Sonntag, 12. Juni 2016
Vorauseilender Gehorsam
Entwicklungen geschehen immer durch Menschen, die ihrer Zeit voraus sind. Menschen wie Christus zum Beispiel, Galileo Galilei bis hin zu Martin Luther, der seine Wahrheit, trotz der Androhung des Scheiterhaufens, nicht widerrufen hat. Menschen wie diese haben bewiesen, es ist nicht die Zeit, die die Menschen ändert, es sind Menschen, die die Zeiten verändern.Eine Kerneigenschaft dieser Menschen ist, dass sie wissen wollen, Dinge sehen, durchschauen und erfassen, die andere nicht sehen können, oder wollen. Sie haben eine Vision, sie haben eine Leidenschaft, sie brennen für eine Idee, sie haben ihre eigene Wahrheit, der sie folgen und für die sie stehen. Sie sind mutig. Sie folgen nichts und Niemanden außer sich selbst und sie haben den Drang Entwicklungen in Gang zu setzen, im Sinne des Fortschritts, gleich auf welchem Gebiet der menschlichen Kultur und vor allem – sie übernehmen die Verantwortung für das, was sie tun und was sie sind. Und - diesen Menschen fehlt, was in der Gesellschaft, damals und heute weit verbreitet ist: Ihnen fehlt der Impuls zum vorauseilenden Gehorsam.
Das hört sich auch nicht wirklich gut an, Gehorsam und dann auch noch vorauseilend, also gehorchen im Sinne der freiwilligen Vorwegnahme vermuteten erwünschten Verhaltens, besonders im Rahmen gruppendynamischer Prozesse. Genau das machen viele. Die Welt ist voll von diesen Vielen. Mir gefällt das gar nicht „vorauseilend gehorchen“, gehorchen übrigens auch nicht. Wo kommen wir denn da hin, wenn wir etwas, wovon wir überzeugt sind, gar nicht erst aussprechen, ausprobieren oder gar leben, weil wir annehmen, den anderen passt es nicht in den Kram, woran wir glauben und was wir tun oder wer wir sind?
Ich behaupte - es bringt uns nicht weit und mit Sicherheit nicht zu uns selbst und unserer wahren Größe. Die hat übrigens etwas mit Würde zu tun. Ein altmodisches Wort, aber ein wesentliches Wort, wie ich finde. Es macht uns klein dieses Gehorchen, dieses Folgen, dieses Tun, was man tun soll um nicht aus dem Rahmen zu fallen. Es macht uns zu freiwilligen Knechten derer, die Macht haben und sie ausüben. Die Welt ist voll von Menschen, die alles tun um zu gefallen, um nicht aufzufallen, um bloß nicht anders zu sein, als die Anderen. Denn - wer anders ist läuft Gefahr nicht mehr dazuzugehören. Das macht Angst. Angst vorm Ausgestoßen werden aus der Gruppe. Und Angst lähmt den Mut. Aber das ist ja nichts Neues. Wie sonst könnte auf dieser Welt alles sein wie es ist, ungut wie es ist. Es wird gesehen, es wird bejammert, es wird gewütet – aber getan wird nichts. Weil – jammern und wütend sein ist ja schon was. Nichts ist das, also zumindest nichts, was irgendetwas am Status quo verändert. Es verändert höchstens die Frustrationstoleranz, die wird nämlich immer niedriger. Darum ist unser Alltag so gespickt mit aggressiven Mitmenschen. Meine Meinung. Teilen muss sie niemand.
Also warum wird so vorrauseilend getan, was erwartet wird? Warum machen Menschen das? Sie machen es, weil sie Angst vor Sanktionen haben. Anpassung ist eben vermeintlich sicherer als das Wagnis gegen den Strom zu schwimmen und für Veränderung zum Guten hin einzutreten. Die Angst eilt dem Wagnis voraus und erstickt es im Keim. Also gehorchen - am Besten schon mal im Voraus. Gehorchen ist uns nicht angeboren. Es muss gelernt sein, am Sinnvollsten von Kindesbeinen an. Das funktioniert auch, bei den Meisten jedenfalls. Ist ja auch kein Wunder, wenn man einem Kind schon im Kindergarten vermittelt, der Elefant hat grau zu sein und nicht rosa, weil: Rosa Elefanten gibt es nicht! Die Fantasie? Scheiß drauf! Ein Elefant ist definitiv grau. So gehört sich das. Vielleicht kommt es ja daher, dass die Franzosen die Deutschen die "Gents Gris" nennen, die Leute mit den grauen Gesichtern. Vorauseilender Gehorsam ist übrigens recht deutsch. Sozusagen fast schon deutsches Sozialverhalten. Nebenbei bemerkt, mir gefallen rosa Elefanten besser.
Vorauseilend gehorchen, das heißt auch, es erst gar nicht versuchen, obwohl wir keine Ahnung haben, ob es nicht vielleicht gelingen könnte, was wir versuchen wollen. Aber auch das machen die Meisten nicht. Es wird weiter geklagt, jammert, still gewütet und in der Komfortzone hocken geblieben, denn da kennen sie sich aus, das kann ihnen nichts passieren, das ist gewohnt vertraut. Das Nichtvertraute trägt die Option der Gefahr in sich. Vorsicht! Veränderung ist gefährlich. Also lieber beim Alten bleiben, schlucken, was schwer verdaulich ist und nichts tun, das ist sicherer und die Komfortzone ist ja auch meist sehr gemütlich, wenn auch unbefriedigend und auf Dauer ungesund für die Seele. Aber egal, besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach, denn da Oben hin gelangen ist ja auch ein schweres Unterfangen. Lassen wir es wie es ist und richten uns ein, in dem was ist, auch wenn es sich nicht gut anfühlt. Besser als ein Risiko eingehen und am Ende vielleicht allein dastehen mit dem, was wir sind und denken und wollen vom Leben – etwas Besseres nämlich.
Wisst Ihr was das Groteske an der ganzen Sache ist? Das Groteske am vorauseilenden Gehorsam ist, dass die, die das tun, sich selbst die Illusion bewahren können, freiwillig zu handeln. Ja, die menschliche Psyche ist unter Anderem ein Meister in Sachen Selbstbetrug. Wer vorrauseilend gehorcht vermeidet die demütigende Erfahrung, zu etwas gezwungen zu werden. Da mach ich das doch lieber gleich selbst, suggeriert sich Mensch, das verhindert das Gefühl mit der eigenen Ohnmacht konfrontiert werde. Diese ist ja auch ziemlich unerträglich. Ergo behumst sich das Unterbewusstsein: dann identifiziere ich mich doch lieber mit dem ganzen lahmen Rest und den Regeln denen alle folgen, den Jas, die alle sagen und dem Leben, das man mir als Kind schon als erstrebenswert beigebracht hat. So habe ich meine (scheinbare) Macht nicht in Gefahr gebracht und vor allem ich habe meine Ruhe. Der Frust wird runtergeschluckt und füllt die Praxen von Therapeuten und Ärzten.
Ziemlich ungesund und ziemlich schwach. Aber gesellschaftsfähig. Eier in der Hose haben heutzutage die Wenigsten und manche Männer verfügen über diese auch nur rein organisch, fällt mir als Frau so auf. Wie dem auch sei. Vorauseilender Gehorsam führt dazu, das eigene eigentlich gewünschte Denken, Verhalten und Handeln an den vermuteten, unausgesprochenen Erwartungen anderer Personen auszurichten, um befürchtete Konfliktsituationen zu vermeiden oder um sich Wohlwollen zu verschaffen. Tja, wir wollen eben alle gemocht werden.Ich übrigens auch, aber nicht um jeden Preis und nicht über den Preis der Anpassung und der Selbstverleugnung. Der ist mir zu hoch. Anpassung, Selbstverleugnung? Gehorsam? Ob wir uns dabei selber noch mögen? Ich bin mir da nicht sicher. Übrigens, Galileio soll bei Verlassen des Gerichtssaals gesagt haben: Und die Erde bewegt sich doch!
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