Dienstag, 14. August 2012

WEGGEDRÜCKT



das selbst ist das größte rätsel, schrieb der maler max beckmann.

das selbst begreifen ist eine herausforderung, eine lebenslange. beckmann wusste das und er stellte sich dieser herausforderung. beckmann hat gelitten an sich selbst, an der welt. er hat sein leid akzeptiert und es in kunst gewandelt. beckmann hat, wie viele künstler akzeptiert, dass leid immer zwei aspekte hat - den dunklen und den hellen und dass es zu uns gehört, zu uns als mensch.

alles im leben hat immer zwei seiten, alles im leben ist polar. das ist eine sicht-und fühlbare wahrheit. es ist eine wahrheit der metaebene, erst dann mögen die konstruktionen der eigenen wirklichkeit beginnen. es gibt diese verbindliche realität, wir leben in ihr.

und in dieser realität gibt es das dunkle und das helle, in uns und im aussen.
es bedarf harter arbeit an uns selbst, hell und dunkel gelten zu lassen, in uns und in der welt da draussen.

wer gibt uns das recht zu glauben, ein leben wäre ohne dunkel, ohne leid möglich? woher kommt die arroganz des modernen menschen zu glauben, er habe ein recht unverletzt durch dieses leben zu gehen oder seines glückes schmied zu sein? 

wir sind menschen und deshalb können wir dem leid nicht ausweichen. es gehört zu unserem menschsein wie die freude und das glück -  und wer wollte letzterem ausweichen oder käme nur für einen moment in versuchung ausweichen zu wollen? ich kenne keinen. mich eingeschlossen.

es ist einfach das glück zu akzeptieren, einfach es als ein verdientes zu sehen, aber es ist schwer das leid zu akzeptieren und noch schwerer ist es, es als ein verdientes zu sehen. verdienen -  welch ein wort in diesem zusammenhang. was verdienen wir denn?

geld, anerkennung, erfolg. das können wir uns verdienen. liebe, freude und glück? können wir das verdienen?

eingebettet in einen überfluss von dingen und möglichkeiten blasen sich das kollektive und das individuelle ich auf und glauben sich als alleiniger schöpfer ihres seins. der irrglaube bricht spätestens dann zusammen, wenn es trifft - das leid.

dann muss das leid ganz schnell wieder vorbei gehn, weil es schwer auszuhalten ist und schon gar nicht akzeptabel.

akzeptieren heißt für für viele kapitulieren, also leisten wir widerstand.

ein unglück, ein leid erschüttert das selbstwertgefühl. schwächeln geht nicht, schwächeln in dieser welt, die den starken gehört, den gewinnern, macht zum looser. also lassen wir das leid nicht zu, lassen wir schwäche nicht zu.

aber das leid lässt nicht locker. es drückt von innen, es drückt, dann, wenn es nicht zugelassen wird, in die erstarrung. wir leisten weiter widerstand. widerstand äussert sich immer in verlustangst. nämlich das zu verlieren, was an fassade und an haben so mühsam aufgebaut wurde über jahre, oder ein leben lang.

leiden geht nicht. es ist ein tabu. weder altes, noch neues leid, das geht einfach nicht. es wird im stillen ausgehalten oder noch besser - ignoriert. es wird verschwiegen, so gut es geht. wir haben namen dafür, wie burnout, trauma oder depression. das sind namen für das leid und dafür gibt es tabletten und wenn nichts mehr geht therapien, damit das alles im griff zu behalten ist, damit es schnell wieder normal ist das leben.

aber normal ist in dieser welt nichts mehr. der großteil der westlichen welt leidet am überfluss und fühlt sich dabei unendlich leer. ihr gegenüber steht der andere teil, der mangel leidet. in der welt des überflusses ist das seelische leid rießengroß. seltsam?

nicht seltsam, denn die leere ist sattheit, als überdruß, der sich einstellt, weil wir von allem zu viel haben. wir haben keinen hunger, wir kennen hunger gar nicht. wir sind wie satte dicke kinder, die immer noch fressen und gefüttert werden wollen, obwohl sie kurz vorm platzen sind. diese unstillbare gier führt zu überfluss und zu ekel.

ekel vor uns selbst und den anderen, die genauso gierig und satt und leer sind. das ist wahrlich leidvoll. es ist genauso leidvoll wie alles andere leid, denn leid ist nicht vergleichbar und nicht gegeneinander abzuwägen. es ist was es ist, für den, der leidet.

wir achten das leid nicht, auch weil wir die achtung vergessen haben, die achtung vor dem schöpfer, dem leben und vor uns selbst und den anderen.

die folge des leidens ist eine flucht ins innere. immer mehr menschen vereinsamen und haben ausser den kontakten auf der arbeit und in der virtuellen welt keine engen sozialen bindungen mehr, oder gar keine. familien bröckeln und zersplittern, dauertüchtige beziehungen sind magelware, kinder spielen mit technischen geräten anstatt mit anderen kindern. auch unsere kinder vereinsamen, auch sie leiden, auch sie spüren die leere. und  sie wollen haben. haben, das neueste, das beste, das was die anderen auch haben oder nicht haben.es ist ein fass ohne boden in welches, was wir oben einfüllen, unten wieder herausrinnt. das ist die moderne welt. auch das. eine welt, in der sich das leiden ausbreitet wie eine schleichende krankheit. wie eine pest, die von innen kommt und das innen und das aussen vergiftet.

das leid wird weggedrückt. das ist gefährlich.

weggedrücktes leid führt zu verirrung in uns selbst, zur verstrickung ins negative, zur totalen selbstentwertung, in die isolation und letzlich zur selbstzerstörung. es führt zu verbitterung und resignation, zur selbstvergiftung und selbstaufgabe, wenn wir ihm mit widerstand begegnen. es verfestigt sich und versteinert das innerste. es führt zum tod im leben. nichts mehr fließt, schon gar eine keine tränen. ein hoher preis für das nicht akzeptieren eines emotionalen zustandes. weg mit dem dunklen, weil das helle sein muss, das glück, das wir verdient haben. es ist eine narzisstische depression, die um sich greift, die den geist verödet, empathie, menschlichkeit und leben vernichtet. weil wir nicht akzeptieren wollen, dass leiden zum menschsein gehört und es nicht zulassen wollen. dabei bedeutet akzeptieren nicht kapitulieren, es bedeutet - das wagnis zu sehen, was unsere wirklichkeit ist - innen und aussen. die akzeptanz des leidens ist die vorraussetzung um es zu wandeln - vom dunkel ins helle,  denn nichts konfrontiert uns so unmittelbar mit uns selbst wie das leid.

wir können dem leid nicht entkommen und wir können ihm ihm nicht ausweichen, aber wir können es als sinnvoll erleben. wenn uns das gelingt, können wir es wandeln. dann  verhärten wir uns nicht mehr in einem ohnmächtigen protestierenden widerstand, an dem wir selbst und unsere welt zerbrechen.

aber dazu ist diese welt wohl zu satt und zu lebensüberdrüssig.






Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen