Montag, 21. Januar 2013

Hommage an den Mainzer Zeichner Hannes Gaab


Der Schöpfer der Herzlinien und Traumbilder



Was ich über Hannes Gaab weiß, weiß ich aus Erzählungen von Menschen, die ihn auf seinem Lebensweg begleitetet haben. Ich habe Hannes Gaabs Werke angeschaut und in Büchern gelesen - Worte von Menschen, die in Berührung kamen mit Gaab, dem Schöpfer der Herzlinien und Traumbilder, der wie kein anderer die unvergleichliche Kunstform der subtilen Anspielung erreichte.

In ein fremdes Leben eintauchen gleicht einer Spurensuche. Trotz aller Versuche dem Leser ein dichtes Bild zu vermitteln, wer der Mensch und Künstler Hannes Gaab war - es wird nur fragmentarisch sein können und sicherlich nicht objektiv. Ich bin ein Beobachter von Vergangenheit, einer schöpferischen Vergangenheit, die bis heute Spuren hinterlassen hat, nicht nur in Mainz.

Es ist der 11.Oktober 1908 als Hannes Gaab in der Lauterenstrasse 11, wenige Schritte vom Rhein entfernt, geboren wird.  
Sein Vater Jean war ein Künstler wie er im Buche steht, umgeben vom Hauch des Vie de Bohéme, ein Mann, der in Extremen lebte, zwischen den höchsten Höhen und den tiefsten Abstürzen ins Dunkel, das ihn am Ende verschlingen sollte. Die Mutter - verwöhnend und liebevoll.  „Besonders den Vater hat Hannes gewaltig geliebt, man sah es“, schreibt Gaabs Nachbar Nico Erné, „man merkte es, wenn er Fotos seines schönen, feurigen Vaters aus dem Kuvert „Jean“ fischte. Und es ist auch Erné, der schreibt: “Hannes ist der Mann auf dem Fahrrad. Es gehört zu ihm, wie die Lederjacke und die Stahlbrille zum armen Berthold Brecht und der kleine Filzhut zum Bildhauer Giacomo Manzú.“

Gaab auf dem Fahrrad gehörte zum Mainzer Stadtbild. Er war ein Teil dieser Stadt, so wie diese Stadt ein Teil von Hannes Gaab war. Gaab auf dem Fahrrad trug einen Hauch von Symbolik in sich, verriet viel über seine Nähe und Ferne zu den Menschen. Er ließ sich nicht anhalten, nur dann wenn er es wollte stieg er herab zu einem kurzen Gebabbel. Er ist nicht oft abgestiegen.

Hannes Gaab war einer jener Menschen, die sich selbst genug sind, einer, der in der eigenen Seele haust, der mit dem was er tat eins war, spielerisch, neugierig, auf der Suche nach dem Wesenhaften allen Seins, das sich in seiner Kunst widerspiegelt. „Was konnte schon aus ihm werden, dem eher zarten, leicht einzuschüchternden Kind, das trotzdem von Anfang an wusste, was es wollte. Natürlich ein Zeichner, ein Maler, ein Bosseler“, berichtet Erné.

Die ersten künstlerischen Versuche geschahen unter der Anleitung des Vaters. Er war es, der spürte was in seinem Sohn leben wollte, was sein Weg sein könnte -  ein Weg, der dem seinen glich - er riet ihm die Schule sausen zu lassen und auf die Kunstgewerbeschule zu gehen. Hier erarbeitete Gaab sich die unterschiedlichsten Techniken. Grundsteine für seine späteren Arbeiten, die Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen, die niemals unter Erfolgdruck entstanden. Druck aushalten entsprach seinem Wesen nicht. Letzterer ließ ihn vielmehr den Rückzug antreten.

Das Streben nach Verbesserung von Stil und Technik, zog sich wie ein roter Faden durch sein Leben – Studienaufenthalte in München, Paris - unterbrochen von Zeiten in denen er sich in sich selbst zurückzog, seinen künstlerischen Eingebungen folgend. Gaab´s Ziel war die Reduktion, das Beherrschen der letzten Vereinfachung, das Formen einer Linie auf eine Weise, das sie ohne jede Schraffierung verrät, ob es sich um menschliche Haut, den Körper einer Katze, oder um das Gefieder eines Vogels handelt.

Es war der Wunsch das Wesen der Dinge zu begreifen, es einzufangen, sich darauf zu beschränken - im Schaffen wie im Leben. Das Wesentliche war es, das sein Leben ausmachte:  folglich - der Verzicht auf das, was unnötig ist. Die Welt in ihrer Einmaligkeit, das Begreifen, dass alle Schönheit, alle Dinge auf dieser Einmaligkeit beruhen, jede Zeichnung, ein Enthüllen, ein Fixieren des Ursprünglichen, ein Vordringen zum Kern der Dinge und Lebewesen, und weglassen: „ was mer net braucht ...“

Nicht zu laut und nicht zu leise, es lag ihm daran immer das rechte Maß zu finden. Dieses Maß bestimmte Gaab für sich ganz allein. Er tat, was ihm entsprach, ließ sich Fesseln gar nicht erst anlegen, um sie dann sprengen zu müssen. „Jeden Monat entschied er neu, ob er von 300 oder von 3000 Mark lebte“, berichtet sein Freund Anton Issel.

Das Leben meinte es gut mit ihm und tat ihm viel zu Gefallen. Dank seiner Begabung fand er überall die Unterstützung, die er brauchte, um seinen Weg zu gehen. Eine gewisse Leichtigkeit des Seins, so scheint es, hielt schützend ihre Hand über ihn. Leicht hatte er es dennoch nicht. Er hätte es leichter haben können, in den Augen mancher Zeitgenossen, die „Geld haben“ mit „es leicht haben“ gleichsetzen.

Er hätte mehr seiner Arbeiten verkaufen können. Er tat es nicht. Mit einem „des hat mer jo selbst so gern“ behielt er sie viel zu gerne bei sich, lebte durch sie und mit ihnen. Bescheidenheit, auch das ist Hannes Gaab, Empathie für alles Leben, für die Natur, die ihm das Material schenkte, um zu formen, was er sah, die ihn anregte und forderte der Schöpfung die Vielfalt ihrer Geheimnisse zu entlocken. Man könnte meinen,  er sei auf eine seltsam naive Weise ein ewig spielendes Kind gewesen und in diesem Spiel immer ganz bei sich - eine Kunst zu leben, die lebendige Kunst hervorbrachte. Er war fasziniert von der Form eines von Sand und Wasser abgeschliffenen Steines, einem vom Wind geglätteten Ast, einer ausgewaschenen Muschel.

Mit einem: „Guck, siehste das Gesicht...?“, hält er das Fundstück seinem Gegenüber mit glänzenden Augen hin ...nimmt eine Perle, setzt ein Auge ein und es wird ein Fisch. Ein dürrer Zweig wird ein skurrriler Kobold, ein Stück Holz: Vogel, Katze, Maus. Figuren, bisweilen wie Hampelmänner zu bewegen. Er fand er einen immensen Spielraum für Möglichkeiten und gab den Dingen eine neue Dimension. Objekte, die man heute als Assemblage bezeichnen würde. Gaab hätte derartiges nicht hören wollen. Überhaupt der Kunstbetrieb war seine Sache nicht. Er hielt sich meist fern: “Mer wird sich hüte könne ...“ Es war der Gott der kleinen Dinge, der seine Schöpferkraft beflügelte. Er sah was andere nicht sehen, und machte Kunst daraus – absichtslos, aus Freude am Tun, an der Schönheit und der Fülle des Lebens.


Es war Albert Eggebrecht, der Besitzer der Eggebrecht Presse, der ihn fragte, ob er nicht die Illustrationen zu einem Buch der Brüder Grimm zu zeichnen wolle. Ein weiterer Schritt bahnte sich an – hin zu Gaab, dem Buchkünstler. Die Eggebrecht Presse - das Häuflein von „Spinnerten“ wie Gertrud Eggebrecht sie nannte, „das in zwei Welten lebte, die sich beißen: Der Welt des Geistes, der Ideen, der Träume auf der einen Seite - und die Wirklichkeit – die Welt der Materie, der Rentabilität ...“
 
1936 entstanden Holzschnitte zu „Die Gänsehirtin am Brunnen“, Gaabs erstes illustriertes Buch, dem viele folgen sollten. Allen voran die Sappho Illustrationen, eines der gelungensten Beispiele vollendeter Harmonie in Sprache, Typografie, Illustration und Druck. Ein Werk von höchster grafischer Perfektion - das feinste ausgewogene Linienspiel auf lichter Weite weißen Papiers - reduziert, leicht und beschwingt, wo Tönung und Rhythmus von Sprachmelodie und Linienmelodie eine Allianz eingehen, die einander trägt - ästhetisch und leise.

Die sensible Reflexion im Dialog mit dem Literarischen, die Treffsicherheit ins Herz der jeweiligen Szene macht sie aus, die unnachahmliche und einzigartige  Handschrift des Hannes Gaab, der nie kopiert hat und nie kopiert wurde. Er war ein Zeichner und Illustrator, der es vermochte die Dinge wieder und wieder zu reduzieren, bis zum Extrakt - zur Herzlinie - bis die Katze, meisterhaft umrissen, sich im richtigen Schwung auf dem weißen Blatt zusammenrollte. „Die eine, ins Zentrum treffende, federnde Linie! Keine Verwirrung, kein Wortschwall, kein beredter Gedankenwurf ...“, wie Anton Issel es so treffend  beschreibt. Oder „Zeichnen bedeutet weglassen“, wie Max Liebermann sagte. Gaabs Streben war es Sinnbilder zu finden. Er fand sie nach unermüdlichem Ringen und Experimentieren – der Papierkorb im Atelier quoll über von weißen Blättern mit schwarzen Linien.

Die Eggebrecht Zeit war eine fruchtbare, nicht unwesentliche Episode im Mainzer Kunstleben -  und nicht zuletzt durch seine Illustrationen ist Hannes Gaab noch heute in Mainz unvergessen.

Immer blieb er seinem Metier der freien Kunst treu. Er malte und zeichnete was ihn faszinierte. Schwarz – weiß und zur Überraschung des Kunstpublikums bei einer Ausstellung im Mainzer Künstlerhaus Eisenturm, sah man erstmals: Gaab, den Maler -  in Farbe. Wie Max Ernst seine Frottagen verdankte Gaab es dem Moment des Zufalls -  der Farbe ins Werk fallen ließ, oder klatschen - so nannte er das Zufallsprodukt: Klatsch – Verfahren. Es offenbarte sich ihm, als ein feuchter Reinigungsschwamm auf dem Boden landete und die wildesten Farbstrukturen hinterließ. Dem Spielerischen zugeneigt sah er das Zeichen, und so wurde aus dem Aufklatschen von Schwamm auf Boden – die dünne Farbe auf saugfähiges Papier  Monotypie-Technik.

Tagelang hat er sie angeschaut, seine Klatschfarben und  nachdem er lange genug geschaut hatte, wurden daraus Bilder, ergänzte er die Farblandschaft mit virtuosem Linienspiel, und schuf so den Bildsinn. Es entstanden zarte, poetisch anmutende Naturimpressionen, die an japanische Landschaftsmalerei erinnern - aus denen seine Vorliebe für japanische Tuschmalerei und Kalligrafie spricht. Die Fülle diesen Schaffens formierte sich zu einem Werk das auf drei Säulen steht: Zeichnung, Illustration und Malerei – das vielleicht als tragende Basis jene unzähligen kleinen Fundstücke hat, die Gaabs Schöngeist anregten und die er in liebevollen Arrangements, ihre Vergänglichkeit in Kauf nehmend, zum Leben erweckte, sich des Zaubers all seiner Erscheinungen bewusst.

Hannes Gaab machte Kunst, zunächst für sich selbst. Im Balancieren zwischen sehen, spüren, formen, perfektionieren, ohne sich die Frage zu stellen, ob es Kunst war, was sich entfaltete, oder nicht. Er tat es, weil es seinem ureigenen Wesen entsprach. Und doch, was so leicht daher kam, scheint es auch für ihn trotz aller Begabung nicht gewesen zu sein „Die Kunst“, so sagte er einmal, „wenn sie gelöst und leicht wirken soll, ist schwer...“


(c) Angelika Wende



















Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen