denken sie daran. lisa lächelte schwach. sie werden es begreifen irgendwann, sagte er, wir sind uns ähnlich. lisa wollte niemandem ähnlich sein. ich muss nach hause sagte sie. er nickte und rief den kellner.
die nachtluft war mild. es war still. ihre schritte machten ein klackerndes geräusch auf dem kopfsteinplaster. einen moment lang dachte sie, dass sie schon lange nicht mehr neben einem mann eine straße entlang gegangen war.
er öffnete die wagentür der beifahrerseite und ließ sie einsteigen. geht es ihnen gut? fragte er. ich bin müde, sagte sie.
vor ihrem haus stellte er den motor ab. es ist nicht gut allein zu sein. nehmen sie eine zigarette mit. lisa schüttelte den kopf. er würde an seinen taxistand fahren und auf fahrgäste warten. sie würde die tür öffnen und das einzige geräusch dahinter würde die stille sein. sie stieg aus. machen sie es gut, rief er ihr nach.
sie ging die paar schritte zum haus, schloss die tür auf, hängte den mantel an die garderobe und ging in bens zimmer. zärtlich strich sie über die hellblauen laken und legte ihren kopf auf das kissen. sie dachte an die geschichten, die sie ben vorgelesen hatte, abend für abend, tausend und eine nacht.
die wimperntusche, die sie mit einem wattebausch von den augen rieb, hinterließ schwarze ränder. das sah traurig aus. es ist mein wirkliches gesicht, dachte sie. sie wischte die schwarze tusche mit reinigungsmilch weg. sie hatte um einen termin beim sendeleiter gebeten. sie würde ihm sagen, dass sie nicht mehr zur verfügung stand. sie hatte sich entschieden. sie fragte sich, ob es die richtige entscheidung war. seit ben im internat war, hatte sie sich mit der entscheidung herumgequält. sie ertrug den gedanken nicht, ihn nur noch in den ferien zu sehen.
ben hatte in das internat gewollt. gesagt, er wolle nicht mehr mit ihr allein leben, er wolle andere kinder um sich herum haben. lisa nahm ein handtuch um die letzten spuren des make-ups zu entfernen. sie hatte ihr gesicht lange genug in die kamera gehalten. es war die richtige zeit um zu gehen.
du musst ihn loslassen, hatte ihre freundin gesagt, er ist vierzehn. er wird erwachsen. lisa konnte nicht loslassen. in der nacht träumte sie vom fallen. sie hatte für ben gelebt, er war das leben, um das sie das ihre herumgebaut hatte. sie hoffte, dass es ihm gut ging. er schrieb selten, noch seltener rief er an. alles gut, mum, sagte er dann. ben redete nicht über gefühle.
es gab nur ihn, seit ihre ehe gescheitert war. sie hatte ben. einen mann hatte sie nicht mehr gewollt. jetzt hatte er den platz an ihrer seite verlassen. keine warme kinderhand, in die sie ihre hand legen konnte. kein kleiner körper, der am morgen schlaftrunken in ihr bett kroch, sich an sie drückte mit einem: mama ich hab dich lieb. sie nahm die zahnbürste und schrubbte die zähne bis das zahnfleisch blutete. es tat weh.
ihre freundin hatte gesagt, die kinder hat man nur geliehen, sie gehören sich selbst. sie hatte gesagt, ben sei noch klein, er brauche sie. mama, ich schaff das, hatte ben gesagt, als sie seine koffer im zimmer des internats abgestellt hatte. draussen vor dem tor hatte sie geweint. sie gewöhnte sich nicht an das leere haus. der fußball lag seit wochen an der gleichen stelle im garten. manchmal saß sie am fenster und sah ihn stundenlang an. am ende sah sie nur noch ein schwarzes loch.
mit kreisenden bewegungen verteilte sie tagescreme über ihr gesicht. ich habe falten, dachte sie. sie zog den mantel über und verließ den sender.
wie fast jeden abend stand er vor dem taxi und rauchte. sie fuhr taxi. sie hatte keinen führerschein. sein taxi war sauber. es roch nach leder, rasierwasser und tabak. er war perser. eigentlich war er bauingenieur. einmal, als sie im feierabendverkehr im stau standen, hatten sie sich unterhalten. er sagte, er habe kein glück gehabt, keine stelle gefunden in deutschland. sie wollten hier keine ausländer, die aus politischen gründen ihr land verlasssen haben.
er lächelte sie an und hielt ihr die beifahrertür auf. lisa spürte, dass er sie mochte. sie wusste nicht, ob sie ihn mochte.
sie schloss die wagentür und schnallte sich an. seine hände strichen über das lenkrad. lisa dachte, dass er schöne hände hatte. es war kein zufall, dass er sie heute heimfuhr. lisa wusste, dass es keinen zufall gab, nur etwas das einem zufiel. manchmal waren es menschen, die einem zufielen.
er machte den motor an und fuhr los. warum sind sie immer so traurig? fragte er sie und schaltete er das autoradio an. gut, dachte sie, das erspart mir die antwort. haben sie schon mal persisch gegessen?, er lächelte wieder. ich würde sie gern einladen, das heißt, falls sie mit einem taxifahrer ausgehen. lisa überlegte kurz und nickte.
vor dem restaurant bot er ihr eine zigarette an. rauchen sie, das beruhigt. man zieht an der zigarette, verinnerlicht etwas, verbindet sich mit etwas, man ist weniger allein. es ist nicht gut allein zu sein. lisa nahm die zigarette. er gab ihr feuer. seine finger berührten die ihren. es fühlte sich gut an. sie rauchten schweigend. als sie zu ende geraucht hatten, gingen sie in das restaurant.
er bestellte hammelfleisch und reis. das fleisch war zäh und der reis trocken. sie tranken schwarztee. er erzählte von seinem dorf am persischen golf, von seinem glauben, dem er abgeschworen hatte. ich glaube an die menschen, sagte er. lisa sagte, dass sie an nichts mehr glaubte, schon gar nicht an die menschen. sie sind traurig, sagte er, da verliert man manchmal den glauben, oder man glaubt, ihn verloren zu haben.
sein weißes hemd überstrahlte das schummrige licht. seine haut schien noch dunkler. sein haar glänzte nachtblau. seine augen strahlten unter den langen wimpern. er erinnerte sie an eine figur aus den märchen von tausendundeinenacht.
ich werde die stadt verlassen, sagte sie, und dass sie zu ben wollte, in seine nähe, um für ihn da zu sein. sie wollen nicht für ihn da sein, sie wollen, dass er für sie da ist, sagte er. sie schüttelte den kopf, was wissen sie über mein wollen. sie wollte gehen.
meine frau ist vor einigen jahren mit meiner tochter verschwunden, sagte er. ich habe sie lange gesucht. ich habe sie bis heute nicht gefunden. leila ist jetzt acht. ich suche sie nicht mehr. sie wird mich suchen, wenn sie alt genug ist. geben sie ben und sich eine chance.
ihr magen verkrampfte sich. sie stand auf und ging zur toilette. im spiegel blickte sie in ein verbittertes gesicht. als sie zurückkam lag die rechnung auf dem tisch. sie haben nur ein leben, denken sie daran. lisa lächelte schwach. sie werden es begreifen irgendwann, sagte er, wir sind uns ähnlich. lisa wollte niemandem ähnlich sein. ich muss nach hause sagte sie. er nickte und rief den kellner.
die nachtluft war mild. es war still. ihre schritte machten ein klackerndes geräusch auf dem kopfsteinplaster. einen moment lang dachte sie, dass sie schon lange nicht mehr neben einem mann eine straße entlang gegangen war.
er öffnete die wagentür der beifahrerseite und ließ sie einsteigen. geht es ihnen gut? fragte er. ich bin müde, sagte sie.
vor ihrem haus stellte er den motor ab. es ist nicht gut allein zu sein. nehmen sie eine zigarette mit. lisa schüttelte den kopf. er würde an seinen taxistand fahren und auf fahrgäste warten. sie würde die tür öffnen und das einzige geräusch dahinter würde die stille sein. sie stieg aus. machen sie es gut, rief er ihr nach.
sie ging die paar schritte zum haus, schloss die tür auf, hängte den mantel an die garderobe und ging in bens zimmer. zärtlich strich sie über die hellblauen laken und legte ihren kopf auf das kissen. sie dachte an die geschichten, die sie ben vorgelesen hatte, abend für abend, tausend und eine nacht.
Sonntag, 27. November 2011
DIE ERBSE
stell dir vor, du bist auf die größe einer erbse geschrumpft, grinste er sie an und spießte eine der dampfenden hüsenfrüchte auf die gabel. er wollte sie langsam vernichten. er steckte sie zwischen seine schneidezähne, schloss im zeitlupentempo oberkiefer und unterkiefer und teilte die erbse mit einem biss. zack!
sie dachte, dass sie mit sicherheit keine erbse sein wollte. sie hätte nichts sein wollen, das kleiner war als einmetersiebzig. das war ihre körpergröße. damit ragte sie vier zentimeter über ihn hinaus. er grinste genüßlich. er hatte es der erbse gezeigt. und er glaubte, dass er es ihr gezeigt hatte. wäre sie die auf die größe der erbse geschrumpfte frau gewesen, wäre sie jetzt tot.
sie ließ ihm den kleinen triumph und räumte den tisch ab. ohne eile spülte sie das geschirr und stellte es in den küchenschrank. währendesssen saß er, wie immer nach dem abendessen, in seinem abgewetzten braunen ledersessel, las die zeitung und sog mit schmatzenden geräuschen an seiner pfeife.
"bring mir mal nen cognac, kleines", rief er in richtung küche, "aber in dem großen schwenker und mach das glas diesmal gefälligst warm!"
sie öffnete die küchenschublade, nahm die kleine stimmgabel heraus und wickelte ein einmachgummi so kunstfertig um die gabel, bis sie mit dem ergebnis zufrieden war. dann nahm sie eine der rohen erbsen aus der vorratsdose, legte sie zwischen daumen und zeigefinger und platzierte sie in die mitte des gummis.
sie ging ins wohnzimmer. mit höchster konzentration zog sie das gummi samt der erbse nach hinten und zielte auf sein gesicht.
die erbse traf ihn mitten auf die stirn. "aua, verdammt, was soll das, bist du jetzt vollkommen verrückt geworden, du blöde kuh!", brüllte er sie an.
sie lächelte im ins wutrote gesicht:" durchaus nicht, stell dir einfach vor, ich sei auf die größe einer erbse geschrumpft!"
Dienstag, 22. November 2011
Unveränderbar
der mensch ändert sich nicht, niemals, sagte der vater und zog genüsslich an seiner havanna. josh war anderer ansicht. dass der wille alles möglich mache, daran glaubte er. er mochte dieses starre "niemals denken", das sein vater vehement vertrat, nicht.
ich weiß, lächelte der vater, dieses niemals, dieses alles ausschließende niemals, der endgültigkeit entsprechend, die unveränderbarkeit eines istzustandes – der gedanke schmerzt dich, aber das ändert nichts.
die ruhigen augen des vaters sahen dem rauch der havanna nach.
getrieben von einem kurz aufflackernden kindlichen trotz zerblies josh den blauen dunst in kleine fetzen. vehement schüttelte er den kopf. nein, jeder kann sich zum guten hin verändern, wenn er es wirklich will, verfocht er seine überzeugung mit der vom vater geerbten vehemenz. sein glaube an die veränderbarkeit war der grund weshalb er psychologe geworden war. seine arbeit gab ihm macht über die ohnmacht, macht über das schicksal, in dem für ihn zugleich ein machsal lag, wenn nur der wille da war. seine waffe war der glaube an die veränderbarkeit, schon als student hatte er sich vorgenommen sie im guten zu benutzen.
josh wand sich einen moment. dann erzählte er dem vater von dem mann, der seinen festen willen bekundete sich zu verändern, als er das erste mal in seiner praxis erschien. er habe unter seinem notorischem hang zum lügen lange genug gelitten und andere unter sich leiden lassen, er wolle das nicht mehr. josh solle ihm helfen damit aufzuhören.
der mann hatte zuversicht, lächelte josh.
der vater nickte wortlos.
josh nahm einen schluck des schweren rotweins, den der vater geöffnet hatte und fuhr fort. der mann kam ein mal pro woche, immer im gleichen schwarzen anzug mit dem weißen, am kragen offenstehenden, glatt gebügelten hemd, den eindruck eines saubermanns zitierend. der aufzug erschien mir wie ein hohn im gegensatz zum innersten des mannes, der sein leben auf der empathielosigkeit anderen gegenüber aufgebaut hatte, die verachtung jeglichen moralischen gesetzes in handeln umsetzte, als sei es seine persönliche herausforderung. ich fragte den mann, wozu er das tut. der mann sagte, dass ihm die lüge lust bereite, die lust an der enttäuschung derer, die er getäuscht habe, gebe ihm das gefühl eine rechung zu begleichen, mit wem wisse er nicht. allerdings, räumte er ein, lasse sich die auswirkung seiner lügen nicht immmer genau bestimmen, das mache es schwierig, aber auch reizvoll für ihn.
der vater nickt, hörte aufmerksam zu.
abgestoßen von der kalten berechung des mannes, versuchte ich dennoch zu verstehen und mahnte mich zur geduld. ich schlug ihm vor, seinen drang zu lügen und zu täuschen zu überdenken und dort zu beginnen wo das verborgene motiv lag. der mann meinte, er könne nicht anders, es sei stärker als er selbst, aber er ließ sich auf den vorschlag ein. gemeinsam fanden wir heraus, dass es das machtgefühl war, das in ihm entstand, wenn er log. es verschaffte ihm befriedigung, erkannte der mann nach vielen stunden, eine tiefe befriedigung, die er in nichts anderem finden konnte.
bitte sag nichts, sagte josh zum vater, der einen einwand vorbringen wollte, ich bin mir dessen bewusst, dass machtgier ein schwer therapierbares motiv ist. machtgier in solch starker ausprägung entsteht durch häufig erlebte ohnmachtsgefühle in der kindheit. ich beschloss der ursache tiefer auf den grund zu gehen. gemeinsam suchten wir nach ohnmachtserlebnissen in der kindheit des mannes. er begann sich zu erinnern, er erzählte von der lüge der mutter, um die er gewusst habe. dass der vater alkoholiker war habe er gerochen, er dünstete scharfes saures aus. die mutter habe oft geweint, wenn der vater in der nacht nicht nach hause kam. er habe sie trösten müssen, ihr gesagt, es sei besser wenn der stinkende vater nicht mehr zurück käme, besser für sie beide. sie habe gesagt, dass der vater nicht trinke, nur ab und zu, wie es alle taten und das er sich alles nur einbilde. das weinen hörte nicht auf bis er achtzehn war. die mutter sei an krebs gestorben und er habe den vater seither nie mehr sehen wollen. er weinte, sagte, die mutter habe gelogen und ihm das gefühl der falschen wahrnehmung vermittelt. sie sei eine schamlose lügenerin gewesen.
sie hielt es wohl für moralisch in ordnung sie belügen, gab ich ihm zu bedenken und hoffte auf das verständnis des mannes für die verzweiflung der mutter, die ihren sohn habe schützen wollen. er möge zu verstehen versuchen, dass sie damals kein anderes mittel zur vefügung hatte, sie habe nicht anders gekonnt.
der mann wurde wütend. die mutter sei der lüge verhaftet gewesen, sie habe ihn nicht ernst genommen, ihn tief verletzt. sie hätte seine verletztheit spüren müssen, insistierte er. nein, er sei auf keinen fall bereit ihr das zu verzeihen.
ich fragte mich, ob ich selbst in der gleichen situation von der eigenen mutter hätte belogen werden wollen und kam, im denken gestört von meiner empathie für die mutter, zu dem schluss, dass ich nicht zu bewerten vermochte, was mir nicht selbst widerfahren war. ich gestand dem mann seine unverzeihlichkeit zu.
aber sehen sie, versuchte ich ihm zu vermitteln, sie machen es wie ihre mutter, sie wiederholen was sie ihnen angetan hat, sie zahlen es anderen heim, etwas in ihnen glaubt, mit jeder bewussten lüge noch heute die mutter abstrafen zu können. sie wiederholen, was sie ihr nicht verzeihen können - die lüge, immer wieder. sie kommen aus dieser spirale der wiederholung heraus indem sie die veranwortung für sich selbst übernehmen. sie sind jetzt kein ohnmächtiges kind mehr, sie sind erwachsen, sie können wählen.
die mutter abstrafen, höhnte der mann, das ergebe keinen sinn, die mutter sei lange tot.
es spielt keine rolle, ob die mutter tot ist, erklärte ich ihm und dass sein unterbewusstsein sich dafür nicht interessiere. der drang zu lügen sei ein selbstläufer geworden, dessen antrieb die befriedigung des vormals kindlichen machtstrebens im jetzt sei, im grunde der immer neue versuch von der ohnmacht in die macht zu gelangen, dies sei die ursache, warum er mit dem lügen nicht aufhören könne.
der mann konterte, die lüge habe die liebe zur mutter getötet, er könne nicht lieben, das sei das größte verbrechen der mutter am sohn. es müsse gesühnt werden um ihn zu befreien.
ich sagte ihm, nur die wahrheit könne ihn befreien. das nahm der mann mir übel. er warf mir unverständnis vor und dass ich nichts weiter bewirke als seinen widerstand.
ich bat ihn um vertrauen. der mann solle den versuch zu vertrauen üben. er habe doch den willen sich zu verändern geäussert, einen versuch sei es also allemal wert.
verlorenes vertrauen, sei nicht wieder zu gewinnen, wenn man schon der eigenen mutter nicht habe vertrauen können, wem dann? hinterfragte der mann den wert der übung.
er braucht zeit, sagte ich mir, aber ich fühlte mich von sitzung zu sitzung ohnmächtiger. denoch, ich war nicht bereit aufzugeben. ich schlug dem mann ein lügenverbot für die dauer einer woche vor. er solle versuchen den kreislauf zu durchbrechen und zu beobachten was dann passiere. der mann stimmte zu, einen versuch sei es wert und willigte ein am ende der woche wieder zu kommen.
und? der vater drückte die havanna im aschenbecher aus, gehe ich recht in der annahme, dass er nicht wieder kam?
josh nickte wortlos.
Montag, 21. November 2011
Presse ...
"Es sind keine effekthascherischen, spektakulären Geschichten, trotzdem üben Wendes Texte eine Faszination aus, die vor allem darin begründet liegt, genau das schnörkellos und klar auf den Punkt zu bringen, was man oft fühlte oder unbestimmt dachte, aber noch nie ausformuliert hat."
(Zitat: Allgemeine Zeitung, 21. November 2011 )
Sonntag, 20. November 2011
DER BLICK
Er schaltete das Flurlicht an. Es war vier Uhr nachmittags. Seit fünfzehn Jahren lebt er in dem dreistöckigen Reihenhaus am Rande von Wien. Das Haus war dunkel. Anna hatte es gesagt und dass die Dunkelheit sie bedrücke. Das war im letzen Sommer, als sie das erste Mal zu Besuch kam. Da hat er es auch bemerkt, das Dunkle.
Er war tagsüber oft zuhause, es hätte ihm auffallen müssen. Sechs Stunden arbeitete er in der Versicherungsagentur. Wirklich zu tun hat er nichts. Wenn er um sechs aufstand war er um sieben Uhr in der Firma. Er konnte dann am frühen Nachmittag wieder gehen. Im Sommer legte er sich auf die Dachterrasse. Stundenlang lag er dort mit geschlossenen Augen, vor sich hindösend ließ er sich die Sonne auf die alternde Haut scheinen. Sie verbrannte, wurde noch älter. Am Abend klappte er den Liegestuhl zusammen, holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Er legte sich auf das Sofa und sah fern. Wenn er Hunger hatte aß er Wurst und ein Stück Brot. Es war ihm egal, was er aß.
Anna kochte gern. Es gefiel ihm, wenn sie in der Küche am Herd stand und er den Duft des warmen Essens roch.Sie war schön. In einem Buch hatte er gelesen, dass Frauen nicht nach schönen Männern suchen, sondern nach Männern, die schöne Frauen besessen haben. Warum das so war, wusste er nicht. Er war glücklich, dass er sie bekommen hatte. Seit es sie gab floss sein Atem freier durch die Brust. Er hatte sie im Internet kennen gelernt. Monatelang hatte er ihr geschrieben. Jedes Wort hatte er sich überlegt, bevor er es in die Tastatur tippte. Sie war anspruchsvoll. Er wollte ihrem Anspruch genügen. Anna lebte in einer Welt, die ihm fremd war. Sie war Schauspielerin und lebte von der Hand in den Mund. Im Gegensatz zu ihm war sie arm, fand er. Er dachte ihr Armsein könne es ihm leichter machen sie zu erobern. Es war keine Berechnung, er war kein berechnender Mensch.
Er besaß etwas Geld, das er auf die Seite gelegt hatte und Aktien. Das Haus am Wiener Stadtrand war abbezahlt, er fuhr den einen neuen Wagen und hatte sich die kleine Finca auf Ibiza gekauft. Seit Jahren verbrachte er eine Woche im Frühling und eine Woche im Herbst auf der Insel. Sieben Tage lang fuhr er das immer gleiche Programm. In der Sonne liegen, fünf, sechs Bier trinken und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Mehr brauchte er nicht. Ab und zu eine Frau, wenn es sich ergab. Unverbindlicher Sex, eine gemeinsam verbrachte Nacht ohne Folgen.
Mit Anna war es anders. Vom ersten Moment an, als er sie gesehen hatte, als er in ihre Augen gesehen hatte, hatte er gewusst, dass er ohne sie nicht mehr sein wollte.
Die Art und Weise wie sie ihren Blick auf ihn legte, der in ihn hinein ging, dieser Blick, der ihn erfasste und über ihn hinaus alles andere. Dieser Blick klebte ihn an sie, wie zäher Leim, der Fäden zog, wenn sie nicht bei ihm war.
Sie war pure Energie. Er selbst hatte bei allem und jedem nur an der Oberfläche gekratzt. Intensiv eingetaucht war er in nichts und niemanden. Anna lebte intensiv, ließ sich treiben ohne über Konsequenzen nachzudenken. Rein, raus ins Leben, fallen und aufstehen. Eine Achterbahnfahrt, manchmal ein Ausflug in die Geisterbahn, intensiv eben. Wenn er mit ihr schlief spürte er es. Es war als versinke er in ihrem ganzen Sein, ihre Vergangenheit und Gegenwart in sich hineinsaugend. Anna, durch den Schwanz in sein Herz. Da blieb sie, egal wo er war, egal wo sie war.
Mit der Dunkelheit im Haus hatte es angefangen. Seit er sie kannte sah er die Dinge anders. Er betrachtete sie anders, auch sich selbst. Manchmal schmerzte es, er konnte nicht sagen, weshalb und wo.
Es war ein Gefühl, fremd und zugleich seltsam vertraut, so als habe es dieses Gefühl vorher schon gegeben, wie ein stummes Fordern, dem er nicht nachzugeben bereit gewesen war. Immer öfter ertappte er sich dabei, dass er fernsah und nicht wusste, was er gesehen hatte. Er dachte nach über dieses und jenes, das war neu. Anna dachte immerzu, sprach aus, was sie dachte. Ein Gedanke ergab ein Nächstes und wieder ein Nächstes – ein tosendes Unwetter in ihrem schönen Kopf, das sie anstrengte. Er spürte es. Dann legte er seine Hand auf ihr weiches dunkles Haar, ließ sie dort liegen, bis sie ruhiger wurde.
Er war es nicht gewohnt viel nachzudenken. Seine Gewohnheiten waren die Dinge, die er tat, alltägliche Dinge über die man nicht nachdenken musste. Er sei ein Konsument, hatte sie ihm vorgeworfen, fixiert auf äußere Reize und Informationen, da sei nichts, was aus ihm selbst komme und dass er nur reagiere auf das, was ihm begegnete.
Was ihm begegnete war wenig, das immer Gleiche. Eine wabernde Monotonie. Schrecklich, hatte sie gestöhnt und ihn gefragt, wie er so leben konnte. Er hatte er nie darüber nachgedacht. Er tat es einfach. Es war einfacher die Dinge zu tun, wenn man sie einfach nur tat. Ohne zu hinterfragen gibt es keine Fragen, hatte er gesagt. Und keine Antworten, hatte sie geantwortet. Er hatte nie nach Antworten gesucht. Er hatte keine Fragen, glaubte sich fraglos zufrieden.
Vielleicht wäre er immer so geblieben, fraglos zufrieden, bis ans Ende seiner Tage. Viele Menschen leben so, er hatte es als normal empfunden, normales Leben eben. Jetzt wusste er nicht mehr was besser oder schlechter war, das Normale oder das Andere. Anna war das Andere. Ein Teil des Anderen war, dass sie unberechenbar war wie ein Segel im Wind. Am Anfang hatte er geglaubt, er habe die Kraft, das Steuer in die Hand zu nehmen. Manchmal gelang es ihm für Stunden, aber dann riss sie sich los, plötzlich und unerwartet.
Irgendwann hatte er die Angst gefühlt. Angst sie zu verlieren, mit leeren Händen dazustehen in dem dunklen Haus. Die Angst wurde groß, so groß, dass er ihr nachts in seinen Träumen begegnete. Er saß alleine in einem Boot, das ziellos im Meer trieb, hin und her gepeitscht vom Sturm, der hohen Wellen schlug. Sie schwappten ins Boot, es sank. In Schweiß gebadet, von seinen eigenen Schreien geweckt, rief er ihren Namen im Sinken. Wenn sie neben im lag beruhigte er sich schnell. Er legte die Decke fester über ihren Körper, betrachtete ihr Gesicht und lauschte ihrem Atem, bis er darüber einschlief. Wenn sie nicht da war lag er wach und dachte nach, über die Zeit, die vor Anna gewesen war. Er blickte er in eine graue Leere und fand keine Erinnerung in Farbe, die ihn in den Schlaf hinüber rettete.
Es hatte andere Frauen gegeben. Sie hatten in sein Leben gepasst wie ein Teil eines Puzzles, der am Ganzen nichts verändert. Er war ein Mann, der den Frauen gefiel, er war charmant, nicht von der plumpen Schwerfälligkeit, die als männlich galt. Er war kein Verführer, eher ein Beantworter des Zufalls, der ihm die Frauen zugespielt hatte. Nach kurzer Zeit hatte er sie betrogen, weil ihn ein neuer fremder Körper gereizt hatte. Sie hatten es herausgefunden und ihn verlassen. Tiefe Spuren hinterlassen hatte keine. Ein Mal wäre er beinahe Vater geworden. Manchmal dachte er noch an die Frau und das Kind, das es nicht hatte geben sollen. Eine verlorene Möglichkeit, nichts weiter.
Bevor Anna kam war er lange Zeit allein gewesen. Nach der ersten Nacht mit Anna hatte er sie gebeten zu bleiben. Sie hatte ihn mit ihren traurigen braunen Augen angesehen und gesagt,dass alles vergänglich sei und jeder Anfang schon das Ende in sich trägt und dass die Liebe zwischen Mann und Frau keinen anhaltenden Effekt habe, anderes zu denken sei ein Phantasma zwischen Frauen und Männern, das an einer jahrtausendelangen Gegenteilsbeweißführung zerplatze. Er fragte sie, wie es mit ihm und ihr sei. Sie sagte, sie wisse es nicht und wolle es nicht wissen.
Sie blieb. Er genoss die Nächte mit ihr. Manchmal weinte sie. Er verstand es nicht. Es sei dieser kleine Tod des Ichs, das Versinken im anderen, wo man nicht mehr eins ist, sondern eins und zwei, ein Ganzes für den Moment. Sie sagte, sie wünschte sich, es in sich selbst zu fühlen, das Ganzsein. Es machte ihn traurig sie so reden zu hören. Manchmal kam es ihm vor, als mache seine Anwesenheit ihre Melancholie größer. Sein Dasein, eine stets angezweifelte Sache, die sie umso tiefer in ihre Eiswüste zurückwarf. Er wollte sie glücklich sehen, ihr die Freude schenken, die er fühlte, einfach weil er lebte. Manchmal teilte sie sie, aber sie konnte das Gefühl nicht festhalten.
Sie glaubte nicht an Dauerhaftes. Alles sind Momente der Einzigartigkeit, nicht zu halten und nicht wiederholbar, sagte sie oft, und dass alles in einer Beziehung unterschiedliche Stadien einer Auseinanderentwicklung seien, unzählige Szenen zwischen dominieren und dominiert werden, zwischen Aufeinander zugehen und voneinander weggehen, ein immerzu variierender Rhythmus in den unterschiedlichsten Tönungen, an deren Anfang der erste Kuss stehe und am Ende unausweichlich der Schluss.
Es half nichts, dass er mit seiner Idee von der Ausnahme kam, der Zuversicht, des Vertrauens und dem Glauben an das Veränderbare. Sie wollte wissen, woran sich sein Glaube festmache, er selbst habe noch keine Liebe halten können. Er habe sie alle betrogen. Er verstummte. Sein Inneres kämpfte den Kampf weiter.
Er beobachtete ihr Kommen und Gehen und hielt an der Zuversicht fest. Manchmal blieb sie für eine Weile. Er zeigte ihr Wien, er führte sie zum Essen aus, sie tranken Wein und hörten Musik, sie liebten sich, in den Nächten hielt er sie in seinen Armen. Sie schrieb Geschichten, die sie ihm am Abend vorlas. Er schlug ihr vor zu ihm zu ziehen, sie habe nichts zu verlieren. Sie sagte, sie habe ihre Freiheit zu verlieren.
Wenn sie fort war, war das Haus still, so still dass es ihm körperlich wehtat. Er rief sie an, jeden Tag am Morgen und am Abend. Die Gespräche ließen ihn unsicher zurück. Es war als sei sie unendlich weit weg von ihm, ein Wegsein, dass mehr als räumliche Trennung war. Es fühlte sich an, als habe sie ihn von sich abgeschnitten und all das was sie miteinander geteilt hatten. Wenn er den Hörer auflegte fühlte er nichts als Leere.
Während er auf Annas Wiederkommen wartete ging er ins Internet. Aus Langeweile, um sich abzulenken sah er sich die Fotos der Frauen an. Die, die ihm gefielen schrieb er an. Eines Tages fand er eine Einladung zu einem Treffen unter den Antworten in seinem Nachrichtenpostfach. Die Frau war aus Wien. Sie tat geheimnisvoll. Sie hatte kein Foto in ihrem Profil, aber was er las gefiel ihm, es hatte etwas Leichtes, Unbeschwertes. Warum nicht, dachte er.
Anna hatte damit nichts zu tun, sie war die, die er liebte, auf die er wartete, die wiederkommen würde. Bis dahin musste er der Leere in seinem dunklen Haus entkommen. Ein Abend, der nicht vor dem Fernsehgerät endete, eine kleine Ablenkung, nichts weiter.
Er nahm die Einladung an. Die Frau schlug ein Restaurant in der Nähe der Hofburg vor. Am Samstagabend, ob ihm das Recht sei? Er schrieb zurück, dass er sich freue und da sein würde. Sie würde ihn an den langen schwarzen Haaren und an dem schwarzen Mantel erkennen.
Es war eines der vielen Wochenenden, an dem Anna nicht kommen würde. Gegen sechs ging er unter die Dusche. Er genoss das warme Wasser, das über seinen Körper floss, rasierte sich sorgfältig und cremte sich ein. Er zog seine Lieblingsjeans und ein schwarzes Hemd an. Als Duft wählte er das Eau de Toilette aus Ibiza, das Anna so gern mochte.
Mit einem Glas Whisky setzte er sich an den Schreibtisch und wählte ihre Nummer. Sie nahm nicht ab. Er trank den Whisky und probierte es noch einmal. Dann wählte er ihre Handynummer. Es war ausgeschaltet. Er war enttäuscht, er hätte gerne ihre Stimme gehört, bevor er das Haus verlies. Sie war manchmal tagelang nicht erreichbar. Er hatte sie ein paar Mal gebeten, das Handy nicht auszuschalten, aber sie hatte gesagt, sie brauche diesen Schutzraum ohne Kommunikation mit dem Aussen um Ruhe zu finden.
Deprimiert verließ er das Haus, lief er zum Parkplatz, setze sich ins Auto und machte den Motor an. Es war bereits dunkel. Es war November und eiskalt. Auf der Fahrt in die Stadt dachte er an den Winter, der bald kommen würde und wie froh er war in diesem Jahr Weihnachten nicht alleine verbringen zu müssen. Sie würden es gemeinsam feiern hatte sie gesagt und die ganze Zeit im Bett bleiben, wenn ihnen danach war. Er fühlte wie das Begehren in ihm hochstieg. Es gab keine andere, es gab kein Ende, für ihn nicht und für sie nicht, es ging um mehr als einen Moment in der Zeit. Er würde ihr beweisen, dass Liebe etwas anderes sein konnte, als die abgemessene Strecke zwischen einem Anfang und einem Ende, zwischen Kuss und Schluss. Seine Stimmung besserte sich.
In der Nähe des Restaurants fand er einen Parkplatz. Sein Blick in den Rückspiegel. Die Liebe zu Anna machte ihn attraktiver, die Konturen seines Gesichts wirkten schärfer. Zufrieden zog er den Schlüssel aus dem Zündschloss, öffnete die Wagentür und stieg aus. Leichtfüßig ging er die wenigen Schritte zur Hofburg.
Als er das Lokal betrat sah er sie sofort. Sie saß gegenüber dem Eingang und rauchte. Seine Augen verhakten sich in ihrem Blick. Der Blick, dieser Blick, der ihn erfasste und über ihn hinaus alles andere.
EPILOG
Er steht auf der Strasse. Kotzt in den Rinnstein. Kotzt sich selbst an. Hose versaut. Leben versaut. Herz kalt. Steigt in sein Auto, dreht den Zündschlüssel um. Schaltet den Motor an, gibt Gas, mehr Gas, tritt das Gaspedal durch. Anna im Kopf. Druck innen, Druck zum zerplatzen. Platzt nicht. Man platzt nicht wenn es weh tut. Warum eigentlich nicht. Er fragt sich das. Findet keine Antwort. Auch egal. Gas geben und fahren. Immer geradeaus. Auf die Landstrasse. Herz kalt. Eiskalt. Mehr Gas geben. Steuer loslassen. Loslassen. Druck von außen. Viel Druck. Tut weh. Dann nicht mehr.