Sonntag, 19. April 2015
Regretting Motherhood oder warum Kinder als Schuldige für ein unerfülltes Leben herhalten müssen
Seit Tagen wird im Netz über eine Studie diskutiert, in der Frauen offen bekennen, ihre Mutterschaft zu bereuen. Der Anlass für die Diskussion ist die Studie einer jungen israelischen Soziologin, die 23 Mütter befragte, ob sie es bedauern ihre Kinder geboren zu haben.
Die Studie an sich ist fragwürdig, denn um ein eindeutiges Bild jener Frauen zu zeichnen, die ihre Mutterschaft bereuen, bedarf es weitaus mehr Profilen, um daraus einen fundierten soziologischen Erkenntniswert abzuleiten. Aber sie ist nicht umsonst, denn so einige jener Mütter, die es bereuen ihre Kinder in die Welt gesetzt zu haben, nehmen selbige nun als Unterstützung um ihr ungeliebtes Leben mit Kind zu verargumentieren, vor sich selbst und anderen.
Gut, es gibt diese Studie und es gibt diese Mütter. Auch ich habe den Beitrag dazu im Fernsehen gesehen( Link unter meinem Artikel). Das Ergebnis der Studie ergab: Einige der Mütter bekannten, wenn sie ehrlich seien, hätten sie ihre Kinder lieber niemals zur Welt gebracht. Die Begründung lautete: ihr Leben drehe sich fast ausschließlich um die Kinder und sie selbst und ihre Bedürfnisse blieben auf der Strecke. So weit so gut. Letzteres kennen alle Mütter: Hast du ein Kind, bist du nie mehr allein, denn auch wenn es längst erwachsen ist - es ist in deinem Herzen und in deinem Kopf. Den Wunsch, das Kind lieber nicht zur Welt gebracht zu haben, kennen weniger Mütter.
Was sind das für Mütter, die so etwas behaupten?
Wir erfahren in den Berichten der Medien nichts über die Lebensumstände, psychologische, soziale und familiäre Hintergründe oder über die dazugehörigen Väter, weder sonst etwas, das ein klares Profil der interviewten Frauen zeichnet, aber - die Welt hat ein neues Modewort: "Regretting Motherhood", genauer: Regretting Motherhood - A Sociopolitical Analysis über das Bedauern, Mutter geworden zu sein.
In den sozialen Netzwerken gab es dafür jede Menge Beifall: Ein längst überfälliger Tabubruch, mutig, ehrlich, dass sich endlich mal ein paar Mütter trauen zuzugeben, dass sie keinen Bock auf ihre Kinder haben. Anonym allerdings die Meisten, so weit her ist es also nicht mit dem Mut zur Wahrhaftigkeit, muss die regretting mother doch nicht einmal Gesicht zeigen.
Es ist ja auch nicht leicht, den eigenen Kindern postnatal ihre Existenz im mütterlichen Leben als Vorwurf hinzuschmettern. Dazu gehört nicht allein Mut, sondern vor allem eine gehörige Portion an emotionaler Kälte, wie wir sie von der narzisstischen Persönlichkeit und anderen Persönlichkeitsstörungen her kennen. Ich bete zu Gott, dass die Kinder dieser Frauen niemals hören, was ihre Mütter über ihre Existenz auf dieser Erde sagen, wobei, ich bin mir sicher, sie spüren es alle, dass sie nicht gewünscht sind, dass sie lieber nicht da sein sollen, dass sie besser nicht leben sollten, damit es Mama besser geht.
Ich kenne das und daher triggert mich das. Ich selbst bin bei einer solchen Mutter Kind gewesen. Einer Mutter, die mir schon als Kleinkind ihr ungelebtes Leben vorwarf, an dem meine Existenz die Schuld trug, eine Mutter, die mir entgegenschrie, wenn du nicht wärst, wäre mein Leben anders verlaufen, ich wäre glücklich geworden. Damals hat mich das in eine tiefe Ohnmacht versetzt und mir eine Schuld auf die Schultern gelegt, an der ich mich bis ins höhere Alter abgearbeitet habe, bis ich begriff, wie tief verletzt meine Mutter doch gewesen sein muss, wie hilflos und ohnmächtig, um so zu fühlen. Ich begriff, wie unreif und unbewusst die Frau war, die mich nur geboren hatte, weil sie ohne Kondom gevögelt hatte und den Mut nicht aufbrachte mich abzutreiben. Eine kurze Freude und ich, das lange Leid. Ich bekenne, es schmerzt mich noch heute, denn zu allem Übel hat mich meine regretting mother, als ich eine Frau war und selbst Mutter, aus ihrem Leben entfernt, indem sie mir sagte: Für mich bist du gestorben. Getroffen hat mich das nicht mehr, denn ich wusste, in Wahrheit war ich für sie schon immer tot, am Liebsten jedenfalls. Sie hätte Hilfe gebraucht, aber damals sah sie das anders.
Was ist mit den Kindern?
Die Kinder dieser Mütter, die behaupten, wenn ich heute noch einmal entscheiden könnte, hätte ich keine Kinder, sind in vielen Fällen Kinder wie ich eines war: Kinder, denen man auf irgendeine Art und Weise vermittelt, sie hätten das Leben an sich nicht verdient. In meiner Praxis arbeite ich mit Menschen, die genau dieses Lebensgefühl vermittelt bekamen, manche offen, andere auf eine subtilere Weise. Alle tragen das Gefühl: "Ich habe es nicht verdient zu leben", mit sich herum, wie eine erdrückende Last, die sie an ihrer Lebensbejahung und ihrer Selbstentfaltung hindert.
Die gefühlte und erlebte Erfahrung als Kind das Leben der Mutter versaut zu haben, ist eine tief introjizierte Überzeugung, die die Selbstliebe und das Selbstwertgefühl eines Menschen schwer beeinträchtigt. Sie lautet: Ich bin nicht liebenswert und nicht wertvoll. Diese Menschen sind traumatisiert.
Die Argumente der bedauernden Mütter klingen so: Ich bereue nicht mein Kind. Ich bereue meine Mutterschaft. Ich bin unfrei. Ich fühle mich gefangen in diesem Käfig namens Mutterschaft, der sicherlich noch 15 Jahre anhält.
Im Käfig sitzt nur der, der aufgrund eigener kindlicher Traumata oder destruktiver Programmierungen darin gelandet ist, dessen inneres Kind verletzt und ungeliebt ist. Dieses verletzte, ohnmächtige, eingeschlossene Kind bleibt im eigenen Seelenhaus sitzen, auch wenn es selbst Mutter wird. Aber für manche dieser nie erwachsen gewordenen weiblichen Kinder, ist es ist einfacher mit dem Finger auf die scheinbar Schuldigen, in diesem Falle die eigenen Kinder, zu zeigen, als sich im eigenen emotionalen Käfig umzublicken und zwar direkt in den Keller der eigenen Psyche, denn genau da haust das, was Menschen in den Käfig bringt.
Was ist eigentlich das Problem?
Frauen die ihre Mutterschaft als Käfig empfinden, haben in der Tat ein Problem und meist nicht nur eins. Aber eins ist sicher, verantwortlich für das innere Gefängnis, das sie in Unkenntnis der eigenen Psyche auf ihre Mutterschaft und die Kinder projizieren, sind nicht ihre Kinder, sondern die eigene Kindheit, die unverarbeitet ist.
Die ganze Verantwortung hat mich so übermannt. Ich kann keine Entscheidungen mehr ohne Hintergedanken treffen, so ein Statement einer Regretting Mother.
Konnten sie denn vorher Entscheidungen treffen?, wäre die Frage, die ich stellen würde und ich bin mir sicher, die Antwort wäre kein eindeutiges: Ja. Diese Frauen haben ein Problem mit Verantwortung, weil sie die Verantwortung für ihr eigenes Leben niemals übernommen haben oder es aufgrund der eigenen Biografie nicht konnten. Soll ich sie jetzt bedauern? Ich kann ihr Leid mitfühlen, wenn ich sie mir als Kinder vorstelle, ich kann es aber nicht als Rechtfertigung dafür akzeptieren, dass sie es deshalb mit den eigenen Kindern genauso machen, wie man es mit ihnen gemacht hat. Eine beschissene Kindheit ist keine Rechtfertigung dafür ein verantwortungsloser Erwachsener zu sein und es zu bleiben.
Natürlich würden sie ihre Kinder lieben, das stehe außer außer Frage, so die Frauen in der Studie, dennoch hätten sie sie lieber nicht bekommen.
Ist das wahr?
Das ist eine Paradoxie: Wer sein Kind liebt, wünscht sich nicht, es sei nie geboren worden. Wer so etwas sagt, hat keinen Begriff von Liebe, denn Liebe will nicht zerstören und auch nicht im Nachhinein einem geliebten Wesen das Leben absprechen.
Es ist tragisch was in diesen Frauen vor sich geht. Ich würde jeder Einzelnen von ihnen gerne ans Herz liegen eine Therapie zu beginnen, anstatt ihre Kinder psychisch zu schädigen, aber wie so oft im Leben werden aus Opfern, die in der Opferrolle stecken bleiben, TäterInnen, nicht selten sogar TäterInnen am eigenen Fleich und Blut, wenn eine Einsicht fehlt.
Hätte ich die Kinder nicht gehabt, wäre mein Leben besser gewesen, so eine Mutter.
Hätte, wäre? Ist das wirklich wahr?
Oder ist es die Rechtfertigung für die eigene Unfähigkeit seine Entscheidungen nicht so treffen zu können, das sie den eigenen Bedürfnissen entsprechen? So sprechen Menschen, die der Opferrolle verhaftet sind, die andere für ihre Handlungen und Gefühle verantwortlich machen, für all das, was ihnen fehlt um das eigene Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten.
Es fehlt: Eigenverantwortung. Es fehlt die Einsicht, dass jedes "hätte" beinhaltet: ich habe nicht.
Und zwar - weil ich es nicht konnte. Dafür kann niemand etwas, wir können nicht immer können, was wir wollen. Das ist in Ordnung, wenn wir akzeptieren, dass wir eben nur Menschen sind und nicht alles können müssen. Aber kann es sein, dass für ein Nichtkönnen ein Kind die Schuld tragen muss? Es ist möglich, diese Studie zeigt es uns.
Ich bin selbst Mutter. Ich habe meinem Sohn das Leben geschenkt und ja, ich habe manchaml gedacht, ich könnte ihn an die Wand klatschen.
Ich habe es gedacht, wenn er mir als Baby den Schlaf geraubt hat, wenn er als Kleinkind die Luft angehalten hat bis er blau anlief, wenn er seinen Willen durchsetzen wollte, wenn ich nicht zur Arbeit konnte oder die ganze Zeit auf der Arbeit ein schlechtes Gewissen hatte, weil er einen Auftstand gemacht hat, weil er nicht bei der Tagesmutter sein wollte, oder wenn er mal wieder so radikal gegen das war, was ich mir für ihn gewünscht habe und lieber in die Scheiße gegriffen hat, anstatt auf mich zu hören. Ich habe meinen Sohn aber keinen einzigen Tag aus meinem Leben weggewünscht, egal welchen Kummer er sich selbst und mir bereitet hat. Mein Kind hat mich nicht gebeten auf die Welt kommen zu dürfen, ich habe es eingeladen, indem ich mich für sein Leben entschieden habe. Ich bin dankbar für jeden einzelnen Tag in dem mein Sohn in meinem Leben ist, auch wenn wir es nicht immer leicht miteinander hatten. Ich war oft verzweifelt und ich kenne die Überlastung, die Verzweiflung, das Zurückstellen meiner Bedürfnisse und die Schuldgefühle keine gute Mutter gewesen zu sein, aber das ist allein meine Verantwortung und nicht die Schuld oder die Verantwortung meines Sohnes. Ich bin verantwortlich für meine Gefühle und nicht mein Kind. Ich habe mit meinem Kind, als alleinerziehende Mutter, Karriere gemacht, ich war Fernsehmoderatorin und habe Bücher geschrieben, ich habe gemalt und niemals hatte ich das Gefühl, es geht nicht, weil mein Kind da ist.
Was sind das für Mütter, die sich selbst verwirklichen wollen und sich von dem kleinen Menschen, den sie geboren haben, gehindert fühlen?
Ich kenne viele Mütter, die sich mit Kind und sogar mit mehr als einem Kind selbst verwirklicht haben, die Geschichte ist voll von erfolgreicher Frauen, die Mütter waren und Mütter sind. Was zeigt uns das? Es sind nicht die Kinder, die Frauen an ihrer Selbstverwirklichung hindern, sondern sie sind es selbst.
Was da in den Medien unter dem Motto "Regeretting Motherhood" hochgejazzt wird, ist ein weiterer sichtbarer Auswuchs einer zunehmend narzisstischer werdenden Gesellschaft, in der der Mensch erschöpft und zermürbt von sich selbst, andere für seinen Mangel an Lebensglück verantwortlich macht.
Der Mensch der Moderne ist erschöpft vom Drang nach Selbstverwirklichung und dem gücklichen und sorglosen Leben, das ihm die Medien vorgaukeln. Immer mehr, immer besser, immer glücklicher! Sei du selbst! In einer Welt, in der uns alles als möglich und machbar verkauft wird, in einer Welt, die die Illusion erschafft, draußen wartet irgendwo das absolute Glück, wächst die Angst, sich mit dem zufriedenzugeben was da ist. In einer Welt, die alle Hindernisse wegräumt, die sich ihrer gnadenlosen Gier nach dem guten Leben in den Weg stellt, wächst das Ego, das immer mehr will und immer mehr nicht will und wenn es die eigenen Kinder sind, die man nicht mehr will.
Das Drama allerdings ist, die meisten von denen, die all das glauben, stecken im Ego fest wie diese Mütter, sie wissen gar nicht wer sie sind und sie sind sich ihrer wahren Fähigkeiten und auch ihrer eigenen Begrenzheit nicht bewusst. Aber anstatt Eigenverantwortung zu übernehmen und herauszufinden, was ihnen möglich ist und was nicht, suchen sie die Schuld für ihr ungelebtes Leben im Außen. Und wenn nichts anderes als Grund für das eigene Dilemma herhält, werden die eigenen Kinder schuldig gesprochen, wenns mit der Selbstverwirklichung nicht so klappt, wie Mutter es gern hätte.
P.S. Und ja, hier muss ich bewerten.
Ich kann es vor mir selbst und dem Schöpfer verantworten, dass ich es in diesem Fall tue.
http://www.heute.de/frauen-diskutieren-die-mutterrolle-und-stellen-in-frage-ob-es-richtig-war-mutter-zu-serden-regrettingmotherhood-38021100.html
Danke! Ein wirklich ausgezeichneter Beitrag zu diesem Thema. Es ist doch immer das Gleiche: Wenn in unserem Leben etwas schief läuft, suchen wir einen Schuldigen. Manchmal ist es die Gesellschaft, manchmal der Partner, aber nur allzu oft die eigenen Kinder. Gerade die, die sich nicht wehren können.
AntwortenLöschenDanke für Deine Wertschätzung, Frederike
AntwortenLöschenHerzlich,
Angelika
Endlich mal ein Beitrag zu dem Thema der mir gefällt, der nicht einfach nur zustimmt und auch die Sicht der Kinder nicht zu kurz kommt. Danke dafür
AntwortenLöschendanke!
AntwortenLöschenVielen Dank für diesen Beitrag.
AntwortenLöschenIch habe vorhin das erste Mal von regretting motherhood gelesen, inkl. der Kommentare der Leser und habe geglaubt die ganze Welt sei verrückt geworden.
Als alleinerziehende Mama einer willensstarken 3 jährigen Tochter weiß ich, wie es ist am Rande der Verzweiflung zu stehen. Aber nie, nicht eine Sekunde habe ich mir gewünscht, dass es meine kleine Terrorelfe nicht gäbe.
Allein der Gedanke daran treibt mir Tränen in die Augen. Mein Vater war selbst ein ungeliebtes, unerwünschtes Kind und hat es mit seinen 50 Jahren noch immer nicht wirklich verarbeitet. Was früher vermutlich als "krank" bezeichnet wurde, ist heute also normal. Traurige Welt, arme, traurige Kinder.
traurige welt. ja.
AntwortenLöschenaber wir, die das sehen, haben die möglichkeit etwas in unserer kleinen welt zu verändern.
danke für deine wertschätzung!