Donnerstag, 12. September 2013

Trotzdem

es wird niemals gut, sagte sie zu mir, niemals.
woher willst du das wissen?, fragte ich sie.
sie schüttelte trotzig den kopf. ich weiß es eben.
ich kannte diese sperre, dieses trotzige sich gegen alles stellen, was gegen ihre vorstellungen war. die erfahrungen hatten ihren blick auf das leben in ein dunkles grau getaucht. ich weiß, wie schwer es für dich war, sagte ich und reichte ihr ein taschentuch. sie würde jetzt weinen, auch das kannte ich. ich dachte, gut, dass sie weint, denn dann fühlt sie etwas. es hatte eine zeit gegeben in der sie nichts mehr fühlte, einer zeit in der ihre seele taub und ihre augen blind waren, ihr körper nur zum liegen fähig. tagelang verließ sie das bett nur um das nötigste zu tun, was einen menschen überleben lässt.

ich habe angst, kam es leise aus den tränen hervor.
wovor hast du angst?, fragte ich sie.
vor allem, antwortete sie. damit lebt es sich schlecht. verstehst du das?
ich nickte und nahm ihre hand in die meine. sie war zart, auf dem handrücken sah man die ersten altersflecken.
weißt du, sagte ich, ich habe auch angst.


sie sah mich erstaunt an. du hast angst?
aber sicher habe ich angst.
wovor?
ich habe angst, dass den menschen, die ich liebe etwas zustoßen könnte, ich habe angst vor schmerzen und ich habe angst dass ich das, was ich in diesem leben noch tun will, nicht zu ende zu bringen kann.
sie lächelte. ja, diese angst habe ich auch.
also haben wir eigentlich angst vor dem tod, wenn du genau überlegst.
ja, ich habe todesangst. wie soll ich damit weiter leben?
stell dir vor es gäbe ihn nicht, den tod, was wäre dann anders?
ich würde anders leben, sagte sie, ich müsste mich nicht mehr vor allem fürchten.
sicher, aber du hättest keinen antrieb irgendetwas zu tun, es wäre ja alles egal, es gäbe keine vergänglichkeit, keine endlichkeit. es gäbe keinen wirklichen grund etwas zu schaffen, etwas verändern zu wollen, etwas besser machen zu wollen. es wäre alles egal, alles gleichgültig, nichts wäre dir wirklich wichtig. du hättest kein gefühl von intensität, denn du hättest für alles endlos zeit. damit hätte die zeit ihre kostbarkeit verloren. was nicht kostbar ist schätzen wir nicht wert. wäre dann unser leben nicht wertlos?
du meinst das leben ist wertvoll, weil wir es irgendwann verlieren?
ja, das meine ich.
du hast schon komische gedanken, sagte sie, woher willst du das denn wissen?
ich weiß es ja nicht, erwiderte ich. ich weiß nicht, ob das so ist, oder ob das so wäre. aber es ist möglich, dass es so sein könnte, oder?
sie dachte nach. ja, es ist möglich.
also woher willst du wissen, dass es niemals gut wird? es ist möglich, aber es ist auch möglich, dass es gut wird.
sie sah mich lange an. ja, das stimmt. aber ich habe trotzdem angst.
ich auch, sagte ich.
sie lächelte traurig. und was machen wir jetzt?
wir machen das, was möglich ist, solange es möglich ist, trotz der angst.

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