Samstag, 19. Oktober 2019

Ohne Schlamm kein Lotos



Foto: pixybay

Das wohl größte Problem des modernen Menschen besteht darin, dass er nicht mit dem Leid umzugehen weiß und es mit allen möglichen Arten von Konsum, Ablenkungen und Beschäftigungen zu verdecken versucht. Um Leidvolles zu verdecken und zu vermeiden, ist er ständig auf der Hut und in Sorge. Leid hat etwas Bedrohliches, egal ob wir es am eigenen Leib erfahren oder es bei unseren Mitmenschen erleben. Das Leid darf nicht sein. Das Leid muss weg, ganz schnell muss es weg. Her mit dem Glück, das haben wir doch verdient, aber doch bitte nicht das Leid! Verdient? Man hat sich weder das Eine noch das andere verdient. Die Dinge geschehen, wir haben weder über das Leid noch über das Glück Kontrolle. Aber wir hätten sie gern. Und so sind wir in ständiger Anspannung während wir versuchen ein glückliches Leben zu konstruieren.

"Mein Gott, du bist krank? Wie, unheilbar? Oh wie fruchtbar! Du Arme(r)!" Und dann wendet man sich ab, viele tun das. Das Leid so ganz nah an uns selbst macht Angst. Als könne es ansteckend sein wird die Flucht ergiffen. Oder man wünscht sich den anderen, der einst so voller Kraft war, schnell wieder glücklich, für ihn und für sich selbst, vor allem für sich selbst um das unaushalbare des Unglücks schnell wieder los zu werden. Angespannt drücken wir es weg das Leid, damit es uns ja nicht berühre. Sobald wir dann mit uns alleine sind, ist da die Angst, dass das Leid in uns selbst, die Verzweiflung, die Wut und die Einsamkeit, die hochkommt, uns überwältigen, wenn wir uns nicht mehr in Aktivitäten stürzen können.

Uns selbst aushalten ist schwer. Es hat etwas Beunruhigendes an sich. Uns im Leid aushalten hat etwas Beängstigendes.
Unser Alltagsleben ist unterbrochen. Gedanke, Gefühle, Bilder aus unserem Inneren drängen ins Bewusstsein. Zu viel um uns zur Wehr setzen können. Deswegen scheuen wir die Begegnung mit uns selbst. Es ist verständlich sich diesem Innenleben nicht aussetzen zu wollen. Nur manchmal kommen wie partout nicht drum herum. Dann sind wir allein, allein in unserem Leid, sei es seelisch oder körperlich. Und nichts lässt uns mehr ausweichen. Wir sitzen fest, wir stecken im Schlamm.
Wozu ist das gut? Wozu soll das gut sein, diese Begegnung mit dem Leid?
"Lotosblüten benötigen Schlamm, um zu wachsen. Der Schlamm riecht nicht gut, doch die Lotosblüte duftet wunderbar", sagt Thich Nhat Hanh.
Dieses Sinnbild der engen Beziehung von gut und ungut repräsentiert das Leben. Leid und Glück hängen voneinander ab, ohne Leid wäre Glück ein Zustand, der uns nicht mehr erhebend vorkäme. Glück und Leid gehen oft nahtlos ineinander über, ja, sie können sogar gleichzeitig erlebbar sein. Beides kommt und geht, verändert sich ständig, wie alles im Leben. Dem können wir uns nicht entziehen, das können wir nicht kontrollieren. Festhalten können wir nichts.

Aber ist Leid wirklich so eine Kathastrophe?
Leid hat immer auch Aspekte, die unser Wachstum fördern, wenn wir dazu fähig und bereit sind.
Solange wir nicht fähig sind, dem Leid mutig und präsent zu zu begegnen, werden wir es nicht los. Wir dürfen unsere Vorstellung von Glück verändern, denn diese ist unser größtes Hindernis, glückliche Momente zu erleben, auch im Leid.

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