Freitag, 19. Juli 2013
Ziele?
ziele, alle, die ich höre, reden von zielen.
ich habe kein ziel, ich gehe den weg, meinen weg. ziellos, was nicht wunschlos heißt.
ich habe gelernt, dass ziele reine vorstellungen sind. und ich weiß, dass sich mein horizont in der vorstellung der vorstellung beschränkt. indem ich mir etwas vorstelle mache ich die möglichkeiten eng, ich grenze aus, begrenze, stelle etwas vor mich, vor mein inneres auge - ich verstelle mir den blick für das, was sein kann, abseits dessen, was ich für mich haben will. denn das bedeutet ziele verfolgen - etwas haben wollen, etwas erreichen wollen, was noch nicht ist. verfolgen - welch ein wort, ich mag keine verfolgungen, ich mag keine verfolger, ich folge klingt freier, unbegrenzter. ich folge dem weg, der sich vor mir auftut.
ich weiß, dass menschen ziele brauchen. im geschäftsleben brauchen sie sie, um sich nach etwas zu richten brauchen sie sie, um sich aus dem jetzt in die zukunft zu denken, brauchen sie sie. da ist so viel brauchen dabei. etwas brauchen heißt immer es fehlt etwas, etwas, das man braucht um einen zustand vollkommener zu machen, besser als er ist oder anders als er ist - und all das bedeutet, dass das, was jetzt ist, nicht gut genug ist.
ziele sind auf die zukunft bezogen, sie bedürfen des verfolgers des verfolgten. wie aggressiv das klingt, dieses zielstreben. streben klingt auch nicht wirklich schön in meinen ohren.
als kind hatte ich das ziel brav zu sein, lieb zu sein, später als jugendliche hatte ich das ziel gute noten zu schreiben mit dem ziel ein abitur zu machen, gefolgt vom ziel ein studium zu absolvieren. ich hatte ziele ohne ende, ziele, die man mir gesetzt hat, wenn ich recht darüber nachdenke. du musst das erreichen und dies und wenn du das erreicht hast und dies, musst du das nächste erreichen. ich habe viel erreicht, viele ziele, die man mir gesetzt hat, die ich irgendwann für meine eigenen gehalten habe und manche habe ich mir selbst gewählt. im grunde aber war ich ein wohlkonditioniertes wesen, wie all die anderen wohlkonditionierten wesen um mich herum. wie die lemminge richtung ziel, so sind wir gelaufen und so laufen wir noch heute. so laufen wir unser leben lang durch das leben, das nur ein ziel kennt, das wir alle ganz sicher erreichen werden - den tod.
wie gesagt, ich habe längst begriffen, dass alles zielstreben ein überaus brüchiges lebenskonstrukt ist. denn irgendwann habe ich meine ziele nicht mehr erreicht, das schlug etwas dazwischen. das schicksal, mein unterbewusstes, die wirklichkeit? was davon, oder von allem ein wenig? ich weiß es nicht. was ich weiß ist, dass ich nicht der macher bin, auch wenn das viele um mich herum glauben, oder glauben wollen, dass sie die macher sind, weil es ziemlich ernüchternd ist, zu erkennen nicht der macher des eigenen lebens zu sein.
es gibt viel, was wir machen können, aber das leben macht das, was wir machen wollen nicht immer mit. "die wirklichkeit ist der ort, in dem mein willensakt etwas veranlasst", schreibt der hirnforscher gerhard roth in seinem buch " das gehirn und seine wirklichkeit". er schreibt darin auch, dass unser wille auf die wirklichkeit nur einen sehr begrenzten einfluss hat. genau das ist meine erfahrung und ich bin mir sicher, die erfahrung sehr vieler anderer menschen. wir gleiten oft ab an der wirklichkeit die unsere gewollt verfolgten ziele partout nicht mitmacht.
irgendwie ist das auch gut so, denn wie langweilig wäre unser leben, wenn alles so wäre, wie wir das gern hätten. würde jedes ziel realtität werden, wäre alles planbar, verfolgbar, was wäre dann? wären wir glücklichere menschen? hängen glück und zufriedenheit vom grad der erreichten zielvorstellungen ab, oder ist es nicht viel spannender zu spielen, dem zufall raum zu geben, dem was sein könnte, wenn wir einen weg gehen, dessen ziel wir nicht kennen und gar nicht kennen wollen? die schönsten und die berührendsten dinge geschehen ohne plan und ziel, sie fallen uns zu, sie begegnen uns, wenn wir frei von festen vorstellungen mit offenen augen und offenem herzen unseren weg durch das leben gehen, wohlbemerkt: gehen, nicht rennen.
der weg ist das ziel, das ist eine alte weisheit. in meiner wirklichkeit ist sie wahr. hätte das leben mir meine ziele nicht ab und zu verstellt und sie unerreichbar für mich gemacht oder gar durchkreuzt - ich wäre um vieles ärmer als ich es bin. ich habe gelernt, schon bevor ich das buch des klugen herrn roth gelesen habe - die welt ist nicht meinem willen unterworfen, vielmehr bin ich der welt unterworfen. ich bin nicht der allmächtige erfüller meiner ziele, ich erfahre das leben und manchmal gehört dazu auch das leid. apropos leid - das kommt oft gerade dann, wenn wir die verfolgten ziele nicht erreichen. dann glauben wir, wir sind nicht gut genug gewesen, haben nicht alles getan, nicht hart genug gearbeitet, einen fehler gemacht, oder wir quälen uns mit gedanken des scheiterns und der schuld.
ein ziel verfolgen trägt immer auch die option des scheiterns in sich, aber das wollen wir ausblenden, das sind dann neagtive gedanken, die sich dem ziel wie eine sich selbst erfüllende phrophezeihung in den weg stellen.
aber in welchen weg denn? den, den wir wählen. wir können nicht wählen wie im kaufhaus oder im designerladen, wie es uns gefällt und das, was uns gefällt wohlwählend in eine tüte packen und mitnehmen, damit wir haben, was wir wollen. nein, manches wählt uns, uns, die wir im spannungsfeld zwischen ich und welt und ich und ich und all den vielen anderen komponenten stehen, die leben ausmachen.
die wirklichkeit ist mehr als die welt unserer mentalen zustände, mehr als die welt unserer gefühle, mehr als die welt unseres körpers, mehr als das konstrukt unserer gedanken - da ist auch noch die außenwelt, die ihre eigenen konstrukte, gesetzmäßigkeiten, formen und erscheinungen hat. sie ist genau das, was sich nicht unserem willen unterwirft und unseren zielen folgt - sie ist es, die uns widerstand entgegensetzt oder auch nicht. planen können wir ihre reaktion auf unsere aktion nicht, aber vielleicht können wir lernen sie zu achten und aufhören uns selbst mit unseren zielen zu traktieren und unsere vorstellungen als das akzeptieren was sie sind - konstrukte eines konstruierten ichs in einem konstrukt von millionen ichs, in einer wirklichkeit, die über die von uns selbst konstruierte wirklichkeit hinaus geht und in der tat ein eigenständiges konstrukt ist.
wäre die wirklichkeit ein konstrukt meines ichs, wäre sie anders, da bin ich mir sicher.
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