Es gibt sie, diese Wut, die uns nicht verlässt und nach und nach beginnt ein Eigenleben zu entwickeln, das ein Leben vollkommen beherrscht. Diese Wut ist so groß und so unbändig und wird schließlich so unaushaltbar, dass sie nach einer Handlung schreit. Man muss etwas tun, man muss dem, der diesen Schmerz der Wut auslöst, genau diese Wut überkippen, man muss zurückschlagen, den Schmerz der Wut dahin schlagen wo er seinen Ursprung hat. Diese Wut will es dem anderen heimzahlen. Sie will Rache um jeden Preis, sie findet kein Ende bis sie eskalieren darf, bis dem anderen der Schaden zugefügt wird, der einem selbst zugefügt wurde. Diese Wut ist zu Hass geworden, zu einem mörderischen Hass, der kein Halten mehr kennt und nur noch eins will: Den Anderen vernichten. Dieses Gefühl ist der Grund für viele Morde in der Welt.
Ein Mensch, der sich in dieser Wut-Hass-Spirale verfangen hat kann zum Täter werden. Er ist in seiner Aggression gefangen, unfähig einen Schritt zurückzutreten oder sich zurückzuhalten. Wie von einem Autopiloten gelenkt ist sein Ziel die Zerstörung dessen, was er hasst. Ihm bleibt keine Wahl mehr für Einsicht oder eine andere Reaktion. Der Raum für Alternativen ist vollkommen ausgeblendet. Ist er nicht mehr in der Lage den Autopiloten abzustellen und das Steuer über seine Gefühle wieder in die Hand zu nehmen, endet diese hochexplosive Wut-Hass-Spirale in unendlichem Leid.
Dieser Mensch sitzt in der Falle. Er weiß das und er weiß meist auch, dass er aus dieser Falle herausfinden muss, damit sein Leben nicht auf eine Katastrophe zusteuert. Er braucht Hilfe um keinen Schaden anzurichten, der nicht wieder gut zu machen ist.
Aber wie ist diesem Menschen zu helfen?
Hilfe ist nicht die Erkenntnis, dass es sich nicht lohnt, sein eigenes Leben wegen eines Anderen zu zerstören, der uns Leid angetan hat. Hilfe ist nicht, zu üben die Wut in den Griff zu bekommen, denn das ist nicht möglich. Es funktioniert nicht erst gar keine Wut aufkommen zu lassen, es funktioniert nicht Wut zu unterdrücken, es funktioniert nicht anders denken zu wollen, es funktioniert nicht sich abzulenken, es funktioniert nicht auf ein Kissen zu schlagen und die Wut herauszuschreien, anstatt auf den, gegen den die Wut gerichtet ist. Wer es probiert hat, weiß das. Gefühle lassen sich nicht abstellen und nicht auf Knopfdruck kontrollieren. Sie sind da, ob wir das wollen oder nicht und ob sie uns lieb sind oder nicht. Was wir aber lernen können ist unsere Reaktion auf destruktive Gefühle zu verändern. Wir können lernen diesen destruktiven Gefühlen den schmerzhaften Stachel zu nehmen, ihnen die zerstörerische Kraft zu entziehen und uns der Herausforderung stellen, die dieses Gefühl an uns heranträgt. Diese Herausforderung heißt: Verständnis und Mitgefühl mit uns selbst.
Was bedeutet das?
Es bedeutet, wir erlauben uns genau das zu empfinden, was wir empfinden, egal wie schlimm oder wie destruktiv es ist. Es heißt wir lassen zu, was wir an aggressiven Gedanken haben und akzeptieren, dass wir sie haben. Wir hören auf sie wegdenken oder weghaben zu wollen, wir lernen damit zu leben und übernehmen die Verantwortung für unsere Gefühle, genau wie sie sind. Wir hören auf dagegen anzukämpfen. Damit akzeptieren wir, was wir ohnehin erleben. Damit beenden wir den inneren Kampf gegen unerwünschte Gefühle und destruktive Gedanken. Wir betrachten sie mit akzeptierendem Interesse und zwar genau so lange, bis sie uns wieder loslassen.
Warum sollten wir das tun? Ganz einfach, weil alle anderen Strategien um Wut oder Hassgefühle loszuwerden nicht funktioniert haben und nicht funktionieren werden. Ganz einfach ist das Akzeptieren dessen was ist allerdings nicht. Es ist Arbeit. Arbeit, die von uns selbst eine große Portion Willenskraft, Mut, Entschlossenheit und viel Geduld erfordert. Es ist Arbeit, die einem Kampf gegen einen Dämonen fordert, den wir erst einmal nicht in den Griff bekommen. Aber allein die Entschlossenheit den Kampf aufzunehmen ist der erste Schritt auf dem Weg zur Akzeptanz, den Kampf gegen unser eigenes Innere zu beenden.
Diese Arbeit beginnt damit, dass wir uns selbst akzeptieren, mit genau den Gefühlen, als genau den Menschen, der wir zu diesem Moment in der Zeit sind. Sie beginnt damit anzuerkennen, wer wir jetzt gerade sind. Auch wenn wir das, was wir gerade sind, nicht mögen. Wir erkennen an, was ohnehin ist und beenden den Kampf gegen das Unerwünschte in uns selbst.
Zurück zur Wut. Die biologische Funktion von Wut liegt in der Regulation von Schmerz und emotionalem Stress. Wut ist die natürliche Reaktion des Individuums auf Bedrohung. Wut ermöglicht es uns zu kämpfen und uns zu verteidigen, wenn wir angegriffen werden. Insofern ist Wut durchaus überlebensnotwendig. Aber das bedeutet nicht notwendigerweise, dass wir deshalb diese Wut unmittelbar ausagieren müssen. Mit anderen Worten: Wut haben heißt nicht, Wut ausleben. Die alte Theorie, man müsse Dampf ablassen um die Wut loszuwerden hat sich längst überholt. Es ist nicht gesünder seine Wut abzureagieren. Wut zum Ausdruck zu bringen schafft zwar eine kurzfristige Entlastung, führt aber nicht dazu, dass die Wut verfliegt. Im Gegenteil. Forscher haben herausgefunden, dass wütende Gefühle sich nach einem Wutausbruch nicht in Luft auflösen, sondern weiter anhalten und sich sogar verfestigen. Wir geraten in einen Teufelskreis von Wut und Zorn. Wir geraten darüber hinaus in einen Teufelskreis von wütender Ohnmacht, die uns lähmt und unser Leben vergiftet. Mit der Wut gegen andere vergiften wir uns selbst, denn dem anderen ist unsere Wut meist egal.
Wut, die ausbricht, ändert also nichts. Trotzdem ist sie da. Ja, und das darf sie auch sein. Unsere Wut ist nicht unser Feind. Sie will uns etwas sagen. Sie will, dass wir hinter sie blicken, auf das, was sie auslöst. Sie will, dass wir sie erforschen, sie zeigt uns, dass da etwas in uns ist um das wir uns kümmern müssen. Daher ist es so sinnvoll sie zu akzeptieren. Wut ist der Versuch unseres Unterbewussten uns vor etwas noch schmerzhafterem zu schützen. Etwas, das sehr zart und verletzt ist. Wut verdeckt all unsere Gefühle von Scham, Kränkung, Demütigung, Zurückweisung, Missachtung, Entwürdigung,Verlassenheit und Ungeliebtsein. Wie ein Schutzschild legt sie sich vor dieses zerbrechliche Selbst, das genau diese Gefühle nicht spüren will, weil sie weh tun, viel weher als Wut. Mit Wut können wir uns vor unseren wahren Gefühlen schützen, wir schützen uns vor der Bloßlegung unserer Verwundbarkeit. Ohne die Wut wären wir enttarnt, vor uns selbst und dem, der uns verletzt hat.
Darin liegt der Kern der Wut. Dorthin führt der Weg im akzeptierenden Umgang mit unserer Wut: Zu dem, was wir wirklich fühlen. Und das zeigt sich dann, wenn wir aufhören gegen unsere Wut anzukämpfen, wenn wir aufhören sie hinauszuschreien und anfangen sie zu beobachten, solange bis sie uns verlässt und uns da lässt wo wir wirklich stehen: Vor unserer eigenen Verletzlichkeit.
Das ist kein leichter Weg, denn es ist schmerzhaft zu spüren, wie zerbrechlich wir im Tiefsten sind, wenn wir alle Schutzmechanismen fallen lassen. Aber es ist der einzige Weg um dort zu beginnen wo wir ehrlich und aufrichtig mit uns selbst werden. Und wenn wir das werden, beginnen wir vielleicht endlich Mitgefühl mit diesem verletzten und lebenslang verletzbaren Wesen zu empfinden, das wir sind und ihm das zu geben, was es am Nötigsten braucht: Unsere Liebe und unsere Fürsorge.
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