Dienstag, 2. Februar 2016

Das Böse - oder von der Gefährlichkeit des Menschen für den Menschen



Malerei: AW

Vom Bösen sprechen bedeutet von der Gefährlichkeit des Menschen für den Menschen sprechen. Wenn wir verstehen wollen, warum Menschen anderen Menschen "Böses" antun, müssen wir uns mit dem auseinandersetzen, was wir in uns selbst verabscheuen. Diesen Teil von uns wollen wir nicht sehen. Wir neigen dazu ihn zum Schweigen zu bringen, indem wir den bösen Fremden "vernichten", weil er uns ähnlich ist. Die Neigung zum Bösen entspricht der Natur des Menschen. Sie ist eine Empfindung wie das Gute. Das Böse ist das, was uns nicht lieb ist. Und das spalten wir ab.

Ob Völkermorde, Gewaltverbrechen, Fremdenhass, die Demütigung von Menschen durch Menschen - und das sind nur Beispiele für Hass und Gewalt - alle haben eine Gemeinsamkeit: Das Gefühl, das sie erzeugen: das Gefühl der Abscheu vor dem anderen, dem Fremden, der Böses tut. Die mit dem Finger auf das Böse zeigen, sehen sich selbst als "gute" Menschen. Das böse Gegenüber verdient ihres Erachtens die Bezeichnung Mensch nicht. Der andere wird zum Unmenschen degradiert, zum wertlosen, schlechten Subjekt, das nichts Gutes mehr verdient, nicht einmal eine Chance es zu versuchen. Es ist als würde man sich durch diese Anklage selbst reinigen.

Indem man andere als böse bezeichnet, befreit man sich vom Verdacht des eigenen Schmutzigseins.

Das Sauber sein, das Gutsein wird auf diese Weise zum Unterscheidungsmerkmal vom "Nichtmenschen". Dieser wird nicht einmal mehr in seiner individuellen Menschlichkeit wahrgenommen. Er wird verteufelt. Er gehört nicht mehr zur Gruppe Mensch. Er wird zum Subjekt des Hasses. "Am besten aufhängen!" Wie oft hören wir das, wenn ein Täter nicht die von der Gruppe Mensch als gewünscht gerechte Strafe bekommt. Die Gruppe der "Guten" solidarisiert sich. Im Kollektiv verschwinden die konkreten Gefühle des Einzelnen, seine Einstellungen, Moral und Ethik aus dem Blickfeld. Die Persönlichkeit wird auf eine einzige Eigenschaft reduziert: die Zugehörigkeit zur Gruppe und ihren Zielen. Besonnenheit und Empathie verschwinden. Besonnenenheit, die Fähigkeit zu reflektieren, die Fähigkeit zur Empathie sind Grundanlagen des Menschseins. Letztere ist abhängig von den Spiegelneuronen im menschlichen Gehirn. Frauen haben mehr als Männer, Gewalttäter, nach einer Untersuchung des Hirnforschers Gerhard Roth, weniger davon. Das nur nebenbei.

Empathielosigkeit ist die Schranke zur Unmenschlichkeit. Diese zu übertreten ist in der Gruppe leichter.

In der Gruppe verliert der Mensch seine moralischen Hemmungen. Die Gruppe, stets angeführt von einem Ersten, der Impulse setzt, der agiert, baut sich ein Feindbild auf. Gerichtet auf das Fremde, auf dessen Unreinheit, dessen Böses, verfällt der Mensch in die Projektion. Er hat endlich ein Außen, in das er das eigene Fremde, das eigene Böse und die Wut auf die eigene Unreinheit ergießen kann. Carl Gustav Jung nannte das: Die Projektion des Schattens auf das Gegenüber mit dem Ziel das eigene verdrängte Dunkle, Böse nicht sehen zu müssen.

Hitler war ein Meister der Instrumentalisierung diese Phänomens der menschlichen Unterbewussten. Er machte die Juden zum bösen Fremden, das sein Volk zersetzen würde. Er schuf ein kollektives Feindbild um ein Kollektiv zu beherrschen. Die Masse der Deutschen wurde zu Mittätern. Und wie die Gegenwart zeigt - sie ist noch heute zu dazu fähig es wieder zu werden. Heute ist es die Masse derer, die lauthals "Lasst sie alle rein" geschrieen haben und jetzt genau jene zum Feindbild erhebt, denen sie die Grenzen geöffnet haben, weil mit all diesen Fremden eben nicht nur Gutes ins Land getragen wird. Heute wie damals sind es Gruppenzusammenläufe, die sich einen Feind aussuchen, um all das eigene Abgespaltene unreflektiert und voller Hass abzugeben. In der Gestalt des vermeintlichen Feindes kann man den eigenen abgewiesenen Teil des Selbst, das eben nicht rein und gut ist, habhaft werden. Um sich auf diesem Weg vom eigenen Bösen zu befreien beschwören solche Menschen Ungeheuerliches herauf. Sie beurteilen, sie verurteilen, sie klagen an, machen alle gleich und alle zu potentiellen Tätern, die ihr beschauliches braves Leben attackieren wollen. Eine teuflische kollektive Psychose, die zum Selbstverrat des Menschlichen führt und zur inneren Entfremdung des Individuums.

Fremdenhass hat auch immer mit Selbsthass zu tun. Indem wir den anderen "töten" töten wir die Menschlichkeit in uns selbst.

Unter dem Deckmantel einer Law and Order Gesellschaft, die Gehorsam, Moral und Macht glorifiziert, wird der unreflektierte Mensch zum freiwilligen Knecht, im Zweifel zum Schergen einer faschistischen Ideologie. Das beschrieb schon der Philosoph Ètienne de la Boétie im Jahr 1550. Zitat:" Sie leiden darunter Knecht zu sein, aber diese Verlorenen, diese von Gott und den Menschen Verlassenen lassen sich das Unrecht gefallen und geben es nicht dem zurück, er es ihnen antut, nein, sie geben es an die weiter, die darunter leiden, wie sie und sich nicht helfen können."

Auf diese Weise funktioniert die Identifikation mit dem Agrressor, der das Feindbild aufbaut. Mit dieser Identifikation fällt der Mensch jedoch nicht nur auf seine eigenes inneres Nichtgutsein zurück, sondern auch auf die Wunden, die Verletzungen, die Demütigungen, die ihm im Laufe seines Lebens individuell und kollektiv zugefügt wurden. Verletzungen, die er vermeidet wahrzunehmen, vermeidet zu fühlen, denn die Ohnmacht auszuhalten ist unerträglich. Also spaltet er all das was er nicht ertragen will ab ab und übt den Gehorsam, den ihm die Idealisierung der Macht auferlegt, aus dem einen Grunde - um seine scheinbare Integrität zu sichern. Er baut sich ein Feindbild auf an dem er alles was er an sich selbst verachtet, festmachen kann. 

Wer will schon hinschauen auf das eigene Schlechte?

Es schmerzt. Zudem wäre es ein Verstoß gegen das Gebot des Gehorsams, das die Idealisierung der Macht ihm auferlegt.

Der lebenslange Versuch, das eigene Böse zu verdrängen, den eigenen Schmerz nicht zulassen zu wollen, macht den Menschen zum Opfer, das sich immer wieder Täter sucht, um sich selbst nicht in Verantwortung nehmen zu müssen. Und so werden Opfer wiederum zu Tätern.

Die Unvernunft, die Blindheit sich selbst im Ganzen erkennen und begreifen zu wollen, das mangelnde Bewusstsein über die Komplexität des Menschseins mit all seinen Defekten - darin besteht das Prinzip des Bösen. Und es besteht in der Dummheit, der Gefühllosigkeit Gedankenlosigkeit und der Kulturlosigkeit von Menschen. Wenn die Menschen zugrunde gehen, gehen sie an ihrer Dummheit zugrunde. Und wie heißt es so schön: Gegen die Dummheit kämpfen selbst die Götter vergebens.





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