Dienstag, 21. Juni 2016

Über das Trösten



Foto AW

Ratschläge sind Schläge. Diesen Spruch haben wir alle schon einmal gehört. Und trotzdem, wie bei allem, was wir schon einmal gehört oder sogar verinnerlicht haben, es nützt nichts. Es nützt nichts im Sinne von - wir machen es trotzdem. Immer und überall werden Ratschläge gegeben. Eltern raten ihren Kindern, meistens von etwas ab, Bekannte raten Bekannten, Freunde raten Freunden, besser wissend, wie sie mit etwas umgehen sollen, müssen. Gute Ratschläge sind gut gemeint, aber sie helfen dem, der sie bekommt, gar wenig oder gar nicht.
Warum?
Weil jeder Mensch anders tickt. Weil keiner die Empfindungen des Anderen spüren kann. Verstehen ja, spüren nein. Verstehen aus seiner Sicht von Welt, aus seinem Erfahrungshorizont heraus, aus seiner Gefühlswelt heraus. Einander verstehen und einen anderen fühlen, ist ein himmelweiter Unterschied. Auch mit noch so viel Empathie gelingt es uns nicht, das Gefühl des Anderen in gleicher Feldstärke zu fühlen und uns in seinen seelischen Zustand oder uns in sein konkretes Problem einzufühlen.

Jeder von uns hat eine andere Empfindung der Dinge, bewertet Erfahrungen und Erlebnisse anders.  

Was für den Einen überhaupt kein Problem ist, ist für den Anderen eine schwere Belastung, die die Seele quält oder ihn verzweifeln lässt. Da hilft es nichts, zu sagen: Du musst nicht traurig sein, du musst keine Angst haben, du bist so ein starker, wunderbarer Mensch. Da hilft auch kein: Du musst das so und so machen, nur weil man selbst es so und so machen würde. Der Andere kann es nicht machen wie wir es machen würden, eben weil er ein Anderer ist. Und er muss es auch nicht, weil er sein eigener Mensch ist und weil kein Mensch müssen muss was andere meinen, was er müsste.  Letzlich nicht selten auch, damit sie sich besser fühlen, ob ihrer erfolgreichen Beratschlagung. Ich weiß aus Erfahrung, dass damit sogar bisweilen eine Gegenreaktion erzeugt wird. Der mit Rat Geschlagene wendet sich ab. Oder der Ratschlagende, weil sein guter Rat nicht befolgt wird, ist sauer und wendet sich ab.

Was braucht ein Mensch, der feststeckt, der Sorgen hat, oder verzweifelt ist?

Er braucht es ernst genommen werden und nicht, dass sein Problem, seine Angst, seine Verzweiflung beratschlagt werden. Was dieser Mensch sich wünscht ist Achtung vor seinem Gefühl, Verständnis für seine Lage, Annahme als der, der er ist und Trost. Und das Wichtigste: Er braucht unser Vertrauen, dass er auf seine Weise, in seinem Tempo und in seiner Gangart sein Problem lösen wird. Damit achten wir den Anderen und lassen ihm die Zeit und den Raum, die er braucht, um seinen Weg zu gehen und im Leben weiter zu bestehen. Wir lassen ihm das Seine und sind einfach da. Wir hören zu und stellen vielleicht Fragen, wenn er zustimmt, um ihm zu helfen seine eigenen Antworten und Lösungen zu finden.

Alle Antworten auf das, was mit uns zu tun hat, liegen in uns selbst. Sie offenbaren sich dann, wenn es an der Zeit ist.

Mit Ratschlägen wollen wir schnelle Lösungen für andere konstruieren, aus unserem persönlichen Erfahrungsschatz heraus. Die Erfahrung sagt: Es macht keinen Sinn. Es macht Sinn, anstatt zu ratschlagen, zuzuhören. Einfach da zu sein, auch wenn wir das Fühlen und Denken des Anderen für uns selbst nicht nachvollziehen können. Ohne beleidigt zu sein, dass der Andere nicht macht, was wir ihm sagen. Er kann es nicht. Er muss es auch nicht können. Er kann das, was er kann - mit den Informationen, die er zu genau diesem Zeitpunkt hat, als der Mensch, der er zu diesem Moment in der Zeit ist.

Einander achten, einander wohlwollend zuhören und einander trösten, das öffnet Herzen.

Das Trösten haben viele Menschen verlernt. Trösten bedeutet: Sich wirklich um ein Verstehen des anderen zu bemühen und das Eigene herauszulassen, sich dem Anderen aufmerksam zuzuwenden, ihn ernst zu nehmen und in seinem Leid anzunehmen. Das ist viel anstengender und zeitintensiver als ein guter Ratschlag oder ein: Du musst nicht ... Das dauert länger als einen Moment und es bedeutet wirkliches Interesse am Mitmenschen und es bedeutet, das Eigene nicht mit dem Fremden zu vermischen. Es bedeutet, dem Anderen sein Anderssein zu lassen, auch wenn wir es für uns nicht begreifen können und es gern anders hätten.


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