Der Schöpfer der
Herzlinien und Traumbilder
Was ich über Hannes Gaab
weiß, weiß ich aus Erzählungen von Menschen, die ihn auf seinem Lebensweg
begleitetet haben. Ich habe Hannes Gaabs Werke angeschaut und in Büchern gelesen
- Worte von Menschen, die in
Berührung kamen mit Gaab, dem Schöpfer der Herzlinien und Traumbilder, der wie
kein anderer die unvergleichliche Kunstform der subtilen Anspielung erreichte.
In
ein fremdes Leben eintauchen gleicht einer Spurensuche. Trotz aller Versuche
dem Leser ein dichtes Bild zu vermitteln, wer der Mensch und Künstler Hannes
Gaab war - es wird nur fragmentarisch sein können und sicherlich nicht
objektiv. Ich bin ein Beobachter von Vergangenheit, einer schöpferischen Vergangenheit, die bis heute Spuren hinterlassen hat, nicht nur in Mainz.
Es
ist der 11.Oktober 1908 als Hannes Gaab in der Lauterenstrasse 11, wenige
Schritte vom Rhein entfernt, geboren wird.
Sein Vater Jean war ein Künstler wie
er im Buche steht, umgeben vom Hauch des Vie de Bohéme, ein Mann, der in
Extremen lebte, zwischen den höchsten Höhen und den tiefsten Abstürzen ins
Dunkel, das ihn am Ende verschlingen sollte. Die Mutter - verwöhnend und
liebevoll. „Besonders den Vater
hat Hannes gewaltig geliebt, man sah es“, schreibt Gaabs Nachbar Nico Erné,
„man merkte es, wenn er Fotos seines schönen, feurigen Vaters aus dem Kuvert
„Jean“ fischte. Und es ist auch Erné, der schreibt: “Hannes ist der Mann auf
dem Fahrrad. Es gehört zu ihm, wie die Lederjacke und die Stahlbrille zum armen
Berthold Brecht und der kleine Filzhut zum Bildhauer Giacomo Manzú.“
Gaab
auf dem Fahrrad gehörte zum Mainzer
Stadtbild. Er war ein Teil dieser Stadt, so wie diese Stadt ein Teil von Hannes
Gaab war. Gaab auf dem Fahrrad trug einen Hauch von Symbolik in sich, verriet
viel über seine Nähe und Ferne zu den Menschen. Er ließ sich nicht anhalten,
nur dann wenn er es wollte stieg
er herab zu einem kurzen Gebabbel. Er ist nicht oft abgestiegen.
Hannes Gaab war einer jener Menschen, die sich selbst genug sind, einer, der in der eigenen
Seele haust, der mit dem was er tat eins war, spielerisch, neugierig, auf der
Suche nach dem Wesenhaften allen Seins, das sich in seiner Kunst widerspiegelt.
„Was konnte schon aus ihm werden, dem eher zarten, leicht einzuschüchternden
Kind, das trotzdem von Anfang an wusste, was es wollte. Natürlich ein Zeichner,
ein Maler, ein Bosseler“, berichtet Erné.
Die
ersten künstlerischen Versuche
geschahen unter der Anleitung des Vaters. Er war es, der spürte was in seinem
Sohn leben wollte, was sein Weg sein könnte - ein Weg, der dem seinen glich - er riet ihm die Schule sausen zu lassen und auf die
Kunstgewerbeschule zu gehen. Hier erarbeitete Gaab sich die unterschiedlichsten
Techniken. Grundsteine für seine späteren Arbeiten, die Ruhe und Gelassenheit
ausstrahlen, die niemals unter Erfolgdruck entstanden. Druck
aushalten entsprach seinem Wesen nicht. Letzterer ließ ihn vielmehr den Rückzug
antreten.
Das
Streben nach Verbesserung von Stil
und Technik, zog sich wie ein roter Faden durch sein Leben – Studienaufenthalte
in München, Paris - unterbrochen von Zeiten in denen er sich in sich selbst
zurückzog, seinen künstlerischen Eingebungen folgend. Gaab´s Ziel war die
Reduktion, das Beherrschen der letzten Vereinfachung, das Formen einer Linie
auf eine Weise, das sie ohne jede Schraffierung verrät, ob es sich um
menschliche Haut, den Körper einer Katze, oder um das Gefieder eines Vogels
handelt.
Es
war der Wunsch das Wesen der Dinge zu begreifen, es einzufangen, sich darauf zu
beschränken - im Schaffen wie im Leben. Das Wesentliche war es, das sein Leben ausmachte:
folglich - der Verzicht auf das, was unnötig ist. Die Welt in ihrer
Einmaligkeit, das Begreifen, dass alle Schönheit, alle Dinge auf dieser
Einmaligkeit beruhen, jede Zeichnung, ein Enthüllen, ein Fixieren des
Ursprünglichen, ein Vordringen zum Kern der Dinge und Lebewesen, und weglassen: „ was mer net
braucht ...“
Nicht zu laut und nicht zu
leise, es lag ihm daran immer das rechte Maß zu finden. Dieses Maß bestimmte Gaab für sich ganz
allein. Er tat, was ihm entsprach, ließ sich Fesseln gar nicht erst anlegen, um
sie dann sprengen zu müssen. „Jeden Monat entschied er neu, ob er von 300 oder von 3000 Mark lebte“, berichtet sein Freund Anton Issel.
Das Leben meinte es gut mit
ihm und tat ihm viel zu Gefallen. Dank seiner Begabung fand er überall die
Unterstützung, die er brauchte, um seinen Weg zu gehen. Eine gewisse
Leichtigkeit des Seins, so scheint es, hielt schützend ihre Hand über ihn.
Leicht hatte er es dennoch nicht. Er hätte es leichter haben können, in den Augen
mancher Zeitgenossen, die „Geld haben“ mit „es leicht haben“ gleichsetzen.
Er hätte mehr seiner
Arbeiten verkaufen können. Er tat es nicht. Mit einem „des hat mer jo selbst so
gern“ behielt er sie viel zu gerne bei sich, lebte durch sie und mit ihnen.
Bescheidenheit, auch das ist Hannes Gaab, Empathie für alles Leben, für die
Natur, die ihm das Material schenkte, um zu formen, was er sah, die ihn anregte
und forderte der Schöpfung die Vielfalt ihrer Geheimnisse zu entlocken. Man könnte
meinen, er sei auf eine seltsam naive Weise ein ewig spielendes Kind gewesen und
in diesem Spiel immer ganz bei sich - eine Kunst zu leben, die lebendige Kunst
hervorbrachte. Er war fasziniert von der Form eines von Sand und Wasser
abgeschliffenen Steines, einem vom Wind geglätteten Ast, einer ausgewaschenen
Muschel.
Mit
einem: „Guck, siehste das Gesicht...?“, hält er das Fundstück seinem Gegenüber
mit glänzenden Augen hin ...nimmt eine Perle, setzt ein Auge ein und es wird
ein Fisch. Ein dürrer Zweig wird ein skurrriler Kobold, ein Stück Holz: Vogel,
Katze, Maus. Figuren, bisweilen wie Hampelmänner zu bewegen. Er fand er einen
immensen Spielraum für Möglichkeiten und gab den Dingen eine neue Dimension. Objekte, die man heute als
Assemblage bezeichnen würde. Gaab hätte derartiges nicht hören wollen.
Überhaupt der Kunstbetrieb war seine Sache nicht. Er hielt sich meist fern:
“Mer wird sich hüte könne ...“ Es
war der Gott der kleinen Dinge, der seine Schöpferkraft beflügelte. Er sah was
andere nicht sehen, und machte Kunst daraus – absichtslos, aus Freude am Tun,
an der Schönheit und der Fülle des Lebens.
Es
war Albert Eggebrecht, der Besitzer
der Eggebrecht Presse, der ihn fragte, ob er nicht die Illustrationen zu einem
Buch der Brüder Grimm zu zeichnen wolle. Ein weiterer Schritt bahnte sich an –
hin zu Gaab, dem Buchkünstler. Die
Eggebrecht Presse - das Häuflein von „Spinnerten“ wie Gertrud Eggebrecht sie
nannte, „das in zwei Welten lebte, die sich beißen: Der Welt des Geistes, der
Ideen, der Träume auf der einen Seite - und die Wirklichkeit – die Welt der
Materie, der Rentabilität ...“
1936
entstanden Holzschnitte zu „Die Gänsehirtin am Brunnen“, Gaabs erstes
illustriertes Buch, dem viele folgen sollten. Allen voran die Sappho
Illustrationen, eines der gelungensten Beispiele vollendeter Harmonie in
Sprache, Typografie, Illustration und Druck. Ein Werk von höchster grafischer
Perfektion - das feinste ausgewogene Linienspiel auf lichter Weite weißen
Papiers - reduziert, leicht und beschwingt, wo Tönung und Rhythmus von Sprachmelodie
und Linienmelodie eine Allianz eingehen, die einander trägt - ästhetisch und
leise.
Die
sensible Reflexion im Dialog mit dem Literarischen, die Treffsicherheit ins
Herz der jeweiligen Szene macht sie aus, die unnachahmliche und
einzigartige Handschrift des
Hannes Gaab, der nie kopiert hat und nie kopiert wurde. Er war ein Zeichner und
Illustrator, der es vermochte die Dinge wieder und wieder zu reduzieren, bis
zum Extrakt - zur Herzlinie - bis die Katze, meisterhaft umrissen, sich im
richtigen Schwung auf dem weißen Blatt zusammenrollte. „Die eine, ins Zentrum
treffende, federnde Linie! Keine Verwirrung, kein Wortschwall, kein beredter
Gedankenwurf ...“, wie Anton Issel es so treffend beschreibt. Oder „Zeichnen bedeutet weglassen“, wie Max Liebermann
sagte. Gaabs
Streben war es Sinnbilder zu finden. Er fand sie nach unermüdlichem Ringen und
Experimentieren – der Papierkorb im Atelier quoll über von weißen Blättern mit
schwarzen Linien.
Die
Eggebrecht Zeit war eine fruchtbare, nicht unwesentliche Episode im Mainzer
Kunstleben - und nicht zuletzt
durch seine Illustrationen ist Hannes Gaab noch heute in Mainz unvergessen.
Immer
blieb er seinem Metier der freien Kunst treu. Er malte und zeichnete was ihn
faszinierte. Schwarz – weiß und zur Überraschung des Kunstpublikums bei einer
Ausstellung im Mainzer Künstlerhaus Eisenturm, sah man erstmals: Gaab, den
Maler - in Farbe. Wie Max Ernst
seine Frottagen verdankte Gaab es dem Moment des Zufalls - der Farbe ins Werk fallen ließ, oder
klatschen - so nannte er das Zufallsprodukt: Klatsch – Verfahren. Es offenbarte
sich ihm, als ein feuchter Reinigungsschwamm auf dem Boden landete und die
wildesten Farbstrukturen hinterließ. Dem Spielerischen zugeneigt sah er das
Zeichen, und so wurde aus dem
Aufklatschen von Schwamm auf Boden – die dünne Farbe auf saugfähiges
Papier Monotypie-Technik.
Tagelang
hat er sie angeschaut, seine Klatschfarben und nachdem er lange genug geschaut hatte, wurden daraus Bilder,
ergänzte er die Farblandschaft mit virtuosem Linienspiel, und schuf so den
Bildsinn. Es entstanden zarte, poetisch anmutende Naturimpressionen, die an
japanische Landschaftsmalerei erinnern - aus denen seine Vorliebe für
japanische Tuschmalerei und Kalligrafie spricht. Die Fülle diesen Schaffens
formierte sich zu einem Werk das auf drei Säulen steht: Zeichnung, Illustration
und Malerei – das vielleicht als tragende Basis jene unzähligen kleinen
Fundstücke hat, die Gaabs Schöngeist anregten und die er in liebevollen
Arrangements, ihre Vergänglichkeit in Kauf nehmend, zum Leben erweckte, sich
des Zaubers all seiner Erscheinungen bewusst.
Hannes
Gaab machte Kunst, zunächst für sich selbst. Im Balancieren zwischen
sehen, spüren, formen, perfektionieren, ohne sich die Frage zu stellen, ob es
Kunst war, was sich entfaltete, oder nicht. Er tat es, weil es seinem ureigenen
Wesen entsprach. Und doch, was so leicht daher kam, scheint es auch für ihn
trotz aller Begabung nicht gewesen zu sein „Die Kunst“, so sagte er einmal,
„wenn sie gelöst und leicht wirken soll, ist schwer...“
(c) Angelika
Wende
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen