Dienstag, 25. Februar 2014
Grün II
Jonas Lieblingsfarbe war Grün. In Grasgrün, Blaugrün, Olivgrün, Dunkelgrün lagen die T-Shirts und Hosen in seinem Kleiderschrank gestapelt. Irgendwann hatte er entschieden, dass es für ihn, an ihm, an seinem kleinen Körper nur grüne Kleidungsstücke geben durfte. Anna versuchte immer wieder, ihn beim Kauf neuer Sachen zu einer anderen Farbe zu überreden, aber auch die kleinen Bestechungsversuche mit Milcheis, das er so liebte, hatten keinen Erfolg. Jonas blieb dabei, es musste Grün sein. Er bekam das Eis trotzdem. Er wählte Pistazie.
Jonas und Anna lebten in dem kleinen Haus am Stadtrand. Jonas Vater war tot. Er hatte sich erschossen. Mit einem Loch im Kopf hatten sie ihn ins Krankenhaus gefahren. Anna und Jonas saßen in der Notaufnahme. Stumm, ohne eine Träne zu vergießen, ohne Fragen zu stellen, mit einem seltsam ruhigen Ausdruck in den braunen Augen, hielt Jonas Annas Hand. Er nickte nur leicht mit dem kleinen Kopf als der Arzt aus dem OP kam und sagte, dass es ihm leid täte für Anna und Jonas.
Anna und Jonas Vater hatten sich nach seiner Geburt darauf geeinigt, dass er den Erziehungsurlaub nahm, weil sie mehr verdiente. Er tat sich schwer in seiner Rolle als Hausmann. Wenn Anna am Abend nach Hause kam, fand sie Vater und Sohn auf dem Sofa sitzend. Jonas in der einen Ecke, der Vater in der anderen. Ein seltsam unruhiges Schweigen lag dazwischen. Der Fernseher lief.
Etwas war nicht in Ordnung, das fühlte Anna. Am Morgen, wenn sie das Haus verließ, weinte Jonas. Er hing an ihr wie eine Klette, bat sie eindringlich nicht zu gehen. Anna machte sich sanft los, sie musste zur Arbeit. Rabenmutter, dachte sie jedes Mal, wenn sie an Ihrem PC saß und das Foto betrachtete, das auf ihrem Schreibtisch stand. Jonas strahlte ihr breit und zahnlos entgegen. In letzter Zeit strahlte er immer seltener.
Sie hatten das Kind gewollt. Er hatte sich eine Tochter gewünscht, eine Tochter, die so aussieht wie Anna, hatte er gesagt, und dass er später, wenn sie erwachsen war, mit ihr auf dem Abschlussball tanzen wolle. Als Jonas auf die Welt kam weigerte er sich ihn in die Arme zu nehmen. Ihre Ehe bekam einen Riss. Es war als hätte man eine Vase zerschlagen, die Scherben zusammengeklebt und sie wieder mit Blumen gefüllt, die früh welken, weil das Wasser aus den Rissen sickert. Anna fügte sich dem, was war. Sie werden sich aneinander gewöhnen, er wird ihn lieben lernen, seinen Sohn, er ist ein Teil von ihm, hoffte sie. Anna wusste nicht, dass sich Liebe nicht lernen lässt. Immer wenn der Vater Jonas auf das Ehebett legte, die Vorhänge zuzog und ihn da anfasste, wo man einen kleinen Jungen nicht anfasst, sagte er: Du musst jetzt ganz lieb sein, damit der Papa dich auch lieb haben kann, und dass es ihr Geheimnis sei, von dem die Mutter nichts erfahren durfte, weil sie Jonas dann nicht mehr lieb haben würde.
Anna hatte es gesehen, an dem Tag als sie früher von der Arbeit kam, weil sie sich fiebrig fühlte. Sie hatte den Vater lange angesehen, dann hatte sie Jonas auf den Arm genommen, ihn ins Wohnzimmer getragen und die grüne Wolldecke um ihn gelegt. Ganz fest hatte sie ihn gehalten und immer wieder gesagt: Es wird wieder gut.
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