Freitag, 29. April 2011

Zaubern ...

Alles Gelesene, von anderen über eine Sache verfasste, mit der man selbst sich befasst – beeinflusst unsere Sicht der Dinge.


Ein Empfinden den Worten oder dem Werk gegenüber stelllt sich ein und bisweilen ist es stimmig für das, was uns ausmacht, in dem Moment wo wir lesen. Worte berühren uns, wenn etwas in uns ihren Inhalt berührt. Wie mich diese Worte berühren, jetzt in diesem Moment meiner Zeit, wo sie mir einfallen und ich weiß nicht einmal wer sie geschrieben hat, weil ich sie nur erinnere.


„Die Malerei ist die erstaunlichste Zauberin. Sie vermag uns mit den offenkundigen Unwahrheiten davon zu überzeugen, dass sie die reine Wahrheit ist.“


Und ich denke sie weiter die Worte, denke an die Malerei und die Wahrheit.

Die Malerei, als Medium auch um Unwahres wahr erscheinen zu lassen. Die Malerei, eine Zauberin, die mit den Dingen spielt, die Dinge erscheinen lässt, sie als etwas erscheinen lässt, was sie nicht sind, was sie aber auch sein können, eine Zauberin, die Scheinbares als Wahres erscheinen lässt und scheinbar Wahres als Scheinbares.


Carl Gustaf Jung sagte einmal: „Es hängt alles davon ab, wie wir die Dinge sehen und nicht wie sie sind.“ Folge ich diesem Gedanken so sind wir alle der Illusion verfallen, denn es gibt keine allgemeingültige Realität.


Wir alle sind also Zauberer. Mehr oder weniger gute allerdings.

Die Sache mit der Zauberei gefällt mir.


Sie beinhaltet das Geschenk von Möglichkeiten. Das umso kostbarer wird, schafft der Mensch die Möglichkeiten aus sich selbst heraus. Dann ist er schöpferisch und wandelt diese Schöpferkraft in Kreativität, der Kunst entspringt.


Die Kunst, die ich liebe manifestiert sich in stillen Bildern, deren leisen Tönen ein Zauber inne wohnt, in dem das Stumme spricht. Inszeniertes stilles Leben, in dem sich Möglichkeiten von Wahrheiten im Wesen der Dinge verbergen und Schönheit. Und in allem Schönen klingt die Tönung von Vergänglichkeit, auch das. Der melancholische Klang der Vergänglichkeit aller Schönheit, aller Dinge, allen Lebens erinnert mich an Chronos, die vergehende und immer zu einem Ende hineilende Zeit, die keine Ewigkeit kennt und deren Wesen unerbittlich ist.


Ich kann ihr nicht entfliehen, sie kennt nur den unermüdlich voraneilenden Zeiger der Uhr, der den Sinn der Sekunde darin bestehen lässt, von der ihr folgenden Sekunde abgelöst zu werden. So schließt sich das Fenster, dessen, was war und das Noch - Nicht Sein ist bloße Illusion. Es ist immer die eigene Vergänglichkeit, die wir fühlen, der Gedanke an das Vergehen der Jahre, die Linen und Narben hinterlassen, im Gesicht und in der Seele.


Leise, für das feine Gehör erfassbar, flüstert es uns zu: auch du, irgendwann ...


Aber der Blick auf die Vergänglichkeit verliert sich manchmal für des Augenblicks Dauer. Der Gedanke, dass es nicht nur eine Zeit gibt, dass es verschiedene Zeiten geben kann, die zugleich existieren, drängt sich mir auf. Der Gedanke an Augenblicke, die sind wie die Ewigkeit. Und ich spüre - in der Wahrnehmung des Augenblicks liegt auch die Erfahrung des Gelingens, die Augenblicksgewissheit von Vollendung. In diesem Moment scheint es durch, wird mir das Vollendete in seiner Erhabenheit bewusst.


Es ist dieser eine Moment in der Zeit, den die Kunst auf der Leinwand festhält, ein Augenblick mit dem der Künstler ein Zeichen setzt, mit dem es gelingt das vom menschlichen Bewusstsein abhängende Fließen der Zeit anzuhalten.


„Die denkenden Menschen sind notwendig Materialisten. Sie suchen die Wahrheit in der Materie, denn anderswo können sie sie nicht suchen, da sie einzig und allein die Materie sehen, hören, fühlen. Sie können die Wahrheit nur dort suchen ... außerhalb der Materie gibt es keine Erfahrung, kein Wissen und folglich keine Wahrheit“, schreibt Anton Tschechow.


Ist das eine überwirkliche Chimäre, eine vorgegaukelte Illusion oder eine Wahrheit, die uns die Materie offenbart?, frage ich mich. Und weiß, es gibt keine eindeutige Antwort.


Es gibt Fragen und es gibt die Suche nach einer Beantwortung von Fragen. Und in jeder beantworteten Frage liegt immer auch die Möglichkeit einer anderen, einer weiteren Wahrheit – so liegt in jeder Frage und in jeder Antwort auch immer der Zweifel. Es ist wie mit der Zauberei – die immer den Aspekt des Zweifelns in sich trägt.


Aber, ist es die Aufgabe des Zauberers uns Gewissheit zu geben?

Ist es die Aufgabe der Kunst uns Wahrheiten zu schenken, die das Leben uns nicht schenkt?


Kunst konfrontiert uns mit der Unsicherheit einer Welt, in der wir beständig nach dem Ideal von Sicherheit und Wahrheit streben, wohl wissend, dass es diese nicht geben kann, dass dies lediglich eine Vorstellung ist, ein Wünschen, um der Absurdität des Seins Sinn zu verleihen. Zugleich zeigt sie uns einen Ausschnitt von Welt, der niemals eindeutig ist. In der Kunst entfaltet sich ein Mikrokosmos, erschaffen nach ästhetischen Gesichtspunkten – ein Mikrokosmos, dessen Existenz und Einzigartigkeit ich liebe, dem ich mit Neugier, Staunen und Demut begegne. Nein das ist kein Wirklichkeitsabklatsch, sondern vielmehr eine rätselhaft magische Lebendatmosphäre. Das ist Schönheit. Malerische Zauberei, die mir zuflüstert: Alles was dir in Zeit und Raum entgegentritt ist nicht mehr und nicht weniger als ein Bild von Welt, das allein in deiner Realität entsteht und unendliche Möglichkeiten in sich birgt.


Und dann weiß ich, auch ich kann zaubern ...



©angelikawende 2011

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