Mittwoch, 31. Dezember 2014
Zeit und Raum
zeit ist
über die zeit hinaus denken macht eng
zeit ist jetzt
unabhängig vom zeitdenken bewege ich mich in der weite des raumes
der raum ist die summe meiner möglichkeiten
jetzt.
ich wünsche all meinen lesern einen wunderbaren raum der möglichkeiten jeden moment in der zeit!
danke für eure wertschätzung!
angelika
Dienstag, 30. Dezember 2014
Schreiben für mich allein
tagebuch schreiben, das bedeutet für mich schreiben, ganz allein für mich. virginia woolf sagte einmal sinngemäß, jeder mensch braucht ein zimmer für sich allein. dieses zimmer, diesen zutiefst privaten raum, betrete ich, wenn ich in mein tagebuch schreibe. hier kann ich ganz ich selbst sein, hier kann ich alles tun und lassen, was ich will, hier hat niemand, aber auch niemand zutritt. ich schlage eine leere seite auf und vor mir liegt ein unendlicher raum für meine gedanken und meine gefühle, die ich niemanden anvertrauen kann oder will. hier kann ich dampf ablassen, wenn ich verletzt und wütend bin, hier kann ich klein und groß sein, hier kann ich so frei, so kleinkariert, so ängstlich, so schwach, so stark, so mutig, so doof, so kindisch, so traurig, so froh sein, wie ich mich gerade fühle. dieser raum ist ein sicherer ort, ein ort an dem ich alles loswerden kann, was mich belastet. hier gibt es keine beschränkung, hier darf alles sein, hier darf ich sein. hier findet mein herz einen platz an dem es sich ausschütten kann ohne erwartungen von nichts und niemanden, nicht einmal von mir selbst. hier ist platz für meine tiefsten befindlichkeiten, die ich frei und unzensiert niederschreiben kann. heute morgen habe ich gespürt, wie sehr ich diesen platz vermisse und er mich. es ist gut, ihn wieder gefunden zu haben. wie konnte ich ihn nur so lange unbesucht lassen, dachte ich, als ich alles niedergeschrieben hatte, was mir nach dem aufstehen im kopf herumging. es tut gut, zu wissen, dass ich dieses ritual jetzt wieder aufnehme, jeden morgen, um die beziehung zu mir selbst zu pflegen.
ich erinnere mich an die zeit, als ich sehr allein war. in dieser zeit war mein morgendliches tagbuchschreiben, das was mir kraft gab und mich durch schwere zeiten begleitete. ich konnte über meine sorgen sprechen und die antworten kamen. sie flossen aus der hand, mit der tinte auf das papier und nahmen gestalt an, sie gaben mir schutz und sie gaben mir die zuversicht, die ich brauchte um weiter zu gehen. das tagebuch half mir, als ich an wendepunkten meines lebens stand und immer war es geduldiger als ich. auch das ist es, was es so kostbar macht, seine geduld und seine gutmütige duldsamkeit. schreibend lernte ich den dingen ihre zeit zu geben.
etwas handschriftlich niederschreiben ist in einer zeit, die süchtig nach schnelligkeit ist, eine wunderbare übung der langsamkeit. wenn ich mit der hand schreibe, ist es wie eine meditation. es erdet mich und ich lasse fließen, was in mir ist, beobachte ohne zu bewerten, was ist. ich werde ruhiger und ich werde milder mir selbst gegenüber und das beste - ich baue morgen für morgen eine immer intimere und vertrautere beziehung zu mir selbst auf. das ist gut, denn oft genug komme ich mir abhanden in der schnelligkeit da draußen, den menschen, die mich beschäftigen, der familie, die mich in beschlag nimmt. jeder will und jeder erwartet und ich erfülle und achte darauf, dass es den anderen gut geht und wie schnell gehe ich mir dabei verloren und werde mir fremd, überladen von all dem fremden, das in mein eigenes dringt. das tagebuch rückt mich zu mir selbst wie nichts anderes. das ist heilsam und weil es das ist, empfehle ich es meinen klienten. jene, die meiner empfehlung folgen, lernen es zu schätzen, denn mit der zeit hilft es ihnen zu ihren tieferen schichten vorzudringen und sich so besser zu verstehen und anzunehmen.
tagbuch schreiben bringt nicht zuletzt klarheit und es hilft proritäten zu setzen. es entschleunigt das leben und nordet ein, da wo ich mich selbst nicht mehr einnorden kann. es zeigt mir, was wirklich in mir vorgeht, wenn alle masken abfallen, wenn alle rollen ungespielt bleiben und die worte ohne vorsicht in aller wahrhaftigkeit und völlig schamlos meinem innersten entgleiten dürfen. die seiten hören mir still und achtsam zu wie kein mensch es vermag, sie tragen einen gedanken immer wieder vor, sie helfen mir bis in den letzen winkel meines lebens vorzudringen, bis auch er meine ganze aufmerksamkeit hat. dann stelle ich fest, was ich ändern muss, was sich gut anfühlt und was sich nicht mehr gut anfühlt und vor allem, wofür es zeit ist, es in die tat umzusetzen. die seiten wissen wann ich feststecke und sie entwirren so manchen knoten in meinem leben. in der stille des schreibens mit der hand fließt das leben nicht mehr an mir vorbei, es fließt durch die seiten zu mir zurück bis ich wieder erkenne, was im lauten des alltags untergeht. es bewahrt mich davor im außen unterzugehen. es ist mein rettungsring im meer der fremdbestimmung, der mich herauszieht und im zweifel vor dem ertrinken rettet. all das und viel mehr lebt in diesem schreiben. und weil es darin lebt, werden die schreibenden lebendiger, je konsequenter sie dieses ritual vollführen. ich werde dieses ritual nicht mehr lassen, auch weil ich weiß, dass in den ersten minuten nach dem aufwachen der zeitraum des tages ist, indem die verteidigungsmechanismen des egos nicht aktiv sind und wir den impulsen, die aus dem unterbewusstsein hochsteigen, so nah sind wie in keiner anderen stunde des tages. wir menschen sind am wachsten in dieser zeit und damit aufmerksam für die botschaften aus der tiefe unseres unterbewusstseins die gehört werden wollen.
Montag, 29. Dezember 2014
Sonntag, 28. Dezember 2014
Sehnsucht
soll ich oder soll ich nicht, frage ich mich gerade. soll ich mir die mühe machen und dieses alte jahr, das sich in wenigen tagen dem ende zuneigt, revue passieren lassen, noch einmal zurück in die gegenwart holen, was passiert ist? nein, ich will nicht. ich will auf das blicken, was nicht passiert ist.
das ist eine herausforderung und irgendwie gar nicht so einfach, denn dann muss ich auf meine wünsche schauen und auf meine bedürfnisse und zwar auf die, die sich nicht erfüllt haben, eben auf das, was nicht passiert ist und hätte passieren können, hätte ich so vieles andere nicht passieren lassen und meine wünsche und bedürfnisse aufmerksamer betrachtet, als ich es tat. davon abgesehen, das leben passiert, auch ohne mein zutun, mein wünschen und meine bedürfnisse. aber dennoch, es ist nicht so, es ist nicht nur so, denn bei allem, was passiert, ohne meinen einfluss, habe ich doch die möglichkeit mein leben zu gestalten und damit habe ich einfluss auf so manches, was passiert. habe ich ihn genutzt, habe ich das gestaltet, was ich gestalten will, habe ich getan, was wichtig ist und wertvoll für mich und die, die mich begleiten und die ich begleiten darf? ich habe vieles gestaltet und vieles einfach passieren lassen. vielleicht ist das gar nicht so schlecht oder sogar klug, denn wer bin ich denn, alles gestalten zu wollen nach meinem bilde, das ich mir mache, von meinem kleinen leben. das leben macht, was es will, das hat es mir allzuoft bewiesen und ich habe mich gefügt und versucht in allem das gute zu finden, auch wenn es mir nicht gefallen hat, immer mit dem gedanken, du kannst nicht bekommen, was du dir wünscht, aber das göttliche prinzip weiß, was du brauchst.
doch heute an diesem verschneiten sonntagmorgen, kurz bevor das jahr sich dem ende zuneigt, spüre ich eine große sehnsucht in mir, die ich nicht benennen kann. und wenn ich tief in mich hinein blicke, sind da zwei sehnsüchte in mir, der einen folge ich, indem ich tue, was ich liebe und der anderen, der namenlosen, folge ich nicht, weil ich sie eben noch nicht greifen kann. dennoch ist sie da, die namenlose, in mir und sie brennt wie eine kleine flamme, aus der ein helles feuer werden kann, irgendwann, wenn ich ihren namen kenne. das unbestimmte, das namenlose, das in dieser sehnsucht verborgen liegt, ist nicht passiert, und vielleicht ist es gott sei dank nicht passiert, sonst wäre vielleicht etwas passiert, was dieses alte jahr zu etwas anderem gemacht hätte, als es für mich war, nämlich ein gutes jahr.
also bleibe ich weiter eine schülerin und spreche eines der kraftvollsten mantren: "ich weiß es - noch - nicht." aber ich weiß, schon hinter der der nächsten wegbiegung kann sich der name meiner sehnsucht zu erkennen geben.
Samstag, 27. Dezember 2014
für das all ein sein
wir alle sind im innersten allein. wenn wir das nicht als schlecht bewerten, ist das der beginn der wichtigsten erkenntnis des lebens überhaupt und die basis von der aus wir lernen können, uns selbst unser bester mensch zu werden.
Sich selbst betrachten
wer vor ihnen nicht davonläuft wird eine menge lernen.
nicht nur unsere ungeliebten, auch unsere ungelebten seiten und potentiale verstecken sich in den schatten. wenn sie nicht gesehen werden verkümmern sie in der tiefe unserer eigenen dunkelheit.
schattenarbeit heißt vor allem also auch: zu erkennen was in uns gelebt werden will.
Freitag, 26. Dezember 2014
Zwei Arten
es gibt zwei arten der bewegung, die innere und die äußere.
die innere ist die des menschen, der sich selbst sucht,
die äußere ist die des menschen, der sich selbst in anderen sucht.
Donnerstag, 25. Dezember 2014
Dieser Moment in der Zeit
heute ist es gut, denke ich an diesem weihnachtsmorgen und bin dankbar für das gute, was ist und wünsche mir, so soll es bleiben. es ist um vieles besser als es einmal war. heute sind kein leid in meinem leben und kein unglück, das mich in den klauen hat wie einst. einst, dieses einst, all die jahre in denen leben nur angst war um das seelenheil des menschen, den ich am meisten liebe, und um das meine, das ich heute lieben kann, mehr als einst. ja, heute an diesem zweiten weihnachtstag ist es gut.
aber frieden ist nicht in mir, auch wenn ich mir diesen frieden so sehr wünsche, gleich nach dem wunsch, der, den ich am meisten liebe, möge für immer beschützt sein vor dem unguten, nach all den jahren des unglücks. das unglück, sagt der mensch, den ich am meisten liebe, habe ich gebraucht, wäre es nicht gewesen, wäre heute alles anders, nicht gut wäre es und ich ein anderer als der, der ich heute bin, und er lächelt mich an mit einer demut, von der ich selbst noch weit entfernt bin. ich denke, gut, dass er frieden gemacht hat, mit dem was war, und im selben moment bin ich traurig, dass er mir noch immer nicht gelingt, dieser frieden, den zu machen doch längst an der zeit wäre.
wäre es doch mein unglück gewesen, das ich allein hätte tragen müssen und nicht der mensch, den ich am meisten liebe, dann wäre mir der frieden näher. würde man mich fragen, was für mich das schlimmste an allem unguten im leben ist, so wäre die antwort: das schlimmste ist, den, den man am meisten liebt, leiden sehen zu müssen und diese ohnmacht nichts, aber auch nichts dagegen tun zu können. das vergisst du niemals im leben. dieses nicht vergessen können, die ohnmacht, die bilder der erinnerung nicht löschen zu können, den schmerz, den sie auslösen, wann immer sie auftauchen, nicht ignorieren zu können, trennt mich vom frieden, den ich machen will, in mir.
die machtlosigkeit gegen dieses neuronengewitter im kopf, das aus dem speicheraum der vergangenheit in den raum meines jetzt feuert, die erinnerung, die in jeder zelle sitzt und mit ihr der schmerz und die aus der erfahrung geborene alte angst, das wissen, dass das leben unberechenbar ist und grausam manchmal, und ich gegen die unberechenbarkeit kein schild vor mir her tragen kann, mich nicht schützen kann, mit nichts mich schützen kannt, außer dem gottvertrauen, dass ich den nächsten möglichen schlag auch überleben werde irgendwie - vielleicht ist diese erfahrung das gute für mich, in all dem unguten, das war.
jetzt ist es gut. es ist dann gut, wenn ich einfach hier sitze an diesem weihnachtsmorgen und nichts anderes tue, als ruhig ein und ausatmen. dann kann ich ihn spüren, meinen frieden, für diesen moment in der zeit.
Mittwoch, 24. Dezember 2014
Montag, 22. Dezember 2014
Gedankensplitter
in der wut liegt kraft, wenn du sie erlöst.
in der trauer liegt heilung, wenn du sie fühlst.
in der trauer liegt heilung, wenn du sie fühlst.
Sonntag, 21. Dezember 2014
Mutter II
Es gibt Tage, da leide ich noch immer
unter den vernichtenden Worten meiner Mutter, die, seit ich denken kann, meine Selbstachtung in den
Boden gestampft haben. Sie klingen mir in den Ohren, immer dann, wenn ich doch eigentlich glücklich sein könnte. Es ist mir bis heute nicht vollends gelungen mich dem Käfig der
Erinnerungen zu entziehen. Ein Teil von mir glaubt ihr, und ein anderer weiß, dass sie Unrecht
hatte. Meine Mutter konnte gut vergessen. Wenn ich ihr die Glaubenssätze
wiederholte, die sie mir eingeimpft hatte, die mich klein und kleiner gemacht hatten, weigerte sie sich mich zu verstehen. Sie
legte sich alles zurecht, wie es in ihr Bild von Leben passte. Meine Worte hatten
für sie keinen Wert, sie blieb bei ihren Überzeugungen und so musste sie nichts, aber
auch nichts einsehen, was ihre Realität hätte ins Wanken geraten lassen könnte. Manchmal bedauere ich, dass ich diese Gabe nicht besitze.
Ich glaube zu wissen was ich will, aber ich tue es nicht, ich glaube zu wissen, wer ich bin, aber ich bin es nicht, ich glaube zu wissen, wohin ich gehe, aber ich vertraue dem Weg nicht, ich bin mir in nichts sicher, das macht mich manchmal schwach. Ich stelle mir vor, wie es sein könnte, wenn ich endlich erwachsen wäre, ihr entwachsen wäre und ich frage mich, was ich dazu brauche, um diesem Schatten zu entkommen. Ich bin ein Unglücksrabe, der ein Adler hätte sein können, hätte man ihn in ein anderes Nest gelegt. Aber vielleicht habe ich genau diese Mutter, um die zu werden, die ich bin.
Gottes Geschenk an uns sind Möglichkeiten.
Aber ist es möglich unseren dunkelsten Schatten vollends zu integrieren, ihn anzuerkennen und so zu
sein wie wir gedacht sind, ganz am Anfang? Ich blicke aus dem Fenster. Draußen
herrscht das dichte Dunkel des Winters. Die Konturen der Bäume sind verhärtet, ihre Kronen sind zu kantigen Ecken verformt und ich denke: Mutter, wenn du wüsstest, wie schmerzhaft deine harten Kanten mein Leben in zwei Teile spalten, was wäre anders?
Kann man dankbar sein mit dem was ist und zugleich untröstlich?
Eine Träne rollt
über meine Wange. Ich fange sie mit den Lippen auf. Sie schmeckt nach Salz.
Du bist jetzt erwachsen, höre ich mein Leben sagen, du kannst dich lösen, von dem, was dich festhält, hab Geduld, dein Wollen wird wirken.
Donnerstag, 18. Dezember 2014
Dienstag, 16. Dezember 2014
Mutter
Ich zünde mir die erste Zigarette des Tages an. Der Rauch schmeckt bitter. Ich blicke aus dem Fenster. In der Nacht hat es geregnet. Im Westen wird der Himmel bereits wieder hell, während über den Häusern noch graue Wolken hängen. So viele Jahre sind vergangen in denen ich in den grauen Wolken verhangen war. Bei jedem Gedanken an meine Kindheit haben sie das Licht verdunkelt. Meine Mutter ist mir im Gedächtnis feindselig wie eine Hexe. Aber wenn ich an ihr Leben denke, das sie so nicht hatte leben wollen, wird sie zu einer traurigen Fee mit zerfransten Kleidern, die mit leeren Augen ihren Zauberstab ansieht und sich fragt, warum er ihr nicht geholfen hat. Wer von uns lebt wirklich nach seiner Natur, nach dem wozu er fähig ist und nach seinen Anlagen? Kinder sind kleine Wunder. Im Moment ihrer Geburt wissen sie, dass sie eines sind. Es ist wie ein Funke, der verlöscht, wenn sie in den verschmutzten Ozean der fremden Gedanken eintauchen. Ich brauchte mehr als ein halbes Leben um diesen Funken aus dem Meer zu fischen.
Sonntag, 14. Dezember 2014
Heute ist kein guter Tag
es gibt tage, da bin ich kurz davor den glauben an das, was ich tue, zu verlieren. es gibt sie nicht oft, aber immer wieder und, dem himmel sei dank, nicht oft genug, denn sonst würde ich aufhören zu tun, was ich tue. nun, vielleicht wäre das auch ganz unerheblich und ohne bedeutung für den rest meiner kleinen welt, aber für mich wäre das ein innerer zusammenbruch, denn ich müsste zugeben, dass ich in meinem tun keinen sinn mehr sehe. was dann übrig bliebe wäre ein tun, das allein für mich sinn macht und das zu finden ist nicht ganz so leicht, denn mein sinn ist mit dem sinn anderer nun mal verbunden, dagegen kann ich nicht viel machen, es sei denn ich wollte es. also was würde ich tun, wenn ich wollte? ich würde ganz ichbezogen meine tage mit schreiben und malen verbringen und schon mal hartz iv beantrragen, weil ich vom malen und schreiben nicht leben kann und mich einreihen in die arbeitsuchenden über fünfzig und irgendeinen job annehmen, der mich total unterfordert, aber zumindest seelisch nicht überbeansprucht. ich würde, wenn ich gerade so darüber nachdenke, vielleicht auf diesem wege leichter meinen inneren frieden finden und meine kleine welt könnte mich mal ... in guter erinnerung behalten. welch eine illusion, angelika! du weißt längst, dass du deinen inneren frieden durch nichts und niemanden im außen findest, sondern nur in dir selbst.
ich weiß, aber diese tage ...
diese tage kommen immer dann, wenn ich erlebe, wie viele menschen sich etwas vormachen, nur weil sie angst haben der wahrheit und zwar der eigenen, ins gesicht zu schauen. es ist wirklich kaum zu glauben, wie viele menschen sich beharrlich in die eigene seele lügen. sie tun das, auch wenn sie dabei dauerhaft leiden. sie tun das, auch wenn ihr körper ihnen signale gibt, indem er schmerzt oder sogar mit krankheiten alarm schlägt, damit sie endlich aufwachen, sie tun das, auch wenn sie längst aufgewacht sind und - das ist das erschreckende - sich trotz des erwachens wieder sand in die augen streuen, nur damit sie nicht anschauen müssen, was sie wach gemacht hat: die wahrheit nämlich über ihre eigene situation, ihren seelenzustand und über ihr leben. sie tun das, weil sie lieber weiter im dörnröschenschlaf verharren, denn dann, denken sie, könnte irgendwann doch noch der prinz kommen, der sie zärtlich und sanft erweckt und alles für sie gut macht. bei männern wäre das die gute fee, die einmal "bling bling" macht und alles ist gut, gut - ohne selbst etwas dafür tun zu müssen.
oh ja, es soll gut werden von alleine oder mit hilfe eines anderen, sozusagen gut "gemacht" werden, damit man selber nichts machen muss, schon gar nicht hingucken, denn dann müsste man vielleicht etwas machen und das ist ja so anstrengend und schmerzhaft könnte das auch werden und arbeit würde das bedeuten und zwar arbeit an sich selbst und man hat ja schon genug arbeit mit allem anderen, nö, das tun wir uns doch nicht auch noch an.
und dann sitzen sie da, diese menschen, und jammern und klagen und lügen sich die taschen voll, bis es oben herausquillt und fühlen sich nicht wirklich gut dabei, aber etwas verändern hieße etwas schaffen, losgehen und unbekanntes gebiet betreten. gott bewahre, davor hab ich eine heidenangst, sagen sie sich, denn dann könnten die illusionen über mein leben und über mich selbst einen ziemlichen knacks kriegen. brauch ich nicht. ich mache so weiter wie bisher, da weiß ich wenigstens was ich habe und da kenne ich mich aus und muss nichts anders machen, wo ich doch eh nicht weiß, wie das gehen soll.
"die menschen wollen eigentlich nicht geheilt werden. sie wollen nur linderung und trost, denn heilung ist schmerzhaft", sagte der psychoanalytiker anthony de mello, gott hab ihn selig, einmal, und ich kenne einige kollegen, die ob diesen satzes mit verhaltener resignation zustimmend nicken würden. de mello hat recht, es soll nicht mehr ganz so weh tun, es soll sich leichter anfühlen im schweren und es soll trost her, damit man sich einrichten kann im jammertal des eigenen seins und dann lässt es sich wieder eine weile aushalten, der ganze irrsinn, der frust, die unerfüllten bedürfnisse, der kummer, der streit, der schmerz, diese bodenlose leere, die mit allem gefüllt wird, nur nicht mit sich selbst und dem, was wirklich von bedeutung ist. bis zum nächsten mal, wenn die seele wieder schreit: ich halte das nicht mehr aus, mach was!
wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, sehen wir unsere situation wie sie ist und nicht wie wir sie gerne hätten. aus einem apfel wird keine birne, so wie aus einer illusion keine wahrheit wird, wenn wir nur lange genug daran festhalten. die wahrheit lässt sich nicht verdrängen oder verwandeln, weil wir sie nicht haben wollen. solange wir nicht wahrhaftig sind, sind wir blind für uns selbst und für andere.
leider ist diese welt voller blinder. und ja, vielleicht bin ich auch auf einem auge blind, aber ich will sehen, ich bin bereit hinzuschauen und ich bin bereit etwas auszuhalten um sehen zu lernen. an guten tagen bin ich sogar überzeugt davon, dass wir alle die kraft besitzen, die wahrheit zu sehen und sie dann zu sagen, erst uns selbst und dann anderen. an guten tagen wohl gemerkt. heute ist kein guter tag.
Samstag, 13. Dezember 2014
ohne Freude
freu dich nicht, sagte die mutter, mit drohender gebärde, wenn sie sich freute.
bedenke, das bleibt nicht so, warnte die mutter sie.
sie dachte: ich werde mich nie mehr freuen.
die freude, die einladung für das schlimme, das dachte sie.
sie lebte damit, freudlos.
Donnerstag, 11. Dezember 2014
dankbar
sie ist ein schlüssel zur zufriedenheit.
sie ist ein ja zu dem, was nicht selbstverständlich ist, auch wenn wir es dafür halten.
jedes bewusste danke hinterlässt ein gefühl der freude.
dankbar sein ist augenblicksglück.
Mittwoch, 10. Dezember 2014
AUS DER PRAXIS - Hilfe für die Kinder depressiver Eltern
"Depression", Acryl auf Leinwand, Angelika Wende, 2014 |
Depressive Menschen haben meist auch eine Familie.
Sie haben erwachsene Angehörige und sie haben Kinder und meistens leiden alle mit.
Wer selbst Depressionen erlebt oder erlebt hat, oder wer mit einem depressiven Menschen
lebt, weiß, dass sich der Schatten der Depression immer über das ganze Familiensystem
legt. Erwachsene Angehörige können zu verstehen versuchen, was
da mit dem Partner gerade passiert und wenn sie die Schwere der Situation zu
sehr belastet, wie der depressive Partner auch, professionelle Hilfe
suchen um mit der Situation besser umgehen zu können. Kinder können das nicht.
Aber gerade sie leiden am Meisten. Sie sind hilflos und ohnmächtig dem
ausgesetzt, was mit Mutter oder Vater in der Depression geschieht. Sie müssen
dabei zusehen, wie der geliebte Elternteil unerreichbar und fremd wird, denn je
nach Schwere einer Depression verändern Menschen ihr Wesen und ihr Verhalten.
Das macht einem Kind Angst. Es wird in eine Krankheit hineingezogen mit der
es nicht umgehen kann. Das Kind ist seelisch völlig überfordert und wird im
Zweifel selbst krank, an der Seele oder körperlich.
Ein Beispiel: Eine Klientin berichtet, dass sie in
den depressiven Phasen nicht nur den Kontakt zu sich selbst, sondern auch den
Kontakt zu den eigenen Kindern verliert. Sie sagt, dass sie das wie von Außen
beobachten kann und nichts dagegen tun kann, dass sie darunter zusätzlich leidet,
aber trotz allen Wollens mit ihren Kindern nicht mehr klarkommt. Das geht
soweit, dass sie sich wünscht, sie wären einfach nicht da, solange sie nicht
gesund ist. Das mache ihr zusätzlich Scham- und Schuldgefühle und die Depression
werde noch schlimmer.
Aber wie erklärt man seinen Kindern, dass Mama jetzt so
ist, wie sie ist und es nichts mit ihnen zu tun hat? Wie erklärt man einem
Kind, dass die Mama nichts mehr spürt und sich selbst nicht mehr versteht?
Kinder fühlen sich schuldig, wenn es der Mama schlecht geht, sie glauben etwas
falsch gemacht zu haben, nicht lieb genug zu sein und sie denken, dass sie möglicherweise
die Ursache dafür sind, dass Mama auf einmal so komisch ist. Wenn einem Kind Zuwendung und Unterstützung eines
Elternteils fehlen und der gesunde Elternteil, der diesen Mangel ausgleichen
könnte, zu sehr mit dem kranken Partner
belastet ist, verändert sich die Mutter-Vater-Kind-Beziehung
massiv. Das System krankt wie der
seelisch Kranke und alle sind im Tiefsten allein.
Untersuchungen ergaben Folgendes: Das Verhalten
depressiver Mütter äußert sich nicht nur in Defiziten wie weniger Interesse und
wenig emotionaler Beteiligung, sie sind weniger einfühlsam, entwickeln vermehrt
negative Gefühle und fühlen sich den Ansprüchen des Kindes und der Erziehung nicht
mehr gewachsen. Es kommt zu erheblichen Problemen in der Aufmerksamkeits- und
Zuwendungshaltung. Denkstörungen in der Depression können zudem starke Ängste
und sogar offene Feindseligkeit gegenüber dem Kind aufkommen lassen. Häufig
beschrieben wird eine affektive Übererregtheit und eine verringerte verbale
Expressivität und Kommunikationsfähigkeit.
Was macht das mit dem Kind?
In emotionalen Belastungssituationen kommt es bei
Kindern zu einer Überflutung
durch sich von innen und außen aufdrängende Informationen, die es nicht
begreifen und entschlüsseln kann. Das führt auf der psychischen Ebene zu Anspannung, Angst und Erschütterungen des kindlichen Selbstverständnisses. Die
Risikoforschung ergab, dass Kinder, die in Familien aufwachsen, in denen ein
Elternteil psychisch krank ist, ein hohes Risiko haben, selbst eine
psychische Störung zu entwickeln. Das Risiko ist sogar um den Faktor zwei bis drei erhöht. Dabei weisen ein Drittel der
untersuchten Kinder keine Beeinträchtigungen auf, ein weiteres
Drittel lediglich vorübergehende Auffälligkeiten, beim restlichen Drittel
zeigen sich fortdauernde seelische Störungen. Diese Auffälligkeiten betreffen
vor allem die geistig-intellektuelle und die seelische Entwicklung der Kinder. Am häufigsten finden sich
depressive, dissoziale und aggressive Störungen sowie Verhaltensstörungen. Das Risiko für eine seelische Störung wie die Depression ist
etwa 3 bis 6 mal höher als bei gesunden Eltern. Sind beide Elternteile
depressiv erkrankt, liegt die Erkrankungswahrscheinlichkeit der Kinder bei ca. siebzig Prozent. Was Alter und
Geschlecht der Kinder angeht, so zeigen Kinder aller
Altersstufen ein erhöhtes Risiko für psychische Störungen bei elterlicher
Erkrankung. Je älter das Kind ist und je bewusster es erlebt, was
geschieht, desto nachhaltiger sind die negativen Folgen für seine eigene
seelische Gesundheit.
Diese Ergebnisse sind traurig und alarmierend.
Deshalb ist es so wichtig, die Kinder in die Behandlung der depressiven Mutter
oder des depressiven Vaters mit einzubeziehen und als nicht betroffener
Elternteil die Sorge für die Kinder nicht allein zu tragen, (die meisten
Menschen sind mit dem depressiven Partner sowieso schon extrem belastet),
sondern sich hilfreiche Unterstützung, also professionelle Betreuungs- und Behandlungshilfe für die Kinder zu
suchen.
Was hilft
den Kindern?
Eine
alters- und entwicklungsadäquate Aufklärung
über die Erkrankung der Mutter oder des Vaters ist immens wichtig. Verleugnung oder
Verzerrung der Realität helfen dem Kind
nicht, es spürt ja, dass etwas nicht stimmt und vertraut seiner Wahrnehmung.
Das Kind muss in seiner Wahrnehmung ernst genommen werden, es muss begreifen dürfen, was da mit dem geliebten Menschen geschieht. Es
muss wissen, dass es keine Schuld daran hat und nicht für das Leiden des
Elternteils in irgendeiner Weise verantwortlich ist. Des Weiteren ist eine tragende und sichere emotionale Bindung an die
gesunde Bezugsperson im Familiensystem hilfreich, oder bei Alleinerziehenden, zu
nahen Verwandten.
Von großer Bedeutung ist das Erziehungsklima selbst. Ist es empathisch und liebevoll und hat es feste und klare Regeln und Strukturen, fühlt das Kind sich dennoch geborgen. Allerdings ist es schwer in belastenden Situationen ein stabiles, gesundes Familienklima zu schaffen. Das ist nur dann möglich, wenn trotz aller Belastungen eine gute Paarbeziehung besteht, die dem Kind vermittelt: Wir schaffen das, die Mama (oder der Papa) werden wieder gesund. Deshalb ist auch die Art, wie der gesunde Partner mit dem Kranken umgeht von großer Bedeutung. Ist er selbst überfordert und leidet er sichtbar mit, ist das zutiefst beängstigend für das Kind. Dann bricht im Zweifel, je nach Resilienz des Kindes, die innere kindliche Welt vollends zusammen.
Immens wichtig ist letztlich auch die Einstellung des depressiven Elternteils zu sich selbst und seiner Depression, nämlich in welchem Maße er fähig ist die Krankheit zu akzeptieren, ohne in die totale Resignation zu verfallen. Hier gilt wie bei jeder psychischen Störung: Je bewusster die Einstellung zur Fähigkeit der Krankheitsbewältigung ist, desto besser ist ihr Umgang damit und desto besser greifen Hilfe-und Heilmaßnahmen.
Von großer Bedeutung ist das Erziehungsklima selbst. Ist es empathisch und liebevoll und hat es feste und klare Regeln und Strukturen, fühlt das Kind sich dennoch geborgen. Allerdings ist es schwer in belastenden Situationen ein stabiles, gesundes Familienklima zu schaffen. Das ist nur dann möglich, wenn trotz aller Belastungen eine gute Paarbeziehung besteht, die dem Kind vermittelt: Wir schaffen das, die Mama (oder der Papa) werden wieder gesund. Deshalb ist auch die Art, wie der gesunde Partner mit dem Kranken umgeht von großer Bedeutung. Ist er selbst überfordert und leidet er sichtbar mit, ist das zutiefst beängstigend für das Kind. Dann bricht im Zweifel, je nach Resilienz des Kindes, die innere kindliche Welt vollends zusammen.
Immens wichtig ist letztlich auch die Einstellung des depressiven Elternteils zu sich selbst und seiner Depression, nämlich in welchem Maße er fähig ist die Krankheit zu akzeptieren, ohne in die totale Resignation zu verfallen. Hier gilt wie bei jeder psychischen Störung: Je bewusster die Einstellung zur Fähigkeit der Krankheitsbewältigung ist, desto besser ist ihr Umgang damit und desto besser greifen Hilfe-und Heilmaßnahmen.
Fazit:
Eine Depression ist nicht nur für den Depressiven eine erdrückende Last, sie belastet ein
ganzes System und deshalb braucht das ganze System Hilfe. Diese findet sich
in allen therapeutischen Bereichen, als auch in der Kinder-und Jugendhilfe.
Ich danke meiner Klientin Claudia Krug von ganzem Herzen, für den Mut und die Größe, mir dieses berührende Gedicht zur Veröffentlichung zu überlassen.
Traurigkeit…
spüre ich wenn ich meine Kinder weinen lasse wenn sie mich brauchen,
wenn sie ersaufen, in Ihrer Angst.
In Ihrer Klemme feststecken zwischen klein sein und allein sein,
zwischen nicht groß sein und nicht doof sein, ungut und ohne Mut,
zwischen ihrem hier und meinem dort
und dem Teil von mir, von dem ich nichts spüre, nur er ist fort.
Zwischen dem was ich ihnen nicht geben kann, weil ich es selbst nicht
habe, außer der Gabe sie leiden zu lassen und mich dafür zu hassen.
Weil ich selbst mir so fremd bin, ungut und ohne Mut
und mit einem Herz in der Klemme zwischen klein sein und allein sein.
Und ich weiß, groß sein ist doof sein
zwischen meinem hier und ihrem dort
und dem Teil von mir von dem auch meine Kinder nur spüren, er ist fort.
Und dort wo er ist, da kann ich nicht hin.
Doch ich suche ihn weiter dort wo er nicht sein kann,
mit dem Gefühl, das nicht vergisst wie schön er ist.
Weil mein Herz eben hofft, vielleicht komm ich noch dran.
Weil meine Kinder wissen wie sehr sie ihn vermissen.
Mamas schönen Teil den sie so dringend brauchen
um nicht zu ersaufen in ihrer Angst.
Und wir wissen er ist irgendwo dort
dieser Teil von dem wir nur spüren, er ist fort.
(c) Claudia Krug 2014
mehr von Claudia lest Ihr hier: http://endlichblog.blogspot.de/
Traurigkeit…
spüre ich wenn ich meine Kinder weinen lasse wenn sie mich brauchen,
wenn sie ersaufen, in Ihrer Angst.
In Ihrer Klemme feststecken zwischen klein sein und allein sein,
zwischen nicht groß sein und nicht doof sein, ungut und ohne Mut,
zwischen ihrem hier und meinem dort
und dem Teil von mir, von dem ich nichts spüre, nur er ist fort.
Zwischen dem was ich ihnen nicht geben kann, weil ich es selbst nicht
habe, außer der Gabe sie leiden zu lassen und mich dafür zu hassen.
Weil ich selbst mir so fremd bin, ungut und ohne Mut
und mit einem Herz in der Klemme zwischen klein sein und allein sein.
Und ich weiß, groß sein ist doof sein
zwischen meinem hier und ihrem dort
und dem Teil von mir von dem auch meine Kinder nur spüren, er ist fort.
Und dort wo er ist, da kann ich nicht hin.
Doch ich suche ihn weiter dort wo er nicht sein kann,
mit dem Gefühl, das nicht vergisst wie schön er ist.
Weil mein Herz eben hofft, vielleicht komm ich noch dran.
Weil meine Kinder wissen wie sehr sie ihn vermissen.
Mamas schönen Teil den sie so dringend brauchen
um nicht zu ersaufen in ihrer Angst.
Und wir wissen er ist irgendwo dort
dieser Teil von dem wir nur spüren, er ist fort.
(c) Claudia Krug 2014
mehr von Claudia lest Ihr hier: http://endlichblog.blogspot.de/
Samstag, 6. Dezember 2014
AUS DER PRAXIS – Vom Sinn der Depression
Die schwarze Dame, AW |
Carl Gustav
Jung sagte einmal: „Die Depression gleicht einer Dame in Schwarz. Tritt sie
auf, so weise sie nicht weg, sondern bitte sie als Gast zu Tisch und höre, was
sie zu sagen hat." Ein schönes Bild, finde ich, wenn auch für einen
unschönen Seelenzustand. Was Jung damit vorgibt ist ein wertvoller
Impuls um mit der Depression Kontakt aufzunehmen, in Dialog zu treten mit
einem Teil des eigenen Inneren. Er hat das selbst getan, denn auch der große
Analytiker hatte in seinem Leben eine schwere Depression.
Wie der Name
schon sagt, besteht bei der Depression (von lat. deprimere
„niederdrücken“) ein Druck nach unten, besser ausgedrückt - nach innen, sie ist
ein zutiefst introvertierter Zustand.
Es gibt unzählige Arten von Depressionen.
Depressionen sind so verschieden wie die Menschen, die sie erleiden.
Von einer
endogenen Depression spricht man, wenn es weder eine körperliche, noch eine
psychische Ursache für die Depression zu geben scheint. Deswegen nimmt man an,
dass die Ursachen von innen heraus entstanden sind. So können hier zum Beispiel
auch genetische Faktoren zum Ausbruch der Krankheit beitragen. Die endogene
Depression verläuft in in Phasen, die Abstände variieren zwischen wenigen Tagen
und einem Jahr oder mehr. Man hat herausgefunden, dass besonders Männer hierbei
häufiger auf berufliche Probleme oder Besitzverlust, Frauen hingegen eher auf
partnerschaftliche oder familiäre Probleme, reagieren, die dann einen neuen
Schub auslösen. Innerhalb der endogenen Depression unterscheidet man zudem
zwischen der unipolaren und der bipolaren Depression. Die endogene Depressionen
kennzeichnet sich durch den phasenhaften Verlauf. Sie beginnt sehr langsam, der
Betroffene spürt kaum Anzeichen. Bei manchen Menschen kommen nach einigen
Tagen, Wochen oder Monaten Symptome auf, die nach einiger Zeit wieder von
selbst verschwinden. Sie kann im Laufe des Lebens nur einmal auftreten oder
immer wieder in schweren Schüben.
Die unipolare
Depression kann sich in der Melancholie zeigen. Sie ist die am häufigsten
auftretende Erkrankung bei den Depressionen. Sie wird als einpolig bezeichnet,
was bedeutet, dass die Betroffenen zwar depressive, aber keine manischen Phasen
haben. Man nennt diese Art der Depression auch Major Depression. Sie tritt in
einer schwierigen Lebenssituation auf in der eine Reaktion nach außen notwendig
wäre, die Betroffenen aber sind in ihre Handlungsfähigkeit gelähmt. Die
Energie, die sie nicht nach Außen geben können richtet sich nach innen. Die so
dringend benötigt konstruktive Kraft, die sie brauchen um ihre Aufgaben zu
lösen, wandelt sich in eine destruktive Kraft gegen sich selbst. Anstelle eines
Ausdrucks kommt es zur Niederdrückung.
Die Dysthymia, auch die neurotische
Depression genannt, ist eine krankhafte Neigung zu melancholisch-traurigen
Stimmungen. Als Unterform einer chronischen Depression ist sie nicht so schwer,
dafür hält sie länger an. Die Betroffenen sind im Schnitt zwei Jahre
depressiv, sie empfinden aber immer wieder auch gute Tage und Wochen. Meist
versinken sie jedoch in einer dumpfen niedergeschlagenen Stimmung, sind müde
und antriebslos, haben kein Selbstwertgefühl, fühlen sich als Versager und sind
nicht fähig ihr Leben zu meistern. Sie haben eine ausgeprägte Angst, die sie
handlungsunfähig macht und lähmt.
Egal um welche
Form der Depression es sich handelt, man muss sie von mehreren Seiten
beleuchten, um sie zu verstehen. Zu Beginn hat sie im allgemeinen immer eine
innerpsychische Ursache, aber sie kann bei jahrelangem extremen sozialen oder
seelischen Stress oder auch im Zuge einer posttraumatischen Belastungstörung
auftreten. Auch durch eine tiefe Veränderung der Nervenzellen im Gehirn kommt
es zur Depression. Für die Entstehung und Aufrechterhaltung einer Depression
sind zwei Botenstoffe besonders wichtig: das Serotonin und das Noradrenalin.
Serotonin und Noradrenalin sind deswegen von besonderem Interesse für die
Depression, weil alle Antidepressiva auf diese beiden Botenstoffe Einfluss
nehmen und ihre Symptome lindern. Daher ist man in der Depressionsforschung der
Überzeugung, dass bei der Depression die Funktionsfähigkeit der Nervenzellen,
die Serotonin und Noradrenalin produzieren, gestört oder massiv beeinträchtigt
ist.
Aber welchen
Sinn hat die Depression?
Für einen
Menschen, der in der Depression gefangen ist, ist das eine schwere Frage. Sein
Leid ist nahezu unerträglich, das Gefühl der Sinnlosigkeit hat ihn fest im
Griff, also wie könnte er in seinem Leid etwas Positives sehen oder gar einen
Sinn? Wenn es ihm aber dennoch gelingt, die Dame in Schwarz an den Tisch zu
bitten und ihr zuzuhören, könnte sie Folgendes zu sagen haben: „Wenn du
erstarrst, wenn du zu nichts mehr fähig bist, kann das durchaus einen Sinn
haben: Die Depression sorgt dafür, dass du keine unnötige Energie mehr
verschwendest. Sie zwingt dich endlich innezuhalten, sie sorgt dafür, dass du
zunächst keine Handlungsmöglichkeiten mehr sehen kannst.“
So gesehen ist
die Depression, so paradox das klingt, eine gesunde Anpassungsleistung an
schwere Bedingungen oder Lebenssituationen. Nicht zuletzt ist auch das Gefühl
der Schwere, des Niedergedrücktseins, welches Menschen in der Depression
empfinden, Ausdruck einer realen Schwere im Leben, sprich - etwas
lastet so schwer auf uns, dass es uns erdrückt. Symptome haben immer eine
Bedeutung, sie verweisen auf Ursachen.
Schwierige Lebensumstände allein lösen noch keine Depression aus.
Depressiv
wird ein Mensch erst wenn er keine Möglichkeit mehr sieht, in einem
konstruktiven Sinn Einfluss auf seine Lebenssituation zu nehmen. Dabei kommt es
nicht auf die objektiven Möglichkeiten an, die dieser Mensch hat, sondern auch
auf die Möglichkeiten, die er für sich selbst sieht. Sieht er keine
Möglichkeiten mehr, so bleibt letztlich nur noch die Depression, als leidvoller
Versuch, einen seelischen Konflikt oder eine traumatische Erfahrung zu
bewältigen. Die Depression hat immer eine Signalfunktion. Sie erzählt uns
Wesentliches über unser Verhältnis zu unserem Umfeld, unsere Lebensumstände,
unsere Lebensqualität und den Zustand unserer Seele. Sie erzählt uns etwas über
den Zustand in dem wir uns im Jetzt befinden. Sie zeigt uns unsere Grenzen auf
und sie bewahrt uns davor, diese Grenzen weiter zu verletzen, indem wir über
unsere Kräfte leben. Sie bremst auf radikale und schmervolle Weise das
Weitergehen. So hat Depression, auch wenn wir das im tiefen Leid, das sie
schafft, zuerst nicht begreifen können, eine Schutzfunktion: Sie zwingt uns
innezuhalten und im Prozess der Depression neue Lösungen zu finden, um uns
künftig besser zu behandeln.
Die Depression
ist ein psychischer Zustand der, wenn er intensiv beleuchtet wird, dem
Betroffenen auf seinem Weg zur Individuation helfen kann.
Deshalb ist es von
enstcheidender Bedeutung um die Depression zu verstehen, den depressiven
Zustand zu beobachten, der bei aller anderen Symptomatik eine Regression
erzeugt: Oft kommt es nämlich zu einer Reminiszenz an die Vergangenheit. C. G.
Jung schreibt dazu in „Symbole der Transformation“ sinngemäß: "Es
vollzieht sich eine Übertragung der Vergangenheit, hervorgerufen durch eine
Depression in der Gegenwart. Dies ist ein unbewusstes kompensatorisches
Phänomen, welches bewusst gemacht werden muss, um Heilung zu finden." Mit
anderen Worten - eine Wahrheit über das eigene Leben oder das eigene Ich, die
man bis zu diesem Moment verdrängt hat, der man sich durch Kompensation und
Selbstlügen entzogen hat, kann gerade in Krise der Lebensmitte eine Depression
auslösen.
Um hören zu
können, was die Dame in Schwarz zu sagen hat, brauchen depressive Menschen Mut
und Kraft, die sie eigentlich nicht mehr haben. Das erscheint unmöglich, denn
wenn ein Mensch in der Starre verharrt, hat er das Gefühl, dass nichts mehr
geht. Die Depression aber drückt genau deshalb nach unten, damit wir genau
dahin spüren – ins eigene Tiefgeschoss, dahin wo die Antworten liegen und zwar
darauf, was in unserem Leben ungut ist, was zu verändern ist, was verändert
werden muss, um wieder neuen Lebensmut zu finden. Wenn der Depressive bereit
ist, sich der eigenen Wahrheit zu stellen und die Fassade, die längst
gebröckelt ist, endgültig herunterzureißen, erkennt er, dass er mit seinen
bisherigen Lösungsversuchen und Handlungsweisen keinen Erfolg hatte. Im
Gegenteil, genau diese Handlungsweisen haben gegen ihn gearbeitet. Er braucht
also neue konstruktivere und heilsamere um sein Leben positiver und sinnvoller
zu gestalten.
Mit der Dame
in Schwarz in einen Dialog zu treten, bedeutet zunächst einmal Mitgefühl mit
sich selbst zu entwickeln, sich nicht zu verurteilen und Verständnis für
die depressive Reaktion zu haben und dann Antworten zu finden auf folgende
Fragen: „Wie kann ich mich künftig besser schützen? Wie kann ich mein Leben in
Zukunft so zu gestalten, dass meine Seele nicht überfordert ist? Wie kann ich
besser für mich sorgen? Wovon muss ich mich verabschieden und welche
Bedürfnisse habe ich, die ich verdränge oder mir nicht erlaube zu erfüllen? Wo
gebe ich vor etwas zu sein, was ich nicht bin?
Wer allerdings
in einer schweren depressiven Phase steckt, hat kaum eine Möglichkeit, sich
selbst ohne professionelle Hilfe zu befreien.
Auch leichtere depressive
Verstimmungen können, solange sie akut sind, einen Menschen vollkommen lähmen.
Selbsthilfe kann immer nur in einigermaßen depressionsfreien Phasen gelingen.
Eine schwere Depression braucht unbedingt therapeutische Intervention. In
einer Studie wurden Depressive gefragt, was ihnen hilft, wenn sie in einer
depressiven Phase stecken. Als hilfreich empfanden sie Folgendes: Gespräche mit
verständnisvollen Menschen, sich Zeit geben sich über ihre Gefühle klar werden,
nach den Ursachen der Depression zu forschen und genau das zu tun, was die
Depression verlangt: Sich zurückziehen, weinen, alle Gefühle wertfrei zulassen,
keinen Widerstand gegen die Depression zu leisten, aufschreiben was sie fühlen,
viel schlafen und, in den weniger depressiven Phasen, Bewegung in der frischen
Luft und sportliche Betätigung.
Es ist bei
allem Leid sinnvoll sich immer wieder bewusst zu machen: „Ich bin nicht meine
Depression, ich habe eine Depression: So beginnen wir uns von ihr zu
disidentifizieren. Wir schaffen bewusst eine Distanz zu dieser Krankheit und
helfen uns damit sie anzunehmen, als das, was sie wirklich ist: Ein Hilferuf
der erschöpften Seele und eine Chance sie gesunden zu lassen.
Auch der
Glaube: „Ich werde diese Krankheit überwinden“, ist von großer Bedeutung für
die Heilung. Wer an sich selbst glaubt, fühlt sich der Depression nicht hilflos
ausgeliefert. Er weiß, dass sie vorbeigeht.
Donnerstag, 4. Dezember 2014
AUS DER PRAXIS – Das Ende der Verdrängung, oder vom Mut dem eigenen Schatten zu begegenen
Foto: Alexander Szugger |
Der Begriff
„Schatten" bezeichnet in der Analytischen Psychologie Carl Gustav Jungs
die Gesamtheit der individuell und kollektiv unbewussten Anteile des Ichs. In
allen Kulturen wird der Schatten mit dem Dunklen assoziiert, mit dem Bösen im
Menschen, das es zu bändigen gilt. Der Schatten ist ein Persönlichkeitsanteil,
den wir vor uns selbst und anderen zu verbergen versuchen weil wir ihn
ablehnen, oder weil wir ihn nicht erkennen können, da er tief im Unbewussten
vergraben ist. Dennoch ist er da und weil er da ist, gehört er zu unserer
psychischen Struktur wie alle anderen Teile unserer Persönlichkeit.
Ohne den
Schatten sind wir nicht ganz. Bleibt er im Dunkel fehlt er uns zur Ganzwerdung.
Ein
Schattenanteil, der nicht bewusst wahrgenommen wird, wirkt in unserem Leben und
in unseren Beziehungen, er wirkt auf unser Handeln. Deshalb löst z. B. die
Tatsache, dass andere etwas in uns sehen, was wir nicht sehen können, Gefühle
der Scham aus, oder aber eine starke Abwehrhaltung. Es gibt Menschen, die so
blind für den eigenen Schatten sind, dass sie alles Negative von sich
zurückweisen und es auf andere projizieren, nur um dem eigenen Schatten nicht
ins Gesicht schauen zu müssen. Ein Beispiel: Ein Mensch erlebt, dass sich nach
und nach die engsten, ihm nahestehenden Menschen von ihm abwenden. Er sucht die
Ursache bei den anderen. Er konstruiert Erklärungen, warum die anderen tun, was
sie tun, alles um nicht in sein eigenes Dunkel blicken zu müssen. Schließlich
behauptet er sogar seinen inneren Frieden gemacht zu haben, obgleich er immer
einsamer zu werden droht. Dieser Mann ist nicht bereit die Lerngeschenke, die
im das Leben präsentiert zu öffnen und hineinzusehen in die eigenen Abgründe,
die unbewusst ins Außen wirken und andere von ihm weg treiben. Er verdrängt
seinen Anteil am Geschehen, statt sich auf den Weg zu machen und
herauszufinden, was da in ihm selbst ist, was dazu führt, dass sich Menschen
von ihm abwenden. Er weigert sich, sich seinem Schatten zu stellen, obgleich
seine unselige Wirkung sein Leben mehr und mehr verdunkelt.
C.G. Jung
unterscheidet das Ich vom Selbst. Das Ich vertritt die bewussten Anteile, das
Selbst die gesamte Psyche, also auch die unbewussten, dunklen Anteile. Die
Gleichung lautet demnach: Ich + Schatten = Selbst.
Der Weg
zum Selbst führt also nach Jung durch den Schatten. Nur wer sich seine Schatten
bewusst macht ist bereit zur Selbsterkenntnis und damit bereit die
Verantwortung für sich selbst und sein Leben zu übernehmen, und so schließlich
ein stabiles Selbst aufzubauen.
Wie kommt es
dazu, dass wir einen Schatten entwickeln?
Ein Schatten
bildet sich immer wenn eine Eigenschaft oder ein Verhalten bereits in der
frühen Kindheit bei der Umwelt auf Ablehnung stößt, oder durch eine negative
Erfahrung, die für das Kind nicht zu bewältigen ist. Der Schmerz, den dies
auslöst, wird abgespalten. Es kommt zur sogenannten Dissoziation. So sind im
Schatten alle abgespaltenen Erfahrungen, abgewehrte Triebe, frühkindliche
Prägungen und nicht gelebten Persönlichkeitsanteile verborgen und tief ins
Unterbewusstsein eingeschlossen. Aber auch unsere Potentiale und kreativen
Fähigkeiten ruhen im Schatten und das immer dann, wenn wir sie als Kind nicht
leben durften, weil sie im Außen auf Ablehnung oder gar auf Verachtung stießen.
Somit ist auch das verletzte innere Kind ein Schattenaspekt unserer
Persönlichkeit.
In den
Schatten hausen nicht nur unschöne Aspekte unserer Persönlichkeit, sondern auch
unsere größten Gaben und Talente.
Energetisch
gesehen ist er der Anteil unserer Lebensenergie, der blockiert ist. Blockierte
Lebensenergie kann zu verkapselter Wut, diffuser Angst, zu Lähmung und zu
Neurosen jeder Art führen. Wir stecken förmlich in einer Rüstung in der
Lebensenergie festgehalten wird. So können emotionale Beweglichkeit und
Ausdrucksfähigkeit nicht frei fließen. Selbstwerdung aber bedeutet auch, dass
alle unsere Gefühle frei fließen dürfen, egal ob wir sie als positiv oder
negativ bewerten. Jedes Gefühl ist ein Navigator, der uns die Richtung zeigt,
und zwar zu dem Menschen hin, der wir im Ganzen sind.
Wenn Gefühle
blockiert sind, ist der gesamte Organismus blockiert. Denn alles ist eins und
eins wirkt auf das andere. Das ist das Prinzip lebendiger Ganzheit.
Immer dann
wenn wir aufhören zu verdrängen und innere und äußere Konflikte nicht
vermeiden, sondern sie als Chance begreifen, uns unserer selbst bewusster zu
werden, wenn wir bereit sind, unter die Oberfläche des bewussten Ichs zu
tauchen, führt uns der Weg hin zur Entdeckung des Schattens. Wenn es gelingt
den Schattenanteil nicht nur zu erkennen, sondern ihn zu bejahen als Teil
dessen, was wir eben auch sind, kann blockierte Energie wieder fließen.
Verdrängtes
bleibt nur im Schatten, weil wir es dort festhalten, aus Angst nicht der zu
sein, der wir gern wären, in den eigenen Augen und in den Augen anderer.
Das Leben will
sich immer vervollständigen, es will ganz werden. Deshalb schickt es uns immer
wieder Lektionen, solange bis wir sie annehmen und daraus lernen. Tun wir das
nicht, kommen sie in einer Art history repeating von Lebenserfahrungen
oder Begegnungen ähnlicher Stärke und Qualität wieder. Dann stöhnen wir: „Puh,
das hatte ich doch schon mal, wieso hört das denn nicht auf?“ Es hört dann auf,
wenn wir uns den Lektionen stellen und sie lernen und zwar bewusst und dann
unser Verhalten und unsere Handlungsweisen verändern.
Es ist eine
Regel, dass die Bewusstmachung des Selbst genau die Konflikte erzeugt, die man
durch ihre Unterdrückung und Verdrängung und zu vermeiden versucht.
Erst wenn wir
uns die eigene Fehlbarkeit, die eigene Hilflosigkeit, unsere Schwäche und
unsere dunklen Anteile vor uns selbst eingestehen, entkommt das Ich der
Verblendung, dem Hochmut und der
Selbstüberschätzung. Nur so kommen wir
zu einer demütigen Haltung, in der wir uns dem öffnen, was wir als Mensch auch
sind – nämlich nicht so, wie wir gerne wären, sondern eben auch wie wir nicht
gerne sind, nämlich unvollkommen. C. G. Jung nennt das den Individuationsprozess,
die Selbstwerdung und nach Jung hört sie niemals auf. Aber auch wenn es kein
endgültiges Ziel gibt, das Einlassen auf diesen Prozess schenkt uns, so
unbequem er auch bisweilen sein mag, Selbsterkenntnis und damit Lebenssinn und
Lebensfülle. Solange wir aber die Schatten verdrängen leben wir in der Rüstung
und in der Projektion. Alles Verdrängte zeigt sich in Projektionen und schafft
sich so im Außen den Feind, dem es sich in Wahrheit im eigenen Inneren stellen
müsste – und zwar nicht um ihn, wie in der Projektion, abzulehnen, anzuprangern
oder zu bekämpfen, sondern um ihn zu umarmen, als Teil des Selbst.
Viele
Menschen verbringen ihr Leben in einem Nebel von Täuschung und Selbstbetrug. Aber die Art und Weise wie man lebt
und der Mut sein Wesen verstehen zu wollen, gehören zu einem gelingenden Leben.
Deshalb ist Selbsterkenntnis so wichtig. Wer sich selbst einigermaßen erkennt,
bei dem klaffen Erleben, Selbstbild und Fremdbild nicht auseinander. Selbsterkenntnis
ist also wertvoll, nicht nur als Quelle innerer Freiheit, sondern auch im
Zusammenleben mit Anderen. Die Anderen zu achten und zu verstehen setzt voraus,
dass wir uns selbst verstehen und achten mit allem, was uns ausmacht und nicht
nur mit unserer Schokoladenseite.
Je unbewusster
ein Mensch sich seiner selbst ist, desto blinder ist er für sich selbst und
umso stärker sind die Projektionen, die er macht. Mit einem solchen Menschen
lebt es sich schwer, denn er ist selbstgefällig, ungerecht und ignorant.
Unfähig seine Schattenanteile bei sich zu lassen stülpt er sie anderen über und
er verurteilt andere und zwar genau für das, was er in sich selbst an Unschönem
nicht sehen will. Herman Hesse, der bei Josef Bernhard Lang, einem Schüler C.G.
Jungs, wegen seiner Depressionen eine Analyse machte, fasst es in seinem, in
dieser Zeit verfassten "Demian", in einem Satz zusammen: „Wenn
wir einen Menschen hassen, so hassen wir in seinem Bilde etwas, was in uns
selber sitzt. Was nicht in uns selber ist, das regt uns nicht auf.“
Alles was uns
bei anderen aufregt, ärgert oder beschäftigt, verrät uns viel über unseren
Schatten. Je stärker die eigene emotionale Betroffenheit, desto sicherer
handelt es sich um ein eigenes Thema, das nach Außen projiziert wird und je
stärker die Abwehr ist, desto sicherer ist: Das hat etwas mit uns zu tun.
Solange wir das nicht begreifen, werden wir alles, wofür wir die Verantwortung
nicht übernehmen wollen, auf andere projizieren und dort bekämpfen.
Immer wenn wir
mit dem Finger auf andere zeigen, zeigen wir eigentlich auf uns selbst und ein
ungelöstes Schattenthema. Die Psyche tritt mit nichts in Resonanz, mit dem sie
kein Thema hat, das nicht in ihr selbst liegt. Oder mit anderen Worten:
Unbewusstes erkennt Unbewusstes sofort.
Jedes Mal wenn
wir uns über das Verhalten eines anderen Menschen aufregen, sollten wir tief
durchatmen und unsere Gefühle ehrlich anschauen um herauszufinden, was wir da
im Spiegel des Gegenübers präsentiert bekommen, das uns auf uns selbst
zurückwirft und zwar auf das, was wir nicht entwickelt haben oder auf das, was
wir beharrlich verdrängen und an uns selbst nicht akzeptieren wollen oder
können oder auf das was uns Angst macht. Zugegeben, das ist nicht einfach, denn
wenn wir uns entscheiden mit dieser Achtsamkeit und Bereitschaft zur
Introspektion durchs Leben zu gehen, werden wir auch dem Schmerz begegnen, der
in unserem Schatten verborgen sind. Wir werden unsere Wut spüren, unsere
Trauer, unsere Sehnsüchte und unsere Wünsche und Triebe, die verrotten und uns
innerlich vergiften, wenn wir sie nicht irgendwann aus dem dunklen Keller der
Seele befreien.
Wenn es uns
gelingt all das anzuschauen und vor uns selbst zuzulassen, werden wir dazu
fähig, die in uns aufkommenden dunklen Gefühle zu spüren, sie anzunehmen und
nicht anderen vor die Füße zu werfen, die sie uns angeblich machen.
Sicher machen
das auch die anderen mit uns, aber sie machen nur das mit uns, wozu wir
Resonanz haben. Es trifft immer der Schatten auf einen anderen Schatten. Auch
in Beziehungen ist das so. Deshalb gilt hier besonders: Wenn du ein guter
Partner sein willst, dann schau erst in dich selbst hinein. Und noch ein hilfreicher
Tipp wie die Schattenarbeit gelingt: Immer da, wo wir einen Unterschied
feststellen zwischen unserer Selbstwahrnehmung und der Fremdwahrnehmung des
Anderen, ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass es in unserem Schatten
etwas zu erlösen gibt.