Dissoziation – nicht von
ungefähr entstammt der Ausstellungstitel zu Angelika Wendes Malerei dem Reich
der Psychologie. Was hier formal und vordergründig als Porträts erscheint,
bildet nicht Personen oder Persönlichkeit ab, sondern nutzt die Chiffren
menschlicher Erscheinung als Vokabular einer Beschreibung seelischer Zustände.
Wendes Arbeiten sind Psychogramme, künstlerische Auslotungen innerer Zustände.
Das Wesentliche befindet sich dabei im Nicht-Dargestellten, im Nicht-Sichtbaren
– im Abgespaltenen. Die aufs Archetypische verweisenden Figuren und
Beziehungskonstrukte definieren sich durch das Abgetrennte, Verlorene, durch
Verletzungen und Wunden.
„Es gibt kein größeres Verlangen, als das eines Verwundeten
nach einer anderen Wunde“, schrieb Georges Bataille. In diesem Sinne verweisen
die Protagonisten in den Bildern Angelika Wendes auf den Erfahrungsraum
außerhalb der eigenen verwundeten Welt. In diesem Sinne öffnen sie den Bild-
und Interpretationsraum in das Unendliche.
Platons berühmtes Gleichnis von den
„Kugelmenschen“ drängt sich auf. Menschen, die sich als Fragmentierte, als
Halbwesen erfahren und getrieben werden von der Suche nach dem Ergänzenden. In
Wendes Bildern wird deutlich, wo dieses ergänzende Andere nicht zu finden ist –
im Außen, im Anderern.
Die Dargestellten bleiben sich auch in Beziehung
gestellt fremd, ihre Unvollständigkeit steht nebeneinander, spiegelt sich,
potenziert sich, doch eine Verschmelzung, eine Ergänzung und somit eine Heilung
gibt es nicht.
Keine Hoffnung also?
Durchaus. Sie liegt in dem, was jenseits
des Fehlenden auch ist. Ein oft trotziger, kraftvoller Blick aus der Verletzung
heraus. Oft scheint dieser Blick wie hinter einer Maske zu wirken. Doch er ist
da. Und verweist auf das Innere – auf den Bereich der Möglichkeit. Auch der
Möglichkeit zur Ganzwerdung. Denn nur dort sieht Wende den Weg, als Halbmensch
zur Ganzheit zu gelangen – im eigenen Inneren, im Selbst. Das Selbst ist das größte
Rätsel, schrieb Max Beckmann. Angelika Wende
weiß das. Sie stellt sich diesem Rätsel. Mit allen Mitteln. Vor allem aber mit
dem Mittel, das auch ihren Figuren offenbar als letzter Lösungsweg erscheint –
mit dem Blick, der das Innen mit dem Außen verbindet.
Als langjährige Ansagerin und
Moderatorin beim ZDF und anderen Fernsehsendern entwickelte Angelika Wende ein
besonderes Verhältnis zur vordergründigen Abbildbarkeit des (eigenen) Gesichts.
In ihren psychologischen Studien und ihrer Arbeit als psychologische Beraterin
bewegt sie sich in den Bereich weit hinter diesen Fassaden. Ihre künstlerische
Entwicklung – unter anderem begleitet durch Studien bei Matthias Rüppel und
Christian Felder – entwickelte sie eine eigene Bildsprache, jenseits künstlerischer Konvention.
In diesem Sinne sind Wendes Arbeiten im besten Wortsinn „naiv“ – sie wenden
sich dem Ursprünglichen zu, gehen zurück zur Geburtsstunde von Eindruck und
Ausdruck. Dorthin, wo das Neue entsteht. Jenes Neue, das getrieben von der
Sehnsucht nach Ganzheit Welten erschafft – und Möglichkeiten.
(c) Alexander Szugger, Oktober 2012
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