Wir wurden verletzt und wir haben verletzt.
Manche verletzen absichtslos und manche absichtsvoll.
Wir wurden belogen, betrogen, ausgenutzt, gedemütigt und emotional misshandelt. Am Ende spielt es keine Rolle, was genau davon geschehen ist. Wir sind verletzt, wir sind gekränkt, unser Vertrauen ist zerbrochen. Aus Zuneigung wird Angst. Angst, der Mensch, der uns verletzt hat, könnte es wieder tun. Und wo Angst ist, ist wenig Raum für Liebe.
Jede tiefe Verletzung kränkt und verfolgt uns.
Vielleicht ziehen wir uns in uns selbst zurück und lassen niemanden mehr an uns heran. Oder wir geben, dem, der uns verletzt hat die Schuld und fühlen uns ohnmächtig. Vielleicht sind wir wütend, voller Groll und wollen Vergeltung. Wir würden es gerne ungeschehen machen, weil der andere uns wichtig war und wir nicht ertragen können, dass dieser wichtige Mensch uns so enttäuscht und weh getan hat. Warum gerade er, der uns so am Herzen lag, er, von dem wir das nie erwartet hätten?
Wir sind traurig und wütend zugleich. Unsere Gefühle fahren Achterbahn. Wir warten auf eine Entschuldigung, ein klärendes Gespräch, aber nichts geschieht. Und je länger wir warten, desto wütender, trauriger und verzweifelter werden wir. Wir wünschen uns, dass der andere genauso leidet wie wir selbst. Wir wünschen ihm mieses Karma. Es tritt ein. Jeder bekommt irgendwann zurück, was er an Gutem und Ungutem getan hat. Es ist nur eine Frage der Zeit. Da bin ich mir sicher.
Egal was wir fühlen, es sind negative Gefühle, die uns vergiften und verbittern, wenn wir sie nicht auflösen können. Damit sorgen wir für mieses Karma an uns selbst.
Wir leiden an einem Wiedergutmachungswunsch.
Wir sind in der Opferrolle gelandet.
Wir begreifen, wenn wir da wieder raus wollen, müssen wir etwas tun.
Aber was?
Das Erste was wir tun müssen: Erkennen, dass an dem, was geschehen ist, absolut nichts mehr zu ändern ist, durch nichts und niemanden. Der Mensch, der uns bis ins Mark verletzt hat, könnte morgen vor der Tür stehen und sagen: „Es tut mir leid.“ Es würde nichts ändern. Wir würden uns nicht wirklich besser fühlen. Vielleicht wären wir ein wenig erleichtert, vielleicht würde es uns ein wenig Genugtuung verschaffen, aber nichts wäre wirklich besser oder gar wieder gut. Es würde das, was geschehen ist, nicht ungeschehen machen. Es würde unser Vertrauen nicht wiederherstellen können. Wir würden vielleicht wieder mit diesem Menschen reden, aber die Beziehung würde nie mehr so sein wie sie einmal war. Das Band ist zerrissen, die tiefe Zuneigung, die herzliche Verbundenheit ist ein für alle Mal verloren. Das ist nicht mehr unser Mensch.
Eine Entschuldigung würde unsere Wunde also nicht heilen.
Es ist jetzt wie es ist.
Was können wir also tun?
Wir können entscheiden, ob wir das, was geschehen ist weiter mit uns herumschleppen oder es sein lassen und uns von der Last befreien. Wir brauchen keine Vergeltung und keine Entschuldigung, wir brauchen unseren Seelenfrieden. Und wenn wir klug sind, machen wir ihn nicht mehr vom Verhalten des anderen abhängig.
Wir vergessen nicht was geschehen ist. Wir heißen nicht gut, was geschehen ist, denn es war ungut. Wir machen uns nichts vor. Wir müssen nicht vergeben, aber wir können es tun. Wir leiten sie ein und entscheiden uns zu vergeben, wenn es soweit ist, dass wir es können. Wenn unser Herz dazu bereit ist.
Es fällt leichter zur Vergebung zu gelangen, wenn wir die Perspektive wechseln und Mitgefühl üben. Wenn wir dem anderen zugestehen, dass er, aus welchen Motiven auch immer, getan hat, was er getan hat, weil er nicht anders konnte. Nicht weil er ein schlechter Mensch ist, sondern weil er selbst Verletzungen in sich trägt, die ihn zu Handlungen verleiten, die er nicht kontrollieren kann. Weil er die Arbeit nicht macht, um zu genesen. Weil er nicht über die emotionale Fähigkeit verfügt, zu erkennen, wo die Grenzen sind und womit er andere verletzt. Weil er vielleicht unglücklich ist und uns attackiert hat, um sich besser zu fühlen, weil er vielleicht traumatisiert ist, voller Selbsthass, psychisch gestört oder ein Suchtproblem hat, das ihn unberechenbar macht.
Wir vergeben ihm seine Schwäche, weil wir wissen, auch wir haben Schwächen und auch wir haben andere schon verletzt. Wir lassen diesen Menschen und was uns an ihn bindet los, auch wenn es schwer ist. Wir wünschen ihm Genesung.
Wir hören auf zu wüten, zu urteilen und zu grollen und üben Mitgefühl. Dann wird aus Wut und Groll Trauer. Wir trauern um diesen Menschen, den wir lieb hatten und der uns so verletzt hat und wir trauern um die Beziehung, die zerbrochen ist.
Wut ist die Brücke zur Trauer und über diese Brücke gehen wir.
Er konnte nicht anders.
Aber ich kann anders.
Indem ich mich zum Opfer anderer mache, gebe ich mich selbst auf. Ich habe die Bereitschaft die Opferrolle zu verlassen und die volle Eigenverantwortung zu übernehmen. Ich bin bereit zu verstehen. Das ist der Beginn des Verzeihens. Anderen und mir selbst. Vergebung ist nie leicht. Sie bedeutet, dass wir über unseren Schatten springen müssen. Wenn wir inneren Frieden finden wollen, müssen wir springen.
„Groll mit uns herumtragen ist wie das Greifen nach einem glühenden Stück Kohle in der Absicht, es nach jemandem zu werfen. Man verbrennt sich nur selbst dabei.“
Buddha
„When we do not take care of our grief, when we do not call it by its true name, it leaves us as anger and does more harm to others, perpetuating our pain externally.“
Thich Nhat Hanh
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