Dienstag, 9. Januar 2024

Aus der Praxis: Verletzungen

 

                                                              Malerei: A.Wende

 
„Du kannst nur verletzt werden, wenn du es zulässt.“
Es gibt Menschen die das glauben, aber ist das wirklich wahr?
Wahr ist – das ist ein typischer Spruch aus dem Repertoire des Selbstoptimierungshandbuchs einer egozentrierten Gesellschaft, in der sich der Mensch zum Maß der Dinge erhebt und meint mit dem richtigen Mindset habe er alles unter Kontrolle.
Wenn uns jemand emotional verletzt, und wir uns sagen, es sei unser Fehler, weil wir es zugelassen haben, behaupten wir damit in Wirklichkeit: Wir haben die absolute Kontrolle und können entscheiden was uns widerfährt und zukünftige Verletzungen verhindern, wenn wir uns ändern.
Diese fatale Dynamik steckt voller Selbstvorwürfe und Schuldzuweisungen. Indem wir uns selbst die Schuld dafür geben, dass uns andere verletzen, halten wir an der Illusion fest: Wenn wir nur alles richtig machen können wir weiteren Schmerz verhindern. Solange wir uns Selbstvorwürfe machen und glauben wir seien schuld wenn uns jemand verletzt, gibt es noch Hoffnung, die Hoffnung uns selbst derart zu verändern um beim anderen Veränderungen zu bewirken. Nur, dass das nicht funktioniert. Wir können andere nicht verändern. Niemals. 
 
Wahr ist: Wir können nicht verhindern, das andere uns verletzen, wir haben keinen Einfluss auf das Verhalten anderer. Wir sind Menschen mit Gefühlen und dazu gehört auch, dass man unsere Gefühle verletzen kann. Wir leben nicht in einer Rüstung aus Eisen, die uns vor Verletzungen schützt. Wir sind emotionale Wesen und damit verwundbar. 
 
Das Einzige was wir ändern können ist wie wir mit den Verletzungen und denen, die uns verletzen, umgehen. Es ist gesund sich einzugestehen, dass man verletzt ist.
Es ist ungesund zu glauben, man selbst sei dafür verantwortlich, weil das richtige Mindset fehlt.
Die Eigenverantwortung liegt darin sich mit der Verletzung auseinanderzusetzen.
Verletzungen kränken und schaffen Leid.
Oft bringen sie altes Leid nach Oben, Leid, das so alt ist wie wir selbst. Damit können wir uns befassen. Wir können uns unseren alten Wunden zuwenden um sie zu heilen. Aber auch wenn wir alte Wunden geheilt haben, was nicht immer gelingt, ist es möglich, dass man uns neue Wunden zufügt, dass man uns kränkt und emotional oder sogar körperlich verletzt. Glauben wir aber wir sind schuld daran, verletzen wir uns noch dazu selbst. Das ist unheilsam und führt dazu, dass wir weiter in der Spirale von Selbstvorwürfen, Schuld-und Schamgefühlen verstrickt sind.
Es ist gesund anzuerkennen, ich bin ein Mensch und ich bin verletzbar. Das kann ich nicht verhindern und nicht kontrollieren. Was ich kontrollieren kann ist meine Reaktion darauf, nicht die emotionale, denn eine Verletzung tut nun mal weh, sondern meine Handlungsweise. Menschen, die mich verletzen, besonders die, die es immer wieder tun, sind ungesund für mich und ich handle zu meinem Besten, indem ich mich von ihnen entferne. 
 
 
„Als Kinder dachten wir, dass wir als Erwachsene nicht mehr verletzlich sein würden. Aber erwachsen zu sein heißt, Verletzlichkeit zu akzeptieren. Am Leben zu sein heißt, verletzlich zu sein.“
 
Madeleine L'Engle

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