Malerei: Angelika Wende
Unsere Kinder sind eine Leihgabe und kein Besitz. Im Grunde wissen Mütter das alle. Aber fühlen das auch alle?
Ganz gleich wie innig die Beziehung zu unseren Kindern ist, irgendwann ist der da, der Moment, da packen sie ihre Sachen und gehen in ihr eigenes Leben. Mit dieser Zäsur endet der gemeinsame Alltag. Die Mutter bleibt zurück. Das Nest ist leer und dann ist es still im Außen. Innen allerdings wird es in manchen Mutterseelen laut. Da ist Trennungsschmerz, da ist Trauer, da ist Sehnsucht nach dem wie es war als das Haus von Lebendigkeit erfüllt war. Da ist plötzlich eine große Leere. Je größer diese Leere empfunden wird, desto größer war der emotionale Bezug auf die Kinder. Desto größer war auch die innere Überzeugung, dass nur eine enge Beziehung zu den Kindern als verwirklichtes Leben gilt. Desto größer waren die Erwartungen, dass diese enge Beziehung auf ewig bleibt, auch wenn die Erziehungsaufgabe längst beendet ist und die Kinder das Nest verlassen haben.
Was jetzt? Was, wenn die Kinder sich immer weniger melden? Was, wenn sie vielleicht sogar genervt sind wenn Mutter sich ständig meldet um zu hören wie es denn so geht. Was, wenn sie ihr Leben nicht rapportartig mitteilen wollen, Mutters gute Ratschläge nicht anhören wollen, Mutters Neugierde nicht befriedigen wollen, die oft aus der Sorge geboren ist, dass das der kleine Vogel ohne den großen Muttervogel nicht sicher in der Welt ist? Was wenn die Mutter begreift: Der Vogel will frei fliegen. Was wenn sie es zwar begreift, aber es partout anders haben möchte und nicht bereit ist loszulassen? Dann ist es schwer für die Kinder.
Es ist schwer wenn die Mutter nicht loslässt. Es ist schwer, wenn die Mutter mehr Platz einfordert als die Kinder zu geben bereit sind. Es ist schwer, wenn die Mutter die Grenzen nicht akzeptiert, die ihr gesetzt werden. Es ist schwer, wenn sie glaubt ein Recht darauf zu haben im Leben ihrer Sprösslinge auf immer und ewig präsent zu sein – für die Kinder und für sie selbst. Es ist schwer, wenn sie den Kindern vermittelt – ihr müsst für mich sorgen. Es ist schwer, wenn die Mutter versucht sich mit allen Mitteln die Aufmerksamkeit zurückzuholen.
Kinder und Jugendliche brauchen für ihre Entwicklung die Zuwendung und Aufmerksamkeit ihrer Eltern. Das wissen wir. Was aber viele nicht wissen: Kinder brauchen abgegrenzte Väter und Mütter. Und damit meine ich nicht, emotionale Abgrenzung, sondern dass sie in der Beziehung zu ihren Kindern gleichermaßen zugewandt und bei sich selbst bleiben. Und dass sie ihre Kinder als Kinder begreifen und nicht als Freunde oder Vertraute. Ist diese gesunde Balance im Laufe der Erziehung nicht gelungen zeigt sich das besonders dann, wenn Kinder ausziehen. Wo gesunde Abgrenzung nicht gelebt wurde, wird festgehalten. Es wird erwartet, gefordert und gezerrt. Dann gelingt es nicht, den Kindern zu geben was sie jetzt brauchen – Freiheit und das Geschenk Eigenverantwortung für ihren Weg übernehmen zu dürfen. Erwarten, fordern und Zerren ist Gift für die Kinder, denn Kinder spüren sehr genau, was von ihnen erwartet wird. Manche arbeiten sich ein Leben lang an den Erwartungen ihrer Eltern ab. „Nichts hat einen stärkeren psychischen Einfluss auf die Kinder als das ungelebte Leben der Eltern“, schrieb der Analytiker Carl Gustav Jung.
Je reifer und selbstbewusster Väter und Mütter sind, je mehr sie ihr eigenes Leben leben, desto leichter fällt es ihnen, ihre Kinder auch ihr eigenes Leben leben zu lassen. Das bedeutet auch: Sie sein zu lassen, was sie sind und werden zu lassen, was sie sein wollen. Es bedeutet, den Kindern nicht den inneren Auftrag mitgeben, ein Leben anzustreben, das sie selbst nicht führen konnten. Dann ist da Gelassenheit anstelle ungesunder Anhaftung, auch wenn sie sich anders entwickeln, als man es ihnen vorgelebt hat.
Was sind das für Mütter, die nicht loslassen können?
Es sind Mütter, die ihre Bedürftigkeit an die Kinder abgeben.
Die amerikanische Psychologin Susan Forward und Autorin des Buches „Vergiftete Kindheit“, nennt fünf Kategorien dieser Mütter: schwer narzisstische Mütter, Mütter, die selbst bemuttert werden wollen, Mütter, die sich in alles einmischen, Kontrollfreaks, und Mütter, die ihre Kinder vernachlässigen oder misshandeln. Der häufigste Typus ist die narzisstische Mutter. Diesem möchte ich mich hier zuwenden.
Die narzisstische Mutter muss immer im Mittelpunkt stehen und die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die große Mutter, die Göttin, die zu Bewundernde, die alles perfekt macht, die Wichtigste im Leben ihrer Kinder. Die Mutter, die ständig zu verstehen gibt: Ich habe dich geboren, ich habe alles für dich getan, alles gegeben, auf viel verzichtet, dir alles ermöglicht. Wie kannst du mich nicht wertschätzen, wie kannst du mich verlassen und mir deine Aufmerksamkeit entziehen? Wie kannst du mir nicht geben, was ich verdient habe?
Diese Mütter sind so von ihrer eigenen Wichtigkeit, ihrem Wollen und ihren Bedürfnissen so besessen, dass ihnen gar nicht klar ist, was sie in Kinderseelen anrichten. Die Kinder sind das Objekt, das sie sich von Beginn an einverleibt haben um ihrer eigenen Grandiosität willen, als Ausweitung ihrer narzisstischen Bedürfnisse nach Anerkennung und Bewunderung. Und wehe dieses Objekt wagt es, sich von ihr zu entfernen, sie gar zu verlassen und ein eigenes Leben zu gestalten.
Auch wenn die narzisstische Mutter kognitiv begreift, dass es zu einem natürlichen Abnabelungsprozess gehört, so ist die emotionale Kränkung so groß, dass das Selbstbild der Grandiosität zusammenfällt wie ein Kartenhaus. Was folgt ist eine maßlose Enttäuschung und eine tiefe innere Leere, die schon immer da war, aber mit dem Dasein der Kinder gefüllt wurde. Die Kinder, die ihr ihre Bedeutung spiegelten und ihr somit erst einen Wert verliehen sind weg. Die Inszenierung der großen Mutter ist erschüttert. Sie ist mit der Wirklichkeit konfrontiert. Alle bisher angewendeten Verdrängungs- und Abwehrmechanismen, alle Bewältigungsstrategien greifen nicht mehr. Es bedarf für narzisstische Persönlichkeiten eines hohen Maßes an Kontrolle ihrer eigenen Gefühle und der Gefühle ihrer Kinder, um ihr kreiertes Selbst- und Familienbild aufrechtzuerhalten. Alles muss perfekt sein, ist es dann nicht mehr gelingt es auch nicht mehr das grandiose Selbstbild aufrechtzuerhalten. Es droht auseinanderzubrechen. Es gelingt einfach nicht mehr das geringe Selbstwertgefühl mit Selbstüberschätzung und Allmachtsfantasien zu kompensieren. Es kommt zur narzisstischen Kränkung und in Folge zur narzisstischen Krise. Und damit wird er offensichtlich, der grundlegende Irrtum dem sie erlegen ist: Sie hat sich eine Scheinwelt erschaffen, die an der Realität zerbricht.
Mit dem Auszug der Kinder tritt ein Ereignis in ihr Leben, das diese Scheinwelt zerstört. Sie kann sich nicht mehr als großartig inszenieren und erleben, weil sie von der eigenen Schattenseite, die sie verdrängt hat und mit der sie die Kinder als sie klein und abhängig waren, nie zu konfrontieren gewagt haben, überwältigt wird. Die grandiose Fassade bricht zusammen. Der Spiegel in dem sie sich selbst als etwas Besonderes reflektiert sah verdunkelt sich. Dafür werden jetzt die Kinder verantwortlich gemacht. Die Mitleidskarte wird ausgespielt. Jetzt ist sie die Verlassene, die Einsame, die Leidende, die Bedürftige, die gerettet werden muss.
Das unheilsame Beziehungsspiel geht weiter, solange die narzisstische Mutter die Krise nicht als Chance erkennt: Nämlich als Chance das anzuschauen, zu verarbeiten und zu heilen, was in ihrer Biografie dazu geführt hat, dass sie ist, wie sie ist. Die Bereitschaft dazu hängt davon ab, ob sie offen dafür ist, Verantwortung zu übernehmen, sich selbst, die eigene Geschichte und ihre Dämonen radikal ehrlich anzuschauen und zu entlarven. Das ist ein schmerzhafter Prozess, besonders für einen Menschen, der sein ganzes Leben lang nicht zu sehen in der Lage war, was eigentlich ist, weil es ja keinen Grund gab. Es hat ja funktioniert das Leben, es hat ja gegeben, was man brauchte um das grandiose Selbst aufrechtzuerhalten, das im Grunde als solches gar nicht existiert und sich nur über andere überhaupt definiert und erlebt.
Mütter mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind erst dann in großer Not wenn ihr Selbstwert in Frage gestellt wird, denn beim Narzissmus dreht sich alles um den Selbstwert. Dieser wurde in der Kindheit nicht beantwortet oder zerstört. Menschen mit einer narzisstischen Störung haben oft eine belastende Kindheit erlebt und ihre Verletzungen abgespalten. Um diese abgespaltenen Teile zu integrieren müssten narzisstische Mütter in Resonanz mit den eigenen Gefühlen gehen, was sie aufgrund der Abspaltung aber nicht können. Sich der schwierigen Vergangenheit zu stellen und sich ihr nähern, kann emotional herausfordernd sein. In Resonanz zu gehen mit dem jüngeren Selbst kann schmerzhaft sein. Aber es ist der einzige Weg in Kontakt mit den eigenen Gefühlen zu kommen. Genau das ist es aber, was der narzisstische Mensch meidet wie der Teufel das Weihwasser. Im Kontakt mit den eigene Gefühlen muss er letztlich erkennen, dass das Gefühl der Liebe ihm fremd ist, sowohl für andere wie auch für sich selbst. Und er muss akzeptieren: Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist nicht heilbar. In der Therapie kann jedoch gelernt werden an der Selbstwahrnehmung zu arbeiten und narzisstische Verhaltensweisen zu kontrollieren. Narzissmus kann so gemildert werden, dass Betroffene und ihre Mitmenschen, in diesem Falle die eigenen Kinder, nicht länger darunter leiden.
Die Erfahrung allerdings zeigt: Narzisstische Mütter ändern sich selten, dazu sitzen ihre Muster zu tief. Traurig. Traurig für die Kinder, die ihren eigenen Weg der Abnabelung von diesen Müttern finden müssen um sie selbst zu werden.
Chapeau!! Ein großartiger Artikel, sensibel und kompetent verfasst, ein wichtiger Beitrag und Gewinn für alle Betroffenen! Danke, liebe Kollegin, für diese Ausführungen. Ich verfolge mit Begeisterung all Ihre Artikel.
AntwortenLöschenDanke, liebe Kollegin, für Ihre Wertschätzung.
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