lena und der großvater sitzen in der kleinen küche. der geruch von frisch gewaschener wäsche hängt im raum. der großvater bügelt seine blauen arbeitshemden. "die großmutter ist krank", sagt der großvater. er zieht seine stirn kraus. dann hat sie noch mehr falten als sonst. er zieht den stecker vom bügeleisen aus der steckdose und legt die hemden in den wäschekorb. er holt das brot aus dem brotkasten, bestreicht es mit butter und legt salamischeiben darauf. lena und der großvater essen jetzt oft belegte brote. lena darf so viel kakao trinken wie sie will. der großvater sagt, er kann nicht kochen. heißer kakao wärmt den bauch. lena beklagt sich nicht.
die stille, die aus dem schlafzimmer dringt liegt über lena wie eine schwere decke. ab und zu wird sie von einem leisen stöhnen unterbrochen. wie das gebot zu schweigen, denke lena.
immer wieder geht der großvater ins schlafzimmer. wenn er herauskommt hat er manchmal tränen in den augen. er redet nicht viel mit lena. lena fragt nichts. plappermäulchen ist stumm. die großmuttter nennt sie so. das ist vertraut. das ist weit weg, seit die großmutter den ganzen tag und die ganze nacht im bett liegt.
drinnen im schlafzimmer riecht es nicht gut. es riecht wie pipi, das zu lange in der kloschüssel steht, weil es nicht runtergespült wurde. manchmal spült lena ihr pipi nicht ab, am sonntag morgen, wenn sie als erste wach ist und großmutter und großvater noch schlafen, sie ganz leise aus der mitte des großen bettes herauskrabbelt, damit sie die beiden nicht weckt. wenn sie dann auf der toilette war, drückt sie nicht auf den spülknopf. die großmutter wird trotzdem wach. sie sagt: "lena, das ist sehr rücksichtsvoll von dir, aber das brauchst du nicht zu tun." dann schlägt sie die decke zurück, zieht den geblümten morgenmantel an und geht in die küche. sie macht pfannkuchen für lena mit ganz viel ahornsirup drauf und sie sind froh und machen pläne für den sonntag.
lena geht zum schlafzimmer. sie öffnet die tür, ruft und großmutters namen. sie bekommt keine antwort. lena versteht nicht, was mit der großmutter geschieht. sie muss jetzt auf dem sofa in der küche schlafen. die fragen drehen sich in ihrem kopf wie kleine hamster im rad. der großvater hat eine decke über das sofa gelegt, damit man die flecken nicht sieht, die das erbrochene der großmutter auf dem braunen cordstoff gemacht hat. lena kann nicht gut einschlafen. der saure geruch beißt in der nase, wenn sie am abend ihren kopf auf die decke legt. der geruch, der nach großmutter riecht, anders als all die tage, die da waren, vorher. das macht lena angst.
es ist so still. auch das macht lena angst. lena fragt den großvater, ob sie ein lied singen darf für die großmutter, wie sie es sonst singt am abend. der großvater zuckt mit den schultern und sagt: "sie kann es nicht hören, lass es lieber."
lena möchte singen. sie weiß, dass die großmutter es hören kann. die lieder tanzen in ihrem kopf herum und wollen hinaushüpfen, wunderdinge aus worten fromen, so wie der feuchte sand, den sie in ihre bunten backförmchen drückt, all die schönen dinge formt. "backe, backe kuchen, der bäcker hat gerufen." die großmutter kann guten kuchen backen. am samstag hat sie lena immer die kleine weiße schürze mir den roten kirschen umgebunden und gesagt: "backzeit, plappermäulchen". dann haben sie eier, butter und mehl in die rührschüssel getan und ganz viel zucker drauf geschüttet und lena hat ihre klebrigen finger abgeleckt und den süßen teig im mund geschmeckt und alles war gut.
der großvater räumt die beiden teller vom küchentisch. er sagt: "die großmutter geht bald in den himmel." lena will wissen, ob sie mit der großmutter mitgehen kann. der großvater schüttelt den kopf und holt die flasche aus dem küchenschrank, aus der er sonst nur am sonntag trinkt, wenn sie alle vor dem fernseher sitzen. er nimmt ein glas vom regal und macht es ganz voll mit der stinkenden klaren flüssigkeit. er trinkt es in einem zug aus. dann sagt er nichts mehr und lena weiß nicht wie lange das schweigen anhält. der großvater schaltet den fernseher an. den ton dreht er ganz leise.
lena sieht die bunten bilder. einmal hat sie gesehen wie ein böser mann mit einer schwarzen maske vorm gesicht einer frau mit einem großen pflaster den mund zugeklebt hat. zuvor hat die frau laut geschrieen und dann war sie auf einmal stumm.
lena hält ihre kleine hand vor den mund. da bleibt sie, bis es an der tür klingelt, der großvater durch den flur geht, die tür öffnet und die beiden weiß angezogenen männer in das zimmer führt, wo die großmutter liegt. mit einer bahre kommen sie wieder heraus. sie haben die großmutter in eine braune decke gewickelt. mit geschlossenen augen liegt sie auf der bahre. lena will schreien, aber die kleine hand klebt fest auf ihren lippen.