Montag, 11. Januar 2016

Gedanken über den Tod






Wir lieben Idealisierungen, sie sind das Salzkorn in der Suppe des Lebens. Wünsche, Träume, Visionen und ja, auch unsere Illusionen geben uns Kraft, sie helfen uns auch schwere Zeiten zu überstehen, sie helfen uns, uns zu verwirklichen und verleihen unserem Leben Sinn. Der Mensch ist ein Sinnsucher und somit ist alles erlaubt, was diesen Sinn schafft.

Wir haben Wünsche, nicht nur im und für das Leben, unsere Wünsche sind über das Leben und seine Endlichkeit hinaus gerichtet. Wir wünschen uns leicht zu sterben, wenn es denn schon sein muss, wir wünschen uns einen sanften Tod, manche von uns wünschen sich den Eingang in den Himmel oder sie wünschen sich die Wiedergeburt und glauben daran. Eingang ins Himmelreich, Erlösung, damit tröstet wir uns, damit trösten wir Sterbende und Trauernde und jene, für die das Leben auf Erden kein Himmelreich ist oder war. Ich denke, ob Himmel oder Hölle, wir machen uns beides maßgeblich selbst und das zu Lebzeiten, das Schicksal einmal außen vor genommen. Aber auch hier können wir wählen, wie wir mit ihm umgehen.

Der Tod ist ein Dieb. Er raubt uns das Leben.
Der Tod ist grausam, wenn er ein Leben ohne Vorankündigung einfach auslöscht. Wenn es kein Abschiednehmen gibt für den Sterbenden und die, die ihn lieben, dann ist er grausam und unmenschlich. Wie kann etwas, das so unmenschlich ist zum Menschenleben gehören?, frage ich mich. Und weiß die Antwort längst: Jedes Ding, alles im Leben hat immer zwei Seiten. Das eine ohne das andere gibt es nicht. Und es gibt etwas, das größer ist als wir und das zeigt sich ganz groß am Ende. Es gibt keine Garantie für keinen von uns, dass er das Geschenk erhält sich vom Leben und seinen Lieben zu verabscheiden, bevor der Tod ihn holt. Es wäre barmherzig uns in Würde verabschieden zu dürfen, bevor wir unser Dasein beenden müssen, aber auch Barmherzigkeit ist kein verbrieftes Lebensrecht. Dieser Gedanke macht mich traurig.

Viele Menschen verdrängen den Gedanken an den Tod. Gut so, oder nicht gut. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Wer sich zuviel mit der Vergänglichkeit beschäftigt wird melancholisch, aber er lebt auch bewusster, denn er weiß um die Kostbarkeit jeden Moments.

Alle Rationalisierungsversuche der Philosophie ob der Endlichkeit menschlichen Seins münden in Fragen, behelfen sich von Platon bis Nietzsche mit dem Fazit: Man begebe sich in die Akzeptanz des Unvermeidlichen und gestalte ein Leben, das keinen Nachschlag verlangt, das ausgekostet wird bis zur Neige, dass die Zukunft überflüssig macht durch stete Intensivierung der Gegenwart. Ist das möglich? Es ist möglich, wenn alles stimmt, wenn wir glücklich und zufrieden sind, wenn wir lieben und geliebt werden und vom Leid verschont bleiben, könnte die Antwort sein. Aber in welchem Leben stimmt alles, und was ist stimmig? Und was ist ein gutes Leben?


Kürzlich las ich dieses Gedicht von Thomas Merton ...

Lange hatte es für mich so ausgesehen,
als ob mein Leben gleich anfangen würde -
mein wirkliches Leben.

Aber immer war noch irgend etwas im Wege:
Etwas, was ich erst noch kriegen müsste,
Zeit, die erst noch vergehen müsste,
eine Schuld, die erst noch abgetragen werden müsste.
Aber dann würde mein Leben beginnen.

Schließlich dämmerte mir,
dass diese Hindernisse
mein wirkliches Leben waren.

Es hat mich sehr berührt das zu lesen, denn für mich ist es wahr, so wie Merton es beschreibt.
Ich lebe ein Leben, das ohne die Idealisierung eines Paradieses oder einer Wiedergeburt auskommt,  ein Leben im Jetzt, das ich so gestalte, dass es mir Sinn gibt und Sinn macht, über das Eigene hinaus. Ein Leben mit Höhen und Tiefen. Ein volles Leben und nein, nicht immer bin ich mit dem was ist einverstanden, aber ich nehme was kommt und mache daraus was mir möglich ist, ich mache weiter bis zum Schluss. Und trotzdem fürchte ich den Tod, den meinen und den, derer, die ich liebe. Ich fürchte das Sterben, ich fürchte mich vor Schmerzen und ich fürchte mich davor, dass da keiner ist, der mir einen Abschied gibt in Liebe und ich fürchte mich davor gehen zu müssen, ohne bewusst und mit klarem Verstand einen Abschluss machen zu dürfen, für mich selbst und mit denen, die ich liebe. Ich will in Frieden gehen dürfen und das bedeutet für mich: Frieden machen mit dem, was mein Leben war und die Zeit dafür geschenkt bekommen. Wünsche eben.

Leben ist jetzt und Tod ist nicht leben.

Man stirbt wie man lebt, sagte einmal einer zu mir.  Ist das so? Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, das Sterben, der Tod haben mit Loslassen zu tun. Und ich weiß, wir lassen dann los, wenn wir mit dem was ist, wie es ist, einverstanden sind. Das ist eine lebenslange Übung und die wohl schwerste überhaupt: Zu akzeptieren was ist. Meine Mutter sagte einmal zu mir: "Schreibt auf meinen Grabstein: Hier ruht ein ungelebtes Leben." Das hat mich traurig gemacht als Kind. Ich habe es bis heute nicht vergessen, so wie ich meinen Tod nicht vergesse. Ich weiß, ich werde sterben, weil ich lebe. Ich habe mir selbst versprochen, in dieser resignierten Weise wie es meine Mutter tat, am Ende meines Lebens nicht fühlen zu müssen. Auf meinem Grabstein soll geschrieben stehen: Ich habe gelebt. Ich habe geliebt. Ich wurde geliebt. Ich habe mein Leben meinen Möglichkeiten und meinen Gaben entsprechend gestaltet, ich war mir seiner Kostbarkeit und seiner Einmaligkeit immer bewusst.

Jedes Ende ist der Anfang von Etwas. Ein ewiger Kreislauf. Was dieses Etwas danach ist will ich nicht wissen, denn es macht keinen Sinn zu spekulieren über etwas, für das es in diesem Leben keine Antwort gibt.

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