Zeichnung: A. Wende
Stell
dir Folgendes vor: Du stehst vor dem Spiegel und betrachtest dich. Im ersten
Moment bist du mit deinem Spiegelbild ganz zufrieden. Je länger und genauer du
aber das Bild im Spiegel anschaust, desto unzufriedener wirst du: Du siehst
deine Falten, du findest dich zu dick, zu dünn, usw.
Und wieder einmal beschließt du, weniger
und zu essen, nicht mehr zu rauchen oder Sport zu treiben. Es gefällt dir ganz
und gar nicht, was dich da anblickt, aber du beschimpfst oder zerschlägst den
Spiegel nicht. Es sei denn in einem Wutanfall. Das soll es schon gegeben haben. In der Regel aber tust du das nicht.
Denn der Spiegel zeigt dir ja nichts außer einem Bild deiner selbst, genauer:
ein Abbild deines Körpers, für dessen
Aussehen der Spiegel nicht verantwortlich ist. Du weißt das und du kannst
akzeptieren, dass das Spiegelbild eine Reflektion deines Körpers ist. Du identifiziert dich mit dem, was dir
der Spiegel zeigt.
Mit den Spiegeln im Außen
fällt uns das viel schwerer – obwohl wir immer von ihnen umgeben sind! Wir sehen
sie tagtäglich, aber wir erkennen sie nicht als Spiegel.
Dabei
sagen uns die Menschen und Situationen die uns begegnen und wie sie uns begegnen viel über uns selbst.
Es sind Spiegel, die uns auf unser eigenes Inneres verweisen. Meistens
kommen wir aber gar nicht auf die Idee, dass unsere Umwelt uns etwas spiegelt,
das in uns selbst liegt. Z.B. Eine Eigenschaft, die wir an uns selbst nicht sehen können oder sehen wollen; ein Zuviel oder ein Zuwenig von etwas, das uns (noch) nicht bewusst
ist; einen Konflikt, der uns Angst macht oder etwas Ungelebtes, das verdrängt
wird.
Der
Psychologe Thorwald Dethlefsen nennt das as wir nicht bewusst in und erkennen – in Anlehnung an die Erkenntnisse
des Psychoanalytikers Carl Gustav – den „Schatten“:
„All das, was wir nicht sein wollen, was wir in uns nicht vorfinden wollen, was wir nicht
leben wollen, was wir nicht in unsere
Identifikation hereinlassen wollen, bildet unseren Schatten. Die abgelehnten
Wirklichkeitsbereiche zwingen den Menschen dazu, sich mit ihnen besonders
intensiv zu beschäftigen. Dies geschieht meistens über den Umweg der
Projektion. Projektion
bedeutet, dass wir aus der einen Hälfte der Prinzipien ein Außen machen, weil wir sie als Innen
nicht akzeptieren wollen. Die Umwelt verhält sich wie ein Spiegel, in dem wir
immer nur uns selbst sehen, allerdings auch und besonders unseren Schatten, für
den wir bei uns selbst blind sind. Die
Spiegelung nützt aber nur dem etwas, der sich auch in dem Spiegel erkennt –
ansonsten wird sie zur Illusion.“
Für unsere Selbsterkenntnis ist es hilfreich,
sich solche „blinde Flecken“ mit Hilfe der Spiegel bewusst zu machen - mit dem
Ziel die Schatten in sich uns zu erkennen und sie zu akzeptieren und schließlich zu integrieren. Das macht Sinn, denn wenn wir Teile unserer Selbst ablehnen, lehnen wir uns in unserer
Ganzheit ab. Das ist wie mit einem Kuchen, bei dem uns eine Zutat nicht
schmeckt, dann schmeckt der ganze Kuchen nicht. Wir essen vielleicht ein Stück,
aber der volle Genuss fehlt. Und wir sind unbefriedigt.
Wenn es uns gelingt, uns selbst anzunehmen wie wir sind,
wirkt sich das nicht nur auf unser Seelenheil, sondern auch auf unsere gesamte Umwelt
heilsam aus.Wir kommen mit uns selbst besser klar und damit auch mit anderen Menschen. Wir ruhen in uns selbst und haben einen entsapnnten Umgang mit anderen. Im besten Falle sind wir unser bester Freund und haben freundliche, friedliche Beziehungen.
Viele Menschen wollen das nicht wahr haben. Was,die Spiegel im Außen? Die haben doch mit mir nichts zu tun!
Ist das wirklich wahr?
Ein
Beispiel: Du bist sauer über die Aufdringlichkeit eines Menschen, bzw. du bewertest dessen Verhalten als Aufdringlichkeit
und regst dich darüber auf. Warum? Weil du dich damit nicht identifizieren kannst. Dafür gibt es verschiedene Gründe:
Entweder willst du die Aufdringlichkeit an dir selbst nicht sehen, oder du lebst diesen inneren Anteil nicht aus - im Sinn von "dich durchsetzen", deine Wünsche und Bedürfnisse artikulieren und sie durchsetzen. Könntest du das würde die Aufdringlichkeit des anderen dich nicht aufregen. Vielleicht würdest du ihn auch
gar nicht als aufdringlich empfinden.
Warum aber regt es dich so auf?
Die Spiegel verweisen dich auf Unbewusstes und Verdrängtes.
Möglich
ist: Du verhälst dich oft selbst genauso, willst das aber nicht wahrhaben, weil
du es als „schlecht“ oder als „falsch“ bewertest. Die aufdringliche Person
führt dir also dein eigenes Verhalten vor Augen – und darüber kannst du dich,
wenn du dir dessen nicht bewusst bist, was da gerade passiert, so lange ärgern,
bis du vor Wut am Platzen bist, oder einen Teil von dir selbst darin erkennen
und das akzeptieren. Letzteres ist heilsam.
Der Spiegel will dich nämlich nicht beschämen öder ärgern, sondern er will dir
die Chance geben, deine Selbstwahrnehmung zu überprüfen um so ein
vollständigeres Bewusstsein für dich selbst zu entwickeln und zwar – indem du zum
Beoachter deiner Selbst wirst.
Es
geht nicht darum, sich zu verbiegen, sondern darum, sich einzulassen, auf das, was uns missfällt oder bei anderen nervt und dadurch die Chance zu nutzen Dinge, Menschen
und uns selbst in dem, was wir auch sind kennen zu lernen.
Unsere Umgebung spiegelt uns nichts anderes als unsere unbewussten Persönlichkeitsanteile, um sie uns bewusst zu machen.
So lange du dir beispielsweise deine verdrängte Wut nicht eingestehst, wirst du es garantiert immer wieder mit Leuten zu tun haben, die deine verkapselte Wut provozieren, und du wirst dich immer wieder über diese Leute ärgern und noch mehr Wut in dir anstauen.
Unsere Umgebung spiegelt uns nichts anderes als unsere unbewussten Persönlichkeitsanteile, um sie uns bewusst zu machen.
So lange du dir beispielsweise deine verdrängte Wut nicht eingestehst, wirst du es garantiert immer wieder mit Leuten zu tun haben, die deine verkapselte Wut provozieren, und du wirst dich immer wieder über diese Leute ärgern und noch mehr Wut in dir anstauen.
Herrmann Hesse sagte einmal: „Das was wir am anderen am meisten
hassen, hassen wir an uns selbst.“ Er hat Recht, sagt meine Erfahrung.
Die
Spiegelung ungelebter oder abgelehnter Strukturen. Ein
Beispiel: Du wünschst dir selbst schon lange mehr Eigeninitiative um dich für
das einzusetzen, was dir sehr am Herzen liegt, traust dich sich aber nicht und beneidest den selbstsicheren Zeitgenossen um seinen Mut und seine forsche Durchsetzungskraft. Du findest ihn
narzisstisch oder selbstherrlich oder sogar dreist. Sobald du dir aber dessen
bewusst bist, dass er genau das tut, was du dir nicht erlaubst, gibt es keinen
Grund mehr, dich über diese Person zu ärgern. Du bist dir nämlich bewusst, dass
das Thema etwas mit dir selbst zu tun hat, und vielleicht motiviert dich dieses
Bewusstsein jetzt sogar dazu, Eigeninitiative zu entwickeln. Nach dem Motto: Toll,
was der kann, das kann ich auch.
In
diesem Fall spiegelt dir der Andere etwas, das du selbst nicht leben kannst – also
etwas Ungelebtes. Ungelebt bedeutet: Von uns nicht verwirklicht, verdrängt oder
abgelehnt.
Der Sinn der Spiegelungen besteht darin, sich mit dem
betreffenden inneren Teil auszusöhnen. Dies geschieht entweder dadurch, dass
wir es selbst verwirklichen, das heißt in diesem Fall – versuchen mehr Eigeninitiative zu entwickeln,
oder dadurch, dass wir akzeptieren, dass wir selbst eben wenig Eigeninitiative
besitzen. Nobody is perfect. Das ist okay.
Das
Verachten des Anderen ist für manche eine einfache Lösung, aber es ist insofern
keine Lösung, als es das Thema lediglich kurzfristig beseitigt – und uns das Leben dann
schon bald den Nächsten vor
die Nase setzt, der uns exakt das gleiche Thema in neuer Gestalt präsentiert. Ein anderes Beispiel: Du regst dich über jemanden auf, der dich beharrlich ignoriert. Obwohl er dich
kennt, tut er so, als wärst du nicht existent und wenn er sich
überhaupt mal dazu herab lässt und mit dir spricht, benimmt er sich überheblich.
Was für ein arroganter Mensch aber auch! Ist das wirklich wahr? Wärst
mit dem Thema Selbstbewusstsein
ausgesöhnt, würdest du diese „Arroganz“ auch bemerken, dich aber nicht zurückgewiesen
fühlen und dich aus dem Gefühl des Verletztseins maßlos über diesen Menschen ärgern. Du
könntest ganz entspannt und gelassen den anderen so sein lassen, wie er ist.
Wenn dir die Arroganz aber zu schaffen macht, zeigt dir das ein Thema, das in
dir selbst rumort. Entweder spiegelt der andere dir eine unbewusste Eigenschaft – die eigene Arroganz,
oder er spiegelt dir etwas Ungelebtes – nämlich Unsicherheit und ein Gefühl von Wertlosigkeit.
Jedes
Mal, wenn uns ein solcher Spiegel begegnet, könnten wir uns also fragen: Gibt
es da einen Teil in mir, der sich innerlich über andere Menschen erhebt?
Neige
ich zu sichtbarer oder unsichtbarer Überheblichkeit? Bin ich etwa selbst
arrogant? Oder: Habe ich genug Selbstwertgefühl? Halte ich mich für benachteiligt?
Glaube ich von mir selbst ich bin nicht wertvoll, nicht gut genug, nicht perfekt genug?
Die
ehrliche Beantwortung solcher Fragen, und ich gebe zu, dazu muss man den inneren
Schweinehund überwinden, kann uns bereits zu den eigentlichen Wurzeln des Problems
führen, dass dann rein gar nichts mehr mit der anderen Person zu tun hat.
Immer
wenn wir mit extremen Verhaltensweisen
anderer konfrontiert werden, die wir unmöglich akzeptieren können, dann hilft es zu bedenken:
Übertreiben macht anschaulich. Alles was uns extrem angreift, lenkt unsere Aufmerksamkeit
auf etwas, das wir in uns selbst anschauen
sollten.
Jedem Extrem liegt ein neutrales Grundprinzip zu Grunde, und es geht
immer nur darum, dieses Grundprinzip zu erkennen, anzunehmen oder auszuleben, und
zwar eben nicht das Extrem, sondern das, was als gesundes Prinzip darin verborgen liegt.
Hier
einige Beispiele für Extreme und ihre Grundprinzipien:
Aufdringlichkeit versus Durchsetzung
Arroganz versus Selbstbewusstsein
Wut versus gesunde Aggression
Faulheit versus Ruhe
Schüchternheit versus Selbstbewusstsein
Zurückweisung versus Zugewandtheit
Mit
bewusster Übung können wir also für jedes Extrem das entsprechende Grundprinzip
finden, das es zu entwickeln gilt. Unser Alltag hat viele Lerngeschenke für uns, wenn
wir sie als solche begreifen.
Ein ständig nörgelnder Chef beispielsweise gibt uns die Gelegenheit, unsere Verhältnis zu Kritik zu hinterfragen: Bin ich kritikfähig oder nagt schon die sachlichste Kritik an meinem Selbstwertgefühl? Traue ich mich selbst nicht Kritik zu äußern? Nörgle ich selbst an vielem herum?
Ein ständig nörgelnder Chef beispielsweise gibt uns die Gelegenheit, unsere Verhältnis zu Kritik zu hinterfragen: Bin ich kritikfähig oder nagt schon die sachlichste Kritik an meinem Selbstwertgefühl? Traue ich mich selbst nicht Kritik zu äußern? Nörgle ich selbst an vielem herum?
Das
Hinterfragen lässt sich generell auf jede Eigenschaft anwenden, mit der wir
„auf Kriegsfuß“ stehen. Die Suche nach den Grundprinzipien kann
uns zu tiefen Einsichten über uns selbst führen. Meistens gehen wir aber nicht
so bewusst durchs Leben. Wir versäumen unendlich viele Chancen uns zu
entwickeln und unser Leben aktiver und lebenswerter zu gestalten.
Der Spiegel unseres Inneren –
unsere Außenwelt – weist uns tagtäglich den Weg dorthin. Er führt uns unsere
Stärken und unsere vermeintlichen Schwächen vor Augen. Er bringt Licht in unser Dunkel und
holt die Schatten aus der Tiefe unseres Unbewussten, nicht, um uns klein zu machen,
sondern um uns zu zeigen, was für unsere persönliche Entwicklung hilfreich und
wertvoll ist. Damit es uns besser geht.
Solange wir aber an den
Spiegelbildern herummeckern und uns ärgern, anstatt in ihnen Anteile von uns
selbst zu erkennen, verändert sich nichts, weder Innen noch Außen. Es ist, als bemalten wir einen
Spiegel, um unseren Körper zu verschönern – obwohl wir uns eigentlich um ihn kümmern
müssten und zwar indem wir gut für uns sorgen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen